Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.04.2020

(WallPaper) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton MONTAG, 6.APRIL 2020·NR.82·SEITE 11


D

ie Wahlbeteiligung lag bei
0,45 Prozent.60272 Bürger
vonNordrhein-Westfalen ha-
ben sichander vomMinisterium für
Heimat, Kommunales, Bau und
Gleichstellungveranstalteten Abstim-
mungüber das schönste Rathaus des
Landes beteiligt.ZweiWochen lang
warendie digitalenWahlurnenge-
öffnet, derNominierungsprozessmit
Aufrufen in den sozialen Medien und
die Vorstellung der 74Kandidaten
durch tägliche Ausstrahlung eines
neuen einminütigenVideofilms hat-
tensichüber fünf Monatehingezo-
gen. Die Stimmenverteilung wurde
nicht bekanntgegeben, aber der Sie-
ger, das RathausvonRecklinghausen,
dürfteineinemFeld vonsechs Dut-
zendBewerbernnicht sehr viel mehr
Stimmen bekommen haben, als das
vonder FirmaRavensburgerals Preis
produzierte Puzzledes siegreichen
BausTeile hat, nämlichtausend.Über
den staatsbürgerliche nBaukunst-
geschmacksagt das Wahlergebnis
bestenfalls in der Summeetwasaus.
Wann wirdein Rathaus als schön emp-
funden? Es mussalt sein oder alt
aussehen, und auf denUnterschied
kommt es nicht an. In denTopTen fin-
den sichsieben der ältestenRathäu-
ser des Landes mit Brilon(um 1250)
auf dem drittenRang, aberdrei histo-
ristische Klötze aus demKaiserreich,
nachdem Sieger (1906)auchBottrop
(1916) undRemscheid(1908),verwei-
sen Renaissance (Münster)und Roko-
ko (Bonn) auf die Plätze. Im jungen
Bottropsteht das jüngste amtlichschö-
ne Rathaus,das nochnicht stand,als
auf demStandesamt die Geburtvon
Josef Alberseingetragenwurde, aber
nichts Quadratisches an sichhat.Alle
modernaussehendenNominierten
fielen durch,vonGelsenkirchen über
Dortmund und Essen bis Borgholz-
hausen. Der siebtePlatz vonBocholt
täuscht:Vorgeschlagenwardas Histo-
rischeRathausvon1624, nicht Gott-
fried BöhmsNeues Rathausvon1974.
Wenn die ausUnna (nichtnominiert)
gebürtige, in Kamen (nichtnomi-
niert)politischsozialisierte Ministe-
rinIna Scharrenbachwirkli ch ein
Bewusstsein dafürschaffenmöchte,
dass„Rathäusermit ihren architekto-
nischen Besonderheiten und unter-
schiedlichen BaustilenTeil des histo-
risch-kulturellen Erbeseiner Stadt“
sind, hättesie also nocheiniges an
Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber
das Bekenntnisder ersten Heimat-
ministerinder Landesgeschichte zur
Stilvielfalt istnur dervorgeblendete
Werbefassadenschmuckeiner auf
Standardisierunggerichteten Image-
politik. DiechristdemokratischeRes-
sortchefin lehntevor einem Jahr die
Eintragung desRathausesvonAhlen
in die Denkmalliste ab, eines Gegen-
stücks zu Böhms BocholterVielzweck-
bau über Flusslandschaft; ostentativ
sah sie davonab, auf die Argumente
der Denkmalschützer des Land-
schaftsverbandsWestfa len-Lippe ein-
zugehen. Ein Bürgerentscheid für den
Erhalt desvonBrigitteund Christoph
Parade entworfenenRathausesver-
fehlte am 8. MärzinAhlen die Mehr-
heit. Immerhin taten 7421von
Abstimmendenkund, dassfür sie die
Moderne zu ihrer Heimatgehört.

Rathausputz


VonPatric kBahners

Ü


berall auf derWelt wirft sich
die Menschheit dem Corona-
Virusentgegen.Wirführen me-
dizinischund administrativ ins
Feld, waswir können, und es zeigen sich
die Reflexe, die dem Menschen eigen
sind.Wenn es ernstwird, stehen Solidari-
tät, Vernunftund Disziplin hochimKurs.
In der noch andauernden ersten Phase
der Pandemiebekämpfung kann und
mussauf dieser Grundlageagiertwerden.
Für Deutschland gibt es für dafür eine Art
nationalesKonsensdatum. Der 20. April
2020, das Ende der Osterferien in vielen
großen Bundesländern, istzueinerWeg-
marke geworden, die denKampfgegen
die Pandemie in ein „Davor“ und ein „Da-
nach“ einteilt.Welche Maßnahmen auch
immer im Anschluss(weiter-)gelten, sie
werden als zweitePhase unter neuen Be-
gründungslastenstehen.
ZumTeil wirddie gebräuchlicheFor-
mel „Keine Lockerung vordem 20. April“
nun mit dem Hinweis verstärkt, vordie-
sem Zeitpunkt sei auchjede Debatteüber
das „Danach“verfrüht.Das legt nahe,
dassderjenige, der öffentlichüber Strate-
gien für denAusstieg spricht, die unbe-
dingteFolgebereitschaftfür die Maßnah-
men schwäche: Die Bürgerbräuchtenkei-
nen Zweifel, sondernklareEntscheidun-
gen. Im bestenFall, nacheiner deutlichen
Abflachung der Infektionszunahme,wä-
rendas eineReihe vonsignifikanten Er-
leichterungen,etwa zur gestaffelten und
geregelten Wiedereröffnungvonöffentli-
chen Einrichtungen undvonDienstleis-
tungsbetrieben. Zugleichwerden viele
Einschränkungen bis zur endgültigen Be-
wältigung der Krise weiter gelten:Ab-
standsregeln, vielleicht derVerzicht auf
Veranstaltungen des Typus „großund
eng“, möglicherweise auchneue Überwa-
chungsreglements.
Zuvoraber auf denAusfall der Debatte
zu setzen istineiner freiheitlichen Ord-
nung zum Glücknicht nur unrealistisch.
Eine solcheVorstellung würde auchden
Wegzubesseren Lösungenverstellen, die
wir im Diskurserarbeiten.Vorallem aber
ermöglicht nur eine differenzierte Debat-
te den gemeinsamen Einstieg in die zwei-
te Phase derPandemiebekämpfung. Die-
se benötigtetwaeineUnterscheidung, die
seit einigenTagenvöllig in den Hinter-
grundgedrängt wurde, obwohl sieTeil
der virologischen Grundinformation ist:
Die Bevölkerung musseinerseitsverste-
hen, dassstraffe Maßnahmen notwendig
sind, um Leben zuretten–aber sie muss
gleichzeitig auchverstehen, dassdie weit
überwiegende Zahl vonBetroffenen
nicht ernsthafterkrankt.

Ein jeder das Seine

Werden Bürgern die entsprechendeUn-
terscheidungskraftnicht zutraut undganz
auf Angstsetzt, verfestigt einegefährli-
chegesellschaftliche Lernkurve,die sich
dann auchnicht ohneweiteres begradi-
genlässt.Dennwenn die Maßnahmen
maßgeblichmit dem Argument der indivi-
duellen Gesundheitsgefährdung begrün-
detwerden („auchjungeMenschenster-
ben“)–wie kommt man auf die Idee, dass
im weiterenVerlauf diegroße Masse der
Bevölkerung bereit ist, sicheinem sol-
chen Risikozustellen?Undwie will man
dann umgehen mit denKohortenvon
Lehrern, Schülern,Verwaltungsbeamten,
Arbeitnehmernaller Art, die aus Sorge
vorInfektion nicht zum Diensterschei-
nen? Hier droht eine argumentativeFal-
le, in die dieRegierung eines freiheitli-
chen Landes nicht laufen darf.

Es gibtalsokeineAlternativezum Wag-
nis der Differenzierung, zur Anstren-
gung, den einengroßenWeltsachverhalt
Corona immer wieder neu in seine Einzel-
teile zu zerlegen. Diese Differenzierung
hat ja auchinDeutschlandgleichinden
ersten Tagender Krise eingesetzt.Sowur-
den öffentliche und privateEinrichtun-
gensogleich geschlossen, sobald (oder be-
vor) einVerdachtsfall bei Beschäftigten,
Kunden, Betroffenen aufgetretenwar.
Aber zugleichmüssen andereBereiche
völlig unabhängigvonder Frageweiter-
laufen, ob in ihrem BereichInfektionsfäl-
le auftreten –denn auchdann sind Le-
bensmittelversorger, Gesundheitseinrich-
tungen und Sicherheitsbehörden unent-
behrlich. Das Ziel der Risikominimierung
bricht sichhier notwendig an der Ein-
sicht, dassbei einem kollabierenden
Grundsystem auchkeine Intensivmedizin
möglichist.
Die praktische Differenzierung, die
sichals neuer Bürgersinn in den Debatten
der nächstenWochen herausbilden muss,
lässt sichvielleicht sofassen: „Jeder das
Seine“.Wasfür die einen Arbeit bedeu-
tet, auchwenn damit eingewisses Risiko
verbunden ist,kann für andereVerzicht
bedeuten.Wirsollten die Einsichtvertei-
digen, dasswir verschieden sind und dass
deswegen auchunser Beitragverschieden
seinkann, ja sein muss,wenn für alle
möglichstviel Gutesgelingen soll. Die
Haltung, dasswir lieber in uniformer
Gleichheit einemgesellschaftlichen Total-
schaden entgegenstreben, als uns aufZeit
Unterschiede zuzumuten, scheint demge-
genüber befremdlich. Deswegen istdie
Kraf tder Unterscheidung auchfür den in-
zwischenweitverbreiteten Gedanken not-
wendig, dassbestimmteRisikogruppen
länger undweitgehenderen Beschränkun-
genunter worfen werden könnten.

Ein neuer Generationenvertrag

Die sehrstarke Abwehrreaktion auf diese
Vorschlägeberuht darauf, dassdie betrof-
fenen Grundrechteder persönlichenFrei-
heit und der Freizügigkeit tatsächlich
eine dergroßen Grundverabredungen mo-
dernerStaaten bilden. Ähnlichwie das
gleicheWahlrecht überdeckensie all die
Unterschiede, die unser Leben ansonsten
prägen. In Bildung, Gesundheit,Vermö-
gen, Geschmackmögen wirverschieden
sein –aber wann undwohin wirgehen, be-
stimmen wir jeder selbst. Gleichheitsein-
schränkungen unterliegen daher zuRecht
hohen Anforderungen. Sie ließen sich
aber jedenfalls besserrechtfertigen,wenn
das Ziel solcherUnterscheidungen nicht
der Ausschlusseiner Gruppewäre,son-
dernvor allem dieRegelungvonVerkehrs-
strömen: Wäreesnicht naheliegend, dass
der öffentlicheRaum zeitlichaufgeteilt
wird, und einstweilen derVormittagRent-
ner-Zeit ist? Eine unterscheidungsaffine
Herangehensweise, dienicht die materiel-
le Ungleichbehandlung in den Mittel-
punktstellt, sondernEntflechtungen be-
gründet,könntedann jedenfalls eher als
neuer Generationenvertrag auf Gegensei-
tigkeitverstandenwerden, den man in ei-
ner bedrohlichen Krise abschließen
muss.Undwie auchsonstmögegelten,
dassdiejenigen, die es nichtverstehen, es
durch das Ordnungsrecht lernen,etwa
mit Bußgelderninbeide Richtungen.
Mit differenzierendemVorgehen istsi-
cher keine Königsformel gefunden.
Schon in dem hiergenanntenBeispielwä-
rendie praktischen Problemegroß genug,
etwain derVersorgungvonPflegepatien-
ten, ebenso die bitterenVerluste,zum Bei-
spiel in der Begegnung der Generationen.
Undeine nationaleStrategie, wie man
feingesteuertzum öffentlichen Leben
und zurtätigen Gesellschaftzurückge-
langt, ergibt ohnehin nur Sinn,wenn sie
europäischund international abgestimmt
ist. Man magvondaher auchKennziffern
wie den 20. April für zu eng halten. Doch
dürfteinsoweit gelten: DieVorstellung,
Deutschlandkönnteauf langeZeit einen
maximalmedizinischen Sonderwegfah-
ren, mitStolz aufRücklagen, durch die
man länger durchhält als andere, istauch
globalfahrlässig undgefährlich. Denn
auchdazu wirdesLernkurvengeben.
Deutschlandkann einVorbildwerden, in-
demwir uns klugeDifferenzierung zutrau-
en und zumuten. Sie istnicht die kleine
Schwesterder Triage, sondernderen Ge-
genspieler.

HinnerkWißmann lehrtÖffentlichesRechtan
der Universität Münster.

Voreinem halbenJahrhundert, An-
fang April 1970,erteilteRobertSmith-
son einerBaufirma in Utah denAuf-
trag, eine spiralförmigeMole in den
Großen Salzsee zu bauen. Schon in den
nächstenTagenkippten schwereLast-
wagenschw arze Basaltbrockenins Was-
ser,und trotzeiner Änderungder ur-
sprünglichen Planungwar dieAufschüt-
tungschnell vollendet. Sie verläuftvom
Ufer aus zunächst im rechtenWinkel
auf einer schnurgeraden Linie in den
See und dreht sichdann nachlinksinei-
nerSpirale nachinnen. Dieseverengt
sichaber nicht wie bei einem Schne-
ckenhaus zur Mittehin. DieAbstände
der Bögen bleibengleich, und so zeigt
die ganze Anlage, dasssie keine Ambi-
tionen hat, sichder Umgebung mög-
lichstorganischanzuschmiegen. Sie
willein Fremdkörper bleiben.
Nach ihrer Fertigstellung ver-
schwand die „Spiral Jetty“ aufgrund des
steigendenWasserspiegelsfastdreißig
Jahre unter der Oberfläche des Sees.
Erst 2002kamen dieFelsbrocken, nun-
mehr in einerweißen Salzkruste, wie-
der ans Licht.Vorher wardas Werk
kaum ausfindigzumachen, undwenn
man esfand, gabesnichts zu sehen.Ta-
citaDean dokumentierteihreletztlich
erfolglose Suche 1997 in einem kleinen
Hörspiel.Neuerdingskommenimmer
mehrKunsttouristen, aber den meisten,
die sichfür dasWerk interessieren, ist
die Anreise zu beschwerlichund zukost-
spielig.Fürsie gibt esFotosund voral-
lem einen halbstündigen, vonSmithson
selbst gedreh tenFilm. Damitund mit ei-
nem 1972veröffentlichtenAufsatz hat
der Künstler unser Bild der „Spiral Jet-
ty“ bis heuteentscheidendgeprägt.
Eine besondersprägnanteAufnahme
istauchinder letzten Einstellung des
Films zu sehen. Sie istinmehrfacher
Hinsicht irreführend. ImVergleichmit
den BergenimHintergrund erscheint
die Spirale viel zugroß, die schnurgera-

de Verbindung zum Ufer wirkt in der
Schrägansichtweniger rigide, und die
starrenAbstände der Bögenfallengar
nichtweiter auf.Zudem scheint esganz
natürlich, aus derLuft auf das Bauwerk
herabzuschauen.
Dies istanOrt und Stelle nicht mög-
lich.Unterdem eigentümlichzwanglo-
sen Zwang des Ambientes schreitet
man dortauf dem Pfad, den Smithson
uns vorg egeben hat, zuerst250 Meterge-
radeaus, dannweiter ezweihundertMe-
terineiner Drehunggegenden Urzei-
gersinn bis zur Mitteder Spirale. Hier
geht es nicht mehrweiter .Man istinei-
ner Sackgasse.Wasnun?
Der Film gibt die Antwort. Nachdem
Smithson zwanzigmal wiederholt hat,
woraus seinWerk besteht: „Schlamm,
Salzkristalle, Felsbrocken, Wasser“,
sieht man,wie er sichmit sichtlicher Eu-
phorie dem Ende des frischaufgeschüt-
teten Dammsnähert. Als er dortstehen
bleibt, trennt sichdie Kameravon ihm
und erhebtsichindie Luft.Dazu hört
man Propellergeräusche eines Helikop-
ters,was 1970 sofortanVietnamerin-
nerte.Dann sieht man bis zum Schluss
des Films nur nochgrelles Sonnenlicht,
das die Spirale wie dieStrahlung einer
Atombombe durchdringt.Inseinem
Aufsatz eröffnetSmithson dazueine fu-
riose Fülle vonAssoziationen.Von den
Anfängen des Lebens im salzigenWas-
ser istdie Rede, vonder Welt vordem
Menschen, derTyrannei der Sonne,kol-
labierender Materie, kristallisiertem
Protoplasma und blutigenAugen,von
der Beziehungzwischen Helios und He-
lix und nochmanchanderem.
WeramEnde der Molesteht,kann
sichaber weder in dieLuft erheben
nochindie ir reale Sphäregewagter Be-
deutungszuweisungen ausweichen. Das
Übermaß an theoretischerAufladung
steigertnur die Enttäuschung ange-
sichts dertatsächlichen Situation,wo al-
les kleiner und belangloser ist. Am Ende

der Moleweiß man nicht einmal mehr,
wo man eigentlichist. Klar istnur eines:
Man mussden Rückzug antreten. Zur
selbenZeit konstruierte BruceNauman
seineKorridore, die ebenfalls zur inne-
renUmkehr zwingen. Dabeigeht esvor
allem um die Selbstwahrnehmung der
Versuchspersonen. Smithson hattemit
seiner „Spiral Jetty“ jedochanderes im
Sinn. Er interessierte sichfür das Schick-
sal derNatur,nicht das der Menschen.
Der Wegauf der Mole führtauchnicht
zur Freiheit, denn frei istman noch
nicht einmal imFreien.Tatsächlich wird
man inkeinem anderenWerk der Land
Artsostark gegängelt wie hier.
Die Rechtfertigung dafür sah Smith-
son im zweiten Hauptsatz der Thermo-
dynamik,wonach jedes System demZu-
stand mit dengeringstenEnergiediffe-
renzen zustrebt.Ineinem irreversiblen
Prozesswirdalle Energie nachund nach
zu Wärme, und alles erstarrt in der En-
tropie. Allein schon der Ortseiner Inter-
vention symbolisiertfür Smithson eine
solche irreversible Ausweglosigkeit,
denn dasWasser,das in den Großen
Salzseefließt,kann nirgendwowieder
heraus. Es musssichinLuftauflösen.
Wenn Smithsons Spirale das Prinzip der
Entropieverkörpernsoll, verbietetsich
naturgemäß jederVersuch, ihrem eige-
nen unaufhaltsamenVerfall entgegenzu-
wirken. Sollen die Besucher dochge-
tros tkleineSteine mitnehmen,Abfall
hinterlassen, Felsbrockenverschieben
und bemalen. In ihremRuin verwirk-
licht diegroße spiralförmigeMole nur
das Prinzip ihrer Existenz.
Smithson suchteinder Natur keine
blaue Blume. DieNatur zuverherrli-
chen schien ihm naiv.Die Natur ist
uns nichtwohlgesinnt.Sie strebt zur
Entropie. Deshalb istnicht das Leben
ihr Ziel, sondernder Tod. Heute be-
weistdie große Seuche, dassein solcher
Naturpessimismusgarnicht sofalsch
ist. KARLHEINZLÜDEKING

Geometrie aus Basaltbrocken: RobertSmithsons „Spiral Jetty“ am Great Salt LakeinUtah Foto AgenturFocus/VGBild-Kunst, Bonn 2020

Ein Canyondes Denkens, der sichauftut
nie mehr schließt, Sandstein zerbröselt
verweht Sand zu Sand hügelan EinStuntman
gerötet, geröstet und warnicht tröstenswert–
im Fallen vonFallstrickengehaltengefesselt
wie beiläufig liegengelassenvonder Hand
eines aufgeplusterten Riesen, Suche nach
Richtwert(wie soundsoviel Hertz, Herzweh)
oder überbelichtet stumm ausgestreckt unter
der Sparlampegedimmt, die nicht wirklich wärmt

Ursula Krechel

Kurzes Gleiten über denAbhang des Bewusstseins


Die spiralförmigeSackgasse


Helios und Helix: Das berühmteste Werk der Land Artwirdfünfzig Jahrealt


DanielKehlmann isteinervonsechs
Autoren, die es in die letzteRunde
des Internationalen Booker-Preises
geschafft haben. Die jährlichvergebe-
ne Auszeichnung würdigt ins Engli-
sche übersetzteBücher aus allerWelt.
Autorund Übersetzer des Gewinner-
Titels teilen sichdas Preisgeld in
Höhevon50000 Pfund.Kehlmann ist
mit seinemRoman„Tyll“ vertreten,
der denNarren Til lEulenspiegel in
die Zeit des Dreißigjährigen Krieges
versetzt.Das Buchist einesvondrei
historischenRomanen auf der Short-
list, die das überzeitlichePotential
traumatischer Ereignisse in der Ge-
schichteihrer Nationauslo ten. DieIra-
nerin Shokoofeh Azar beschreibt in
„The Enlightenment of the Green-
gage Tree“ die Auswirkungen der Isla-
mischenRevolutionvon 1979 auf eine
Familie, die Argentinierin Gabriela
Cabezón Cámarabehandelt in„The
Adventures of China“ die bedrängte
Kultur der Gauchos im späten neun-
zehnten Jahrhundert. Der Sieger wird
am 19. Mai bekanntgegeben. G.T.

Eine Zeit der


Unterschiede


„Tyll“istmit


im Rennen


DanielKehlmann als


Booker-Preis-Finalist


Welche rWeg führtaus


demstren genCorona-


Regimezurüc kzur


tätigenGesellschaft?


Darübermussdurchaus


schon jetz tdiskutiert


werden –und soziale


Differenzierungisteine


Antwort.


VonHinnerkWißmann

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