Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
„Die Wiedereinführung von Kontrollen
an den gemeinsamen Grenzen
zwischen bestimmten Ländern
kann nur eine einmalige und
vorübergehende Maßnahme sein.“
Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, anlässlich
des 25. Jahrestags des Schengener Abkommens

„ Jetzt ist akute Krise.
Jetzt müssen wir uns
darauf konzentrieren,
den Menschen zu helfen.“
Annegret Kramp-Karrenbauer,
Verteidigungsministerin, hat Forderungen
nach mehr Kompetenzen der Bundeswehr
im Inneren eine Absage erteilt.

Stimmen weltweit


Die Londoner „Financial Times“ kommentiert die
von Frankreich, Italien, Spanien und weiteren
Ländern geforderten gemeinsam finanzierten
Anleihen, die sogenannten Corona-Bonds:

D


erartige Anleihen wären das mächtigste Mit-
tel, um Zweifel daran auszuräumen, dass
nicht nur die Europäische Zentralbank alles
unternehmen wird, was erforderlich ist, sondern
dass auch die Regierungen der Euro-Zone dies tun
werden. Das würde die erforderliche vereinte euro-
päische Antwort geben und zugleich das vollständi-
ge finanzielle Potenzial der Euro-Zone erschließen.
Und es wäre eine mächtige Demonstration der Soli-
darität. (...) Doch angesichts des starken Wider-
stands Deutschlands, der Niederlande und Öster-
reichs, denen eine Vergemeinschaftung von Schul-
den ein Gräuel ist, ist es derzeit unwahrscheinlich,
dass es Corona-Bonds geben wird. Niemand hat für
deren Einführung einen präzisen Plan vorgelegt.
Die öffentliche Meinung in nordeuropäischen Län-
dern, wo Corona-Bonds das Risiko bergen, euro -
skeptischen Nationalismus anzufachen, wird Zeit
brauchen, um zu akzeptieren, dass sie bei einem
Zusammenbruch der Euro-Zone ebenso viel zu ver-
lieren haben wie ihre südlichen Partner.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentiert das
US-Hilfspaket:

S


chon jetzt gibt es Zweifel, ob mit dem Hilfs-
paket tatsächlich in erster Linie den Bedürf-
tigsten geholfen sein wird. Wenn über Billio-
nenbeträge verfügt wird, brauchte es eigentlich
ein Minimum an Aufsicht und Kontrolle, und auch
die Frage, ob sich die USA das leisten können,
muss erlaubt sein. Beides ist kaum gewährleistet.
(...) Amerika muss deshalb nach überstandener
Coronakrise rasch über die Bücher und nicht nur
seine Epidemienvorsorge und sein soziales Sicher-
heitsnetz überprüfen, sondern dringend auch sei-
ne Finanzpolitik überdenken. Strukturelle Refor-
men sind nötig, um die Krisenfestigkeit der Verei-
nigten Staaten zu erhöhen. Mit dem jüngsten
Hilfspaket hat Washington bewiesen, dass diese
imago images/photothek, AP, dpaEinsicht nach wie vor nicht vorhanden ist.

Die belgische Zeitung „De Tijd“ kommentiert
Corona-Prämien für Beschäftigte in
unverzichtbaren Unternehmen:

U


m zu vermeiden, dass die Corona-Epidemie
die Wirtschaft vollständig zusammenbre-
chen lässt, ist es wichtig, dass Firmen, die
trotz staatlich verfügter Einschränkungen weiterar-
beiten dürfen, dies auch tatsächlich tun. Das gilt in
erster Linie für Unternehmen in unverzichtbaren
Branchen – Zulieferer für das Gesundheitswesen,
Agrarbetriebe, die Lebensmittelindustrie, die Su-
permärkte, aber auch andere. (...) Es liegt auch im
Interesse dieser Unternehmen, dass sie Wege fin-
den, um ihre Arbeitnehmer weiterhin zu motivie-
ren. Das sollte in Betrieben, in denen der Arbeitge-
ber ein gutes Verhältnis zu seinem Personal hat,
durchaus möglich sein. Man kann über zusätzliche
Urlaubstage nach Ende der Krise nachdenken oder
über eine Geldprämie. Warum nicht? Natürlich wür-
de das etwas kosten. Aber kann man von den Unter-
nehmen nicht auch Solidarität erwarten? Die Rech-
nung einfach nur dem Staat auf den Tisch zu legen
wäre zu einfach.

L


ange hat Kremlchef Wladimir Putin sein Volk
über das zu erwartende Ausmaß der Corona-
Pandemie für sein Land belogen. Er hat abgewie-
gelt, beschwichtigt und russische Helfer ins Ausland ge-
schickt, um Größe zu demonstrieren. Die verheerende
Lage des heimischen Gesundheitssystems, in dem es in
vielen Provinzen nur wenige und oft alte Beatmungsge-
räte gibt, hat seine Regierung schöngeredet. Nun hat
Putin fast alle Unternehmen seines Landes für mehr als
eine Woche zum Stillstand verdonnert. Ob das reicht,
darf bezweifelt werden. Gleichzeitig versucht Moskau
zusammen mit dem Iran, Nordkorea und Venezuela,
die Vereinten Nationen zum Aufheben aller Sanktionen
zu drängen.
Auch Saudi-Arabien hat die Coronakrise anfangs un-
terschätzt, will jetzt aber mit drastischen Strafen von
bis zu 800 000 Dollar harsche Ausgangssperren durch-
setzen und die Wirtschaft mit einem gewaltigen Stimu-
luspaket am Laufen halten.
Bei ihren Bemühungen im Kampf gegen Corona hin-
dert der Ölpreisstreit zwischen beiden Ländern massiv.


Nachdem Russland am 6. März Pläne des Opec-Kartells
durchkreuzt hatte, gemeinsam den Ausstoß zu senken,
hatte der Ölkonzern Saudi Aramco die Förderung mas-
siv hochgefahren und erhebliche Rabatte für saudisches
Rohöl angeboten. Der Ölpreis war daraufhin abgestürzt.
Denn zugleich sinkt die Ölnachfrage in der Krise deut-
lich. Goldman Sachs prognostizierte am Donnerstag ei-
ne weiter deutliche Abnahme.
US-Außenminister Mike Pompeo redete in einem Te-
lefonat dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin
Salman zu, die Ölmärkte zu stabilisieren. Ein Aufruf zur
Vernunft. Und ebendiese Vernunft dürfte am Ende über
die Machtspielchen von Kremlchef und Kronprinz sie-
gen.
Für ein Einlenken spricht, dass sich beide Staaten ei-
nen lange anhaltenden Ölpreiskrieg schlicht nicht leis-
ten können. Momentan zieren sie sich noch, wer als
Erster zur Vernunft kommt und an den Verhandlungs-
tisch ruft. Dabei hindern die überbordenden Egos des
absolutistisch herrschenden Kronprinzen Mohammed
und des de facto wie ein Zar allein herrschenden Pu-
tins. Doch um sich an der Macht zu halten, brauchen
sie Erfolg – und dafür sehr viel Geld.
So spricht die ökonomische Ratio dafür, dass es in
Kürze zu Verhandlungen und einem Kompromiss
kommt. Denn ein rasantes Abschmelzen der gut 500
Milliarden hohen saudischen und 580 Milliarden hohen
russischen Devisenreserven können sich beide Länder
nicht erlauben – angesichts der wirtschaftlichen Tal-
fahrt in ihren Ländern brauchen sie diese finanzielle
Feuerkraft noch.

Ölpreisstreit


Die Vernunft dürfte siegen


Russland und Saudi-Arabien
müssen ihren Zwist angesichts
der verschärften Coronakrise bald
beilegen, analysiert
Mathias Brüggmann.

Der Autor ist International Correspondent.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
17

Free download pdf