FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton MONTAG, 6.APRIL 2020·NR.82·SEITE 15
A
nsein vier Hektargroßes
Grundstückgrenzt ein
kleinerSportflughafen.
„Gut so“, sagt Bruce Mar-
tin, „dakann hierkein
weiteresWeingut errich-
tetwerden.“Rund um die neuseeländi-
scheStadt Hastings boomt derWeinbau,
nirgendwoimLand istdas Klimawärmer
als in derRegion Hawke’sBay an der Ost-
küsteder Nordinsel, und eines derrenom-
miertesten Güter,Trinity Hill, liegtgleich
um die Ecke vonMartin–buchstäblich,
dennvomStateHighway 50, der Adresse
vonTrinity Hill,geht dieValentineRoad
ab. Als Martin und seineFrau Estelle hier
1969ihr Grundstückkauften,waralles
nochspottbillig, und Bescheidenheitgalt
als neuseeländische Primärtugend. Davon
kündetheutenochdas Hinweisschild an
der Abzweigungzur ValentineRoad. „Pot-
tery“steht darauf,kein Name. Dabei sind
Estelle und Bruce Martin Berühmtheiten;
ihr Wohnhaus und diegemeinsameWerk-
stattgehörenzudenwichtigstenKultur-
stätten des Landes.
BeimBesuchimspätenFebruarflirrt
die Luft vorWärme, dochder vierund-
neunzigjährige Bruce Martinkommt uns
winkendinder Hitzeentgegen. Sieben Jah-
re lang hatten wir uns nicht mehrgesehen,
und wenn manvoneinem so alten Men-
schen scheidet, fürchtetman, eskönnte
das letzteMal gewesen sein. DochMartin
hat sichkaumverändert. Immer nochlebt
er allein in dem ursprünglichfür einefünf-
köpfig eFamilie errichtetenWohnhaus in
der relativen Abgeschiedenheit neben
dem Flughafen. Estelle starb 2001, die
drei Söhne der Martinswarendaschon
längstausgezogen. Der Jüngstevonihnen,
Craig, istimvergangenen Jahr mit Mitte
sechziggestorben–ein unermesslicher
Verlustfür dengreisenVater, denn Craig
waramintensivsten mit demWerk der
Elternbefas st.Erwar es auch, der über
Jahrehinweginganz NeuseelandTrödel-
märktebesucht hatte, um Objekteaus der
Frühzeit derTöpferei aufzukaufen.
Für das jungeTöpferpaar baute
der beste Architekt
Die brauchte Bruce Martin, denn er selbst
hatte kaum nochArbeiten aus den späten
fünfziger und den sechziger Jahren, als er
und seineFrauihreTöpferwerkstatt eta-
blierten. Da arbeitetesie noch als Buchhal-
terinund er alsRadiologe,aber nachdem
BesucheinesIkebana-Kurses in der nahen
Stadt Napier waresumEstelle geschehen:
Sie begeistertesichfür japanische Ästhe-
tik,und da eskeine ihr zusagenden Blu-
menbehälter für die eigenen Arrange-
ments gab, beschlosssie kurzerhand,
selbstwelche zutöpfern. Ihr Mannkam
ins Spiel,weil er einen kleinen Brennofen
bauteund dann selbstFreude amTöpfern
fand. Ihre Gefäßeverkauftensie auf Märk-
tenund in den damals aufblühenden craft-
shops –die Neuseeländerentdeckten in
den sechziger Jahren das einheimische
Kunsthandwerk, und in dieserNation von
Teetrinker nkonnte man als Hersteller
vonentsprechendem Geschirrleicht sein
Auskommenfinden.1965 machte das Ehe-
paarMartin sichselbständig, eingrößerer
ölbeheizterBrennofen sorgtedafür, dass
die wachsendeNachfragebefriedigtwer-
den konnte. Es lief so gut, dasssie sichihr
eigenes Grundstückkaufen und darauf
Haus undWerkstatt bauen lassenkonnten
–und zwarnichtvon ir gendjemandem.
Als Architekten suchten sie sichJohn
Scott aus,der damals inNeuseeland als
originellsterVertreter seinesFachsgalt.
Heute, 28 Jahrenachseinem Tod, ist
Scotteine nationale Legende; 2019 brach-
te der Verlag der MasseyUniversity in
Auckland einen Prachtband über sein
architektonisches Schaffenheraus. Auf
demTitelbild istein Detaildes Werkstatt-
gebäudesfür die Martins zu sehen, und
gleich drei derineinzelnenKapitelnvorge-
stelltenGebäude hat Scott für sie errich-
tet: neben derWerkstatt dasWohn- und
ein Wochenendhaus.
HieramStadtrandvonHastings istalso
ein ikonisches Ensemble zu bewundern,
das man 2006indie höchsteKategorie
des neuseeländischen Denkmalschutzes
einstufte,weil es seit seinerErrichtungun-
verändertgeblieben ist. VorzweiJahren
konnten deshalb auf Staatskosten die De-
cken abgedichtetund neue Anstriche auf-
gebrachtwerden; seitdemerstrahltdas An-
wesen wieder in einemWeiß wie am ers-
tenTag. JohnScott, selbst fasziniertvom
kleinteiligen Baustil japanischer Wohn-
häuser, warden ästhetischen Vorliebensei-
nerAuftraggeberdadurch entgegengekom-
men, dasserfür derenWohnhauskein
kompaktes Gebäude schuf,sondernein
an einfach en geometrischenFormen ori-
entiertes Haus aus Betonüber einemHolz-
gerüst, das sichbei stetem Wechsel der De-
ckenhöhen aus niedrigen, oftins Freie ge-
öffnetenGängen und höherenTurmseg-
menten zusammensetzt.
So ein Haus hatteman inNeuseeland
nochnie gesehen, und auch für die japano-
philen Auftraggeber wareszunächst
schwer,sichdas vorzustellen.„John
Scott“, erinnertsichBruce Martin, „kam
einmal proWoche mit neuenSkizzen für
das Hausvorbei und ließ sie dann bei uns.
Wenn Estelle und ichuns bis zur nächsten
Wochedamit angefreundet hatten, zog er
schon die nächste, nochungewöhnlichere
Zeichnungaus derTasche. So erzog er
uns.“Das ErgebniswarenMartin House
und Studio. Ersteres plazierte Scott auf die
höchsteStelle desGrundstücks.Rundum
wachsen einzelnstehende Bäume und Bü-
sche, die die Martins über Jahrzehntehin-
wegangepflanzt haben. Den bislang letz-
tenBaum hat Bruce Martin erst kürzlich
in Erinnerung an seinen verstorbenen
Sohngesetzt.
Im Innerenglaubt man sichnachJapan
versetzt, auchder zurückhaltenden Ele-
ganz der Einrichtungwegen, die zu nicht
geringenTeilen aus eigenerKeramikbe-
steht,inder Bruce Martin immernochre-
gelmäßig Äste und Blüten aus dem Garten
arrangiert.Putzhilfebekommt er einmal
die Woche, und fastjedenTagschaut sei-
ne EnkelinFrancesvorbei. CraigsTochter
setzt die Arbeit ihresVaters als Archivar
des Großvatersfort. Darausist jüngstder
Plan erwachsen, den Bruce Martin zu sei-
nem letzten Lebensziel erklärthat.
Im Werkstattgebäude, demStudio, soll
allein mit Eigenmitteln ein Museum ent-
stehen, das die Arbeitvonihm und seiner
Frau dokumentiert. Bei unserem Besuch
im spätenFebruarwarder Beginn desUm-
baus für Ende Märzgeplant, unter der
Federführung einesder prominentesten
neuseeländischen Architekten der Gegen-
wart,NicholasStevens,eines Bewunde-
rers John Scotts und persönlichenFreunds
vonBruce Martin. Die aktuelle corona-
bedingteStilllegung des gesellschaftli-
chen Lebens inNeuseelandhat diesen
Beginnverzögert. DochBruce Martin hat
durch seine Professiongelernt zuwarten.
Geduldwar eineKonstanteinseiner
Karriere. Als die Martins sichinihrem
neuen Lebens- und Arbeitsdomizil ein-
gerichtethatten, setzten sie sichein neues
Ziel: einen BesuchinJapan. Es dauerte
bis 1978,aber dannreisten Estelleund
BruceMartin für drei Monatedorthin, um
japanischeTöpferstätte nundMuseenzu
besuchen. Dortlernten sie die fastausge-
storbene Anagama-Technik kennen: In
großenholzbefeuerten, halb in der Erde
eingelassenen Öfen werden in einem
mehrtägigen Brand viele hundertTöpfer-
warengleichzeitiggehärtet. Die Vorberei-
tung dauert entsprechend Monate. Die
Hitze des für zehn Tage kontinuierlich
brennenden Feuerswirdmittels eines
Durchzugsystems in die Ofenkammer des
Anagamageleitet,die dabei mit eindrin-
gende Asche setzt sichauf den Gefäßenab
und erzeugtzufälligeMusterauf den Ober-
flächen, die in Japan besondersgeschätzt
werden. Die Martinswarenfasziniertvon
dieserTechnik und beschlossen, nachder
Rückkehr auf ihrengroßen Grundstück
einen eigenen Anagama zu bauen.
Der Wille zum eigenen Ofen
nachjapanischemVorbild
Das tatensie über zweieinhalb Jahrehin-
wegrein aus der Erinnerung an die besich-
ti gten japanischenVorbilder,und entspre-
chend mängelbehaftetverlief der erste
Brand im Mai 1982.Erfand im neuseelän-
dischen Herbststatt,damit dietagelange
Feuerung in der trockenen Hawke’sBay
kein Risiko darstellte–immerhin brauch-
te es dafüracht Lastwa genfuhrenmitje-
weils vierTonnen Brennholz. Dieganze
Familie half bei der Befeuerung, selbst
Frances, damals nochein Säugling,warda-
bei. Statt der in Japan üblichenRotkiefer
verheizten die MartinsHolz der aus Ame-
rika in Neuseeland eingeführten Monte-
rey-Kiefer,aber deren Aschefarbe erwies
sicherfreulicherweise als ähnlich.Nurkol-
labierte die Eigenkonstruktion am siebten
Tagteilweise, und sofiel der Brand um
drei Tage kürzer aus als üblich.Trotzdem
warenetliche der mehr alstausend im
Ofen aufgestellten Gefäßegelungen–so
sehr,dasseinige der Stücke selbstinJapan
Begeisterung auslösten, als die Martins im
September 1982 wieder dorthinfuhren.
Der seit ihrer ersten Reise mit ihnen
befreundeteTöpfer Fujii Yokio sagteüber
die Proben: „IhrTeegeschirrkönnte unse-
re Teemeisterinteressieren.“ Bruce Mar-
tin hält das für dasgrößte Lob, das er je
erhaltenhat.
Fujii kamwenigeMonate später selbst
nachNeuseeland, um den Martins beim
Bau eines neuenAnagama zu helfen und
den nächstenBrand mit zu beaufsichti-
gen. Er blieb deshalb mehrals ein halbes
Jahr,und in dieserZeit gabersein Wissen
übersTöpfernandie Gastgeberweiter.
Von1983 bis 1990 führten die Martins
jedes Jahr einen Anagama-Brand durch,
und dieResultatesorgten für einVerkaufs-
angebot, das langevorhielt.Denn Töpfer-
ware warinden achtzigerJahren inNeu-
seeland außer Modegekommen, und mit
fremdartigen japanischenFormen mochte
sichkaum jemand anfreunden.Umso grö-
ßer aber wurde derRuhm der Martins bei
Expertenrund um dieganze Welt.
Heutekann man Bruce Martin in Ana-
logiezur höchstenjapanischen Ehrung für
Künstler als lebendenNationalschatz sei-
nes Landes bezeichnen.Nach Est ellesTod
hat er dasTöpfer naufgegeben, und anders
als nochvor sieben Jahren sind auchseine
Verkaufsvorräte fast erschöpft.Das, was
nochvorhanden,wenn auchnicht mehr zu
kaufen ist, sind die schönstenStücke,die
nachEinrichtung des Museums hierge-
zeigtwerden sollen.Undseine Kinderund
Enkel haben sichschon daraufgeeinigt,
die Gebäude und das Grundstücküber die
LebensdauervonBruce Martin hinaus so
zu erhalten, wie sie sind. Das,wasman
bald amStadtrandvonHastings besichti-
genkönnen wird, istnoch mehr als ein
neuseeländischer Nationalschatz.Esist
Weltkulturerbe derTöpfer kunst.
Erweiß
zuwarten
Ein selbstschon meisterlicherRahmen für das Leben eines Töpfermeister-Paars: Das 1970gebauteWohnhausvonEstelle und Bruce Martin Fotos Andreas Platthaus
Bruce Martinvoreinigen seiner Arbeiten imgegenwärtigen Schauraum desStudios Leergekauft:Das Angebot imWerkstattgebäude umfasstkaum nochObjekte.
Zu BesuchbeimTöpfer Bruce Martin,
einem neuseeländischenNationalschatz.
VonAndreas Platthaus, Hastings