Berliner Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1

Sport


Berliner Zeitung·Nummer 72·Mittwoch,25. März 2020 9 *·························································································································································································································································································

DerWille


des


Diktators


DerweißrussischeFußball
hältamSpielbetriebfest

D


er Fußball in Weißrussland
ignorier tdas Coronavirus.
Planmäßig und mitZuschauernauf
den Stadiontribünen haben die
Klubs des Landes zwischenPolen
und Russland denSpielbetrieb auf-
genommen.DerbelarussischeFuß-
ballvereinigung (ABFF)zeigte sich
unbeeindruckt davon, dass inEu-
ropasonstniemandmehrspielt.
81FällederLungenkrankheitCo-
vid-19 waren Anfang derWoche be-
kannt. Tendenz –wie fast überall –
steigend.Dochderals„letzterDikta-
tor Europas“ kritisierte Präsident
AlexanderLukaschenkosiehtkeinen
Grund für „drakonischeMaßnah-
men“. Der65-Jährige gab früh die
Devise aus ,dass die Corona-Panik
schlimmerseinkönnealsdasVirus.


Die Kritik nimmt zu

„IchnennediesesCoronavirusnicht
anders als einePsychose und lasse
mich auch nicht davon abbringen“,
sagte Lukaschenko.„Diezivilisierte
Welt ist verrückt geworden, und die
Politiker haben schon damit ange-
fangen,dieSituationfürihreInteres-
senauszunutzen.“
Hunderte Fans kamen zu den
Spielen –teils mit Mundschutz.Die
Stimmung schwankte zwischen
Freude und eiserner Klubtreue bis
hin zu Unsicherheit.Dievon einem
früherenSoldatengeführteFußball-
vereinigung ABFFversicherte zwar,
dieLagegenauzubeobachten.Dass
sie aber amEnde gegenStaatschef
Lukaschenko entscheidet, gilt in
dem autoritär geführten Land als
ausgeschlossen. Doch die Kritik
nimmtzu.„DiebelarussischeMeis-
terschaftmitZuschauern–dasist
einfachWahnwitz“,sagteSergejAlej-
nikow,derehemaligeProfivonJu-
ventusTurin.Berichteetwaüberiso-
lierteSportlerderEishockey-Natio-


In Minsk läuft der Ball, als wäre alles in
bester Ordnung. DPA/GRITS


nalmannschaftwegenVerdachtsauf
das VirusSars-CoV-2 dementierte
dasSportministerium.
„Es ist, alswenn sich niemand
darum kümmert“, wirdder frühere
Bundesliga-Fußballer Alexander
Hleb,39, vonder britischenBoule-
vardzeitung Sunzitiert.„Jederweiß,
was in Spanien undItalien passiert.
Dassieht nicht gut aus.“Er bleibe
mitseinerFamiliezu Hause,sagteer.
Aber wenn er „raus gehe,sind die
Straßen und Restaurants immer
nochvoll“.
AndereehemaligeSowjetrepubli-
ken haben denAusnahmezustand
verhängt. DerweißrussischeSport-
kommentatorKonstantinGenitsch
meinte,dassersichwieJuriGagarin
–dererste Menschim Weltall–fühle,
dass er noch amBall sei. Erst wenn
die Uefa ein Machtwortspreche,
werdedaswohlaufhören.
Vorerst aber sindEinschränkun-
gen mit geschlossenen Stadien,
Schwimmbädernund Fitnessklubs
nichtin Sicht.Aberselbstdieortho-
doxe Kirche nahm inzwischen die
ÄngstevoreinemgroßflächigenAus-
bruch derLungenkrankheit ernst.
DerMinskerErzbischofPawelerhob
sich nach demSonntagsgebet im
Hubschrauber über dieHauptstadt,
umWeihwasserzumSchutzvordem
Coronaviruszuverteilen.(dpa)


NACHRICHTEN


Eisbären verpflichten Duo
aus Bremerhaven

EISHOCKEY.DieEisbärenhabendie
TransfersvonVerteidigerStefanEs-
pelandundStürmer MarkZe ngerle
perfektgemacht.WiederKlubam
Dienstagmitteilte,kommenbeide
SpielervondenFischtownPinguins
ausBremerhavennachBerlin.Der
norwegischeNationalspielerEspe-
land,seitDienstag 31 Jahrealt,warin
derwegender VerbreitungdesCoro-
navirusabgebrochenenDEL-Saison
mit38Scorerpunkten,davon29Vor-
lagen,zweitbesteroffensiverVertei-
diger.ErbestrittvierWeltmeister-
schaftensowiedieOlympischen
SpieleinPyeongchangfürNorwe-
gen.Der30-jährigeZengerlespielte
seinezweiteSaisonfür Bremerhaven
inderDELundkamin41Spielenauf
siebenToreund32 Vorlagen,nach-
demerimJahrzuvorsogarbester
VorlagengeberderLigawar.Der
Amerikanerbesitztaucheinendeut-
schenPass.

BBL-Boss kritisiert
Alleingänge der Klubs

BASKETBALL.GeschäftsführerSte-
fanHolzhateinenTagvorder Konfe-
renzder BasketballBundesliga(BBL)
KritikanUmgangderVereinemitih-
renUS-ProfisinderCoronakrisege-
übt.„Wirhattenunskürzlich
schließlicheinstimmigaufeineBe-
schlusslagegeeinigt,dieSaisonwie-
deraufzunehmen.DieKlubshaben
nunimAlleingangFaktengeschaf-
fen“,sagteHolz.EinigeTeamshatten
angesichtsderunsicherenLageih-
renUS-amerikanischenSpielern
eineHeimreiseermöglichtundVer-
trägeaufgelöst.DieBBLhofft,die
Saisonfortsetzenzukönnen.

Hertha will mit eine
Sondershirthelfen

FUSSBALL.HerthaBSCwillmitei-
nemSondershirtinderCorona-
Krisehelfen.DieHälftedesVerkaufs-
preisesderShirtsmitdemSlogan
„Nurnachdraußengehnwirnicht“
sollenandenCorona-Nothilfefonds
desDeutschenRotenKreuzesgehen,
teiltederVereinamDienstagmit.
SängerFrankZanderhatteseine
Hertha-HymneamWochenendewe-
gender Einschränkungendurchdas
neuartigeCoronavirusumgedichtet:
Statt„NurnachHause...“singtder
Berlinerjetzt„Nurnachdraußen
gehnwirnicht“.

Mäzen Kühne hofft auf
Führungswechsel beim HSV

FUSSBALL.MäzenKlaus-Michael
KühnesetztimMachtkampfander
HSV-SpitzeaufeinenPersonalwech-
selbeimHamburgerZweitligisten.
„Ichhoffees“,sagteder82-Jährige
demOnline-AuftrittderZeitaufdie
Frage,obesinabsehbarerZeitzuei-
nerpersonellenNeuaufstellung
beimHSVkommenwerde.Seiner
MeinungnachsolleMarcellJansen
beidermöglichenNeubesetzung
desAG-VorstandseineRollespielen,
hießes weiter.Der34 Jahrealteehe-
maligeProfiistderzeitPräsidentdes
HSVe.V.WieMedienberichteten,
sollesindenvergangenenWochen
zueinemKompetenz-Streitzwi-
schenVorstandsbossBerndHoff-
mann,57,undSportvorstandJonas
Boldt,34,gekommensein.

Patriots verzichten auf die
Dienste von Gostkowski

AMERICANFOOTBALL.DieNew
EnglandPatriotsausderUS-Foot-
ballligaNFLverlierennachQuarter-
backTomBradyeine weitereSäule
vergangenerTriumphe.Wiedas
Teamaus FoxboroughamMontag
bekanntgab,verzichtemankünftig
aufdie DienstevonKickerStephen
Gostkowski.Der36-Jährigewaran
dreidersechsSuper-B owl-Erfolge
derPatriotsbeteiligt.

DerzähesteEisenmann


Die Geschichte(n)macher


DerSportistkeinPerpetuummobile,


dassichausSelbstzweckdreht.EinViruslehrt uns


das.NehmenwirunsalsodieZeit:FürGeschichten,


dieofthinterdemOffensichtlichenzurückstehen.


Serie,Teil8:Ja nFrodeno


G


erade erst hatJanFro-
deno auf seinen sozialen
Kanälen dasBild einer
jungen Frau eingestellt,
deren besorgterBlick nicht vielGu-
tes verheißt.„Das ist Ane,einer der
nettestenSeelenundseiteinemgu-
tenJahrTeilunseresTeams“,teiltder
Ironman-Weltmeister.DieSpanierin
kümmerte sich an seinemWohnsitz
inGironaumdieBetreuungderKin-
derals„zentralerTeilsunseresPuzz-
les“,schreibtFrodeno.Jetzthabesie
entschieden, aufgrund derCorona-
Pandemie in ihren ursprünglichen
BerufalsKrankenschwesterzurück-
zugehen.Vorheraber riefsieihnan,
ob er nicht wüsste,woher sie noch
eine Schutzmaske bekommen
könnte–dieKrankenhäuserinKata-
lonienhättenkeinemehr.DieQuint-
essenz lautet auch für den dreifa-
chen Hawaii-Champion längst: „Es
gibt gerade Wichtigeres als den
Sport.“ Niewarein Ironmansoweit
wegwiejetzt.
In Spanien fallen dieEinschrän-
kungen seit mehr als einerWoche
noch viel drastischer aus als derzeit
inDeutschland:Esgiltder„Corona-
Lockdown“:Keiner dar fraus,außer
zum Arzt,Apotheker,ume inkaufen
odermitdemHundGassizugehen.
Nicht malJoggen oder Radfahren
sindnocherlaubt–unddie Kontrol-
len verschonen selbst dieTopsport-
lernicht.Füreinenwiedenkontakt-
freudigenFrodeno,deroftgenugzu-
gegeben hat, dass die körperlichen
Grenzerfahrungen und das herein-
prasselnde Lob auch Lebenselixier
waren,stelltdieAbstinenzvonTrai-
ningundWettkämpfeneineneueEr-
fahrungdar.
Denn die Schinderei bestimmte
seinen Tagesrhythmus: In seinem
Buch„EineFrage der Leidenschaft“
beschreibt er detailliert, wie er im
NormalfallseinenmodelliertenKör-
per schindet:In einer Woche sum-
miertsich seinPensum auf 25Kilo-
meter Schwimmen, 600Kilometer
Radfahren und bis 110 Kilometer
Laufen.Dazu kamen Krafttraining
und Physiotherapie.All das findet
nicht mehr annähernd in den ge-
wohntenUmfängen statt.Aber es
gibtWege,Leidensgenossen aus der
gefühltenIsolationzubefreien.
Denn demHerrscher über die
Langdistanz aus 3,8 Kilometer
Schwimmen,180KilometerRadfah-
renund 42 Kilometer Laufen folgen
allein auf Instag ramannähernd
400000 Personen. Damit lässt sich
doch etwasVerbindendes auf die
Beinestellen,dachtesichder38-Jäh-
rige kürzlich. „VerrückteZeit. Das

Coronavirus ist in jedem Kopf.
WarumnichtzusammenetwasPosi-
tivestun?Aberlassesunssicherma-
chen!“ rief er aus.Mittels derPlatt-
formZwift, eine Indoor-Radfahr-
App, ist der „#FrodissimoFriday“
entstanden. Vergangenen Freitag
strampelten bereits2000 Ausdaue-
renthusiastenfür90Minutenmit.
An der frischenLuft geht selbst
beim stärkstenEisenmann so gut
wiegarnichtsmehr.„Ichwarverg an-
gene Wochegenau einmal unter-
wegs.Das Training kommt zu kurz,
viel zu kurz, aber es ist momentan
eine Nebensächlichkeit und immu-
nologischvernünftig, sich nicht an
der Grenzezub ewegen“, schildert
Frodeno seineSituation.Dabei hat
erfürsichfestgestellt:„Esistmanch-
mal gar nicht so schlimm, nur zu
Hausezusein.IchnutzedieZeitjetzt
auch,ummitmeinenKidsabzuhän-
genundmeineFähigkeitenaufdem
Trampolinzuverbessern.“

DenRekordpulverisiert
MitseinerFrauEmma,eineraustra-
lischen Weltklasse-Triathletin, die
unterihremMädchennamenSnow-
silleinstwieFrodenobeidenOlym-
pischenSpielen inPeking Gold ge-
wann,lebterinzwischennichtmehr
im historischenZentrum, sondern
in der Peripherie der 100000-Ein-
wohnerstadtGirona. Eingroßzügi-
gerFitnessraummitRennradaufder
Rolle oder Laufband sind auf dem
Anwesenvorhanden. Manager Felix
RüdigerhatdasDomizilerstverg an-
geneWochebesucht,sichdannaber
beeilenmüssen,umnocheinenFlie-
ger aus Barcelona zurück nach
Frankfurtzub ekommen.„Dahaben
die Spanier schon angefangen, alles
dichtzumachen,währenddieLeute
beiunsnochüberallimStraßencafé
saßen“, erinnertsich derBegleiter
undFreund,dermitFrodenobereits
seit 2006 zusammenarbeitet. Die
beiden haben sich einst amOlym-

Fühlt sich in der vulkanischen Umgebung Hawaiis besonderswohl: JanFrodeno. BEAUTIFUL SPORTS/FRANK HAU

VonFrank Hellmann

piastützpunktSaarbrückenkennen-
gelernt.Rüdigersagt:„Sportistwirk-
lich gerade unwichtig. Wenn Jan
nichtmehrtrainierenkann,sinddas
Luxusprobleme.“
DerManager,genauso alt wie
Frodeno,zählt als Vertrauensmann
zudenwichtigstenPersonenimUm-
felddes1,94-Meter-Hünen,derdem
Triathlon hierzulande zu enormer
Reichweiteverholfen hat.DieHa-
waii-Siege vonSebastian Kienle
(2014) oder Patrick Lange (2017,
2018) waren zwar außerordentlich
wertvoll, aber keinerreicht an die
Strahlkraft des in Köln geborenen,
aber in Südafrika aufgewachsenen
Mannes heran.Miteiner Mischung
aus Charme,Schlagfertigkeit und
Ernsthaftigkeit ist seine mediale
Tauglichkeit so hoch, dass seinMa-
nager mittlerweile Fernseheinla-
dungenablehnenmuss.
DerAsket hatte am 12.Oktober
verg angenenJahres die Maßstäbe
füreinederhärtestenAusdauerprü-
fungenderWeltverschoben.Mitsei-
nen7:51:13Stundenpulverisierteer
den Rekordinmitten derVulkana-
sche.Nun stehendrei Hawaii-Tri-
umphe (2015,2016, 2019) und eben
der Olympiasieg (2008) in seiner
Vita.„G reatestalltime“taufteihndie
Triathlon-Szene.Frodenoentgegnet
allen Zweiflern, die seine Leistung
für übermenschlich halten, ausge-
sprochen offensiv.Ersetzte sich
mehrfach dafür ein, dass Doping-
sündernkeinezweiteChanceeinge-
räumt wird, er hatGesetzesinitiati-
venunterstützt, dass Doping zur
Straftatwir dundfandgut,dasssein
Trainer DanLorang ankündigte,er
würde seine eigenenAthleten ver-
klagen, die Doping betrieben. „Das
beschreibtgutunsereMentalität.“
Diedurch den US-MilliardärMi-
chael Moritz mit zunehmendEin-
fluss undFinanzmitteln ausgestat-
teteProfessionalTriathlonOrganisa-
tion (PTO), die vielleicht sogar ir-

gendwann selbst als Veranstalter
aktiveTriathlon-Gewerkschaft, un-
terstütztFrodeno insofern, dass er
sichindasAntidoping-Gremiumder
PTOhatberufenlassen.
Einmeinungsstarker Charakter-
kopf kann da nur helfen. AmSonn-
tag kritisierte derTriathlet unver-
hohlendasFesthaltenandenOlym-
pischenSpielen. „MeinerMeinung
nachistesabsolutuntragbar,soe ine
Veranstaltung noch länger aufrecht
zu erhalten.Ichfinde dasVerhalten
vonobersterSeite,vomIOC,derma-
ßen peinlich. Es ist sowasvonnicht
zu tragen“, sagte er in derSendung
BlickpunktSport. Wann sich seine
Speziwiederwettkampfmäßigbeim
Schwimmen,RadfahrenundLaufen
messenkönnen,istvölligungewiss.
DerTriathlon-Weltverbandstellte
vorerstalleAktivitätenbisEndeApril
ein, die erstenAbsagenvon Iron-
man-Rennen wie in Südafrikawer-
den aber nur der Anfang gewesen
sein.WiedanneineQualifikationfür
den Ironman Hawaii aussehen soll,
steht völlig in denSternen. Konkur-
rent Langeregte eineVerschiebung
aufWeihnachtenan.Frodenowollte
im Sommer eigentlich bei derKon-
kurrenzserieChallengeinRothstar-
ten.Der5.J ulisolltederTagsein,in
dem er seinevorvier Jahren in der
fränkischenIdylleselbstaufgestellte
Bestmarke aufder Langdistanz
(7:35:39)angreift.
DietraditionelleTriathlon-Hoch-
burghat mit gewaltigen Kraftan-
strengungen für diesenSommer al-
les verpflichtet, wasRang und Na-
men hat–die erstenDrei bei Män-
nernund Frauen vom
Hawaii-Po dium. Stattliche Startgel-
dersinddaseineLockmittel,diebe-
sondereAtmosphäredas andere.
Doch auchFrodenoahnt, dass sich
solche Planspiele bald erledigt ha-
ben könnten.Dass er am 5. Juli in-
mittenderMenschenmassenamSo-
larer Berghinaufstrampelt,erscheint
schwer vorstellbar.Eherwirderwohl
noch lange alleinauf derRolle
schwitzen.Freitags strampeln dann
vielleichtAbertausendeaufdergan-
zenWelt im Heimtraining mit,weil
„#Frodissim oFriday“ für Triathlon-
fanssowichtiggewordenistwieFri-
daysfor FuturefürKl imaschützer.

Lesen Sie morgen inTeil 9:derOlym-
pia-Pl anerMichae lMronz.

Frank Hellmann
istder Eisenmann unter den
deutschenSportjournalisten.
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