Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1

Para-OlympiasiegerinFranziska


Liebhardt sagt, dassdas, wassie


im Sportgelernt habe, sie durch


ihreKrankheit trage.


Sport, Seite


In Berlin wirdein neu erworbener


Nachlassdes BildhauersGeorg


Kolbe gesicht et:Erkönnte Licht


auf dieKarrieredieses


Künstler simNS-Staat werfen.


Feuilleton, Seite


Boris Johnson liegt auf der


Intensivstation. SeineAufgaben


übernimmtAußenminister


DominicRaab. Werist der


Stellvertreter? Undwas dar fer?


Politik,Seiten2und 10


Simulationen müssen zeigen,


wie sichdie Covid-19-Pandemie


entwickelt.Dochwie zuverlässig


sind dieverwendetenModelle?


Natur undWissenschaft, SeiteN


Die Welt brauchtMasken. China


stelltsie her –und verkauftsie


ausschließlichper Vorkasse zu


hohen Preisen insAusland.


Unternehmen, Seite


V


iele Corona-Empfehlungen
des Ethikrats sind längst
Anliegen der Politik: mehr
Krankenhauskapazitäten, nationale
Koordinierung der Intensivbetten,
mehr Corona-Tests, Untersuchung des
Infektionsgeschehens,bessereVorbeu-
gung.Oberstes Zielbleibtes,dieÄrzte-
schaf tvor der„Triage“ zu bewahren.
Dochauchder Ethikrat hält darüber
hinaus eine „Öffnungsperspektive“ für
vordringlich. Eine „Exit-Strategie“ für
schädlicherklärenzuwollen,wiees zu-
letzt vonmancher Seiteversucht wur-
de, gibt denKontaktverbotennicht un-
bedingt mehr Glaubwürdigkeit.Die
Hoffnung auf eine Lockerung is tdie
Währung, die dazu berechtigt, von
„der Stunde der demokratischlegiti-
miertenPolitik“ zu sprechen, wie der
Ethikrat es tut.Wäreesnur die Stunde
der Exekutive,wäre oh ne ein Szenario
für denAusstieg außer Gehorsam nur-
mehr Fatalis mus gefragt.
WedereineImpfungnocheine„Her-
denimmunisierung“ sind in Sicht –
eine Immunisierung der Bevölkerung
gäbe es nur mitverheerendenFolgen.
Der Ethikrat hat aber zweiFaktoren
hervorgehoben, die dafür sprechen,

dassesmit derLockerungschnellerge-
hen könnte, als es die deutschePolitik
derzeitvermittelt .Zum Ersten bergen
die Maßnahmen die eine oder andere
Unstimmigkeit:Jogger dürfensichört-
lichfreibewegen –setzen sie sichaber
auf eine Parkba nk,verscheucht sie
mancherortsdiePolizei.Baumärkteer-
leben in einzelnen Bundesländernei-
nen Massenansturm, kleine Geschäfte
aber müssengeschlossen bleiben. Das
sind angesichts der Herausforderun-
gen, die der „virologische Imperativ“
vorgibt,Kleinigkeiten.Um solcheKlei-
nigkeiten wirdesaber er st einmalge-
hen, wenn „nachOstern“ daraus wie-
der „nur“ einkategorischer Imperativ
werden soll.
Eine größereDimension hat der
zweit eFaktor ,auf den der Ethikrat
hinweist. An einem besonderenUm-
gangmitdenRisikogruppenwirdkei-
ne Strategie vorbeikommen, die dem
Rest der Gesellschaftihr sozialesLe-
ben zurückgeben will.Wiedas ge-
hen soll, mitwelchen Einschränkun-
gen, Geboten, Verbotenund „Diskri-
minierungen“–vor dieser Debatte
darfdie Politik nicht länger zurück-
schrec ken.

D


ie Er richtung einer autoritä-
renHerrschaftist in Europa
ein mühsamesund langwieri-
gesGeschäf t. Man mussauf demWeg
dorthin immer wieder ein öffentli-
ches Bekenntnis zu jenen Hürden ab-
legen, die dem Ziel einer dauerhaften
und unbeschränkten Macht imWege
stehen:freieundfaireWahlen,Rechts-
staat mit unabhängiger Justiz, Presse-
freiheit;man mussdeshalb um echte
Mehrheiten in einer ihrem Wesen
nachüberaus pluralistischen Gesell-
schaf twerben.Undman hat es mit
einer Nachbarschaftzutun, in der die
Beachtung demokratischer Spielre-
geln alsNorm gilt.Will man inter-
nationaletwaserreichen, istder un-
maskierte Verstoßdagegen so hilf-
reichwie die demonstrativeMiss-
achtung guter Tischsitten bei einem
wichtigen Geschäftsessen.
Jedenfallswardas so, bis die Coro-
na-Pandemie nachEuropa gekom-
men ist. Sogar inRussland, das nie
einefunktionierendeDemokratiehat-
te und aufgrund seiner Größe inter-
national eine Sonderstellung besitzt,
sind diese Einschränkungen bis heute
teilweise wirksam. Dieverbliebenen
ResteunabhängigerMedienundoppo-
sitioneller Organisationen sind ein
Beispieldafür. Kennzeichnendfürsol-
cheHybridmodelle aus Diktatur und
demokratischerFassade is teine gro-
ße Kluftzwischen geschriebenem
Rechtund Realität.
Auch innerhalb der EU haben in
den vergangenen Jahren einigeost-
mitteleuropäischeRegierungen unter-
schiedlicher parteipolitischer Couleur
versucht, auf dieseWeise die Demo-
kratie auszuhebeln–nur mussten sie
dabei bisherweitaus vorsichtiger und
subtilervorgehen als Wladimir Putin
in Russland. Mit der Corona-Pande-
mie ändertsich die Lagedramatisch.
Sie eröffnetViktor Orbán inUngarn
und Jarosław Kaczyński in Polen
Wege,von denen sievorwenigenWo-
chennochnichteinmalträumenkonn-
ten. Aufden er sten Blicksieht es so
aus,alsgingendiebeideninentgegen-
gesetzt eRichtungen: Während Orbán
seinerRegierungvondem ihm loya-
len ParlamentNotstandsvollmachten
ohne zeitliche Begrenzungverleihen
ließ,weiger tsichKaczyński snational-
konservativePiS, den in der polni-
schenVerfassungvorgesehenenNot-
stand zu erklären.
In beidenFällen abergeht es dar-
um, einen durch höhereGewalt ent-
standenenAusnahmezustandzurAus-
schaltung demokratischerVerfahren
zu nutzen. Die PiS will inPolen des-
halbnichtdenAusnahmezustandaus-
rufen,weilsiean derPräsidentenwahl
im Maifesthalten will.Undnachden
Vorgängen im Sejm am Montag
drängt sichder Verdacht gerade zu
auf, dassdie Regierung an demTer-
min genau deshalbfesthält, weil die
Wahl unter so irregulären Bedingun-

genstattfinden wird, wie es in der EU
bisher unvorstellbar war: Das Staats-
unternehmenPost soll unter Leitung
eines EndevorigerWoche eingesetz-
tenParteimanns ohne jede Möglich-
keit einerKontrollevonaußen eine
Wahl nac hder in Polen nochnie in
großemStilerprobtenBriefwahlorga-
nisieren. Das ermöglicht auf vielen
Ebenen die Möglichkeit, dem von
der PiS unterstützten Amtsinhaber
Andrzej Duda den Sieg zu sichern.
Dassdie Kandidaten der Opposition
keinenWahlkampfmehrmachenkön-
nen, erscheint da wie nebensächlich.
Orbán dagegen macht sich dieTat-
sache zunutze, dassinfastallen EU-
Staaten derzeit die Bewegungsfreiheit
der Bürgereingeschränkt ist, wie es in
normalenZeiten selbstinDiktaturen

schwervorstellbarist.VielederInstru-
mente, mit denen die Regierungen
versuchen, die Seuche einzudämmen
–Notstandsgesetze, Datensammlun-
gen, Versammlungsverbote –, haben
große Ähnlichkeiten mit dem, was
sichseitjeimWerkzeugkastenvonPo-
lizeistaaten findet. Die Maßstäbe ver-
schieben sichineine Richtung, die
auchfür festeDemokratiengefährlich
werden kann. DassauchUngar nsol-
cheMaßnahmenergreift,is tverständ-
lichund legitim–nur derKontext ist
ein anderer als in anderen EU-Staa-
ten.
OrbánmussaufseinemWegzurau-
toritärenHerrschaftnun keine Trip-
pelschrittchen mehr machen wie in
den vergangenen zehn Jahren, seit er
mit seinerPartei er stmals in freien
Wahlen eine demokratischeinwand-
freie Zweidrittelmehrheit im Parla-
ment errungen hat. Erkann jetztweit
ausschreiten. Nach dem Abklingen
der Pandemie wirdvon der jetzt
schondefektenungarischenDemokra-
tie kaum nochetwas übrig sein, selbst
wenn er dann einen kleinen takti-
schen Rückzug macht–sowie er es in
seinenKonflikten mit der EU schon
oftgetan hat.
Sie folgten einem wiederkehrenden
Muster, seit ervorzehn Jahren mit ei-
nerJustizreformundeinemMedienge-
setz Aufsehen erregt hat :Die Gesetze
sind so formuliert, dassBudapest
grundsätzliche Kritik mitVerweis auf
korrigierende Details in denRegelun-
genzurückweisen kann. Zwischen
dem Wortlaut der Gesetze und ihrem
tatsächlichen Zwecktut sic hzwar
eine ohneweiteres erkennbareKluft
auf, aber mit Zitaten aus dem Geset-
zestextis tdasnichthieb-undstichfest
belegbar.Das is tauchbei seinemNot-
standsgesetz so–nur auf einerganz
anderen Eskalationsstufe.

bub. BERLIN.Deutschland will inKürze
bis zu 50 unbegleiteteMinderjährigeaus
den Flüchtlingslagernauf den grie-
chischen Inseln aufnehmen. Dasgabdas
Bundesinnenministeriu mamDiensta gbe-
kannt.„Der Transfer soll nach Möglich-
keit schon in derkommendenWochebe-
ginnen“,hießes.DaraufhabesichBundes-
innenminister Horst Seehofer (CSU) mit
Vertretern der Koalitionsfraktionenver-
ständigt .Der Vorstoßsoll am Mittwoch
dem Kabinett vorgeschlagen werden.
„Nac hAnkunf tsollen die Kinder und Ju-
gendlichen zunächst zentral in eine zwei-
wöchig eQuarantäne, bevoreine Vertei-
lungindie Ländererfolgt.“(Siehe Seite2.)

cmei. FRANKFURT. Die Taliban haben
die Gespräche mit der afghanischenRe-
gierung über einen Gefangenenaustausch
vorläufig beendet. Der Sprecher derAuf-
ständischen, Suhail Schahin, äußerte am
Dienstag,das VerhandlungsteamderTali-
ban werdenicht länger an „fruchtlosen
Treffen“ teilnehmen, da dieversprochene
Freilassung Inhaftierterimmer wieder
verzöger tworden sei. Der Sprecher des
Nationalen Sicherheitsrates, JavidFaisal,
warf den Taliban aufTwitter „mangelnde
Ernsthaftigkeit“ beim Thema Frieden
vor. Ein zentralerStreitpunktwaroffen-
bar dieForderung derTaliban nachFrei-
lassung 15 wichtigerKommandeure.

F.A.Z. FRANKFURT.Bundesgesundheits-
ministerJens Spahn (CDU) erwartet über
die Os terfeiertage einen Höchststand von
Covid-19-Patienten, die intensivmedizi-
nischbetreut und diegrößtenteils auch
beatmetwerden müssen.„Wir werden an
Osternvielleicht einen ersten Höhepunkt
schwerer Erkrankungen erleben. Diejeni-
gen, die jetzt leider dieNotwendigkeit ei-
nerintensivmedizinischenTherapie erlei-
den, dürften sic hvor etwa 14 Tagennach
der Rückkehr aus dem Skiurlaub ange-
steckt haben“, sagteSpahn nacheiner
Video-Kabinettssitzung dergrün-schwar-
zen Landesregierung inStuttgar t. Spahn
hatteander Sitzung wie zuvor schon in
Bayern und Nordrhein-Westfalen als
Gastaufgrund der aktuellen Krisenlage
teilgenommen.
Spahn machtedeutlich, dasserden Be-
griff„Exit“ imZusammenhang mit der
Diskussionüber eineLockerungder Maß-
nahmen zur Eindämmung der Corona-
Pandemie für unpassend hält. „Der Be-
griffExitsuggeriert,dassalleswiederwie
vorher sein wird.Wirwerden aber noch
Monatemit dem Coronavirus umgehen.“
Es könne frühestens nachOsterneine
„schrittweise“ Lockerung der Beschrän-
kungen zur Eindämmung derPandemie
geben. „Amehestenverzichtbar sind si-
cher dasVolksfes tund dieParty, es kann
sichaber lohnen, wieder zu arbeiten und
ein Einkommen zu sichern“, sagteSpahn.
„Wir dür fenuns nicht in Sicherheit wie-
gen, die Lageist erns t. Wenn wir jetzt
nachlassen, setzen wir das aufs Spiel,was
wir im Gesundheitssystemschon er reicht
haben.“ 40 Prozent der Intensivbetten in
Deutschland seien derzeit nicht mitPa-
tienten belegt.Spahn sprachsichaber-
mals dafür aus, das außerordentlich En-
gagement vonPflegekräfteninder Krise
mit einer Bonuszahlung zu honorieren,
wie sie nun Bayern beschlossen hat.„Ich
unter stütze dieForderung nacheiner
Bonuszahlung, ichmöcht ejetzt mit den
Ländernund den Arbeitgebernreden.“
Im Ziel sei man sicheinig, es müsse aber
gewährleis tetwerden, dassdiese Zahlun-
genauchbei denrichtig enPersonenankä-
men. Spahnkündigtezudem an, dassalle
Klinikenvondieser Woche anverpflich-
tetseien, freie Intensivbetten in dem neu
geschaf fenen Online-Intensiv-Register
„Divi“ zu melden.
Der bayerische Ministerpräsident Mar-
kusSöder(CSU)zeigteamDienstagSym-
pathien für die Maßnahmen, dietags zu-
vorder ös terreichische Bundeskanzler
SebastianKurz verkündethatte. Esgebe
dortviele Punkte, die er „sehr interes-


sant“ finde. Auch bezeichnete er es als
„hochwahrscheinlich“, dassauchhierzu-
lande eine „Formvon Maskenverpflich-
tung“kommenwerde. Er hob allerdings
hervor, dassÖsterreichbeim Infektions-
geschehenDeutschland„dreiWochenvor-
aus“ sei; erst geltees, weiter eMaßnah-
men zu prüfen und dann auchmit den an-
deren Bundesländernabzustimmen.
Die deutschen Industrieunternehmen
erwarten in den nächstendrei Monaten
einenstarkenProduktionseinbruch, wie
aus am Dienstagveröf fentlichtenUmfra-
geergebnissen des Münchener Ifo-Insti-
tuts hervorgeht.Der Rückgang des Ifo-
Indexder Produktionserwartungenvon
plus 2Punkteauf minus 20,8 Punkte mar-
kierteinen beispiellosenAbsturz. Nach
dem Ausbruc hder Weltfinanzkrise 2008
hatteder Index13,3Punkte nachgegeben.
Am stärkstentrübten sichdie Aussichten

derAutoindustrieein.DieKonjunkturfor-
scher der führendenWirtschaftsinstitute
erwarten nachInformationen dieserZei-
tung einenRückgang der deutschenWirt-
schaftsleitung um 4,2 Prozent in diesem
Jahr.
Der Lufthansa-Konzernbeschlossam
Dienstagweiter eEinschnitteaufgrund
der Corona-Krise. Der Betrieb derToch-
tergesellschaftGermanwings wirdbeen-
det. Der Konzernvorstand prognostiziert,
dassesJahredauernwerde, bis diewelt-
weiteNachfragenachFlugreisen wieder
dem Vorkrisenniveau entspreche.
Die EU-Finanzministerberie tenam
Dienstagineiner Videokonferenz der-
weil über möglicheFinanzhilfen zur Lin-
derung der ökonomischenFolgen der Co-
rona-Krise.ZurDebattestand einPaket
aus drei Hilfsinstrumenten, nämlichKre-
ditlinien des Euro-Krisenfonds ESM, ein

GarantiefondsderEuropäischen Investiti-
onsbank und dasvonder EU-Kommissi-
onvorgeschlageneeuropäischeKurzarbei-
tergeld fürStaaten, in denen es diese Hil-
fe nicht gibt. BundesfinanzministerOlaf
Scholz (SPD) sagtevor der Schaltkonfe-
renz, es gehe um ein „ganz klaresZeichen
der Solidarität, die jetzt in Europa not-
wendig ist“. Er hoffe,dasssicheine Eini-
gung erreichen lasse.
BiszumBeginnderSchaltkonferenzbe-
mühten sichdie Unterhändler derStaa-
tenund der EU-Kommission um eine
Kompromissformel zurFinanzierung des
ökonomischenWiederaufbaus nachEnde
der Corona-Krise.Neun vorallem südli-
cheStaaten undTeile der EU-Kommissi-
onforderneinenausgemeinsamenAnlei-
hen (Eurobonds)finanzierten„Solidari-
tätsfonds“, den Deutschland und andere
nördlicheStaaten ablehnen.

reb. DÜSSELDORF.Das Landgericht
Duisburgschlägt wegender Corona-Krise
vor, den Strafprozesszur Lo veparade-Ka-
tastropheeinzustellen.DasVerfahrenkön-
ne wegender Infektionsgefahr nur einge-
schränktgeführtwerden, so dieKammer.
Nunmüssten sowohl die drei Angeklagten
als auchdie Staatsanwaltschaftder vorzei-
tigen Einstellung ohneUrteil oderFrei-
spruc hzustimmen. Das Gericht hat ihnen
bis zum 20. AprilZeit zur Stellungnahme
gegeben. Bei der Loveparadewarenam


  1. Juli 2010 im Gedrängeauf dem Zu-
    und Abgang zum DuisburgerFestgelände
    21 Personen getötet und mehr als 650ver-
    letzt worden.(Siehe Seite9.)


Ein Überlebenskampf


Briefeandie Herausgeber,Seite


Am ursprünglichen Ziel angekommen?Acht Millionen Masken aus einemFrachtflugzeug am Münchner Flughafen FotoReuters

fäh./tja.SINGAPUR/FRANKFURT.Das
obersteaustralischeGerichthatdieVerur-
teilung vonKardinal George Pell wegen
sexuellenMissbrauchsam Dienstagaufge-
hoben.Pell wurde daraufhin aus dem Ge-
fängnis entlassen. Die Richter hatten der
Berufung des 78 Jahrealten früherenFi-
nanzchefsimVatikan überraschendstatt-
gegeben. Pell warder er steKardinal, der
wegendessexuellenMissbrauchsvonKin-
dernverur teilt worden war. Nach Auffas-
sung der Anklagesollteerinden neunzi-
gerJahrenzweiChorknaben inderSakris-
teider KathedralevonMelbourne sexuell
missbraucht haben.Pell warzusechs Jah-
renHaftverur teilt worden, vondenen er
mindestens drei Jahreund acht Monate
ins Gefängnis sollte.Nunwurde erstatt
frühestens im Oktober 2022 schon am
Dienstagaus dem Barwon-Gefängnis in
Melbourne entlassen.
Pell hatt estets seineUnschuld beteu-
ert. In einer ersten Reaktion bezeichnete
der Kardinal die Entscheidung des Ge-
richts als Heilmittelgegendie „ernsthafte

Ungerechtigkeit“, die ihm widerfahren
sei. Sein Prozessdürfe nicht alsReferen-
dum über diekatholische Kircheoder
über denUmgang der australischen Kir-
chenbehörden mit Pädophilie gesehen
werden. „Es ging darum, ob ichdiese
schrecklichenVerbrechen begangen hat-
te,unddas habeichnicht“,sagtePell.Das
Berufungsurteil am Dienstagerfolgtewe-
niger als einen Monat nachder Anhö-
rung. Die Richterin Susan Kiefel sprach
es im Namen der sieben Richter in einem
Gerichtssaal in Brisbane, der aufgrund
derwege nderCoronavirus-Pandemiegel-
tenden Beschränkungenfast leer war.
Die Richter befanden, dassdie Ge-
schworenen sowie das Berufungsgericht
unter Berücksichtigung aller Beweismit-
telZweifel anderSchulddesAngeklagten
hätten haben müssen, hieß es in einerZu-
sammenfassung ihresUrteils. Esgebe die
„signifikanteMöglichkeit,wonacheine
unschuldigePerson verurteilt worden
sei“.Dabeibezogensie sichaufdie Aussa-
genvon Zeugen, denen zufolgePell zur

vermeintli chenTatzeitnachderSonntags-
messegarkeine Gelegenheitgehabt hät-
te,unbemerkt ein solchesVerbrechen zu
begehen. Der Erzbischof sei damalsstets
inBegleitungvon Kir chenangehörigenge-
wesen.Zudem seiesdieGepflogenheitge-
wesen, dassPell nachBeendigung der
Messe auf denTreppenstufen derKathe-
drale den Gemeindemitgliederndie Hän-
de schüttelte.
Der Vatikan äußerte sichamDienstag
erfreut über dasUrteil. Kardinal Pell, der
von2014 bis 2017vatikanischerFinanz-
chefwar, habestetsseineUnschul dbeteu-
ertund daraufgewartet,dassdie Wahr-
heit ans Lichtkomme, hieß es in einer Er-
klärungdesPresseamtes.Zugleichbekräf-
tigeder Vatikan, dasserseinen Einsatz
für Prävention und Ahndungvonsexuel-
lem MissbrauchMinderjährigerfortset-
zenwerde. Of fenließ derVatikan, ob nun
auchdas kirchenrechtliche Verfahren,
das die Glaubenskongregation gegenPell
eingeleitet hatte, eingestellt wird.(Siehe
Seite 8.)

Deutschland will inKürze


Minderjährigeaufnehmen


Taliba nbrechen


Gesp rächevorerst ab


Wahnsinniger


Maskenhandel


„Loveparade-Prozess


wegenCoronaeinstellen“


Ein sensationeller Erbfall


„Wir dürfenuns nicht in Sicherheit wiegen“


SpahnwarntvorvorzeitigerLockerungderMaßnahmengegenAusbreitungdesCoronavirus


Gericht hebtUrteil gegenKardinal Pell auf


„SignifikanteMöglichkeit“, dassVerur teilterimMissbrauchsprozessunschuldigist


Chance für autoritäre Politiker?


VonReinhardVeser

Premie rminis teristernic ht


Corona erweiter tdie
Spielräume für
Kaczyński und Orbán auf
auf dramatischeWeise.

Nichtohne Hoffnung


VonJaspervonAltenbockum

Die berechnete Seuche


ZEITUNGFÜR DEUTSCHLAND


Mittwoch,8.April 2020·Nr.84/ 15 R1 HERAUSGEGEBENVONGERALDBRAUNBERGER, JÜRGENKAUBE, CARSTENKNOP, BERTHOLDKOHLER 3,00€D 295 5A F. A.Z.im Internet:faz.net


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