Handelsblatt - 06.04.2020

(Martin Jones) #1

Keir Starmer: Er will in der Coronakrise keine
„Opposition der Opposition willen“ ausüben.


i-Images/Polaris/laif
Jens Koenen Frankfurt

E

s ist wohl die Gesundheit, die Ul-
rik Svenssons Pläne durchkreuzt
hat. Überraschend legt der Luft-
hansa-Finanzchef schon an die-
sem Montag sein Amt nieder. Der
Abgang trifft die nach Umsatz größte Airline
Europas zu einem denkbar ungünstigen Zeit-
punkt: Wegen des Coronavirus steht nahezu
die gesamte Flotte still.
Trotz radikaler Sparmaßnahmen – unter
anderem sind über 90 000 der fast 140 000
Mitarbeiter in Kurzarbeit – fließt das Geld nur
so ab. Das Management verhandelt mit der
Bundesregierung über Staatshilfen und sogar
über eine Art stille Beteiligung des Staates. Da
könnte der Konzern die Expertise von Svens-
son gut gebrauchen.
Doch nun muss der Aufsichtsrat schnell Er-
satz suchen. Die Mitteilung von Svensson
kam zumindest für enge Wegbegleiter nicht
völlig überraschend. „Svensson ist keiner, der
so einfach hinwirft, erst recht nicht in einer
Krise wie der aktuellen. Aber es geht ihm
wirklich nicht gut“, heißt es im Umfeld des
Managers. Dafür spräche auch, dass er sein
Mandat mit sofortiger Wirkung niederlege.
Aber vielleicht hat Chefkontrolleur Karl-
Ludwig Kley auch schon eine Idee. Denn dass
Svensson in absehbarer Zeit ausscheiden
würde, hatte sich schon länger abgezeichnet.
Im November 2018 tauchten erstmals Ge-
rüchte auf, dass der Manager seinen bis Ende
2019 laufenden Vertrag nicht verlängern wol-
le. Die Spekulationen waren damals nicht aus
der Luft gegriffen. Svensson wollte wohl tat-
sächlich zurück in seine schwedische Heimat
und das Leben etwas ruhiger angehen lassen.
Aufsichtsratschef Kley konnte den Manager
aber überreden, noch mal um drei Jahre zu
verlängern. Schon bei der Bekanntgabe der
Vertragsverlängerung kursierten allerdings
Gerüchte, dass Svensson diesen Vertrag wohl
nicht erfüllen werde.

Lieber im Hintergrund
Kley hatte gute Gründe, den CFO zum Blei-
ben zu bewegen. Der am 27. Juni 1961 in Var-
berg in Schweden geborene Betriebswirt
Svensson gilt als ausgemachter Finanzexper-
te. Und er ist jemand, der sich lieber im Hin-
tergrund hält, wenig Wert auf öffentliche Auf-
tritte legt – das macht die Teamarbeit im Füh-
rungsgremium häufig einfacher.
Dabei besitzt er nach Einschätzungen von
Wegbegleitern die große Fähigkeit, „sich auf
das Wichtigste zu konzentrieren“ und Klar-
text zu reden. Während vor einiger Zeit heftig
über eine Übernahme der insolventen Alitalia
durch die Lufthansa spekuliert wurde, mach-
te der Finanzchef des Konzerns recht unmiss-
verständlich klar, dass er wenig von dieser
Idee hielt.
Wer Svensson verstehen will, muss vor al-
lem auf einen Job schauen: jenen, den er vor
seiner Berufung zum Lufthansa-Vorstand im
Jahr 2017 hatte. Zehn Jahre war der Vater
dreier Kinder Vorstandsvorsitzender bei Mel-

ker Schörling in Schweden. Hinter dem Na-
men, der in Deutschland kaum bekannt sein
dürfte, versteckt sich ein großer Finanzinves-
tor. Svensson brachte das Unternehmen
nicht nur 2006 an die Börse, er trug über die
sechs Beteiligungen auch die Verantwortung
für rund 400 000 Mitarbeiter. Für Lufthansa
ist seine Entscheidung ein herber Verlust.
Auch wenn die Lufthansa-Aktie nun schon
seit Monaten am Boden klebt – dass das Pa-
pier der Airline davor einen Höhenflug erleb-
te, war auch ein Verdienst des CFO, dem In-
vestoren und Analysten großes Vertrauen
entgegenbrachten.
Doch vielleicht hat Svensson in den zurück-
liegenden Tagen gemerkt, dass er seiner Ge-
sundheit die Bewältigung einer so mächtigen
Krise wie der aktuellen besser nicht mehr zu-
muten sollte. Der Aufsichtsrat werde zeitnah
über eine Nachfolgelösung beraten und ent-
scheiden, heißt es in einer Mitteilung. Eile ist
geboten. Gerade jetzt darf der CFO-Posten
nicht für länger vakant bleiben.

Ulrik Svensson


Abschied in


schwierigen Zeiten


Der Lufthansa-Finanzchef legt sein Amt nieder. Damit verliert der


Konzern einen anerkannten Experten. Genau den könnte die


Fluggesellschaft in der Coronakrise gut gebrauchen.


Ulrik Svensson:
Sein Ausscheiden
hatte sich schon
länger angekündigt.

Shutterstock

Svensson ist


keiner, der so


einfach


hinwirft,


erst recht nicht


in einer Krise.


Aber es geht


ihm wirklich


nicht gut.


Enger Wegbegleiter

Keir Starmer


Der Mittelsmann


Der 57-Jährige ist neuer Vorsitzender der


britischen Sozialdemokraten.


W


er wäre wohl besser für das Amt des
Labour-Chefs geeignet als jemand,
den seine Eltern schon zu Ehren des
Parteigründers „Keir“ nannten? Keir Starmer
war als Favorit in das Rennen um den Posten des
Parteichefs der britischen Labour-Partei gegan-
gen – und ging als Sieger hervor. Am Samstag
wurde der 57-Jährige zum neuen Vorsitzenden
gewählt.
Starmer, der für den Londoner Wahlkreis Hol-
born and St Pancras im Parlament sitzt, muss
sich nun mit Großbritanniens Premier Boris John-
son messen. Angesichts der Coronakrise versi-
cherte Starmer jedoch unmittelbar nach seiner
Wahl, keine „Opposition allein der Opposition
willen“ auszuüben. Aber nicht nur bei der wö-
chentlichen Diskussionsrunde im Westminster
Palace werden Welten aufeinanderprallen: Auf
der einen Seite ein Premier, der sich nur allzu
gern reden hört und dabei am liebsten nicht ins
Detail geht. Auf der anderen Seite Starmer, ein
ehemaliger Generalstaatsanwalt, der im Rampen-
licht eher blass wirkt.
Auch wenn sein Name ihn zu prädestinieren
scheint: Starmer ist für viele Briten keineswegs
der Inbegriff eines Anführers der Arbeiterpartei,
und das nicht nur, weil er 2014 zum Ritter ge-
schlagen wurde und deswegen offiziell mit „Sir
Keir“ angesprochen werden sollte. Immer wieder
muss sich Starmer des Vorwurfs erwehren, zur
„Londoner Elite“ zu gehören. Dabei war er am
Rande Londons in eher bescheidenen Verhältnis-
sen als Sohn eines Werkzeugmachers und einer
Krankenschwester aufgewachsen. Als Erster sei-
ner Familie besuchte Starmer die Universität, zu-
nächst im nordenglischen Leeds, dann in Oxford.
Danach ging er zurück nach London und begann
seine Karriere in der Justiz. Menschenrechte sind
seitdem seine Leidenschaft. In den 1990er-Jahren
arbeitete Starmer für Amnesty. Sein Wissen kam
ihm zugute, als die Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten in britisches
Recht überführt wurde und Starmer zu den weni-
gen Anwälten gehörte, die sich mit dem Thema
auskannten. Er machte infolgedessen eine steile
Karriere: Starmer war Generalstaatsanwalt, bevor
er vor gut vier Jahren in die Politik wechselte.
Sein erklärtes Ziel ist es nun, die Partei zu ei-
nen. Denn sein Vorgänger Jeremy Corbyn hinter-
ließ eine Partei, die tief gespalten ist: Zum einen
in diejenigen, die wie Corbyn einen radikalen
Linkskurs einschlagen wollen, und auf der ande-
ren Seite in diejenigen, die in der Tradition von
Blair pragmatische Ansätze befürworten. Star-
mer will sich nicht nur in der Mitte einordnen,
sondern auch die beiden Extreme versöhnen.
Kerstin Leitel


Namen


des Tages


MONTAG, 6. APRIL 2020, NR. 68
46


Cassiano De Stefano

Mexiko ohne Corona


E


s ist gerade einmal zwölf Monate her,
da feierte Cassiano De Stefano die Ein-
weihung einer neuen hochmodernen
Brauerei im mexikanischen Bundesstaat Hi-
dalgo. Eine Fertigung mit neuester Technolo-
gie und einem speziellen Labor, um Proteine
und Schwebstoffe in den Bieren zu messen.
Bis zu 24 Millionen Hektoliter werde die Fa-
brik brauen können, schwärmte der Chef der
Brauerei Grupo Modelo damals.
Zu dieser Zeit stand der Brasilianer seit et-
was mehr als einem Jahr an der Spitze des
wichtigsten mexikanischen Braukonzerns.
Und er war genauso wie seine Firma auf Er-
folg und Wachstum ausgerichtet. Schließlich
verkaufte sich das beste Produkt der breiten
Palette rund um den Globus immer besser –
Corona. Doch seitdem hat sich viel verändert.
Ein neuartiges Virus mit dem gleichen Namen
wie De Stefanos Bier breitet sich rasant auf
der ganzen Welt aus. Seit Sonntag wird nun
weder in der neuen Fabrik in Hidalgo noch
an den anderen sieben Produktionsstandor-
ten von Grupo Modelo in Mexiko weiterhin
Corona-Bier gebraut. Die Regierung stufte den
Betrieb der Brauerei nicht als unerlässlich ein,
wie der Konzern mitteilte.
Von hundert auf null — die erfolgreiche
Brauerei, die seit 2013 ganz dem Großkon-
zern Anheuser-Busch InBev gehört, trifft die
Pandemie hart. Doch in Zeiten einer globalen
Massenerkrankung ist es sehr schwer, ein
Massenprodukt zu verkaufen, das den Namen

eines Virus trägt, mit dem sich weltweit be-
reits jetzt mehr als eine Million Menschen in-
fiziert haben.
Das weiß auch Brauerei-Chef De Stefano.
Google-Suchen, die die Wörter Corona, Bier
und Virus miteinander verbanden, stiegen be-
reits seit Januar exponentiell an. Spots und
Witzeleien mit der Biermarke in den sozialen
Netzwerken sind seitdem an der Tagesord-
nung. Es gibt einen massiven Imageschaden.
Verstörend wirkte dabei, dass Corona selbst
in den USA noch Anfang März eine Werbe-
kampagne für neue Produkte startete und da-
für unter anderem den Rapper Snoop Dogg
gewann. Das Motto: „La Vida más Fina“, zu
Deutsch: „Das feinste Leben“. Darin wurde
auch die „die unmittelbare Ankunft“ des neu-
en „Corona-Produkts“ beworben.
Die Coronakrise ist dabei besonders bitter
für den aufstrebenden CEO von Grupo Mode-
lo, der die Geschäfte in Mexiko nun seit Janu-
ar 2018 führt. Denn De Stefano macht seine
Sache recht erfolgreich, Corona, der Star im
Portfolio von Modelo, verkaufte sich weltweit
bisher hervorragend, gehörte zu den weltweit
absatzstärksten Bieren. In 180 Länder wird
Corona exportiert. Keine andere Marke von
Anheuser-Busch InBev konnte da zuletzt mit-
halten. Nun wird das Bier zunächst nur noch
beim Mutterkonzern in Belgien gebraut.
De Stefano, der aus dem brasilianischen
Santos stammt und die besten Business-
Schools der USA durchlaufen hat, ist seit gut
20 Jahren bei ABInBev beschäftigt. Fast seine
gesamte Karriere verbrachte er in dem Unter-
nehmen in Brasilien, unterbrochen von ei-
nem zweijährigen Intermezzo in Russland.
Dann ging es für ihn nach Mexiko. Klaus Eh-
ringfeld

Cassiano De Stefano:
Hat nahezu seine
gesamte Laufbahn bei
ABInBev verbracht.

Grupo Modelo, AFP

Peter Löscher

Aufstieg bei Telefónica


B


islang gewährte der spanische Mobil-
funkkonzern Telefónica seiner deut-
schen Landestochter nur wenig Frei-
raum. Die Geschäfte des Managements hier-
zulande wurden stets von Spaniern als Chef-
aufseher überwacht. Das hat sich geändert.
Seit April hat ein gut vernetzter Manager
den Vorsitz des Aufsichtsrats übernommen:
Ex-Siemens-CEO Peter Löscher.
Bei Telefónica Deutschland ist er ein alter
Bekannter. Der 62-Jährige sitzt beim Mutter-
konzern im Verwaltungsrat. In Spanien
kennt Löscher sich bestens aus: Seine Frau
ist Spanierin, sein mittlerweile verstorbener
Schwiegervater war Präsident des FC Barce-
lona. Der gebürtige Österreicher Löscher
lebt in München und Barcelona. Bei Sie-
mens – dort war er von 2007 bis 2013 CEO –

verbesserte der Betriebswirt, Sohn eines Sä-
gewerkbetreibers aus Kärnten, die Margen
zunächst deutlich. In seiner zweiten Amts-
zeit musste er jedoch mehrere Gewinnwar-
nungen abgeben. 2014 machte ihn der russi-
sche Oligarch Wiktor Wekselberg zum star-
ken Mann in der Holdinggesellschaft
Renova. 2016 folgte ein Posten als Aufsichts-
ratschef des Öl- und Gaskonzerns OMV.
Bei Telefónica Deutschland muss Löscher
nun zeigen, dass er die Arbeit des Mobilfun-
kers gut überwachen kann. Die Firma hinter
der Marke O2 liegt seit Jahren in der Qualität
ihres Netzes weit abgeschlagen hinter der
Deutschen Telekom und Vodafone. Ein
Grund dafür: Der Netzausbau ist teuer. Und
bislang pocht die Mutter in Spanien auf üp-
pige Dividenden-Ausschüttungen. Bei Tele-
fónica in Deutschland gibt es daher laut
Handelsblatt-Informationen die Hoffnung,
mit Löscher mehr finanziellen Spielraum zu
erhalten, um zur Konkurrenz aufzuschlie-
ßen. S. Scheuer, A. Höpner

BusinessLounge


Kleiner Erfolg: Jacinda Ardern, Neuseelands
Premierministerin, spricht in Wellington im Rah-
men ihres regelmäßigen „Updates“ zur Corona-
krise. In dem Land gehen die Zahlen der Infizier-
ten langsam zurück.

Größtmöglicher
Schutz: Öster-
reichs Kanzler
Sebastian Kurz
(ÖVP) nimmt mit
Mundschutz und
hinter einer Glas-
wand an der Sit-
zung des Natio-
nalrats zum drit-
ten Corona-Ge-
setzespaket teil.
Das Parlament
tagt übergangs-
weise in der Wie-
ner Hofburg.

G S r S ( M h w z n t s D t w n

Im musikalischen Homeoffice: Die deutsche So-
pranistin Lilli Wünscher, die an der Oper Leipzig
tätig ist, übt derzeit ausschließlich zu Hause. Mit
gedämpfter Stimme.

Im musikalischen Homeoffice:Die deutsche So

Mut aussprechen: Im menschenleeren Petersdom
hat Papst Franziskus am Palmsonntag die Heili-
ge Messe zelebriert. Nur über die Medien konn-
ten die Gläubigen aus aller Welt an der Messe
teilnehmen, die die Karwoche eröffnet.

Mut aussprechen:Im menschenleeren Petersdom

AFP (2), dpa, imago images/Xinhua

Die Produktion des Erfolgs-Biers
wird wegen der Pandemie nach
Belgien verlegt. Für den Chef der
Brauerei ist das besonders bitter.

Der frühere Siemens-Chef ist neuer
Aufsichtsratsvorsitzender der
Spanier für Deutschland.

Peter Löscher:
Der Manager ist in
Spanien bestens
vernetzt.

Bloomberg

Namen des Tages


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