Die Welt - 04.04.2020

(Barry) #1

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04.04.20 Samstag, 4. April 2020DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,4.APRIL2020 SEITE 20

WISSEN


S


eitetwa 300.000 Jahren
gibt es den anatomisch
modernen Menschen. Er
ist durch eine Vielzahl von
Krisen gegangen und da-
durch stärker geworden. Viele unserer
Reaktionen in der jetzigen Situation
gehen auf kollektive Erfahrungen zu-
rück.
Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen,
6 3, lehrt Biologische Anthropologie an
der Universität Freiburg. Sie leitet
dort das Zentrum für Medizin und Ge-
sellschaft, das sich unter anderem mit
globalen gesundheitlichen Bedürfnis-
sen beschäftigt. Zu ihren Forschungs-
schwerpunkten gehört die Forensi-
sche Anthropologie, bei der etwa Ske-
lette aus Gräberfeldern auf Krankhei-
ten und Ernährung untersucht wer-
den, um Rückschlüsse zu ziehen.

VON HOLGER KREITLING

WELT: WWWas bedeutet uns aus anthro-as bedeutet uns aus anthro-
pologischer Sicht unser Zuhause?
URSULA WITTWER: Wir haben beim
Menschen so etwas wie ein Territorial-
verhalten. Das spielt sich in verschiede-
nen Raumebenen ab. Unsere Wohnung
ist unser individueller Rückzugsraum.
Der ist in unseren Regionen flächenmä-
ßig relativ großzügig bemessen. Gleich-
zeitig reduzieren sich dort seit vielen
Jahren die Sozialkontakte. Früher gab
es die großen Höfe mit mehreren Gene-
rationen und Mägden, Knechten und ei-
ner engen Sozialstruktur. Wir haben bei
uns mittlerweile Ein- oder Zwei-Gene-
rationen-Haushalte, viele Menschen le-
ben allein. Wir haben uns isoliert. Und
wir verteidigen diesen Rückzugsraum
sehr stark.

Wie äußert sich das?
Man merkt das etwa bei Wohnungsein-
brüchen. Wir empfinden weniger das
Verschwinden der Objekte oder eine
Beschädigung als problematisch, son-
dern mehr das Eindringen in die Privat-
sphäre.

Und weil die Räume nur von wenigen
besetzt sind, gehen wir raus?
Genau. Wir brauchen die Sozialkon-
takte. Das treibt uns nach draußen.
Wir suchen diese Kontakte dort und
fffinden sie in der Regel. Dieser größereinden sie in der Regel. Dieser größere
soziale Raum draußen hat viel mit
Gruppenidentität zu tun. Das können
soziale Strukturen sein oder Territori-
algruppen, die sich von anderen ab-
grenzen. So definiert sich am Ende die
Gesellschaft mit ihren Regeln und
Normen daran.

Warum fällt es uns so schwer, darauf
zu verzichten?
Weil wir evolutionsbiologisch eine
Gruppenstruktur entwickelt haben, die
uns – so nennen wir Anthropologen das


  • eine bessere Fitness-Maximierung
    verschafft. Sozialkontakte sind essen-
    ziell notwendig, um die Überlebensfä-
    higkeit zu verbessern. Seit Anbeginn
    der menschlichen Evolution ist das ein-
    fach so.


Haben Sie ein Beispiel?
Für die Jäger und Sammler im Neoli-
thikumvor etwa 20.000 Jahren ist es
notwendig, dass sie erfahren, wo die
Tierherden sich aufhalten, wo es gera-
de reife Früchte gibt, welche Pflanzen
giftig sind und wo Gefahren lauern.
Dieser Austausch geschieht in sozialen
Gruppen.

Wenn wir uns mit Freunden in einer
Bar treffen, verhalten wir uns wie Jä-
ger und Sammler?
Im Prinzip ja. Wir gehen dorthin, um
Erfahrungen auszutauschen. Das sind
bei uns nicht primär überlebensnot-
wendige Strategien. Wir reden über Wa-
ren und Einkäufe, über Fahrrouten,
über tagesaktuelle Nachrichten. Aber
diese Vernetzungsstrukturen sind eine
Weiterführung unserer evolutionsbio-
logischen Prägung. Wenn wir noch wei-
ter zurück gehen: Wir haben unsere
kommunikative Sprache und unsere
Symbolsprache entwickelt, um genau
diese Sozialkontakte bestmöglich zu be-
dienen und zu optimieren.

Deshalb senden wir uns jetzt Emoti-
cons aus dem Homeoffice zu?
Das sind im Moment unsere Ersatzbe-
friedigungen. Sie können funktionie-
ren, aber das direkte Gegenüber spielt
eine ganz große Rolle. Wir sind darauf
ausgerichtet, unsere Sozialstrukturen
immer wieder neu zu überarbeiten, in-
dem wir mit anderen Personen kom-
munizieren. Im mimischen Spiel erken-
nen wir sehr viel. Können wir miteinan-
der kooperieren? Ist das ein Konkur-
rent? Das ist im Moment sehr stark ein-
geschränkt, wir spüren im Homeoffice,
dass uns etwas fehlt.

Wie wirkt sich Isolation aus?
Wenn wir bewegungsarm leben, werden
wir krank. Und in der vermehrten Sess-
haftigkeit wird Essen zur Ersatzbefrie-
digung. Unser Körper ist eingerichtet
auf ausgewogene Ernährung, geistige
Beschäftigung und Bewegung. Das ist
das Ergebnis langer Anpassungsstrate-
gien in der Evolutionsbiologie, je nach-

dem, wie die Umweltbedingungen sind.
Bewegungsarmut ist eigentlich immer
schlecht. Besonders, wenn sie wie jetzt
zwanghaft eingeschränkt wird. Wir sind
in Deutschland und Europa an viele
Freiräume gewöhnt. Restriktionen wie
jetzt sind deutlich schwerer zu vermit-
teln als etwa in Asien.

Warum empfindet man Spazierenge-
hen als etwas Befreiendes?
Wir sind mit all unseren sensorischen
Kanälen darauf eingestellt, Informatio-
nen aufzunehmen. In unseren vier Wän-
den sind wir eingeschränkt, sobald wir
nach draußen gehen, werden die Infor-
mationskanäle geöffnet. Wettereindrü-
cke spielen eine Rolle, die Temperatur-
Empfindsamkeit auf der Haut. UV-
Lichteinstrahlung ist für unsere Vita-
minproduktion absolut notwendig. In
Spanien und den Niederlanden wurden
im 16. und 17. Jahrhundert Steuern nach
Fensterflächen berechnet. Die Men-
schen mauerten deshalb die Fenster
weitgehend zu, und die Kinder bekamen
Rachitis. Solche Negativerfahrungen
bringen wir alle mit. Deshalb ist ein
Draußen für uns so wichtig. Wir bekom-
men ein Informationspaket, dessen In-
halte wir im Einzelnen gar nicht be-
wusst erfassen.

Gibt es im Drang nach draußen ei-
gentlich Geschlechterunterschiede?
Nein, wir haben alle diesen Drang. Aber
die alten Geschlechter-Klischees haben
eine gewisse evolutionsbiologische
Grundlage, und davon können wir uns
auch nicht freimachen. Die Neanderta-
ler waren gut an die Kalteiszeiten ange-
passt, sie zogen den Großwild-Herden
hinterher, um Mammuts und Wollhaar-

Nashörner zu jagen. Sie mussten ein
Orientierungsvermögen haben, das ei-
nen weiten Raum abdeckt. Den Frauen
wird eher Sammlertätigkeit zugeschrie-
ben. Reife Früchte, Brennholz: Wo finde
ich, was überlebensstrategisch im Nah-
raum verfügbar ist. Deshalb gibt es die-
sen klassischen Spott, dass Männer die
Autobahn nach Hamburg finden, aber
nicht die Butter im Kühlschrank – und
umgekehrt.

Ein entscheidender Wandel in der
Menschheitsgeschichte ist der Über-
gang zur Sesshaftigkeit vor etwa
15.000 Jahren.
Mit der Sesshaftwerdung bilden sich in-
dividueller Besitz heraus, den es vorher
nicht gab. Wenn man als Jäger/Sammler
umherzieht, besitzt man an Objekten
und Dingen nicht viel. Als Sesshafter
kann man alles ansammeln und die Räu-
me mit Objektbesitz ausstatten. Das
sind wichtige Voraussetzungen für al-
les, was wir an heutige Sozialstrukturen
in unserer Gesellschaft kennen.

Gibt es Parallelen zur jetzigen Situati-
on?
In der Sesshaftwerdung traten die ers-
ten epidemischen Zoonosen auf, also
Erkrankungen, die durch das Miteinan-
der von Menschen und domestizierten
Tieren entstehen. Der Tierkontakt
spielt jetzt auch bei Corona eine große
Rolle. Infektionskrankheiten begleiten
den Menschen seit sehr langer Zeit, be-
sonders in Mitteleuropa, wo die Kultur
der Sesshaftigkeit im Vergleich etwa
zum vorderen Orient sehr schnell auf-
getreten ist. Dieses hohe Aufkommen
an Epidemien ist in der Regel ein Zei-
chen, dass starke Umweltveränderun-

gen stattfinden. Wir finden diese Um-
wälzungen wieder bei der mittelalterli-
chen Städtebildung und bei der Urbani-
sierung im 19. und 20. Jahrhundert.

Wie äußert sich das?
Bei Skelettuntersuchungen stellen wir
etwa gehäuft Mangelerscheinungen bei
Kindern fest und schließen auf einen
Ressourcenmangel. Kinder sind für die
Forschung Indikatoren für ungünstige
Lebensbedingungen. Wenn es den Kin-
dern schlecht geht, ist die ganze Gesell-
schaft in diesem Moment schlecht an-
gepasst.

Dann ist Corona als Zeichen einer
starken Umweltveränderung zu se-
hen?
Es zeigt sich, dass mit den schnellen
Veränderungen im Zuge der Globalisie-
rung große Herausforderungen auftre-
ten, die jetzt ein derartiges pandemi-
schen Verbreiten des Coronavirus er-
möglicht haben. Mit unseren biologi-
schen Anpassungen des Immunsystems
und unseren kulturellen Bewältigungs-
strategien kommen wir da an unsere
Grenzen, aus denen wieder neue Anpas-
sung erwachsen. So nutzen wir, wie seit
dem Auftreten der Menschheit, unsere
evolutionären Möglichkeiten. Das wer-
den wir in einer retrospektiven Sicht
auch noch besser beurteilen können, in-
dem wir erkennen, welche Strategien
erfolgreich sind und welche nicht.

Wie haben sich unsere Körper verän-
dert?
Die Anpassungsstrategien, die wir evo-
lutionsbiologisch mitbringen, sind rela-
tiv langfristig. Wir erleben bei kurzfris-
tigen Problemsituationen, wie das jetzt
der Fall ist, zunächst Einbrüche. Die Be-
völkerung ist relativ verletzlich, die
Sterblichkeit geht hoch. Aber wir wer-
den gestärkt daraus hervorgehen. Eine
Verbesserung des Immunsystems wäre
eine biologische Reaktion, die den Um-
weltherausforderungen hinterherhinkt.
Aus der Geschichte der Infektionskrank-
heiten wissen wir, dass den genetischen
Flaschenhals gibt, einen Engpass, der
Vorteile für Menschen mit einer guten
Immunantwort bietet. Es werden erst
einige Menschen, dann immer mehr im-
munisiert. Unser gesamtes Immunsys-
tem ist im Laufe der Menschheit so ent-
wickelt worden, dass wir Anpassungs-
möglichkeiten gegenüber einer Vielzahl
von Herausforderungen haben.

Ist das die einzige Veränderungschan-
ce?
Nein. Wir haben durch unsere kulturel-
le Entwicklung Möglichkeiten, da ge-
genzusteuern. Durch etwa unsere medi-
zinischen Systeme, mit den Erfahrun-
gen der Isolation, die Infektionsketten
verlangsamen hilft. Das ist das typisch
Menschliche: Wir haben eine Kulturfä-
higkeit und eine längerfristige biologi-
sche Anpassungsfähigkeit des Körpers.
Diese beiden ineinander verzahnten
Komponenten werden auch bei der jet-
zigen Herausforderung wieder funktio-
nieren.

Können wir die Konstanten der ver-
gangenen Erfahrungen abrufen?
Unser Immunsystem besitzt eine Flexi-
bilität. Bei Seuchen und Epidemien
bringen gerade kleine Veränderungen
der Erreger wieder neue Krankheiten
hervor. Die Lernfähigkeit des Immun-
systems, die sich daraus entwickelt hat,
können wir einsetzen. Das ist unser gro-
ßer Vorteil.

Gilt das auch für Krisenerfahrung?
Wir sprechen evolutionsbiologisch
nicht von einer Krise, sondern von einer
Herausforderung. Den anatomisch mo-
dernen Menschen gibt es seit etwa
300.000. Er hat sehr viele Herausforde-
rungen mit dieser Kombination unserer
mentalen Fähigkeiten und der biologi-
schen Anpassungsmechanismen unse-
res flexiblen Körpers gemeistert.

Von Ihrer Warte aus ist Corona eine
kleine Krise?
Evolutionsbiologisch gesehen ist es ei-
ne kleine Herausforderung. Individuell
ist es natürlich ein starker Einschnitt.
Wir Anthropologen schauen auf Bevöl-
kerungsstrukturen und die Möglichkei-
ten der Bewältigung. Unser Explorati-
onsvermögen hilft uns, weiter zu den-
ken und uns eben nicht in eine fatalisti-
sche Haltung hineinzubegeben mit „Wir
können ja nichts machen“. Menschlich
ist zu sagen: Wir haben die Möglichkei-
ten, Neues auszuprobieren und unsere
Kulturfähigkeit zu nutzen.

Sie sind also optimistisch?
Auf jeden Fall, ja.

Parkbesucher in Berlin: „Sozialkontakte sind essenziell notwendig, um die Überlebensfähigkeit zu verbessern“, sagt die Anthropologin Ursula Wittwer

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/ ADAM BERRY

„Das treibt uns nach DRAUSSEN“


Warum fällt es uns derzeit so schwer, zu Hause zu bleiben? Die Antwort führt weit zurück in die Vergangenheit. Eine


Anthropologin erklärt, wie der Mensch gelernt hat, mit Epidemien zu leben – und welche Geschlechterunterschiede es gibt


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