Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

Freitag, 3. April 2020 SCHWEIZ 13


Post bringt Händler in Nöte


Ausgerechnet jetzt, da Geschäfte auf Online-Handel umstellen, werden übergrosse Lieferungen eingeschränkt


DAVID VONPLON


DiePost transportiert derzeit so viele
Pakete wie sonst in derVorweihnachts-
zeit. Bewältigen muss das Unterneh-
men diePäckliflut jedoch mit deutlich
wenigerPersonal. Am Mittwoch waren
bei derPost 2300 Mitarbeiter krank ge-
meldet, 65 davon wurden positiv auf
Sars-CoV-2 getestet.Fast 2500 wei-
tere Beschäftigte befinden sich im be-
zahlten Urlaub: Sie bleiben der Arbeit
fern, weil sie etwa zur Risikogruppe für
dasVirus gehören oder ihre Kinder be-
treuen müssen.
Kurzfristig zusätzlichesPersonal ein-
zustellen, löst die Kapazitätsprobleme
kaum: Wegen der strengen Hygiene-
und Social-Distancing-Vorschriftenkön-
nen viele Arbeiten in der Sortierung und
der Zustellung nur von einzelnenPer-
sonen und mit dem nötigen Abstand er-
ledigt werden.
Um die postalische Grundversor-
gung trotzdem zu gewährleisten, hat der
gelbe Riese vom Bund grünesLichter-
halten, die gesetzlich vorgesehenenVor-
gaben zu lockern. Die Öffnungszeiten
wurden verkürzt, einigeFilialen gar ge-
schlossen. Zugleich braucht diePost
wegen des fehlendenPersonals für die
Zustellung vonPaketen und Briefen
mehr Zeit.
Für Missmut sorgt derweil, dass die
Post auch die Zustellung von Sperrgut-
paketen einschränkt. Zugestellt werden
nur nochWaren, die unter Einhaltung
der Social-Distancing-Regeln transpor-
tiert werdenkönnen. Viele Gartenuten-
silien, Möbel,Lampen,Fitnessgeräte
undFernseherkönnen damit nicht wie
bisher über denPaketpostkanal ausge-
liefert werden.


Anbieterüberlastet


Wegen der Praxisänderung der Post
stauen sich nunin denLagern einiger
Händler die bestelltenWaren in Über-
grösse – undkönnen nicht oder nur ver-
zögert ausgeliefert werden.«Viele Händ-
ler suchen händeringend nach Alternati-
ven», sagtPatrickKessler, Präsident des
Verbands der SchweizerVersandhänd-
ler (VSV).Dadie Anbieter an der Kapa-
zitätsgrenze arbeiteten, sei dieSituation
angespannt. Dass anderePostdienstleis-
ter diejenigen Sendungen übernähmen,
die von derPost nicht transportiert wer-
denkönnten, sei häufigkeine Option, da
auch sie die Kapazitätsgrenze bereits er-
reicht hätten.
Marc Bolliger vom digitalen Lie-
fernetzwerk Pickwings erklärt,es hät-
ten sich viele Händler, die von der Be-
schränkung derPost betroffen seien, mit


der Bitte um Soforthilfe an sein Unter-
nehmen gewandt. Im Normalbetrieb
wickelt das Unternehmen täglich tau-
send Lieferungen ab. «Seitvergangener
Woche hat sich unser Liefervolumen
vervierfacht», sagt Bolliger.
Der Unternehmer übt scharfe Kri-
tik amVorgehen derPost. Er wirft dem
Bundesbetrieb vor, den Schweizer Han-
del ausgerechnet jetzt im Stich zu las-
sen, wo Händler aufgrund der Schlies-
sung ihrer Geschäfte auf den Online-
Handel ausweichen müssten.Laut Bolli-
ger stehen genügendKuriere undFahrer
zurVerfügung, um den Lieferstopp der
Post im Bereich Sperrgut zukompen-
sieren. «Hätte diePost mit uns und den
SchweizerTr ansportfirmen das Gespräch
gesucht, hätten wir gemeinsamreagie-
ren und ihrenKunden Lösungen anbie-
tenkönnen.» Stattdessen habe man den
Handel vor vollendeteTatsachen gestellt.
DiePost verteidigt sich. Ihr geht es
bei der Lieferbeschränkungim Sperr-
gut darum, dasPersonal zu schützen.
«Nur wenn die Mitarbeiter gesund blei-
ben, sind wir in derLage, die Menschen
in der Schweiz auch in denkommenden
Wochen und Monaten zu versorgen»,
sagtdie Sprecherin LéaWertheimer.

Um den Handel auf die Anpassungen
bei der Zustellung einzustimmen, hat
diePost am vergangenenFreitag einen
rundenTisch einberufen, an demver-
schiedene Handelsunternehmen teil-
nahmen.Dabei wurde mit denKunden
auch erörtert, gemeinsam eine Mengen-
planung vorzunehmen, um die Spitzen
etwas zu brechen.

Bestellungen selber abholen
Betroffene Online-Händler äussern sich
auf Anfrage zurückhaltend auf die Pra-
xisänderung derPost.Kundenkönnten
Sperrgutartikel wie gewohnt bestellen,
sagt ein Sprecher von Digitec Galaxus,
dem Branchenprimus in der Schweiz.
Es könne jedoch zuVerzögerungen
kommen. Das Tochterunternehmen
der Migros versendet die Sendungen
in Übergrösse nun wie im klassischen
Möbeltransport als Stückgut.Das ver-
teuert zwar die Lieferung. Die zusätz-
lichenKosten übernimmt das Unterneh-
men aber selbst.
Ein Sprecher des Aargauer Mitbe-
werbers Brack.ch erklärt, er habe für
die Sendungen von Sperrgut den An-
bieter gewechselt. Manrechne aber da-

mit, Zustellqualität und Lieferfristen
wahren zukönnen. Bei Mediamarkt
wiederum heisst es, man liefere sperrige
Artikel selber aus. Deshalb sei man von
den veränderten Lieferbedingungen der
Post nicht tangiert.
Diverse Anbieter versuchen derweil,
ihrenKunden Alternativen zur Heimlie-
ferung zu geben. Eine Lösung, bei der
sie die überlasteten Logistiknetze erst
gar nicht in Anspruch nehmen müs-
sen, ist das sogenannte «Click & Col-
lect»:Dabei holt derKunde die on-
line bestellteWareselber ab. Der Bun-
desrat erlaubt dieseAuslieferungsva-
riante unter derVoraussetzung, dass der
KundekeineLadenflächen betritt und
vor Ortkein Geld von einerPerson zur
anderen fliesst.
Erste Unternehmen haben bereits
begonnen, solche «Click & Collect»-
Lösungen einzuführen. Seit wenigen
Tagen etwakönnenKunden des Möbel-
hauses Ikea ihre Bestellungen in den
Parkhäusern oder auf demAussenge-
lände der geschlossenen Zentren ab-
holen. Wer sich seineWarealsPaket
nach Hause liefern lassen will, muss sich
gegenwärtig 24Tage gedulden.
Mitarbeit:Andrea Martel

Wegen reduziertenPersonals liefert diePost nichtmehr allePakete aus – sehr zum Ärger des Handels. SALVATORE DI NOLFI / KEYSTONE

Im Privatjet nach Hause


Ein Bieler Unternehmer bringt gestrandete Schweizer zurück und erhofft sich mehr Unterstützung vom Bund


ANTONIO FUMAGALLI, LAUSANNE


Die Empfehlung desAussendeparte-
ments (EDA) ist unmissverständlich:
SchweizerReisende, die sich imAus -
land befinden, sollen aufgrund der welt-
weiten Corona-Krise in die Heimat zu-
rückkehren. Die vergangenenWochen
haben gezeigt, dass immer mehr Staa-
ten ihre Grenzen dichtmachen und Ge-
fahr droht, blockiert zu werden. Zudem
wurde das Angebot ankommerziellen
Flügen drastischreduziert.


Firma macht keinenProfit


DieReisenden sitzen aber nicht nur auf
weit entfernten Inseln in der Südsee fest,
sondern manchmal auch in Europa – und
kommen trotz geringerer Distanz nicht
oder nur mit grossemAufwand von dort
wieder weg. Dasollte sich etwas machen
lassen, dachte sich der Bieler Unterneh-
mer Luca Forcignano, dessenPrivatjet-
Firma derzeit das übliche Angebot für
vermögende Kunden nicht ausführen
kann. Also trommelte er Piloten,Juristen


und weitereHilfskräfte zusammen und
gründete kurzerhand einenVerein mit
dem findigen Namen «HomeForce One».
Wer sich inReichweite der Klein-
flugzeuge – also irgendwo in Europa–
befindet und von dort dringend in die
Schweizreisen möchte, kann sich nun-
mehr über eine eingerichtete Hotline
melden. Die Dienstleistung richtet sich
in erster Linie an ältere und gefährdete
Personen, deren Möglichkeiten einge-
schränkt sind, auf demLandweg in die
Schweiz zu gelangen. «Unser Angebot
ist eine Ergänzung zu den Bemühungen
desBundes», sagtForcignano. Was es be-
deutet, irgendwo festzustecken, erlebte
er Mitte März am eigenen Leib in der
Türkei.Aufgrund seiner italienischen
Staatsbürgerschaftkonnte er bei den
kommerziellen Fluggesellschaftenkein
Ticket mehr kaufen und schaffte es, nach
vierTagen, nur dank dem Privatjet eines
Bekannten wieder in die Schweiz.
Der Gedanke, dass es sich um ein Lu-
xusangebot für die gutbetuchte Klien-
tel handelt,liegt auf der Hand. Er trifft
allerdings nur bedingt zu. «HomeForce

One» verrechnet denKunden lediglich
die Betriebskosten, etwa das Kero-
sin oder die Start- undLandegebüh-
ren. Die Flugstunden der Piloten oder
die Amortisation der Maschinen wer-
den nicht angerechnet.Aus Spanien
kostet eineRepatriierung im Privatjet
ungefähr 50 00 Franken, je nach Flug-
dauer und örtlichen Gebühren kann
der Betrag aber starkvariieren.«Wir
machenkeinerlei Profit. Im Gegenteil,
wir legen Geld drauf», versichertFor-
cignano, der auf seinerWebsite einen
Aufruf zur Unterstützung der Aktion
gestartet hat.Jenach Spendeneingang
soll sich derKostenbeitrag für dieKun-
den weiterreduzieren.

DiplomatischeHilfe
MitteWoche flogen zwei Piloten ein
jurassisches Rentner-Ehepaar aus
Malaga aus, unter Einhaltung der not-
wendigen Distanz- und Hygienemass-
nahmen. Zum Einsatz kam eine Cessna


  1. Sechs weitereRückführungen aus
    Sizilien und wiederum Südspanien sind


bisSamstag geplant.Dass es nicht mehr
sind –Forcignano erhält gemäss eige-
nen Angaben täglich rund 20 Anrufe
von interessiertenPersonen –, sei büro-
kratischen Hürden geschuldet. DieVor-
bereitung einer Flugreise dauere der-
zeit bis zu 72 Stunden. Insbesondere in
Italien sei es derzeit schwierig, innert
nützlicherFrist die nötigen Start- und
Landeerlaubnisse zu erhalten.
Der Flugunternehmer erhofft sich
deshalb diplomatische Hilfe vom Bund,
um schneller andie Bewilligungen zu
kommen. Schliesslich trage der Dienst
dazu bei, die behördlicheAufforderung
zurRückkehr umzusetzen.Das EDA
nimmt die private Initiative denn auch
mit Interesse zurKenntnis. Die auslän-
dischenVertretungenkönnten allenfalls
administrative Unterstützung anbieten,
«solange das staatliche Handeln nicht
beeinträchtigt wird», sagt ein Sprecher.
Forcignano freut sich über das grund-
sätzlich positive Signal aus Bern. Noch
funktioniere die Zusammenarbeit aber
nicht wie erwünscht – und damit gehe
täglich wertvolle Zeit verloren.

Wahlfälschung


im Thurgau


vermutet
GLP könnte auf Kosten der SVP
einen zusätzlichen Sitz erhalten

cb.·«So etwas hat es im KantonThurgau
noch nie gegeben», sagt MariusKobi, Lei-
terRechtsdienst derThurgauer Staats-
kanzlei. Bereits amWahlsonntag hatte
der Bezirkspräsident der GLPFrauen-
feld, Andreas Schelling, denVerdacht,
dass bei den Grossratswahlen im Bezirk
Frauenfeld nicht allesmitrechten Dingen
zugegangen war. Er stiess sich namentlich
an der Anzahl von unveränderten GLP-
Wahlzetteln,die imVergleich zu den ver-
änderten ungewöhnlich niedrig war und
für ihn völlig aus demRahmen des Ge-
wohnten fiel. Schellingkonfrontierte am
Montagmorgen die Staatskanzlei mit die-
ser Beobachtung. Diese erhielt ihrerseits
vomWahlbüro der StadtFrauenfeld um-
gehend die Antwort, dass mit derAuszäh-
lung alles in Ordnung sei.

Strafanzeige eingereicht
Doch Schelling blieb hartnäckig:Aus-
gerüstet mit eigenen Analysen, hakte
er noch einmal bei der Staatskanzlei
nach, die ihrerseits in den folgendenTa -
gen beimWahlbüroweitere Abklärun-
gen traf und dabei auch die Abläufe
beimAuszählen genauer unter die Lupe
nahm. Und in derTat: Bei der GLP und
derSVP stimmte die Zahl der vorhan-
denenWahlzettel nicht überein mit der
Anzahl der amWahlsonntag von den
AuszählteamsregistriertenWahlzettel,
wie MariusKobi bestätigt.
DieFrauenfelderWahlhelfer führen
auf einer Liste – sogenannteLaufzettel


  • Buch, wie vieleWahlzettel von welcher
    Partei sie zählen. Hier findet sich nun die
    Abweichung:Laut den Listen derWahl-
    zähler gingen in der StadtFrauenfeld für
    die GLP 228 und für dieSVP 550 un-
    veränderte Listen ein. Zählt man jedoch
    dieeffektiv vorhandenenWahlzettel, so
    sind es bei der GLP 129 und bei derSVP
    639.Kobi sagt dazu: «Für diese Diskre-
    panz gibt es derzeitkeine Erklärung.»
    Aus diesem Grund habe die Staatskanz-
    lei denn auch Strafanzeige eingereicht.
    Das Total derWahlzettel bei allen
    anderenParteien stimmt gemäss dem
    Leiter desRechtsdienstes mit demjeni-
    gen derLaufzettel überein. Die Listen
    vonSVP und GLP bildeten dieAus-
    nahme. Es besteht deshalb lautKobi der
    Verdacht, dass bei diesen beidenParteien
    dasWahlergebnis beeinflusst worden sei.


Die Folgen sind unklar
Aufgrund der Zahlen der Laufzettel
würde der GLP imWahlkreisFrauen-
feld ein zusätzlicher Sitz aufKosten der
SVP oder – alsFolge der Listenverbin-
dung – der FDP zustehen. Die GLP will
es nun genau wissen.Wegen der «zöger-
lichen und unvollständigen» Abklärun-
gen derThurgauer Staatskanzlei und
desFrauenfelderWahlbüros hat diePar-
tei inzwischen einenRekurs gegen das
Wahlergebnis beim GrossenRat des
KantonsThurgau eingereicht. Bei der
StadtFrauenfeld ist derzeit mit Hinweis
aufdas laufende Strafverfahrenkeine
Stellungnahme zumThema erhältlich.
Für GLP-Bezirkspräsident Andreas
Schelling ist die Geschichte ein Skandal.
DiePartei fordert denn auch einAudit
des Zähl- undKontrollablaufs imFrauen-
felderWahlbüro, damit die Ursache des
Fehlers entdeckt wird. «DieKontroll-
mechanismen haben versagt», stellt er
empört fest.Das dürfe sich im Interesse
der Demokratie nicht wiederholen.
Noch unklar ist, was dies alles für
die Grossratswahlen vom vergange-
nen15. März bedeutet. Nach Angaben
von Ricarda Zurbuchen, Leiterin Kanz-
lei- undParlamentsdienste des Kan-
tonsThurgau,laufen derzeit die juris-
tischen Abklärungen. Geplant ist, dass
dasParlamentam 6. Maizusammentritt,
falls diesangesichts der Corona-Pande-
mie im entsprechendenRahmen mög-
lich ist. Ob dann derRekurs der GLP
bereits behandelt werden kann und ob
bis dahin schon Ergebnisse der Straf-
untersuchung vorliegen, ist offen.Wahr-
scheinlicher dürfte sein, dass der Grosse
Rat sich erstam 20. Mai mit der Ange-
legenheit befasst.
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