Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Die Euro-Frage
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
51

Gerd Höhler Athen

E


s sollte ein gutes Jahr werden. „Wir
durchbrechen den Teufelskreis und ma-
chen Griechenland zu einer Erfolgssto-
ry“, sagte Premierminister Kyriakos Mit-
sotakis. In seiner Neujahrsansprache versprach er
den Griechen „Wachstum für alle“. Mit einem Plus
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,8 Prozent
rechnete die Regierung für dieses Jahr.
Aber die Prognose ist Makulatur. Eine Rezession
ist unvermeidlich. Griechenland ist gelähmt. Um
die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen, hat
die Regierung des konservativen Mitsotakis das öf-
fentliche Leben weitgehend stillgelegt. Früher als
andere Staaten schloss Griechenland Schulen, Ge-
schäfte und Gaststätten. Die Maßnahmen scheinen
zu wirken. Noch meldet das Land relativ wenige ve-
rifizierte Infektionen. 821 waren es am Donnerstag.
Aber der wirtschaftliche Preis ist hoch.
Die Pandemie trifft Griechenland in einer heik-
len Phase. Die Griechen haben gerade erst eine lan-
ge und tiefe Rezession durchgemacht. Seit den Kri-
senjahren nach 2011 verlor das Land mehr als ein
Viertel seiner Wirtschaftskraft. Der griechische No-
tenbankchef Yannis Stournaras sieht „erhebliche
negative Auswirkungen für die Wirtschaft in den
ersten beiden Quartalen“.
Analysten erwarten ein Minus von zwei bis 15
Prozent. „Griechenland droht eine kurze, aber tiefe
Rezession, genau wie in allen Ländern Europas“,
sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Beren-
berg Bank. „Allerdings könnte sie in Griechenland
wegen der hohen Abhängigkeit vom Sommertou-
rismus etwas schwerer ausfallen.“
Der Tourismus war in den vergangenen Jahren
der Wachstumsmotor der griechischen Wirtschaft.
Er trägt fast 20 Prozent zum BIP bei und sichert je-
den fünften Arbeitsplatz. Einige Regionen leben
fast vollständig vom Fremdenverkehr. Jetzt droht
ein Desaster. Auf den Flughäfen herrscht gähnende

Leere. Die Hotels sind seit Mitte März geschlossen.
Eine Rezession sei angesichts der Abhängigkeit
Griechenlands vom Tourismus unausweichlich,
sagt Jakob Suwalski, Griechenland-Analyst bei
Scope Ratings. „Wir erwarten für Griechenland ein
negatives Wachstum von minus zwei Prozent, falls
sich die Shutdowns in Europa im Mai graduell lo-
ckern“, so Suwalski. „Sollte die Erholung erst im Ju-
li beginnen, kann der wirtschaftliche Einbruch
aber auch leicht zweistellig werden.“
Die Arbeitslosenquote sinkt zwar seit 2014, ist
aber mit 16,3 Prozent immer noch die höchste in
der EU. Sie dürfte in diesem Jahr erstmals wieder
ansteigen. Geschätzt 40 000 Menschen haben in
diesem Monat bereits ihre Jobs verloren. Auch die
Staatsschuldenquote, die nach bisherigen Progno-
sen der EU-Kommission von 175,3 Prozent des BIP
im vergangenen Jahr auf 169,3 Prozent zurückge-
hen sollte, dürfte infolge der sinkenden Wirt-
schaftsleistung wieder nach oben gehen. Die Ren-
dite der zehnjährigen Staatsanleihe, die im Februar
erstmals seit der Einführung des Euros in Grie-
chenland unter ein Prozent gefallen war, liegt jetzt
bei fast 2,4 Prozent.

Bis 2023 ist das Land finanziert
Premier Mitsotakis nimmt jetzt viel Geld in die
Hand, um die Folgen der Pandemie für die Wirt-
schaft zu lindern: Rund zehn Milliarden Euro
macht er für Steuerstundungen, Staatshilfen und
Lohnsubventionen locker. Zwei Drittel der Gelder
kommen aus dem eigenen Haushalt, ein Drittel
stammt von der EU. Unter dem Strich entspricht
die Summe immerhin 5,3 Prozent des letztjährigen
BIP.
Während Griechenland in den Jahren der Euro-
Krise mehrmals am Rand des Staatsbankrotts
stand, droht diesmal kein Zahlungsausfall. Das
Land hat aktuell keinen Geldbedarf. Finanzminis-
ter Christos Staikouras sitzt auf einem Liquiditäts-
polster von rund 32 Milliarden Euro. Für die jetzt
geplanten Konjunkturprogramme soll die Rücklage
ausdrücklich nicht angegriffen werden. Damit ist
das Land bis weit ins Jahr 2023 durchfinanziert.
An eine Neuauflage der griechischen Schulden-
krise glaubt der Berenberg-Chefvolkswirt nicht.
„Das Land ist diesmal weit besser vorbereitet“, sagt
Schmieding. „Es hat nahezu beispiellose Reformen
umgesetzt, auch wenn es im Detail immer noch ha-
pert.“ Strukturell stehe Griechenland heute weit
besser da, sei es im Staatshaushalt oder in der Au-
ßenbilanz. Noch wichtiger sei es, dass die seit Mitte
2019 amtierende konservative Regierung das Ver-
trauen der Märkte und ihrer europäischen Partner
genieße, meint Schmieding. Auch wenn Teile der
Wirtschaft nach den Schocks der Krisenjahre anfäl-
lig seien, hätten „Athen, Brüssel und Frankfurt den
Willen und die Mittel, die leider unvermeidlichen
Schäden einzugrenzen“.
Große Herausforderungen kommen allerdings
auf die griechischen Banken zu. Die Institute kämp-
fen mit immensen Kreditrisiken. Rund 40 Prozent
aller ausgereichten Darlehen werden nicht mehr
bedient oder sind akut ausfallgefährdet. Jetzt könn-
te eine neue Welle fauler Kredite auf die Institute
zurollen, vor allem in der Tourismusbranche. Zwar
hat sich die Liquiditätslage der Banken stark ver-
bessert. Dennoch sei die Fähigkeit der Institute, die
Wirtschaft zu unterstützen, stark eingeschränkt,
meint Scope-Analyst Suwalski. „Daher gehört das
griechische Bankwesen zu den von der Corona-
Epidemie am meisten betroffenen Bankensyste-
men in Europa.“
Noch vor wenigen Wochen wäre an Ausgaben in
dieser Größenordnung nicht zu denken gewesen.
Finanzminister Staikouras musste jeden Euro zwei-
mal umdrehen, wegen der strikten Sparvorgaben
der Euro-Partner. Einen Primärüberschuss von
3,5 Prozent des BIP sollte Athen in diesem und im
kommenden Jahr erwirtschaften. Diese Auflagen
sind nun vom Tisch. Und auch ein anderer Wunsch
des griechischen Finanzministers erfüllt sich: Die
Europäische Zentralbank (EZB) nimmt Griechen-
land in ihr neues Anleihekaufprogramm auf, ob-
wohl das Land wegen seines schlechten Kreditra-
tings eigentlich dafür nicht qualifiziert ist. Die EZB
könnte im Rahmen des Programms griechische An-
leihen im Volumen von bis zu zwölf Milliarden
Euro aufkaufen. Das drückt die Rendite der Papie-
re und verbilligt die Kreditaufnahme. Außerdem
dürfte das Kaufprogramm die Liquidität der grie-
chischen Geschäftsbanken verbessern.

Das


gelähmte


Griechenland


Der Tourismus fehlt dem Land


sehr. Aber eine Staatspleite


ist diesmal nicht zu befürchten.


Parlament in Athen:
Diesmal ist Griechenland
nicht das Sorgenkind.
AP

-2,6 %

Faktencheck Griechenland
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Veränderung zum Vorjahr in Prozent

Staatsverschuldung
in Prozent des BIP

absolut
in Mrd. €

Anteil der Staatsverschuldung an der
Verschuldung der Euro-Zone

Privatverschuldung im 3. Quartal 2019
(Unternehmen und Verbraucher)
in Prozent des BIP

Haushaltssaldo
in Prozent des BIP

HANDELSBLATT
Quellen: Thomson Reuters,
Bloomberg, EU-Kommission, BIZ

+2
±0
-2
-4
-6
-8
-10

+1,8 %

330 ,6332, 0

2010 2019

175,2 %

2010 2019 2010 2019

200

150

100

50

0

Euro-Zone
gesamt:

Griechenland

Griechenland
107 ,9 %

Anteil:
3,2 %

10 260,8
Mrd. Euro

+1,3 %

2010 2019

+3
0
-3
-6
-
-12
-15

332,0
Mrd. €

Leistungsbilanz
in Prozent des BIP

2019

0

-2

-4

-6

-8

-10
2010

Italien Spanien

Berenberg-Bank

Das Land ist


diesmal weit


besser


vorbereitet.


Es hat nahezu


beispiellose


Reformen


umgesetzt.


Holger Schmieding
Chefvolkswirt der
Berenberg Bank
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