Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
Die eigenen vier Wände können in diesen
Wochenmitunter ganz schön eng werden.
Zumal wenn man nicht das Glück hat, über
einen eigenen Garten, eine Terrasse oder
einen Balkon zu verfügen. Bewegung ist da-
her unerlässlich, und AJ Green ist in Mün-
chen einer der besten Ratgeber hierfür.
Der 56-Jährige war kanadischer Aerobic-
meister, bevor er aus seiner Heimat nach
München übersiedelte. 1999 gründete er
das AJ’s Fitnessstudio im Stadtteil Moos-
ach. Neben Geräten gibt es dort Diagnos-
tik, Rückentraining, Spa und Wellness.

Doch momentan ist das Studio bis auf die
Mitarbeiter im Büro leer, die 2700 Kunden
müssen zu Hause bleiben. „Wir leben von
unseren Beiträgen, Neuzugänge gibt es ge-
rade gar nicht, Kündigungen hatten wir
auch schon“, sagt Green: „Wenn die Rede
von Herbst ist, bis die Krise vorbei ist, dann
macht mir das Angst.“ Green hat virtuelle
Plattformen geschaffen, auf denen die
Kunden per App ihre Übungen weiterma-
chen können. Hier stellt er den „Wall Sit“
vor, eine einfache und effektive Übung –
für Singles, Paare und die ganze Familie.

Was es braucht:Eine Wand, bequeme Klei-
dung – und für Fortgeschrittene oder die
Familie einen kleinen Ball.

Wie es funktioniert:Die Erwachsenen (und
Kinder) stellen sich mit geradem Rücken
an die Wand. Dort rutschen sie so weit hin-
unter, bis Unter- und Oberschenkel einen
90-Grad-Winkel bilden. In dieser Sitzposi-
tion verharren sie 30 Sekunden lang. Zu be-
achten: Den unteren Rücken an die Wand
drücken und den Bauch einziehen, um
nicht ins Hohlkreuz zu kommen. Danach
wieder aufstehen und kurz lockern. 15 Se-
kunden Pause.

Wie oft:drei Wiederholungen, einmal am
Tag, am besten morgens zur Aktivierung.
Zwei- bis dreimal pro Woche.

Mit kleinem Ball:Das geht auch alleine, zu
zweit oder mit der ganzen Familie. Einfach
wieder die oben beschriebene Sitzposition
an der Wand einnehmen, bei mehreren Per-
sonen mit ein wenig Abstand nebeneinan-
der. Die erste Person hält den Ball vor dem
Bauchnabel, gibt sie mit beiden Händen an
den Nachbarn weiter, und dreht dabei den
Oberkörper. So wandert der Ball weiter.
Die letzte Person in der Reihe macht diese
Bewegung ebenfalls. Da sie den Ball aber
nicht mehr weitergeben kann, schwenkt
sie zurück und übergibt ihn wieder dem
Vorgänger. So werden speziell die schrä-
gen Bauchmuskeln trainiert.

Wie oft:Acht bis zwölf Wiederholungen,
einmal am Tag, am besten morgens zur Ak-
tivierung. Zwei bis dreimal pro Woche.

Was es bringt:Ganzkörper-Muskelspan-
nung – Oberschenkel, Gesäß, gerade und
schräge Bauchmuskeln und die Tiefenmus-
kulatur um die Wirbelsäule herum werden
trainiert. Das alles in weniger als fünf Mi-
nuten pro Übungseinheit.

Green rät außerdem zu Treppensteigen im
Haus oder Wohnblock und zu vielen Spa-
ziergängen. sebastian winter

Die Bereitschaft der Medizinstudierenden
bei der Bewältigung der Corona-Krise zu
helfen, ist überwältigend groß – deutsch-
landweit und auch in München. In ein-
drücklichen Appellen hatten die beiden
großen Universitäten der Stadt die Studen-
ten aufgefordert, sich zu melden. Martin Fi-
scher, Studiendekan der Ludwig-Maximili-
ans-Universität (LMU), bat vor 14 Tagen in
einem Schreiben auf der Webseite des
LMU-Klinikums die Studierenden, sich
„freiwillig und unverzüglich“ einzubrin-
gen. Besonders diejenigen seien gefragt,
die das erste Staatsexamen erfolgreich ab-
solviert haben und bereits eine Berufsaus-
bildung als Krankenpfleger, Notfall- bezie-
hungsweise Rettungssanitäter oder Medi-
zinisch-Technischer-Assistent in der Ta-
sche haben.
Bis Donnerstagmorgen hatten mehr als
350 Medizinstudierende aller Semester
auf den Aufruf der LMU reagiert. 137 wur-
den umgehend eingebunden. Andere war-
ten noch auf ihren Vertrag, sind aber ein-
satzbereit. Die Hilfsbereitschaft sei enorm,
sagt Maryam Schübel, Sprecherin der Fach-
schaft. Sie wisse noch von viel mehr Kom-
militonen, die derzeit helfen möchten.
Manche aber wüssten nicht so recht, wo-
hin sie sich wenden sollten. Auch bei ihr
gingen ständig Mails und Anrufe ein.
Das große Engagement macht an Stadt-
grenzen nicht halt. Auch Münchner, die in
Österreich oder Ungarn studieren und nun
hier festhängen, wollen die Zeit sinnvoll
nutzen und melden sich. Und ausländische


Studierende gehen nicht in ihre Heimatlän-
der zurück, weil sie sich mit ihrer Uni ver-
bunden fühlen. In der Facebook-Gruppe
„Medizinstudierende vs. Covid-19“ haben
sich fast 20 000 angehende Mediziner in
ganz Deutschland organisiert. Dort gibt
man sich Hinweise, was man wo tun könn-
te. Auch die Webseite http://www.match4health-
care.eu hilft neu bei der Vermittlung.

Nicht jeder will oder muss Krankenhaus-
dienst machen. Unterstützung bei den Tele-
fonhotlines oder an der Klinikpforte ist
ebenso gefragt. Die LMU setzt ihre Studen-
ten unter anderem im Haunerschen Kin-
derspital, in der Frauenklinik und auch in
der Zentralen Notaufnahme ein.
Im Klinikum Rechts der Isar, an dem die
Studenten der Technischen Universität

(TU) ausgebildet werden, nutzt man der-
zeit Hilfe für den Aufbau einer Datenbank
für alle Medizinstudierenden, die aktiv
werden wollen. Hier gingen innerhalb kur-
zer Zeit die ersten 365 Bewerbungen ein.
Schon die Erfassung dieser Bewerber und
der Einstellungsprozess binde viel Arbeits-
kraft, sagt Silke Großmann, Pflegedirekto-
rin am Klinikum. Bewerbungsgespräche
fänden nur am Telefon statt. Schnell und
pragmatisch müsse geklärt werden, wen
man wo am besten brauchen könne. Für
manche Studenten passt ein Praktikum,
das ihnen für das Studium anerkannt wird.
Andere fangen als Werkstudenten an. Aller-
dings sind ihnen nur knapp 20 Stunden
pro Woche erlaubt. Alles, was darüber hin-
aus ginge, müsste anders, für die Studie-
renden ungünstig versteuert werden. Sie
wären dann sozialversicherungspflichtig.

Noch sei die Lage überschaubar, sagt
Großmann, die das Klinikum gut vorberei-
tet sieht. Im Moment legt man dort, wie an-
derswo auch, Stationen zusammen, um
Platz für Corona-Patienten zu schaffen. So
werde auch Personal frei. In der momenta-
nen Lage könne man jeden gut einarbei-
ten, sagt sie. Auch die Studenten.
„Besondere Zeiten erfordern besondere
Maßnahmen“, mit diesem Credo hat die

TU ihre Studierenden angespornt. Pauline
Pfeiffer ist eine von ihnen. Am Donnerstag
hat sie ihren Vertrag unterschrieben. Sie ist
im zehnten Semester und wird diesen Frei-
tag um 6.15 Uhr auf einer der Corona-Inten-
sivstationen anfangen. Die Kollegen dort
hat sie schon kennengelernt. „Ich habe
mich sehr willkommen gefühlt“, sagt die
23-Jährige. Sie soll vor allem den Pflege-
kräften zur Seite stehen und etwa beim Wa-
schen und Lagern der Patienten helfen.
Lucia Hoenen hat bereits ihre ersten Ta-
ge mit schwer kranken Corona-Infizierten
hinter sich. Sie erzählt am Telefon von ih-
ren Erfahrungen. „Es ist alles neu und des-
halb anstrengend“, sagt sie. „Ich weiß nach
zehn Semestern Studium theoretisch eini-
ges, muss aber noch so viel mehr lernen.“
Sie gehe mit großem Respekt für das Le-
ben und die Medizin an ihre Aufgabe.
Auch sie hat schon mehrere Praktika
hinter sich. Doch noch nie zuvor musste sie
unter so strengen hygienischen Vorgaben
arbeiten. Ungewohnt für sie ist zum Bei-
spiel, zwei Paar Schutzhandschuhe über-
einander zu ziehen, so dass das Bündchen
des Kittels dazwischen liegt. Weil es in den
Krankenzimmern für die Patienten ange-
nehm warm sein soll, schwitze man ziem-
lich schnell unter den Schutzkitteln aus
Kunststoff, erzählt Hoenen. Obwohl sie
sich gut geschützt fühlt, ist ihr bewusst,
dass von ihr ein Infektionsrisiko ausgehen
kann. Ihr Leben wird sich nun über Monate
hinweg nur zwischen Klinik und Zuhause
abspielen. sabine buchwald

AJ Green, kanadi-
scher Aerobic-Meis-
ter, ist wohl einer
der fittesten Münch-
ner. Nun sorgt sich
der 56-Jährige um
sein Studio in Moos-
ach – und gibt Fit-
nesstipps für zu
Hause.FOTO: PRIVAT

Rezepte, Übungen und Rätsel
für den Corona-Alltag daheim

von jakob wetzel

E


ins ist wie immer an diesem Donners-
tag: Die zehnte Klasse von Claire Ash-
bee hat Wirtschaft, und die Lehrerin
ist da. Sie sitzt im Klassenzimmer auf dem
Campus der privaten Bavarian Internatio-
nal School (BIS) in Haimhausen und unter-
richtet. Gerade sagt sie ihren Schülerinnen
und Schülern, sie sollten herausfinden,
was es für gute und schlechte Folgen ha-
ben kann, wenn Konzerne Fabriken in Ent-
wicklungsländern bauen, ob nun Coca-Co-
la in China oder Nike in Vietnam; die Schü-
ler sollen dazu in Zeitungen und in Studien
recherchieren. „Any questions?“, will Ash-
bee wissen, „gibt es Fragen?“ Und norma-
lerweise würde sie jetzt ins Klassenzim-
mer blicken – doch da sitzt Ashbee derzeit
alleine. Statt auf ihre leibhaftigen Schüler
blickt sie auf 24 kleine Gesichter auf ihrem
Bildschirm. Und dann macht sie eine dre-
hende Handbewegung vor ihre Computer-
Kamera und sagt: „Unmute yourself“,
„schaltet euch selber wieder laut“.
Schule ist in Zeiten von Corona nicht
mehr so, wie sie einmal war. Um die Aus-
breitung des Virus zu bremsen, sind seit
dem 16. März bis zu den Osterferien alle
Schulgebäude in Bayern geschlossen. Ler-
nen sollen die Schüler daheim, wie genau,
regelt jede Schule selbst.
Die BIS war darauf eingestellt: Schon
2002, während der Sars-Pandemie, hätten
sie begonnen, sich auf mögliche Schul-
schließungen vorzubereiten, sagt Schullei-
terin Chrissie Sorenson. Lehrer wurden ge-
schult und ein eigenes Lernsystem na-
mens „Distance Learning“ etabliert. Seit
knapp zwei Wochen treffen sich die Klas-
sen jetzt in Videochats; meldet sich ein
Schüler nicht an, bekommen er und seine
Eltern eine Erinnerung per E-Mail. In der
Schulbibliothek können sich die Schüler
Bücher abholen, wenn diese nicht digital
verfügbar sind. Und wenn Claire Ashbee ih-
re Arbeitsaufträge verteilt hat, lässt sie den
Videochat gerne noch ein bisschen laufen.
Dann können die Kinder ohne Lehrerin
noch miteinander ratschen.


Es ist still an der BIS, die Stimmung ist
fast gespenstisch, trotzdem ist hier wieder
so etwas wie Routine eingekehrt. An vielen
anderen Schulen aber kann davon noch kei-
ne Rede sein. Lehrerinnen und Lehrer su-
chen nach Wegen, digital zu unterrichten,
und sie experimentieren, es bleibt ihnen
nichts anderes übrig. Das bayerische Kul-
tusministerium verwies Anfang März auf
das vom Staat etablierte Portal „Mebis“:
Lehrer und Schüler könnten sich hier in vir-
tuellen Klassenzimmern treffen. Doch
kaum waren die Schulen geschlossen, war
das Lernportal überlastet und noch dazu ei-
nem Hacker-Angriff ausgesetzt. Die Leh-
rer mussten andere Wege finden. Viele
mussten sich überhaupt erst einmal die
E-Mail-Adressen ihrer Schüler besorgen.
Florian Zeindl war da einen Schritt wei-
ter: Er hatte bereits einen E-Mail-Verteiler.
Zeindl ist digitaler Berater im Münchner
Lehrer- und Lehrerinnenverband (MLLV),
vor allem aber ist er Klassenlehrer einer
neunten Klasse an der Mittelschule an der
Schleißheimer Straße. Seit dem 16. März
verschickt er jetzt Wochenpläne und Ar-
beitsaufträge per E-Mail. Zusätzlich setzt
er auf das Videokonferenz-System
„Zoom“. Diese Software sei derzeit kosten-
los, und der Zugang funktioniere ohne
Passwörter, die Schüler vergessen könn-
ten, sagt er. Statt eine Formel an die Tafel
zu schreiben, können Lehrer sie den Schü-
lern direkt auf deren Bildschirmen zeigen.
Und es gibt auch eine Melde-Funktion: Leh-
rer können Schüler stumm- und für Wort-
meldungen wieder freischalten.
„Theoretisch wäre damit normaler Un-
terricht möglich“, sagt Zeindl. Er selber nut-
ze Zoom aber nur für eine digitale Frage-
stunde, zum Verbessern von Arbeitsblät-
tern und um präsent zu sein. Um seine Kol-
legen zu unterstützen, hat er am ersten Wo-
chenende eine Anleitung verschickt. Mitt-


lerweile sei das Programm in mehreren
Klassen seiner Schule im Einsatz.
Andere Schulen suchen andere Wege.
An der städtischen Erich-Kästner-Real-
schule etwa unterrichten mehrere Lehrer
mit dem Programm „Teams“ von Micro-
soft; Schüler, denen ein Endgerät fehlt, er-
hielten Tablets von der Stadt, erklärt das
Bildungsreferat. Andere Lehrer bieten Tele-
fonsprechstunden an. Und die Grundschu-
le an der Josephsburgstraße zum Beispiel
setzt auf ihre Homepage. Wochenpläne
und Lernmaterial für alle Klassen stehen
hier frei zur Verfügung. In einem passwort-
geschützten Bereich gibt es zusätzlich von
den Lehrern selbst gedrehte Erklärvideos.
Die Lehrer würden außerdem alle Schüler
anrufen und sie fragen, wie es ihnen er-
geht, sagt Schulleiterin Vera Reindl.
Beim Stoff mache ihre Schule derzeit
keine Abstriche, sagt Reindl. Der werde

durchgenommen wie geplant – allerdings
hätten einige Lehrer in den Tagen vor der
Schulschließung extra viel neuen Lern-
stoff erklärt, den die Kinder nun selbstän-
dig üben könnten. Damit alle zurechtkom-
men, bezieht die Grundschule auch die El-
tern ein: Diese könnten helfen, etwa indem
sie feste Uhrzeiten für die Schularbeiten
festlegen, sagt Reindl. Auf der Homepage
ihrer Schule finden Eltern weitere Tipps:
Sie könnten als Ansprechpartner da sein,
wenn die Kinder Fragen haben, heißt es da.
Sie könnten gemeinsam mit den Schülern
für Bewegungspausen an die frische Luft
gehen und generell versuchen, die Kinder
zu motivieren, „möglichst ohne Druck“.
Unter enormem Druck stehen freilich
viele Eltern selber. Alle berufstätigen El-
tern, besonders Alleinerziehende, stünden
„vor einer existenziellen Zerreißprobe“,
heißt es in einem offenen Brief, den der Ver-

band alleinerziehender Mütter und Väter
in der vergangenen Woche an Bayerns Kul-
tusminister Michael Piazolo (Freie Wähler)
geschrieben hat. Selbst wenn Eltern da-
heim arbeiten könnten, sei „der Spagat zwi-
schen Kinderbetreuung und Arbeit kaum
machbar“. Dazu kämen nun Arbeitsaufträ-
ge der Schulen. Piazolo solle Druck weg-
nehmen. Der Minister beschwichtigte: „El-
tern sollen nicht die Aufgabe der Lehrkräf-
te ersetzen“, antwortete er in sozialen Medi-
en. Es gehe nur ums Wiederholen und viel-
leicht darum, etwas vorzubereiten, nicht
um schulischen Unterricht.
Was Eltern daheim tatsächlich erleben,
kommt auf die Schule und die Klassenleh-
rer an. Manche sagen, es kämen von mehre-
ren Lehrern auf verschiedenen Kanälen so
viele Arbeitsaufträge, dass es schwierig
sei, den Überblick zu behalten. Andere kla-
gen über Unterforderung: Ihr Sohn habe in

der ersten Woche genau zwei Arbeitsblät-
ter erhalten, sagt eine Mutter. Von man-
chen Lehrern höre man gar nichts. In einer
Internet-Petition fordern Eltern derzeit,
den Kindern einfach freizugeben – auch,
weil die Schulen unterschiedlich gut ausge-
stattet seien. Für die Schüler sei die „Fern-
beschulung“ deshalb nicht nur didaktisch
schwierig, sondern auch unfair.
Und die Schüler machen sich Sorgen,
vor allem die älteren, erzählt Alexander Lö-
her. Der 17-Jährige besucht die elfte Klasse
des privaten Neuhof-Pro-Gymnasiums in
Obersendling und ist zudem Bezirksschü-
lersprecher in Oberbayern-West, steht des-
halb mit vielen anderen Schülern in Kon-
takt. Die Jüngeren fänden die Schließung
eher cool, berichtet er: Für die sei das wie
Ferien. In der elften Klasse dagegen hätten
viele Angst, Grundlagen fürs Abitur zu ver-
passen. „Je länger die Schulschließung
dauert, desto größer werden die Sorgen.“
An seiner Schule laufe es halbwegs gut,
findet Löher. Seine Klasse kommuniziere
über E-Mails und das Programm Teams.
Er bekomme Wochenpläne und könne sich
die Zeit einteilen. Wie viel er tun müsse, sei
unterschiedlich: Manche Lehrer würden
viele Aufgaben stellen, um einen Rück-
stand im Lehrplan aufzuholen, sagt Löher.
Andere seien „eher entspannt“. Insgesamt
verbringe er etwa drei Stunden täglich mit
Lernen, also etwas weniger als sonst. Und
es sei nicht immer einfach daheim, „wo
meine Mutter und mein Vater rumsprin-
gen“, beide arbeiten im Home-Office.
Vor allem neuen Stoff zu lernen, gelinge
zu Hause nur mäßig, warnt Löher: Beson-
ders schwierig sei es in Fächern wie Mathe-
matik, in denen sich Verständnisfragen
stellen. Lehrer sollten zwar zu den im Stun-
denplan für ihr Fach vorgesehenen Zeiten
vor dem Rechner sitzen und Fragen beant-
worten. Es komme aber vor, dass eine Ant-
wort erst nach mehreren Stunden komme.
Effektives Lernen sei so schwierig.
Florian Zeindl sagt, er nehme während
der Schulschließung keinen neuen Stoff
durch. Die Schüler sollten die Zeit lieber
nutzen, um bisherige Defizite aufzuholen.
Das sei auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Nicht alle Schüler könnten beim Fernunter-
richt daheim gleichermaßen mithalten.

Das beginne bei der Situation in den Fa-
milien, sagt Zeindl: „Es ist fast unmöglich
zu überprüfen, ob Schüler die ihnen aufge-
tragenen Arbeiten wirklich erledigen.“ Die
Lehrer seien auf die Mithilfe der Eltern an-
gewiesen, aber besonders an der Mittel-
schule hätten diese oft kein Interesse oder
selber nicht die nötigen Kompetenzen. Hin-
zu komme: „Nicht jeder hat einen PC mit
Drucker“, sagt Zeindl. Doch für „Mebis“ sei
ein PC gut, eine Handy-App gebe es nicht.
„Manche Schüler haben daheim auch kein
Internet, nur ihr Handy, aber da ist das Da-
tenvolumen irgendwann aufgebraucht.
Diese Schüler würde ich verlieren.“
Die BIS hat solche Probleme nicht. Jeder
Schüler ab der vierten Jahrgangsstufe er-
hält hier ein Schul-Tablet, ab der siebten ei-
nen Leih-Rechner. Jedes Kind bekommt ei-
ne E-Mail-Adresse der Schule. Und eine ei-
gene Abteilung der Schule kümmert sich
um die Technik. Sie würden ihre Erfahrun-
gen gerne teilen, sagt die Direktorin.
Die öffentlichen Schulen seien dagegen
sehr unterschiedlich gerüstet, sagt Florian
Zeindl vom MLLV. Manche seien neu oder
frisch saniert und gut ausgestattet. Andere
nicht: „Wenn es im ganzen Haus nur zwei
Computerräume gibt, ist es schwer, den
Umgang mit Mebis und Computern allge-
mein zu üben.“ Vielen Lehrern und Schü-
lern falle der plötzliche Schritt ins Digitale
deshalb schwer. Womöglich könne die Co-
rona-Krise hier etwas anstoßen. Es müss-
ten endlich flächendeckend digitale Platt-
formen bereitgestellt werden, Lehrer und
Schüler müssten im Umgang mit diesen ge-
schult werden. „Wenn die Krise überwun-
den ist, muss es eine grundlegende Diskus-
sion geben“, sagt Zeindl. „Wir können nicht
so weiterarbeiten wie bisher.“

Angesichts der hohen Lebenshaltungskos-
ten inMünchen hat Oberbürgermeister
Dieter Reiter (SPD) in einem Schreiben an
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
(SPD) eine Erhöhung des Kurzarbeiter-
gelds gefordert. Die staatliche Leistung,
mit der die Einkommenseinbußen durch
Kurzarbeit zumindest teilweise aufgefan-
gen werden, müsse deutlich aufgestockt
werden – viele Münchner kämen sonst
nicht über die Runden. „Gerade die im
Durchschnitt deutlich schlechter bezahl-
ten Jobs im Handel und in der Gastrono-
mie sind hiervon überproportional stark
betroffen“, so Reiter. Wer mit nur noch 60
Prozent seines ohnehin niedrigen Einkom-
mens die Fixkosten in alter Höhe schultern
müsse, werde über kurz oder lang nicht oh-
ne staatliche Hilfe auskommen. „Wenn wir
vermeiden wollen, dass sich die Gesund-
heitskrise zu einer sozialen Krise entwi-
ckelt, müssen wir jetzt dringend handeln“,
steht im Brief Reiters an seinen Partei-
freund. Viele Unternehmen haben bereits
Kurzarbeit angemeldet, weil das Auftrags-
volumen stark zurückgegangen ist. Kurzar-
beitergeld ist auf ein Jahr begrenzt, kann
aber in Ausnahmefällen auch länger be-
zahlt werden. Reiter fordert nun von der
Bundesregierung, nicht nur zu erhöhen,
sondern auch die Bezugsdauer des Kurzar-
beitergelds zu verlängern. dh

In der Bavarian International School nutzen Wirtschaftslehrerin Claire Ashbee (li.) und
Schulleiterin Chrissie Sorenson ein eigenes digitales Lernsystem. Alexander Löher besucht
die elfte Klasse des Neuhof-Pro-Gymnasiums in Obersendling und lernt wie viele andere
Münchner Schüler den Stoff nun zu Hause.FOTOS: TONI HEIGL, CATHERINA HESS

Manche Studenten helfen den Pflegekräften auf der Intensivstation, andere wer-
den bei Telefonhotlines oder beim Blutspendedienst eingesetzt. FOTO: STEFANIE PREUIN

Vom Hörsaal in die Intensivstation


HunderteMedizinstudenten melden sich freiwillig zum Dienst, um die Kliniken in der Corona-Krise an verschiedenen Stellen zu unterstützen


Wenn es im ganzen Haus nur
zwei Computerräume gibt, ist es
schwer, den Umgang zu üben

Reiter fordert mehr


Geld für Kurzarbeiter


Training


an der Wand


Fitnessexperte AJ Green zeigt
eine leichte Übung für zu Hause

„Ich weiß nach zehn Semestern
Studium theoretisch einiges, muss
aber noch so viel mehr lernen.“

BAUCH, BEINE, KOPF


Videochat im Klassenzimmer


Viele Lehrer experimentieren derzeit, wie sie ihre Schüler trotz der Schließung
unterrichten können. Die Unterschiede sind groß – auch bei der Ausstattung

Kaum waren die Schulen


geschlossen, war das


Lernportal „Mebis“ überlastet



R2 (^) MÜNCHEN Freitag, 27. März 2020, Nr. 73 DEFGH

Free download pdf