FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MONTAG,6.APRIL 2020 ·NR.82·SEITE 3
D
as kleine Krankenhaus liegtet-
wasaußerhalb der Ortsmitte,
genau zwischen den Bahnglei-
sen und derAutobahn. Öhrin-
genhat knapp 25 000 Einwohner,der Ort
istmitten im Hohenlohekreis imNorden
Baden-Württembergs. Anfang Märzwur-
de dortder ersteCorona-Fallgemeldet,
eineFrau hattesichimItalien-Urlaub an-
gesteckt .Inzwischen gibt es nirgendwo
sonstimSüdwestensoviele Infizierte wie
dort, der Kreis meldete zuletzt 454 Betrof-
fene pro 100 000 Einwohner–inder Lan-
deshauptstadt Stuttgartwaren es nur 135;
Karlsruhe meldete nur 84. Das Hohenlo-
her Krankenhaus istein vergleichsweise
kleines Haus, das Hauptgebäude istnur
dreiStockwerke hoch, 205 Betten insge-
samt, davonsieben auf der Intensivstati-
on –und gerade die sindgerade sehr be-
gehrt. Zuletzt hat das Krankenhaus23Co-
vid-19-Patienten und 13 Verdachtsfälle
parallel behandelt, viervonihnen auf der
Intensivstation, drei am Beatmungsgerät.
Um noch mehrPatienten betreuen zukön-
nen, wurde schon einNebenraum des
Operationssaals umgebaut, das ergab
nocheinmal fünf Betten mit Beatmungs-
geräten. „Überallwerden Kapazitätenge-
braucht“, sagt Melanie Junge, diekauf-
männische Leiterin des Krankenhauses.
„Der Hohenlohekreis istrelativstarkvon
Corona betroffen.“ Bei der Grundversor-
gung seien die kleinen Krankenhäuser
wichtig, und auchschwerere Fälle der
Lungenkrankheitkönne man behandeln.
Medizinischkommen die ÄrzteinÖhrin-
generstandie Grenze,wenn ein Schwer-
kranker an die Herz-Lungen-Maschine an-
geschlossenwerden muss–das geht nur
in Heilbronn,etwa 30 Kilometerentfernt.
Geschäftsführerin Jungeist sichsicher:
„Die kleinen Krankenhäuser leistengera-
de eine wichtigeAufgabe–vor allem
auchfür dieVersorgungder nicht intensiv-
pflichtigen Covid-19-Patienten.“
Die Corona-Pandemie platztmitten in
eine Debatteüber die deutsche Kranken-
hauslandschaft, die in denvergangenen
Jahren immer wieder hochgekocht ist. Da-
bei geht es um dieFrage, ob es hierzulan-
de nicht zu viele kleine Krankenhäuser
gibt und es klügerwäre,die Ressourcen in
größerenZentren zu bündeln–sowie in
den meisten anderenLändernauch. Die
deutscheKliniklandschaftist in dieserHin-
sicht eine Ausnahme. Imvergangenen
Jahr spitztedie Bertelsmann-Stiftung die-
se Debattezuund rech nete selbstbewusst
vor, dasseine „bessereVerso rgung“ mit
halb so vielen Kliniken möglichsei. Wenn
es um die Behandlungvon Herzinfarkten
und Schlaganfällengeht, so dieAutoren
der Studie,würdenweniger als 600statt
der bisherigen 1400 Krankenhäuser ausrei-
chen. Undüberhauptsollten Krankenhäu-
ser „im absoluten Minimum“ 200 Betten
haben–ein Haus wie das in Öhringen
wäre damitgerade soexistenzberechtigt.
Kaum dassdie Studie öffentlichwar,
empörte sichdie Deutsche Krankenhaus-
gesellschaft(DKG). DieStiftung propa-
gieredamit die „Zerstörungvonsozialer
Infrastruktur in einemgeradezu abenteu-
erlichenAusmaß“, hieß esvonden Klini-
ken. Umso mehr bemühen sichdie Inter-
essenvertreterder Krankenhäuser nun,
am Beispiel der Corona-Epidemie zuver-
deutlichen, wie sehr Deutschland auf sei-
ne Krankenhäuser angewiesen ist–auch
und gerade auf die kleinen. „Die derzeiti-
ge Krise zeigt, wieexistentiell dievorhan-
denen Kapazitäten im Krankenhausbe-
reich sind“, sagteGerald Gaß, Präsident
der DKG, dieserZeitung.„Auchdie klei-
neren Häuser leisteneinen maßgeblichen
Anteil an derVersorgungvonCorona-Pa-
tienten, dennrund dreiViertelder Co-
vid-19-Patientenwerden außerhalb der
Intensivstationenversorgt.“Zugleichmel-
dete die DKG, dassdie Kliniken dieZahl
der Intensivbetten mit Beatmungsgeräten
vonursprünglich20000 auf nunmehr
40 000verdoppelt hätten; bis zuletztwar
vonlediglich30000 dieRede. LotharWie-
ler,der Präsident desRobert-Koch-Insti-
tuts, äußertsichzufrieden darüber,dass
die Zahl der Intensivbetten sostarker-
höhtworden sei. Er sei sichaber nachwie
vornicht sicher,obdie Kapazitäten aus-
reichten, sagteer. „Ichpersönlichhabe
die Einschätzung, dasssie nichtreichen.“
W
elchen Beitrag die kleinen
Krankenhäuser bei derVer-
sorgungvonschwerkranken
Covid-19-Patienten leisten
können, lässt sichrechtgenau beziffern,
obwohl dieverfügbarenStatistiken schon
etwasälter sind; dieZahlenstammenvon
2017.Nach Angaben des Statistischen
Bundesamts entfallen 14 Prozent aller
Betten auf den Intensivstationen auf jene
840 Krankenhäuser,die je weils weniger
als 200 Betten haben und darum nach
Auffassung der Bertelsmann-Stiftungge-
schlossengehören. Das entspricht insge-
samtetwasmehr als 3800 Intensivbetten,
vondenenetwa dreiViertel, also knapp
2900, über ein Beatmungsgerätverfügen
müssten. InZeiten, in denen die Kliniken
in ihrerNotungenutzte Gerätehervorho-
len und leerstehende Operationssäle zu
Intensivstationen umbauen,kann diese
Ressource enormhilfreichsein. Hinzu
kommt, dassdie Intensivstationen der
kleinen Krankenhäuser im Mittel deut-
lichweniger ausgelastetsind als die der
großen Maximalversorger–die Auslas-
tung der Intensivbetten steigt nämlich
laut Statistischem Bundesamt mit zuneh-
mender Größe des Krankenhauses. Im
Durchschnittwarendie Intensivstationen
zu knapp 79 Prozent ausgelastet, in sehr
großen Häusernmit 800 Betten und mehr
lag derAuslastungsgradjedochbereits
bei etwa83 Prozent.Umgekehrtwar in
kleinen Krankenhäusernmit höchstens
50 Betten im Mittel nicht einmal jedes
zweiteIntensivbett belegt, bei Häusern
der Größe zwischen 100 und 150 Betten
lag die Quote bei zwei Dritteln.
„Wir können momentan über jedes In-
tensivbett im Kreiskrankenhaus froh
sein“, sagt UweJanssens. Er istChefarzt
der Klinik für InnereMedizin und Inter-
nistische Intensivmedizin imSt.-Antoni-
us-Hospital in Eschweiler,einem Kran-
kenhaus mit knapp 400 Betten in der
Nähe vonAachen, und Präsident der
Deutschen interdisziplinären Vereini-
gung für Intensiv-und Notfallmedizin
(Divi).„AuchkleinereHäuser nehmen
an derVersorgungder Patienten teil.
Wenn diewegfallen würden, hätten die
größerenZentren auf einmalmehr Pa-
tienten, die sie irgendwann nicht mehr
bewältigenkönnten.“
Die Divikommt ins Spiel,wenn es um
die ganz aktuellenWertegeht;sie führt
zusammen mit demRobert-Koch-Institut
ein speziellesRegister, in dem freie Inten-
sivbetten aufgeführtsind. Dortkönnen
Krankenhausärzteeinsehen,wer aktuell
nochschwerkrankeCovid-19-Patienten
aufnehmenkann. AmFreitagabend mel-
deten 1119 angeschlossene Krankenhäu-
ser bundesweit 23 420 Intensivbetten,
vondenen 10 074 freiwaren. „Das sind
mehr freie Betten, als es inganz Italien
überhaupt gibt“, sagt Janssens. Zudem
meldeten dieStationen, dassbis zum dar-
auffolgendenTagvoraussichtlichweitere
knapp 9600 Betten freiwerden, etwa weil
frisc hOperierte,denen es bessergeht, ab-
sehbar wieder auf dieNormalstationver-
legt werden können. EtwadreiViertelal-
lerIntensivbettenverfügen überein Beat-
mungsgerät und eignen sichdaher für Co-
vid-19-Patienten.Nach Angaben desRe-
gisterswurden amFreitagabend bundes-
weit 2680vonihnen intensivmedizinisch
behandelt, die meisten–genau 2215–be-
nötigtenUnterstützung beimAtmen. Bin-
nen einesTageskamen knapp 200Patien-
tenhinzu, die auf ein Bett mit Beat-
mungsgerät angewiesenwaren. Auchin
der IntensivstationinEschweiler,die
Janssens leitet,könnteman nochfünf zu-
sätzliche Plätze schaffen. „Aber wir be-
kommenkeine Monitoreund keine Beat-
mungsgeräte“, sagt er.Kein Hersteller
könnekurzfristig liefern. DieNachfrage
weltweit istriesig.
I
nder Corona-Krise spricht vieles
dafür,dassdie deutschen Patienten
vonder hohen Dichte an Kranken-
häusern und Intensivbetten enorm
profitieren–die Sterblichkeitsrate
lagzuletzt bei 1,3 Prozent.Auf 100 000
Einwohnerkommen hierzulande33,9In-
tensivbetten, dasist mehr als in denmeis-
tenanderenLändern auf derWelt.Den
umfassendsteninternationalenVergleich
hatkürzli ch die Organisation fürwirt-
schaftlicheZusammenarbeitund Entwick-
lung (OSZE)vorgelegt:ImDurchschnitt
der zehn untersuchten Länder standen
15,9Intensivbetten je 100 000 Einwohner
zur Verfügung, alsonicht einmalhalb so
viele wieinDeutschland. Danachfolgt
Österreich mit28,9Betten, Frankreichlag
mit 16,3etwas abgeschlagen, aberimmer
nochüberdem Durchschnitt. In Spanien
und Italien,wo dieKrankenhäuserunter
dem Ansturmder Corona-Patiententeil-
weise im Chaosversunkensind,gibt es nur
9,7 beziehungsweise8,6 Betten, entspre-
chendhochwar dort dieSterblichkeit;sie
lag beineun beziehungsweise zwölfPro-
zent. Noch schlechterschnitten,wasdie
Ausstattung mit Intensivbetten betrifft,
nur Dänemarkmit 7, 8und Irlandmit fünf
Betten ab. „Jederist geradeneidischauf
Deutschland“,sagtder Intensivmediziner
Janssens. Dasgelteauchfür dieVereinig-
tenStaaten, die laut derOSZE-Studie mit
25,8 Intensivbettenpro 100 000Einwoh-
ner vergleichsweise gut dastehen. „Diese
Betten sind für vielePatientenabergar
nicht zugänglich.“Viele Amerikaner sind
nicht odernur unzureichend krankenversi-
chertund müssten dieBehandlung privat
bezahlen.„Wennmandaein paarTage
beatmet wird,kostet das so viel wieein
kleines Einfamilienhaus.“ Daskönnte ein
Faktor dafür sein, dassdie Sterblichkeitsra-
te nacheiner Corona-Infektionmit knapp
2,5 Prozent in Amerika zuletzt deutlichhö-
her lag als in Deutschland.
Dassdie deutschen Krankenhäuserihre
Intensivkapazitäten in denvergangenen
Jahren so starkausgebauthaben, istfür
den Divi-Präsidenten zwar erfreulich,
aber auchdas Ergebnis eines aus seiner
Sicht falschenfinanziellenAnreizes im
Gesundheitssystem. „Intensivbehandlun-
gensind für die Krankenhäuser in den letz-
tenJahren zunehmend lukrativ gewor-
den“, sagt Janssens.Wenn ein Patient dort
besondersaufwendig beatmetund an eine
Herz-Lungen-Maschine angeschlossen
werden muss,kann das mehreretausend
Europro Tagkosten. PrivateKrankenhaus-
ketten würden nochmehr als andereauf
die Wirtschaftlichkeit ihrer Häuser achten
undhätten daher ein Interesse daran, mög-
lichs tviele Patienten intensivmedizinisch
zu betreuen, sagt Janssens. „Die Kliniken
bringen gute medizinische Leistungen,
aber sie sindstarkanihrer Marke orien-
tiertund bedienen Bereiche,die ihnen
guteErlöse versprechen.“ Dies sei eine
„unheilvolle Verschiebung“ in der Medi-
zin, diewegvom Patienten führe.Nach
Angaben des Statistischen Bundesamts
entfallen bundesweit mehr als 5200 Inten-
sivplätze auf privateKliniken, das ent-
spricht einem Anteilvonetwa19Prozent.
Demgegenüber behandelten privateKran-
kenhäuser 17 Prozent allerPatienten.
Die Bertelsmann-Stiftung verwahrt
sichgegen die Deutung, dassdie Corona-
Pandemie die Ergebnisse ihrer Studie
vomvergangenen Sommerkonter kariere.
Gerade müssten „sehr spezielle Behand-
lungsplätze mit Beatmungsgeräten in un-
vorhersehbarer Größenordnung aufge-
bautwerden, die imRegelbetriebweder
benötigt werden nochbetreut werden
könnten“,teiltedie Stiftung mit.„Unser
Vorschlag beinhaltet daher keineswegs
die Reduzierung vonIntensivbetten.“
Vielmehr untermauereder Corona-Aus-
bruc hdie imvergangenen Jahrvertretene
Haltung, dassdie KlinikenihreKräftebes-
ser bündeln müssten. „Gerade in außerge-
wöhnlichen Belastungssituationen wie
jetztkönnen wir es uns nicht leisten, die
knappenRessourcen auf viele Kliniken so
aufzuteilen, dassFachabteilungen nur un-
zureichend einsatzfähig sind.“
Manchmal erkennen die ContactTracer
erst im Nachhinein,welchesTeil in dem
Puzzlegefehlt hatte.WieimMärz, als
sicheine VielzahlvonInfektionen plötz-
lichauf einegemeinsame Quelle zurück-
führen ließ. MitteFebruar hattesicheine
große GruppevonSingapurernineinem
Gemeindezentrum zumAbendessen zu-
sammengefunden. Eswareine verspätete
Feier zumchinesischenNeujahrsfest. Die
TeilnehmerwarenMitglieder in einem
Chor,der Lieder in dem traditionellen
südchinesischen Hokkien-Dialekt singt,
den viele Singapurerchinesischer Her-
kunftsprechen.Wiesichherausstellte,
waraus diesemAbendessen dergrößte
Herdvon Coronavirus-Erkrankungen in
demStadtstaat hervorgegangen. Dutzen-
de Anwesende hatten sichanges tecktund
das Virusweiter getragen.
Es hatte einiges an Detektivarbeitge-
braucht, bis diegemeinsame Quelle in ei-
nem Ballsaal des „Safra Jurong“genann-
tenGemeindezentrums gefundenwar.Die
Contact Tracer mussten nun nachweite-
renFällen suchen, die imZusammenhang
mit diesemClusterstanden. „Die Informa-
tionüberSafraJurongkameinige Tage
später. Also befragten wir einigeunserer
Patienten nocheinmal“,erzählt Concei-
cao Edwin Philip.„Undnun erinnertensie
sichandieseVeranstaltung.“ Philip arbei-
tetals Kontaktdetektiv für das Singapore
General Hospital, dasgrößteund älteste
Krankenhausdes Stadtstaats.Unddetekti-
visch istseine Arbeitwirklich: „Denn um
ehrlichzusein: Niemand erinnertsichan
alles,waserinden vergangenen 14Tagen
gemacht hat“, sagt er.
Menschen wie der 31 JahrealtePhilip
stehen anvorderster Front imKampfdes
Stadtstaats gegendie Seuche, seitdem
dortam23. Januar ein 66 Jahrealter Chi-
nese ausWuhan als Erster positiv auf das
Virusgetestetwordenwar. Obwohl Singa-
pur anfänglichdas Land mit der zweit-
höchstenFallzahl nachChinawar, gelang
es ihmbesser als anderen,das Viruseinzu-
dämmen. Erst kürzlich, mehr als drei Mo-
natespäter,wurde die Schwellevon
nachgewiesenen Infektionen überschrit-
ten. Singapur hat dabei auchaus der Er-
fahrung mit der Sars-Krisegelernt.Inden
17 Jahren seither hat das Land viel inves-
tiert, die medizinische Infrastruktur aus-
gebaut, Quarantäneeinrichtungenvorbe-
reitet,Pläne entwickelt und rechtliche
Rahmenbedingungengeschaffen.
Den Grund für den Erfolg sehenFach-
leuteaber vorallem in dem Ansatz, Infek-
tionen undVerdachtsfälle möglichstfrüh
zu identifizieren und unter Quarantäne
zu stellen. Jeder,der Kontakt zu einem
nachgewiesenenFall hatte, wirdinhäus-
liche Isolationgeschickt.Wer unter der
besondersstrengen „Quarantine Order“
steht, mussmit dem Handy seinenStand-
ortübermitteln oder wirdbis zu dreimal
proTag perVideoanrufgeprüft. A uchmit
Hausbesuchen überprüfen die Behörden,
ob dieVorschriften eingehaltenwerden.
Bis Ende Märzhatten laut derRegierung
38 000 Menschen eine „StayatHomeNo-
tice“ erhalten.Verstöße gegendiese Auf-
lagenwerden mit 10 000 DollarStrafe,
sechs Monaten Gefängnis oderbeidem be-
straft.Manche haben schon ihreAufent-
haltsgenehmigungverloren, nachdem ih-
nenFalschangaben über ihreAuslands-
aufenthaltenachg ewiesen wurden.
Jedes Mittagessen wirdabgefragt
Dafür sind HunderteMenschentäglic hda-
mitbeschäftigt, in detektivischerKlein-
arbeitdie Kontaktezufinden. Conceicao
EdwinPhilip sArbeitsplatz liegtimErd-
geschosseine sder Krankenhausgebäude.
Am Eingang befindet sichgleic hrechts
hinter Glasscheiben einervondreiInter-
viewräumen,indenen diePatienten nach
ihrenKontakten befragtwerden. Dort
tippteineKrankenhausmitarbeiteringera-
de Informationen in einen Computer.Ne-
ben ihr habenzweijungeFrauen Platzge-
nommen. AlledreitragenMundschutz.
Weiter hintengehtesineinenfensterlosen
Raum, der den zwanzigContactTracern,
die am SingaporeGeneral Hospitalbe-
schäftigtsind, als Bürodient.Sie sitzen im
gebotenen Abstand zueinander hinterBild-
schirmen. Einigesehen blassaus, haben
Kaffeebecher neben sichauf demTischste-
hen. SeitWochen arbeitensie ununterbro-
chen, manchmalbis in die Nacht hinein.
IhreAufträgebekommen die Contact
TracerdirektvomLabor.Sobald derTest
eines Krankenhauspatienten positiv aus-
fällt,beginnen Philip und seineKollegen
mitder Arbeit. Sie müssen herausfinden,
wasder Patient in denzweiWochen, bevor
die Symptome einsetzten, gemacht und
wenergetroffen hat. Aufdiese Weisesoll
zunächstdie mögliche Quelle derAnste-
ckung identifiziert werden. Im zweiten
Schrittwerden alle Aktivitäten und sozia-
len Kontakteseit dem Einsetzen derSym-
ptomegeprüft,ummit diesen Informatio-
nen dieRisikofällezufinden.Um das alles
zusammenzutragen, hat Philip nur zwei
StundenZeit.Esist ein Rennengegendie
Uhr,dajeder unerkannteFall weiter eAn-
steckungen nach sich ziehenkann. Soweit
die Patienten nicht schon im Krankenhaus
sind,ruft er sie schon auf demWegdort-
hin an. „Es istvor allemviel Fragerei“,sagt
der Mann, der früher schon bei Masernaus-
brüchen und anderen Ansteckungswellen
als Contact Tracergearbeitethat.
Zusammen mit denPatientenversucht
Philip, ihreTagesabläufenachzuvollzie-
hen.Wassie getanhaben,nachdem sie
aufgestandensind,welcherRoutine sie
am Morgengefolgt sind,wassie amNach-
mittag undAbend gemacht haben.Wenn
es etwa um das Mittagessengeht, fragt er,
in welchemRestaurant derPatientwar
und wieweit derAbstand zu den anderen
Gästenwar. Um ihreErinnerungen aufzu-
frischen, bittetersie, ihreHandyszukon-
sultieren. „Darauf befindetsichimPrinzip
alles,wasman braucht“, sagt Philip. Ob
Google Maps, Whatsapp oder E-Mail-Kon-
ten, viele Apps speichernInformationen,
die bei der Zusammenstellungeinesmög-
lichs tlückenlosen Aktivitätenablaufshilf-
reichsind. Der ContactTracer lässt sich
zudemBildschirmfotos, Quittungen, Ex-
cel-Tabellen und Wochenplänezuschi-
cken. „Und natürlichfragensie auchihre
Ehepartner.Die sind auchsoeine ArtTa-
gebuchfür sie“, sagt Philip.
Am Ende hat er eine Liste,auf der die
Aktivitäten derPatienten möglichstauf
die Minutegenauverzeichnetsind. Diese
„Activity Map“ gibt Philipweiter an das
Gesundheitsministerium. Das beschäftigt
140 Personen, die in Schichten zum Con-
tact Tracing eingesetztwerden. Sierufen
die Kontaktean, um die Angaben zu prü-
fenund weiter eDetails zu sammeln. Sie
können auchÜberwachungsvideos aus-
werten. Das Ziel istes, innerhalbvonnur
24 Stunden ein möglichstkomplettes Bild
vonden Aktivitäten undKontakten eines
Patienten zu bekommen. Dabeikommt
den Stadtstaat zugute, dassdie Überwa-
chung auchinnormalenZeiten hochist.
Es gibt im ordnungsliebenden Singapur
kaum einen öffentlichen Ort, der nicht
vonKameras überwachtwird.
Darüber hinauswirddas Ministerium
voneinemTeam der Kriminalpolizei und
dem Militär unterstützt.Mehr als 1300 Mi-
litärangehörige helfenunter anderemda-
bei, tägl ichdie Quarantänepatienten anzu-
rufen. DieZahl der 5,6 Millionen Einwoh-
ner,die schon angerufenworden sind, hat
mittlerweile ein erhebliches Ausmaßer-
reicht .Zuihnengehörtder 33 Jahrealte
Matt Chalmers. Der Schottebefand sich
gerade auf dem Golfplatz, als er merkte,
dassermehrereverpassteAnruf eauf sei-
nem Handy hatte. Als er zurückrief, mel-
dete sichdas Gesundheitsministerium. Zu
demZeitpunkt dachteersichschon, dass
der Anrufetwasmit demViruszutun ha-
benkönnte. „Siefragten, ob ichandem be-
tref fendenTagimFitnessstudiogewesen
sei“, berichteter.
Täglichruftdas Ministerium an
DieFrauamTelefon sagte, an demTagsei
aucheinePerson in demFitnessstudioge-
wesen, diepositi vgetestetwurde .Der
SchocküberdieseNachricht hielt sich bei
ChalmersinGrenzen.Erwar si ch einiger-
maßensiche r, dassermit niemandemin
demStudi oinengerenKontak tgekommen
war. Der Golflehrerhatteaußerdemkeine
Symptome. „Siefragte mich, wie ichmich
fühlte.,Fühlen Sie sichheiß an?Schwitzen
Sie?‘ DieFragewar auf ihreArt auchlus-
tig, weil ic hgerade seit drei bis vierStun-
deninder Hitze aufdem Golfplatzgestan-
denhatte“, sagt Chalmers. Trotzfehlender
Symptome riefen Mitarbeiter des Ministeri-
ums übereinenZeitraumvonzehn Tagen
jede nTag an,umsichnachseinem Ge-
sundheitszustand zu erkundigen.
Dabei zeigt sichinder Krise,dassdie
Menschen in Singapur einhohesVertrau-
en in dieRegierung haben und bereit sind,
derenVorgabenFolgezuleisten. Hinter
vorgehaltener Handäußernmancheaber
auchUnzufriedenheitüberdie Härte,mit
derSingapurseine Maßnahmen durch-
setzt .Denndiesewerden oftvon erhebli-
cher Einschränkung persönlicherFreihei-
tenbegleitet. Immerhin bemühtsichder
Staat, es den Menschen in derQuarantäne
außerhalbdes Hauses angenehm zu ma-
chen. SowerdensingapurischeRückke h-
reraus Amerika, Großbritannien,Frank-
reich, Indien, der Schweiz und Südostasien
mittlerweileauf Staatskosten in Hotels un-
tergebracht. Dreimaltäglich werdensie
mitEssen versorgt, das an dieTürklinke
desHotelzimmersgehängt wird.
Ohne die Maßnahmen hätteder Stadt-
staat wohl Tausendezusätzliche Fälle.Be-
sondersbeim ContactTracing hat Singa-
pur nachAnsicht vielerFachleuteden
„Goldstandard“ erreicht .SingapursEin-
dämmungsstrategie hat auchdazu ge-
führt, dassdas Leben eineZeit lang eini-
germaßen normalweiterlief. Selbstdie
meistenSchulen blieben bishergeöffnet.
Dochnun stößt auchinSingapur die Ein-
dämmungsstrategie an ihreGrenzen. In-
nerhalb eines Monats istdie Zahl der In-
fektionenvon100 auf 1000gesprungen.
Mittlerweile gibt es beifast der Hälfte der
Infektionenkeine Verbindungen zu ande-
rennachgewiesenenFällen.Ausdiesem
Grund verschärft auchSingapur seine
Maßnahmen. Schulen und Hochschulen
werden vonMittwoch ankomplett auf
E-Learning umgestellt.Nur essentielle
Dienste wie Supermärkte, Banken und
Kliniken bleiben offen. Die Bevölkerung
soll zu Hause bleiben.
Auch die Arbeit der ContactTracer ist
mit der ZunahmeanInfektionen schwieri-
gergeworden.Aus diesem Grund hat ein
Regierungsunternehmen eine App entwi-
ckelt, die freiwilligauf dem Handy instal-
liertwerdenkann. PerBluetoothregis-
trier tsie, wersichzuwelchemZeitpunkt
für welche Dauer und inwelchemAb-
stand zu anderenNutzernder App auf-
hält.Diese Datenwerden verschlüsselt
auf dem Handygespeichertund können
abgerufenwerden, wenn sicheiner der
Nutzer mit dem Coronavirus infiziert. Da-
tenschützernbereit et diese App Sorge,
dochdie Arbeit der ContactTracer macht
sie einfacher.Denn jeder habeLücken in
seinem Gedächtnis, sagt Philip.Viele erin-
nerten sichinsbesonderenicht mehr an
die letzten Momente, bevorsie ins Kran-
kenhausgekommen sind. „Ich denke, in
diesemZustand befindetsichjeder einwe-
nig in einemPanik-Modus. Dadurch verne-
belt sichauchdie Erinnerung.“
Gefragt wie nie: Freie Betten wie dieses auf der Intensivstation des Corona-Zentrums im Marienhospital in Arnsberg Fotodpa
Gerade noch hießes, jedeszweiteKrankenhaussei überflüssig.Inder
Corona-Krise wird nunumjedes Intensivbettgerungen.Verändertdie Epidemie
die Sicht aufdie Kreiskrankenhäuser? VonKim BjörnBecker
Aufder Jagdnachder Infektionskette
In detektivischerKleinarbeit suchen SingapursContact Tracer nach Kontaktpersonen, die sichanges teckthabenkönnten / VonTill Fähnders, Singapur
Die Stunde der Kleinen