Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

Freitag, 3. April 2020 ZÜRICH UNDREGION 15


«Der Test ist nur eine Momentaufnahme. Sicherheit gibt’s nicht»


Derzeit gibt esausrei chend Coronaviren-Tests im Labor der Universität Zürich. Die Virologin Alexandra Trkola benennt aber andere Probleme


LENASTALLMACH (INTERVIEW)
ANNICK RAMP (BILDER)


Am Institut für medizinischeVirolo-
gie der Universität Zürich läuft der Be-
trieb auf Hochtouren.Das ganzeTeam
ist rund um die Uhr damit beschäftigt,
die vielen Corona-Verdachtsfälle zu tes-
ten. Alexandra Trkolas Team hat schon
AnfangJanuar damit begonnen, einen
eigenenVirustest zu entwickeln – nach
dem empfohlenen Protokoll der WHO.
Damit waren die Universität Zürich
und dasReferenzlabor in Genf die ers-
ten Zentren, die in der Schweiz Proben
testenkonnten.Auch in normalen Zei-
ten werden im Diagnostiklabor, das zum
Institut gehört, die Proben des Univer-
sitätsspitals Zürich und anderer Spitäler
auf Viren analysiert.Aber jetzt herrscht
ein Ausnahmezustand, in dem alle 77
Mitarbeiter, auch die Doktoranden und
promoviertenForscher, ihre Kollegen in
der Diagnostik unterstützen. Zusätzlich
helfen 41 Externe mit, den 24/7-Betrieb
aufrechtzuerhalten. Andere universi-
täre Labore, die ETH und sogar Novar-
tis haben Materialien und Analyse-
maschinen zurVerfügung gestellt, die
für den Nachweis desVirusgenoms und
spezifischer Antikörper gebraucht wer-
den. Die Uni-Mensa hält einen minima-
len Betrieb aufrecht,um die Mitarbeiter
am abgelegenen Campus im Irchelpark
mit Essen zu versorgen.


Frau Trkola, wie kamen Sie schon An-
fangJanuar auf die Idee, einen Corona-
virus-Test zu entwickeln?Damalswar ja
noch nicht klar, dass es zu einerPande-
mie kommen wird?
Oh doch,das war absehbar. DieAusbrü-
che von Sars und Mers-CoV liegen ja
noch nicht so weit zurück. Deshalb war
uns klar, dass wirreagieren müssen.Wir
haben dabeieng mitdem Referenzlabor
in G enf zusammengearbeitet.


Wie viele Probenwerden täglich ana-
lysiert?
Das ist sehr unterschiedlich. Am An-
fang waren es nur wenigeVerdachtsfälle,
aber dann gab es Anfang März plötzlich
einen starken Anstieg auf 800 Proben
und mehr proTag. Das war schwierig zu
bewältigen,weil die benötigtenReagen-
zien gefehlt haben.

Aber Sie hatten doch Ihre eigenenTests,
an was hat es denn gefehlt?
Das stimmt. Aberrelativ schnell waren
auch dieReagenzien ausverkauft, die
wir imLabor dafür brauchen, dieViren
aufzubrechen und das RNA-Genom zu
extrahieren.Auch bei denReagenzien,
die wir für dieTests brauchen, gab es
Schwierigkeiten. Hier warenVerunrei-
nigungen, die bei den Herstellern pas-
sierten, ein Problem, das wir genaukon-
trollierenmusstenundweiterhinmüssen.
Deshalb haben wir oft improvisiert und
immerwiedernachAlternativengesucht.

Hat sich die Situation jetzt entspannt?
Ja. Der Nachschub anReagenzien ist
etwas besser, und es gab auch für eine
gewisse Zeit eine geringere Nachfrage
nach Tests. Wir sind auch nicht mehr
die Einzigen im Kanton Zürich, die
Tests analysieren.Aber wirrechnen da-
mit, dass es noch mal zu einer grossen
Testwellekommen wird.Dafür sind wir
gerüstet.Wenn wir die automatischen
Tests vonRoche einsetzenkönnen,dann
können wir täglich bis zu1500 Proben
verarbeiten.

Aber die bekommen Sie nicht immer?
Leider nein, die sind weltweit extrem
gefragt,weil damit sehr viele Proben
gleichzeitig bearbeitet werdenkönnen,
mit vergleichsweise wenigPersonal. Der-
zeit bekommen wir nicht genug von den
Tests, um unsere Maschinen voll ausnut-
zen zukönnen. Deswegen sind unsere

eigenenTests so wichtig. Sie brauchen
alle rdings mehrPersonal.

«Testen, testen, testen» lautet das Gebot
der Stunde, es werden viele neueTest-
zentren eingerichtet.Was halten Sie davon,
das s sich auch Gesunde testen lassen?
Es ist immer dieFrage, warum man sich
tes ten lässt.Wenn ich kürzlichKontakt
mit einer infiziertenPerson hatte und
mich deshalb testen lasse, bedeutetein
negatives Ergebnis leider nichts. Der
Test ist ja nur eine Momentaufnahme.
DasVirus braucht eine gewisse Zeit,um
sich imKörper auszubreiten, schon am
nächstenTag könnte ein neuerTest posi-

tiv ausfallen. Die Sicherheit, die jeder
von uns haben will, die gibt’s halt leider
nicht, zumindest nicht mit diesenTests.

Undwas bedeutet ein positivesTest-
ergebnis – kann ich mir damit sicher
sein, dass ich dasVirus habe? Oder
anders gefragt, wie viele positiv und ne-
gativ getestete Menschen erhalten ein
falsches Ergebnis?
Unser eigenerTest und derRoche-
Test sind sehr verlässlich, das wurde
in der Anfangsphaseauchvom Refe-
renzlabor in Genf durch Doppelbestim-
mungen überprüft.Das ist schonein-
mal gut zu wissen. Genaue Angaben
zu falsch positiven und falsch negati-
venTestresultaten lassen sich in derAn-
fan gsphase sehr schwer ermitteln, aber
das kommt alles noch.

Ist das nicht eineVoraussetzung für die
Zulassung einesTests?
Normalerweiseschon.Aberderzeitläuft
alles im Notfallmodus. Deshalb istkein
Test so zertifiziert,wie es sonst üblich ist.
Das heisst aber nicht,dass dieTests nicht
gut evaluiert werden. Beispielsweise
wurdegenauüberprüft,obunterdenvon
der WHO empfohlenenTestbedingun-
genandereViren,beispielsweiseauchan-
dere Coronaviren,als falsch positiv auf-
tauchen. Das war nicht derFall.

Sie haben mit IhremTeam auch einen
Antikörpertest entwickelt.Damit sucht
man in Blutproben derPatienten nach
Antikörpern, die das Immunsystem
gegen dieViren gebildet hat. Auch
Wochen nach einer Infektion kann man
diese noch nachweisen.Wie weit sind Sie
mit demTest?
In der Klinik wird er bereits eingesetzt.
Wir verfolgen damit den Krankheitsver-
lauf bei denPatienten.DerTest funktio-
niert sehr gut.Wir seh en spezifischeAn-
stiege der Antikörperantwort bei Sars-
CoV-2-Infizierten, nicht aber bei Ge-
sunden.Das ist wichtig, da die meisten
Menschen schon mit anderen Corona-
viren infiziert waren und soausgeschlos-
sen werden kann, dass derTest starke
Kreuzreaktionen anzeigt. Es muss aber
bei allen Antikörpertests nochder Be-
weis erbracht werden, dass siekeine
Kreuzreaktionen bei aktiven Infektio-
nen mit anderen Coronaviren anzeigen.

Undwann kann man in der breitenBe-
völkerung mit solchenTests rechnen?
Es gibt jetzt schonkommerzielleTests.
Das Problem ist aber, dass man derzeit
nicht weiss, welcher von ihnengut ist.Was
bringt einTest, der nicht sensitiv oder
spezifisch genug ist? Schwierig ist auch
die Erwartungshaltung vonseiten der Be-
völkerung. Jeder will wissen,ob er schon
Antikörper hat – ich natürlich auch.

Und, haben Sie sich schon getestet?
Nein.

Wie können Sie widerstehen?
Es ist schwierig (lacht). Aber ich muss
ja mit gutem Beispiel vorangehen. Ich
kann ja nicht sagen, wirkonzentrieren
uns erst mal auf die wichtigen klini-
schen Proben,und gebe dann doch mei-
ner eigenen Neugier nach. DieFrage
ist aber auch: Wie gehen wir damit um,
wennwir Antikörper im Blut finden?
Wir hoffen natürlich alle, dass sie einen
Schutz vor einer erneuten Infektion ge-
ben, und das tun sie sicher, zumindest
zu einem gewissen Grad.Aber wie lange
dieser Schutz anhält und wie gut er ist,
also ob er eine neue Infektion verhin-
dert oder sie nur abschwächt, das ist
alles noch unklar.

Antworten auf dieseFrage wären be-
sonders wichtig für vulnerablePerso-
nen oder für ihreKontaktpersonen.
Genau. Man setzt derzeit darauf, dass
Genesene einen guten Schutz aufge-
baut haben.Aber man kann sich dessen
noch nicht sicher sein.Viren sind ja sehr
unterschiedlich. Die Masern bekommt
man nur einmal oder gar nicht, wenn
man sich impfen lässt. Hier funktio-
niert der Immunschutz hervorragen d.
Andere Viruserkrankungen bekommen
wir immer wieder, weil der aufgebaute
Schutz langfristig nicht ausreicht oder
weil sich dasVirus zu stark verändert.
Dazu gehören auch die menschlichen
Coronaviren. Sie rufen aber meist nur
milde Erkältungssymptome hervor,
wahrscheinlich gerade w eil wirschon
einmalAntikörper gegen diese Corona-
viren gebildet haben.Die Hoffnung ist
nun, dass dies bei dem neuenVirus
ebenfalls geschieht. Schwierig bleibt
die Situation allerdings für vulnerable
Personen.Deshalb wäre eine Impfung
so wichtig.

Neue Proben sind am Institutfür medizinischeVirologie eingetroffen.Das Team von AlexandraTrkola, die fürdas Foto die Schutzmaske abgenommenhat, analysiert die Corona-Tests für das Universitätsspital.


«Die Frage ist aber auch:
Wie gehen wir damit um,
wenn wir Antikörper
im Blut finden?Wir hoffen
natürlich alle, dass sie
einen Schutz vor einer
erneuten Infektion geben.»
Alexandra Trkola
Virologin

«Jeder will wissen, ob er
schon Antikörper hat–
ich natürlich auch.»
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