Süddeutsche Zeitung - 06.04.2020

(Nora) #1
interview: caspar busse
und laura hertreiter

E


r ist einer der bekanntesten deut-
schen Medienmanager: Seit 30 Jah-
ren ist Fred Kogel, 59, im Geschäft.
Er hat für den Hörfunk, das ZDF und Sat 1
gearbeitet, mit Bernd Eichinger, Leo Kirch
und Harald Schmidt. Jetzt baut er in Mün-
chen für den Finanzinvestor KKR das Medi-
enunternehmen Leonine auf und will da-
mit alles anders machen als bisher. Doch
erst mal ist da die Corona-Krise.


SZ: Herr Kogel, TV-Produktionen werden
verschoben, der Start von Kinofilmen
auch, Medienfirmen geraten in wirtschaft-
liche Probleme. Was heißt das für Sie?
Fred Kogel: Die gesamte Branche steht vor
ihrer größten Herausforderung. Die aktuel-
le Entwicklung betrifft die deutsche und in-
ternationale Produktions- und Distributi-
ons-Wirtschaft gleichermaßen. Die Kinos
sind geschlossen und TV- und Kinoproduk-
tionen sind gestoppt. Es gibt keine Hand-
lungsmuster und wir definieren das Tun
täglich neu. Die Gesundheit unserer Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter steht natür-
lich an erster Stelle und die meisten von ih-
nen arbeiten aus dem Mobile-Office.
Was heißt das für Leonine?
Leonine hat ein sehr starkes Team, dazu
herausragende Produkte und wir werden
diese Krise meistern. Dazu trägt unser di-
versifiziertes Geschäftsmodell aus Produk-
tion, Distribution und Lizenzhandel bei.
Im Mittelpunkt unseres Handelns steht so-
lidarisches Verhalten gegenüber Partnern
und der Branche. Die Informationsforma-
te der i&u TV sind stark gefragt. Hier pro-
duzieren und berichten wir live aus Stu-
dios und direkt aus den Corona-Risikoge-
bieten und leisten damit einen wichtigen
Beitrag zur Informationslage der gesam-
ten Bevölkerung. Das muss aufrechterhal-
ten werden.


Was sollte passieren?
Wir begrüßen das Hilfspaket des Bundesfi-
nanz- und Bundeswirtschaftsministeri-
ums und die kommunizierten Sofortmaß-
nahmen der Beauftragten der Bundesregie-
rung für Kultur und Medien, sowie regiona-
le Vorhaben und Unterstützungsmaßnah-
men. Es ist vor allem wichtig, branchenspe-
zifische Lösungen zu finden, da sich unse-
re Branche teilweise deutlich von anderen
unterscheidet und die staatlichen Hilfspro-
gramme hier keine ausreichenden Lösun-
gen liefern. Auch die bisherigen Zusagen
der Sender sind von großer Solidarität ge-
prägt. Dies alles, vor allem in der Kombina-
tion mit beantragtem Kurzarbeitergeld für
ruhende Produktionen, wird helfen. Die
wirtschaftlichen Folgen für die Branche
sind massiv und werden sich vor allem da-
nach richten, ab wann die Kinos wieder öff-
nen, die Produktionen fortgesetzt werden
und in welchem Umfang die Wirtschaft
weiter TV-Spots bucht.


Und wie kann man den Kreativen helfen,
die oft auf eigene Rechnung arbeiten?
Ich kann nur dem dringenden Appell der
Kulturstaatsministerin Monika Grütters
beipflichten, die erklärt hat, dass die Kul-
tur-, Kreativ- und Medienwirtschaft umge-
hend gestützt werden muss. Wir bleiben
mit allen Kreativen in ständigem Dialog
und arbeiten auch aktuell zusammen.
Grundsätzlich gilt aber, was für die gesam-
te Wirtschaft gilt: Wir helfen am besten,
wenn wir schnell wieder unser Geschäft oh-
ne Beschränkungen aufnehmen können.
Auch die Kinos sind geschlossen. Was
heißt das für den ohnehin schwierigen Ki-
nomarkt?
Auch hier begrüßen wir ausdrücklich die
kommunizierten Hilfsmaßnahmen. Wir
werden unsere Filme in die Kinos bringen
und stehen zu unseren Partnern, den Kino-
betreibern. Die Filme direkt über Strea-
mingdienste auszuwerten, kann in der ak-
tuellen Lage nur eine Einzelfall-Lösung
sein, um Filme überhaupt zum Konsumen-
ten zu bringen und die Ballung der Filme,


die nach der Krise in die Kinos drängen, zu
vermeiden. Wer Kinofilme will, braucht
das Kino. Das muss jedem klar sein.

Sie bauen mit Leonine gerade eine ganz
neue Medienfirma. Warum tun Sie sich ei-
gentlich ein solches Projekt noch mal an?
Die aktuelle Entwicklung auf dem Medien-
markt fasziniert mich einfach, das erin-
nert mich an den Start des privaten Radios
und Fernsehens in den 80er-Jahren, da
war ich Mitte 20 und auch schon aktiv. Heu-
te ist es noch spannender, es gibt neue An-
bieter, neue Technologien. Das motiviert
mich. Außerdem fühle ich mich nicht al-
tersgerecht, ich bin intrinsisch motiviert.
Sie fühlen sich also jünger, als Sie sind.
Ich habe mir nie die Frage nach dem Alter
gestellt. Bei mir geht es um das Umfeld
und die unternehmerische Herausforde-
rung. Ich fühle mich hier als Unternehmer,
mehr als je zuvor.
Inwelchen Bereichen wollen Sie als Unter-
nehmer Leonine jetzt ausbauen?
Wir haben unsere Grundaufstellung per-
fekt zusammen. In den ersten Monaten
wurde die Gruppe neu aufgestellt: Produk-
tion mit Kino, Fernsehen, Unterhaltung, In-
fotainment und sozialen Medien sowie Ver-
trieb, inklusive der Fernsehsender, und Li-
zenzhandel mit unserer großen Filmbiblio-
thek. Im Dezember werden wir mit 380
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen
gemeinsamen Standort in München bezie-
hen. Dazu kommen i&u in Köln, Tele 5 in

Grünwald und Odeon-Standorte in Berlin,
Wiesbaden und Wien. Wir wollen jetzt orga-
nisch, also aus eigener Kraft, wachsen.
Sind keine weiteren Zukäufe geplant?
Wir überprüfen die Lage laufend, und
wenn es eine Gelegenheit gibt, eine gute
Firma oder einen interessanten Inhalt, wer-
den wir uns das natürlich anschauen. Das
Haus ist fertig gebaut, wir richten es gera-
de ein. Die Tür für Talente steht weit offen.
Vielleicht denken wir in absehbarer Zeit
über die deutschen Grenzen hinaus.

Serien sind besonders in Mode. Glauben
Sie, die wird bald wieder zu Ende sein?
Serien werden immer einen sehr großen
Anteil haben, ob im Fernsehen oder bei
Streamingdiensten. Trotzdem: Bei Netflix
in den USA war zuletzt eine Datingshow,
„Love is blind“, die erfolgreichste Sen-
dung. Das heißt: Non-Fiction und Doku-
mentationen punkten, auch bei den Strea-
mingdiensten.
Sind Sie selbst an Leonine beteiligt?
Ich habe für meine Verhältnisse hoch in
das Unternehmen investiert. Ich bin also
genügend motiviert und will, dass es dem
Unternehmen gut geht. Das gesamte Top-
Management ist ebenfalls investiert, aber
KKR ist natürlich der absolute Mehrheits-
eigner dieses Unternehmens.
Heißt das, Sie haben Millionen reinge-
steckt?
Da müssen Sie wissen, was Sie mir zutrau-
en. Es ist auf jeden Fall ein Betrag, der be-

legt, dass ich es ernst meine, in jeglicher
Hinsicht. Jedes Top-Management sollte
meiner Meinung nach – den jeweiligen
Möglichkeiten entsprechend – in Unter-
nehmen, die es führt, investiert sein.
Machen Sie denn jetzt Gewinn?
Glauben Sie mir, wir lieben unser Ge-
schäft, sind aber nicht angetreten, um hier
ein Hobby zu betreiben. Das können sie kei-
nem Gesellschafter erklären. Natürlich
muss Geld verdient werden. Gehen Sie da-
von aus, dass wir ein profitables Unterneh-
men sind. Mit unserer guten Finanzaus-
stattung sind wir auch für unsere Bank-
partner attraktiv.
Welche Rolle soll Leonine künftig spielen?
Unser Anspruch ist, die Veränderungen in
der Branche aktiv mitzugestalten. Diese
sind für uns eine Chance und keine Bedro-
hung. Ich komme vom Inhalt, immer vom
einzelnen Programm, und versuche dieses
kreativ und wirtschaftlich möglich zu ma-
chen. Wir sind ein großes Start-up, wir be-
geistern viele Kreative, die bei uns ihre
Ideen realisieren können.
All das wird möglich durch den Finanzin-
vestor KKR. Ist der auf Sie zugekommen?
Ich kenne seit sehr vielen Jahren die KKR-
Europa-Chefs Johannes Huth und Philipp
Freise. Sie sind ausgewiesene Kenner auch
der deutschen Medienbranche. Als Anfang
2018 unsere Idee geboren wurde, ein Unter-
nehmen für die digitale Zeit zu gründen,
das aus München und Deutschland heraus
alle Inhalte anbietet und vertreibt, vom Ki-

nofilm über TV-Serien und Unterhaltungs-
shows bis zu Infotainment, haben wir das
gemeinsam sehr strategisch und konse-
quent verfolgt. Das nahm dann schnell sei-
nen Lauf.
Wie schnell?
Im März oder April 2018, haben wir uns auf
die Namen der Firmen verständigt, die gut
zu unserer Idee und zu unserem Konzept
passen. Dann haben wir lange verhandelt.
Am Ende sind es genau diese Unterneh-
men geworden. Von entscheidender Bedeu-
tung war für mich von Anfang an, mein jet-
ziges Team zusammenzubekommen.
Bei Pro Sieben Sat 1 sehen viele das Enga-
gement von KKR dort im Nachhinein kri-
tisch. Einige sagen, das Unternehmen sei
kaputtgespart worden.
Ich kann das nicht beurteilen, weil ich
nicht mehr bei Pro Sieben Sat1 war, als
KKR einstieg. Ich habe bisher sehr gute Er-
fahrungen mit KKR gemacht. Leonine ist
eine mittelständische Wachstumsstory
und investiert in Talent. Im Management-
Team sind alle groß und geimpft, wir sind
erfahren und haben unsere sehr klare Vor-
stellung von Leonine, die der Gesellschaf-
ter unterstützt. Machen Sie sich also keine
Sorgen.

KKR ist im vergangenen Jahr auch groß
bei der Axel Springer AG eingestiegen.
Wie passt das alles zusammen?
Man kennt sich, man trifft sich und schätzt
sich. Aber Johannes Huth hat auch in der
SZ gesagt, dass das zwei getrennte Unter-
nehmen sind ...
Er hat auch gesagt, dass diese zwei auch
Dinge gemeinsam machen könnten.
Es gibt immer wieder Ideen. Wenn da et-
was zusammenpasst, dann kommt das
auch zusammen, aber es gibt noch keine
konkreten Projekte. Im Moment hat jeder
viel zu tun.
Erzählen Sie uns von den Ideen für ge-
meinsame Projekte mit Springer?
Wir sind eines der führenden TV-Infotain-
ment-Produktionshäuser in Deutschland.
Unsere Produktionsfirma i&u TV produ-
ziert unter anderem einmal wöchentlich
Stern TV, eines der erfolgreichsten Forma-
te im deutschen Privatfernsehen. Wir ha-
ben mehr als 30 Journalisten. Außerdem
produzierten wir zum Beispiel vor Kurzem
mit i&u TV einen Youtube-Livestream
zum Thema Corona oder aktuelle Inter-
views mit den führenden Köpfen der Welt
von der Münchner Sicherheitskonferenz.
Wir sind live-fähig und können kurzfristig
journalistische Inhalte stemmen.
Sie könnten doch bei Bild-TV mitmachen.
Ich habe schon einmal angeregt und ver-
sucht, Bild TV als Sendung zu machen. Das
war 1995 bei Sat 1, gedacht als Gegenpro-
gramm zu Explosiv auf RTL. Damals wollte
man die Marke nicht freigeben. Heute ist ei-
ne andere Zeit. Julian Reichelt macht das
richtigerweise selbst und anders. Ich finde
das spannend.

Sie haben drei Söhne, sechs, neun und 36
Jahre alt. Was lernen Sie von ihnen über
den Medienkonsum der Zukunft?
Besser als Medien ist immer noch, wenn
sie an der frischen Luft sind! Vor allem ler-
ne ich, dass sie die Sendermarken kaum
wahrnehmen und weniger linear fernse-
hen. Es wird normal werden, zwischen
Streamingdiensten und linearen Fernseh-
sendern hin und her zu zappen. Und dass
die Leute mehrere Streamingabos haben.
Haben Fernsehsender da eine Zukunft?
Definitiv. Lineares Fernsehen funktioniert
gut, aktuell durch das Informationsbedürf-
nis so gut wie lange nicht mehr. Das wird
auch in zehn Jahren so sein, wenn auch viel-
leicht auf niedrigerem Niveau. Die Frage
ist, ob die heute Jugendlichen in zehn Jah-
ren auch zu linearen Fernsehkonsumen-
ten werden. Ändert sich das mit den Le-
bensumständen, wenn man müde vom Job
kommt, die Kinder ins Bett gebracht hat,
und dann nicht mehr zum ganz aktiven Me-
dienkonsum auf mehreren Screens fähig
ist? Wenn die linearen Sender kreativ blei-
ben, wird das so sein.

Fred Kogel, 59, hat Jura in München studiert und da-
mals schon beim Bayerischen Rundfunk gejobbt.
Später war er Unterhaltungschef beim ZDF, arbeite-
te als Programmgeschäftsführer bei Sat 1, für Leo
Kirch, bei Constantin Film. Jetzt ist er Vorsitzender
der Geschäftsführung der Leonine Holding GmbH.

D


ie Corona-Krise trifft Italien
schwer. Mehr als 800 Tote am Tag


  • vor allem im reichen Norden.
    Auch in Spanien ist die Lage außer Kontrol-
    le geraten. Auch wenn niemand weiß, was
    noch auf uns in Deutschland zukommt, ist
    klar: Die Nerven in Rom und Madrid liegen
    blank, das menschliche Leid ist enorm und
    man sehnt sich nach Hilfe. Uns würde es in
    der Lage nicht anders gehen. Hoffen wir,
    dass uns Ähnliches erspart bleibt. Das Vi-
    rus hat sich global ausgebreitet und welt-
    weit zu einem Einbruch der Volkswirt-
    schaften geführt. Der Auslöser des
    Schocks ist also symmetrisch und betrifft
    alle. Die Auswirkungen des Schocks sind
    dagegen asymmetrisch: Besonders schwer
    getroffen sind jene Länder, die schon zu-
    vor erhebliche wirtschaftliche und fiskali-
    sche Probleme hatten, insbesondere eine
    überbordende Staatsverschuldung.
    In dieser Lage fordern mehrere Staaten
    die Einführung gemeinsamer Anleihen, so-
    genannte Corona-Bonds, um die finanziel-
    len Folgen der Krise für die Eurostaaten ab-
    zufedern. Die Diskussion erinnert an jene
    um Euro-Bonds während der Schuldenkri-
    se 2010. Die niederländische Regierung
    lehnte Corona-Bonds sofort lautstark ab.
    Italien reagierte gereizt. Romano Prodi, im-
    merhin ehemaliger Präsident der EU-Kom-
    mission, fragte, wo die Niederländer denn
    in Zukunft ihre Tulpen verkaufen wollen.
    Betrachten wir die Sache nüchtern:
    Brauchen wir Corona-Bonds? Bei allem


menschlichen Leid ist die finanzielle Lage
Italiens und Spaniens am Kapitalmarkt
derzeit stabil. Es besteht keine akute Not-
wendigkeit für Finanzhilfe. Die Zinsen itali-
enischer Staatsanleihen mit einer Laufzeit
von zehn Jahren liegen deutlich unter zwei
Prozent, die Zinsen Spaniens unter einem
Prozent. Das ist weit entfernt von den enor-
men Risikoaufschlägen der Finanzkrise.
Wie lange das so bleibt, ist ungewiss.
Die Schwere der ökonomischen Krise
hängt maßgeblich von der weiteren Aus-
breitung der Krankheit ab. Je nachdem, ob
Ausgangsbeschränkungen und Zwangs-
schließungen früher oder später aufgeho-
ben werden, fallen die negativen Folgen
für die Wirtschaft und die Staatsfinanzen
geringer oder höher aus. Ob die Staats-
schulden um zehn oder gar 20 Prozent-
punkte des Bruttoinlandsprodukts anstei-
gen werden, weiß derzeit niemand. Es ist
möglich, dass Italien – das schon jetzt mit
137 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts
verschuldet ist – dann am Kapitalmarkt in
Probleme gerät, aber sicher ist es nicht.
Letztlich gilt das auch für Spanien, das al-

lerdings mit 98 Prozent Verschuldung
deutlich besser dasteht. Sicher ist nur: Von
einer Insolvenz dieser Länder gehen die Ka-
pitalgeber heute nicht aus.
Angesichts der beschriebenen finanziel-
len Lage Italiens und Spaniens sind Kredit-
linien des Europäischen Stabilitätsmecha-
nismus (ESM) wie für die derzeitige Situati-
on geschaffen: Sie stehen Eurostaaten zur
Verfügung, deren Kapitalmarktzugang

zwar nicht akut gefährdet ist, denen dies
aber mittelfristig drohen kann. Die Kredit-
linien müssen einstimmig von alle Euro-
staaten, teilweise von den nationalen Parla-
menten, genehmigt werden, was ange-
sichts der Krisenlage unproblematisch
sein dürfte. Wird Italien eine solche Kredit-
linie zugesprochen, kann das Land sie je-
derzeit in der vereinbarten Höhe ziehen.
Der ESM vergibt dann Darlehen oder kauft
Rom direkt neue Staatsanleihen ab. Die
Kreditlinie gilt für ein Jahr und kann zwei-

mal um jeweils sechs Monate verlängert
werden. Das Ziel ist klar: Zweifeln die Kapi-
talgeber künftig an der Bonität Italiens,
soll die Aussicht auf Aktivierung der Kre-
ditlinie die Lage beruhigen.
Die Vorteile von ESM-Kreditlinien im
Vergleich zu Corona-Bonds sind dreifach.
Erstens: Das Instrument ist vorhanden, Hil-
fe kann schnell kommen. Corona-Bonds
müssten erst geschaffen werden. Das ist
zeitaufwendig, zudem ist in vielen Län-
dern die nötige Zustimmung der Parlamen-
te unsicher. Zweitens: Die derzeitige ökono-
mische Krise bedarf der Bereitstellung von
Liquidität, um eine Insolvenzwelle in der
Realwirtschaft und eine daran anschlie-
ßende Finanzkrise zu verhindern. Jede Hil-
fe sollte daher zweckgebunden und befris-
tet sein. Beides lässt sich am ehesten über
den ESM erreichen. Denn Kreditlinien des
ESM sind an Bedingungen zu knüpfen und
in der Laufzeit klar begrenzt. Zwar ist vor-
stellbar, dass auch Corona-Bonds zweckge-
bunden und befristet ausgegeben werden.
Politisch ist jedoch äußerst fragwürdig, ob
diese Begrenzungen eingehalten werden.

Vor allem dürfte als sicher gelten, dass ein-
mal geschaffene Corona-Bonds zu dauer-
haften Euro-Bonds werden, weil die Til-
gung von Staatsschulden, von seltenen
Ausnahmen abgesehen, eine Mär ist. Dies
gilt erst recht für die Staaten Südeuropas.
Die Aussicht auf eine dauerhafte Finanzie-
rungsquelle dürfte ein Grund sein, warum
die südeuropäischen Länder ESM-Kreditli-
nien ablehnen und Corona-Bonds fordern.
Drittens: Corona-Bonds führen zu einer ge-
meinsamen Haftung, ohne dass die zu-
grunde liegende Wirtschafts- und Fiskal-
politik zentralisiert ist. Damit liegt ein Mo-
ral-Hazard-Problem vor, das angesichts
der Mutation zu dauerhaften Euro-Bonds
umso gravierender ist.
Befürworter der Corona-Bonds tragen
vier Gegenargumente vor, die aber alle
nicht überzeugen. Erstens: Die Laufzeit
der ESM-Kreditlinien betrage höchstens
zwei Jahre. Ohne Weiteres könnte jedoch
danach eine neue Kreditlinie beantragt
werden. Zweitens: Dem ESM stünden
„nur“ 410 Milliarden Euro zur Verfügung.
Dies ist freilich fast ein Viertel des italieni-
schen Bruttoinlandsprodukts. Falls diese
Summe nicht reichen sollte, kann und soll-
te das Kapital des ESM aufgestockt wer-
den. Schaffen Krisenstaaten es nicht, das
ihrem ESM-Anteil entsprechende Geld auf-
zubringen, könnten Deutschland und an-
dere solide Staaten als Zeichen der Solidari-
tät vorübergehend einspringen und mehr
bereitstellen, als sie müssten. Drittens: Es

sei unangebracht, Corona-Hilfe an Bedin-
gungen zu knüpfen. Indessen sind, da das
Virus der Auslöser der Krise ist, jenseits
von Zweckbindung und Befristung bei
ESM-Kreditlinien keine Auflagen zu erwar-
ten. Viertens: Wenn ein Land wie Italien ei-
ne ESM-Kreditlinie beantragte, werde des-
sen Schuldentragfähigkeit in Zweifel gezo-
gen. Wenn dies zutreffen sollte, gilt es erst
recht für den Fall, dass sich Italien mit Co-
rona-Bonds Entlastung zu verschaffen ver-
sucht. Wer kauft dann noch klassische itali-
enische Staatsanleihen ohne substantiel-
len Risikoaufschlag? Dauerhafte Euro-
Bonds, nicht befristete Corona-Bonds,
sind damit die logische Konsequenz.
Fazit: Helfen wir Italien, aber setzen wir
auf den ESM und stellen Rom eine Kreditli-
nie zu Verfügung.

„Wir sind nicht
angetreten, um hier ein
Hobby zu betreiben.“

Professor Dr. Lüder Gerken(links) ist Vorsitzender
des Centrums für Europäische Politik.Dr. Bert Van
Roosebekeist Leiter des Fachbereichs Finanzmärk-
te am Centrum für Europäische Politik. FOTOS: OH

FOTO: THOMAS DASHUBER

Dietmar Hopp, 79, Investor, nutzte ein
Interview imAktuellen Sportstudionicht
nur zu einem Friedensangebot an die
Fußball-Ultras, sondern auch zu einer
Botschaft der Hoffnung in der Corona-
Krise. Die Tübinger Medizinfirma Cure-
vac, an der Hopp(FOTO: DPA)maßgeblich
beteiligt ist, arbeite mit Hochdruck an
der Entwicklung eines Impfstoffes. Die-
ser könne schon im Herbst zur Verfü-
gung stehen. Um die ganze Weltbevölke-
rung zu versorgen, müsse Curevac aller-
dings die Produktion erweitern, dafür
habe die EU-Kommission bereits bis zu
80 Millionen Euro zugesagt. Vorher aber
könnten schon einige hundert Millionen
Dosen produziert
werden. Virologe
Alexander Kekulé
warnte in der glei-
chen Sendung: Bis
der Impfstoff wirk-
lich auf dem Markt
sei, werde noch ein
Jahr oder länger
vergehen. mbe

Ulrik Svensson, 59, Finanzvorstand bei
Lufthansa, gibt völlig überraschend
seinen Job auf. Der gebürtige Schwede
lege sein Mandat an diesem Montag
„aus gesundheitlichen Gründen“ nieder,
teilte Lufthansa mit. Der Aufsichtsrat
werde zeitnah über eine Nachfolgelö-
sung beraten und entscheiden. Die Perso-
nalie kommt in einer sehr heiklen Zeit
für das Unternehmen und für Konzern-
chef Carsten Spohr. So ist Lufthansa
besonders von der Coronavius-Krise
getroffen, ein Großteil der Flotte ist am
Boden, Zehntausende Mitarbeiter sind
in Kurzarbeit. Derzeit wird über Staats-
hilfe oder gar einen Einstieg des Bundes
bei der Fluggesellschaft verhandelt.
Svensson(FOTO: DPA)hatte sich noch Mitte
März überzeugt gezeigt, dass „Lufthan-
sa auch nach Corona noch fliegen und
als Gewinner aus der Krise hervorgehen
wird“. Er ist seit Anfang 2017 Finanzvor-
stand von Lufthansa. Svensson hat in
Stockholm Betriebswirtschaft studiert
und danach in verschiedenen Branchen
im Bereich Controlling gearbeitet. 2003
kam er dann als Finanzvorstand zur
Fluggesellschaft Swiss und begleitete
dort die Restruktu-
rierung. Von 2006
bis 2016 arbeitete er
für eine schwedische
Investmentfirma,
bevor er zu Lufthan-
sa wechselte. Svens-
son ist verheiratet
und Vater von drei
Kindern. cbu

Ivanka Trump, 38, Präsidentenbera-
terin, kümmert sich höchstpersönlich
darum, dass kleine US-Unternehmen in
der Corona-Krise mit Krediten versorgt
werden. Topmanager mehrerer Geldin-
stitute, darunter der Bank of America
und von Regionalbanken, wandten sich
laut der Agentur Bloomberg in der ver-
gangenen Woche an die Präsidententoch-
ter(FOTO: REUTERS), weil sie hofften, dass sie
den besten Draht zu Entscheidern in der
Regierung hat. Die Manager warben
dafür, die Kriterien für das Notfallkredit-
programm für Kleinunternehmen in
Höhe von 349 Milliarden Dollar anzupas-
sen, vor allem höhere Zinssätze durchzu-
setzen. Nur so seien
sie für kleine Banken
attraktiv, mit denen
Unternehmer schon
Beziehungen haben.
Die Strategie ging
auf: Das Finanzmi-
nisterium verdoppel-
te den Satz auf ein
Prozent. kwe

Die Gefahr: Corona-Bonds
werden dauerhafte Euro-Bonds

(^16) WIRTSCHAFT Montag, 6. April 2020, Nr. 81 DEFGH
FORUM
Solidarität ja, aber nachhaltig
Es braucht keine Corona-Bonds, um Italien zu helfen. Das beste Mittel
gibt es bereits. Von Lüder Gerken und Bert Van Roosebeke
„Wer Kinofilme will,
braucht das Kino“
Medienmanager Fred Kogel über verschobene Produktionen, den Aufbau
seiner neuen Firma Leonine und den Fernsehkonsum seiner drei Söhne
Frohe Botschaft
Heikler Absprung
Direkter Draht
PERSONALIEN
MONTAGSINTERVIEWMIT FRED KOGEL

Free download pdf