Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

14 ZÜRICH UND REGION Freitag, 27. März 2020


Was machtman mit Kindern, die wegen CoronazuHause


bleiben müssen? – Tipps zur Beschäftigung SEITE 15


Immer mehr Freiwillige bietenihre Hilfe an–


Vorsicht ist geboten bei Betrügern SEITE 15


Notstandüberall – aber das verständnisvolleVerhalten vieler Akteure lässt hoffen. ANNICK RAMP / NZZ

Die Zürcher KMU helfen sich selber


Notfallkredite des Bundes verhindern viele Konkurse, sind aber nur der erst e Schritt auf dem steinigen Weg aus der Corona-Krise


ANDRÉ MÜLLER,DANIEL FRITZSCHE,
ADI KÄLIN


Die kleinen und mittleren Unternehmen
leiden besonders unter der Corona-Krise.
Bund und Kanton haben dasrasch reali-
siertundHilfspaketegeschnürt.SeitDon-
nerstag ist es für KMU möglich, bei ihren
Banken Kredite aufzunehmen, um wei-
ter liquide zu bleiben. Die Massnahmen
helfen undkommenkeinen Tag zu früh:
Das hört man überall,wo man sich erkun-
digt. Zum Beispiel beimFamilienunter-
nehmen Burri in Glattbrugg. Die Firma
mit 85 Mitarbeitern stellt Objekte für den
öffentlichenRaum her. Ihr bekanntestes
Produkt ist dieLandi-Bank, die in prak-
tischjedemParkderSchweizzufindenist.


Der Auftragsbestand schmilzt


Die Verwaltungsratspräsidentin Sabine
Bellefeuille-Burri ist froh um das zügige
Eingreifen der staatlichen Stellen. «Zum
Glück wurdeso rasch undumfassend ge-
handelt», sagt sie. Wichtig sei die Erleich-
terung derKurzarbeit, die auch in ihrem
KMUgeprüftwerde.AberdieLagebleibe
ernst. Neue Bestellungen träfen zurzeit
weniger als auch schon ein; man sei froh
über einen gutenAuftragsvorrat.Doch je
länger derAusnahmezustand andauere,
desto schwierigerkönne es werden. Nur
auf die Hilfe des Staates zu warten, hält
Bellefeuille-Burri fürkeine gute Option
fürKMU–auchwennsiewichtigsei.«Wir
müssenauchselberaktivwerden»,sagtsie.
Sobald die Coronavirus-Einschrän-
kungenaufgehoben würden, müssten
die Firmen bereit sein, um sofort wieder
Geld zuverdienen. Die jetzige leere Zeit
müsse optimal genutzt werden. So sei es
wichtig,dass dieöffentlicheHandundpri-
vate Unternehmen die Planung von Pro-
jektenvorantrieben und Offertanfragen
machtensowieAufträgeausschriebenund
priorisierten,damit sich die Betriebe jetzt
schon darauf bewerbenkönnten.
Wichtig istder Austausch unter den
KMU. Dieser habe sich intensiviert, sagt
Bellefeuille-Burri.Manversuche,sich aus-
zuhe lfen, wo immer es möglich sei. «Das
ist die positive Seite dieser Zeit.» Man sei
auch inregem Kontakt mitKunden und
Lieferanten.BeioffenenRechnungenver-
suche man, diese möglichstrasch zu be-
gleichen.Wichtig sei, dass die Liquidität
schnell zirkuliere und alle ihreRechnun-
gen sorasch wie möglich begleichen wür-
den.«Sokonnten wir unseren Kreditoren
letzteWoche bereits dreiWochen vor der
Fälligkeit vielerRechnungen bezahlen.»


Viele Lieferanten hätten das sehr ge-
schätzt. «Diese Zeichen geben mir Hoff-
nung, dass wir diese Krise überwinden
werden», sagt Bellefeuille-Burri.
Der FDP-Kantonsrat Marc Bourgeois,
dereinkleinesIT-Unternehmenführtund
wegen der Krise mit zahlreichen Zürcher
KMU inKontakt steht, sagt,dass die
Unternehmer Eigeninitiative entwickel-
ten, um zumindest einenTeil des Umsat-
zes zu sichern. «Viele merken jetzt, dass
das Wirtschaften nicht verboten wurde,
sondern nur derPersonenkontakt.»
DieLösungsehevonBranchezuBran-
che anders aus. Am meisten Erfolg ver-
spreche derAufbau alternativerVer-
triebskanäle, wobei die Schwierigkeit be-
stehe, die Kunden dort überhaupt auf sich
aufmerksam zu machen. Diese Anstren-
gungenkönnen sich aber langfristig be-
zahlt machen, ist es doch wahrscheinlich,
dass sich dieKunden an die neuenVer-
triebskanäle gewöhnen und sie auch nach
dem Ende derPandemie weiter nutzen.
Wer das nichtkönne, sagt Bourgeois–
etwa Nagelstudios oder Coiffeure –, ver-
suchezumTeil,überdenVerkaufvonGut-

sche inen Einnahmenzu ge nerieren.«Viel
mehr als eine Linderung verschafft das
den Betrieben allerdings nicht.»
Gerade bei kleinenFirmen spiele der-
zeit auch dieFinanzierung aus privaten
Quellen eine wichtigeRolle, sagt Bour-
geois, beispielsweise über einen Erbvor-
bezug. «Doch das ist heikel. Geht das
Unternehmen dennoch inKonkurs, ist
dieses Geld weg. Nachher fehlen dem
Unternehmer die Mittel, um von alleine
wieder auf die Beine zukommen.»
Die Liquiditätskrise kann mit den
staatlichen Krediten bei vielen abgewen-
det werden. Doch gelte es, sagt Bour-
geois, im Hinterkopf zu behalten, dass
vieleRechnungen ja blossgestundet wür-
den.«Im Herbst muss das KMU dann die
laufendenRechnungen bezahlen und zu-
sätzlich Mehrwertsteuern, Sozialver-
sicherungen und Mieten vomFrühling.»
Es sei gut möglich, dass es zu einer zwei-
ten Konkurswellekomme. Deshalb sei es
wichtig, Kurzarbeitsentschädigungen, bei
Selbständigerwerbenden Erwerbsersatz,
zu beantragen, weil diese nicht zurück-
bezahlt werden müssten.

Hilfe zur Selbsthilfe ist auch bei der
Winterthurer Lending-PlattformSwiss-
peers das Gebot der Stunde: Die Platt-
formvermitteltKMU,dieeinenKreditbe-
nötigen,direkt an Investoren – ohne Um-
weg über eineBank.Das heisst auch, dass
dieUnternehmenineinerLiquiditätskrise
nichtaneineHausbankgelangen,sondern
via Swisspeers direkt mit den Investoren
die nötigen Massnahmen festlegen müs-
sen. Einige seinerKunden seien von der
Corona-Krise hart getroffen worden, sagt
der Swisspeers-CEO Alwin Meyer. «Bei
manchen ist der Umsatz auf einen Bruch-
teil zusammengebrochen, und sie haben
keinen grossen Liquiditätspuffer.» An-
dere, zum Beispiel ei n Online-Shop für
IT-Bedarf, liefen sehr gut,hätten aber mit
Nachschubproblemen zu kämpfen.
SwisspeersgewährtbetroffenenUnter-
nehmen daher eine Sistierung von zwei
bis drei Amortisationsraten. DieFirmen
müssen dafür gegenüberSwisspeers ge-
nau Auskunft zu ihrer Situation geben;
insbesondere darüber, ob sie die Kre-
ditprogramme von Bund und Kanton in
Anspruch nehmen, wie viel Liquidität sie

zurVerfügung haben und welche anderen
Schulden bei ihnen ausstehen. Diese In-
formationen gibt die Plattform dann ge-
bündelt an die Investoren weiter. «Diese
Transparenz ist sehr wichtig», sagt Meyer.
Die Investoren zeigten grossesVerständ-
nis für die Sistierung derRückzahlungen,
wenn sie sich gut informiert fühlten.

Zweites Sicherheitsnetz


Derweil konkretisieren sich auch die
Hilfsprogramme der öffentlichen Hand.
Wo die Notfallkredite des Bundes nicht
ausreichen, kann der Kanton in die Bre-
schespringen,mitGarantienüber425Mil-
lionenFrankenfüreinKreditvolumenvon
500MillionenFranken.DiesesHilfspaket,
das die ZürcherRegierung wenigeTage
vor dem Bundbeschlossen hat,wird nicht
verschwinden, im Gegenteil:Laut Basi-
lius Scheidegger, dem Chef der kantona-
len Finanzverwaltung, soll es sorasch wie
möglich einsetzbar gemacht werden. Die
Banken müssen bis amFreitag ihre Be-
dürfnisse mitteilen, die Zuteilung der 425
MillionenFranken auf die Institute soll
dannbisAnfangnächsterWocheerfolgen.
Das Paket ist als subsidiäre Hilfe zu
der des Bundes aufgesetzt worden –wird
es denn noch benötigt? Scheidegger sagt,
dass mit den kantonalen Garantien «all-
fälligeHärtefälleabgedecktwerdenkönn-
ten,die von den Kriterien und der Härte-
fallregelung der Bundeslösung nicht er-
fasst werden». Welche Kriterien für die
Zürcher Garantien gelten werden, arbei-
tet der Kanton derzeit noch im Detail mit
den beteiligtenBanken aus.
Die Stadt Zürich hat am Donnerstag
derweil mitgeteilt, wie sie dem Gewerbe
in ihren eigenen Liegenschaften helfen
will, konkret den Mietern von rund 10 00
Gewerberäumen, 59 Restaurants und 9
Parkhäusern: Viele mussten wegen der
Corona-Krise ihren Betrieb ganz oder
teilweise schliessen und erzielen kaum
noch ein Einkommen. DieStadt gewährt
ihnen nun auf Antrag eineReduktion
der Miete. Die Regelung gilt vorerst für
den Monat April.Zudem verlängert die
Stadt Zürich die Zahlungsfrist für Steu-
ern und Gebühren bei betroffenen natür-
lichen und juristischenPersonen und will
ihrerseits ihre Lieferantenrechnungen so
«rasch als möglich» begleichen.
Die City-Vereinigung Zürich begrüsst
die Massnahmen der Stadt und fordert
in ihrem Communiqué auch andere Lie-
genschaftenbesitzerauf,mitihrenMietern
übereine Reduktion zu sprechen.
Weiterer Artikel auf Seite 17

Die Sitzung des Kantonsparlaments ist nun doch zulässig


Das Bundesamt für Justiz krebst zurück und erachtet die Zusammenkunft des Kantonsrats unter Bedingungen für rechtmässig


STEFANHOTZ


AnfangWoche schien es fraglich, ob der
ZürcherKantonsratamMontagseinege-
plante Sitzung abhalten kann.Auf eine
Anfrage, ob dasTreffen der180 Mitglie-
derzulässigsei,trafamMontagabendvon
der MedienstelledesBundesamtsfürJus-
tiz (BJ) die Antwort ein, das sei als An-
sammlung von mehr als fünfPersonen,
auch wenn ein Abstand von mindestens
zwei Metern eingehalten würde, verbo-
ten. Kategorisch hiess es, Ausnahmen
seien nicht vorgesehen.
Nun rudert das BJ zurück. In einer
nachträglichen Stellungnahme bejaht es
die Möglichkeit der Kantone, einzelne
Veranstaltungen vom grundsätzlichen
Verbot auszunehmen. Der vom Kan-
tonsrat beauftragte GutachterFelix Uhl-
mann hatte dieFrage aufgeworfen, ob in
der bundesrätlichen Covid-19-Verord-


nung durch den Artikel 7c mit dem am


  1. März erlassenenVerbot für Ansamm-
    lungenvonmehralsfünfPersonenfrühere
    Ausnahmeregeln hinfällig wurden.
    DasistnunoffensichtlichnichtderFall,
    und es ist doch eine Interessenabwägung
    möglich.ZurGenugtuungdesStaatsrecht-
    lers,derdieradikaleHaltungdesBJange-
    zweifelt hatte: «Es kann doch nicht sein,
    dassjetztallesalseineMenschenansamm-
    lung gilt» , sagt Uhlmann auf Anfrage.


Nur für wichtige Geschäfte


Erteilen kann eine solche Bewilligung
«die zuständige kantonale Behörde», in
diesem Fall also das Parlament, das seine
Sitzungen selber einberuft. DieMittei-
lung des Zürcher Regierungsrats vom
Dienstag, er halte eine Kantonsratssit-
zung für möglich, ist dafürkeine nötige
Voraussetzung.

FürihreDurchführungsindjedochlaut
BJ zwei Voraussetzungen zu erfüllen. Es
muss ein überwiegendes öffentliches In-
teresse vorliegen. Da der Kantonsrat am
Montag von derRegierung beschlossene
Notstandsmassnahmen genehmigen will,
ist das zweifellos gegeben.
ZweitensmusseinspezifischesSchutz-
konzept garantieren, dass die Hygiene-
undAbstandsvorschriftendesBundesrats
eingehalten werden.Auch das kann der
Kantonsrat, der weitsichtig eine Messe-
halle in Oerlikon dafür herrichtete, erfül-
len.Im ZürcherRathaus wäre dieDurch-
führung der Sitzung jedenfalls inVoll-
besetzung kaum zulässig.
Der Rat wird am Montag nuracht
Traktanden behandeln. Neben dem Hilfs-
paket desRegierungsrats für die Zür-
cherWirtschaft und erweitertenKom-
petenzen für die Gemeindeexekutiven
gehören dazu noch einigeunbestrittene

Kreditbeschlüsse. Das ist eine indirekte
FörderungdesGewerbes,damitdieseVor-
haben ohneVerzug weitergetrieben wer-
den können.

Wahl der Ratspräsidien möglich


Bleibt dieFrage, ob auchkommunalePar-
lamente tagen dürfen. Dazu brauchtes
formal eine Bewilligung desRegierungs-
rats, die dieser nachAuskunft der kanto-
nalen Direktion fürJustiz und Inneres in
jedemFall erteilt, sofern die Sicherheits-
bestimmungen des Bundes eingehalten
werden.Der 125-köpfige Zürcher Ge-
meinderatkönnte ebenfalls in der Messe-
halletagen.FürkleinereParlamenteliesse
sich auch eine derTurnhallen, die land-
auf, landab leerstehen, dafür einrichten.
Die Durchführung einerParlaments-
sitzung wird auch erwogen, weil im April
und Mai turnusgemäss die dreiköpfigen

Präsidien neu zu wählen sind. ImFall des
Kantonsrats, der dafür denTermin vom


  1. Mai vorsieht, ist laut Moritz vonWyss,
    Leiter derParlamentsdienste, noch offen,
    ob und in welcherForm dies geschehen
    soll.EinerichtigeWahlfeieristkaummög-
    lich; jene für die designierte neue Zürcher
    Gemeinderatspräsidentin Helen Glaser
    (sp.) ist bereits verschoben worden.
    Odersind,klingtdieCorona-Pandemie
    nicht bald ab, die Parlamente bald füh-
    rungslos und nicht mehr funktionsfähig?
    Diese Gefahr besteht nicht,denn der Ge-
    setzgeber hat weise vorgesorgt.Im kanto-
    nalen Gesetz über die politischenRechte
    findet sich für Organe mit mehreren Mit-
    gliedernderschöneSatz:«DieAmtsdauer
    endet mit dem Beginn derAmtsdauer des
    erneuertenOrgans.»Andersausgedrückt:
    Ist einParlament nicht in derLage, sein
    Präsidium neu zu wählen, bleibt dieses
    einfach in alter Besetzung weiter imAmt.


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