Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Karriere
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
54

Live-Schalte

mit dem Chef

In der Coronakrise finden Meetings übers Telefon oder per Video statt.


Das hat seine Tücken. Doch wer die Regeln kennt, erwirbt Fähigkeiten, die


auch nach der Pandemie sehr sinnvoll zum Einsatz kommen können.


Michael Scheppe Düsseldorf

M


it einem Piepton betritt der Chef
die Videokonferenz – so weit, so
gut. Das aber bleibt das Einzige,
was in diesem digitalen Meeting
funktionieren wird. Mitarbeiter
Paul deutet auf sein Ohr, er kann nichts hören.
Tyler, der sich hinzuschaltet, klingt wie ein Robo-
ter und besteht optisch auf dem Bildschirm nur
aus Pixeln – das Hotel-WLAN ist zu schwach. Kol-
legin Beth ist zu spät, weil sie das Programm
noch aktualisieren musste. John steht im Stau,
meldet sich telefonisch, Lkw-Geräusche dröh-
nen.
Immerhin: Alle sind irgendwie da. Als Tyler die
Geschäftszahlen vorstellt, friert das Bild erst ein,
dann bricht es ganz ab. Ein Geräusch zeugt da-
von, dass jemand in der Runde noch schnell eine
E-Mail verschickt. Dann laufen schreiende Kinder
durchs Bild, Stimmen hallen – die Konzentration
ist dahin. Genervt beendet der Chef das Meeting.
Zugegeben: Der Clip zweier US-Komiker, die
damit für einen Videokonferenzanbieter werben,
mag ein wenig übertrieben sein. Aber er kommt
der Wahrheit schon sehr nahe. Denn so oder so
ähnlich laufen derzeit in den Unternehmen Tau-
sende von Meetings ab.
In Zeiten von Corona haben viele Unterneh-
men ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.
Doch Manager und Mitarbeiter müssen sich wei-
terhin besprechen, müssen Aufgaben verteilen
und Strategien vereinbaren. Meetings über Video
oder Telefon boomen. So beobachtet etwa der
Betreiber des weltgrößten Internetknotens in

Frankfurt, DE-CIX, 100 Prozent mehr Datenver-
kehr als vor der Corona-Pandemie. Und Voda -
fone teilt mit, dass es im Festnetz derzeit 45 Pro-
zent mehr Telefonate gibt als zuvor.
Das Problem: Nicht jedem sind die Regeln für
eine gelungene virtuelle Konferenz vertraut. „Vie-
le solcher Konferenzen erreichen das gewünsch-
te Gesprächsziel nicht, weil sie schlecht mode-
riert werden und Teilnehmer technisch überfor-
dert sind. Sie schreiben nebenher Mails oder
kommen zu spät“, sagt Josephine Hofmann, die
beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft
und Organisation zum Thema Führungskonzepte
und flexible Arbeitsformen forscht.
Schon bei Präsenzbesprechungen, das zeigt ei-
ne Studie der Harvard-Universität, haben 70 Pro-
zent der Manager den Eindruck, keine konkreten
Ergebnisse erzielt zu haben. Ganz nach dem Mot-
to: viel besprochen, wenig gelöst. Genau dieses
Problem wird mittels modernster Technik derzeit
eher größer als kleiner. Das aber muss nicht sein.
Denn richtig durchgeführt, könnten virtuelle
Meetings sogar effizienter ablaufen, sagt Hof-
mann. Damit wäre die Krise sogar eine Chance.
„Corona wird bei vielen Unternehmen einen
Wandel anstoßen und dafür sorgen, dass künftig
mehr Besprechungen am Telefon und per Video
ablaufen“, sagt sie.
Mitarbeiter müssen nun lernen, wie sie in Vi-
deokonferenzen souverän auftreten. Und die
wichtige Aufgabe der Manager ist es, für mehr
Disziplin in der virtuellen Konferenz zu sorgen.
Wie das gelingt? Tipps aus der Praxis:

Video- oder Telefonkonferenz?
Eugenio Pace sitzt pro Woche in drei Dutzend Vi-
deokonferenzen. Für ihn ist es die einzige Mög-
lichkeit, sich mit seinen 650 Mitarbeitern auszu-
tauschen, die verstreut in 30 Ländern sitzen, der
Großteil arbeitet von zu Hause aus – nicht erst seit
der Coronakrise. Pace gründete 2013 den Identi-
tätsanbieter Auth0. Das Unternehmen ermöglicht
Registrierungsprozesse auf Websites und arbeitet
hierzulande mit 130 Firmen zusammen, etwa mit
Siemens. Um Talente auf der ganzen Welt zu ge-
winnen, setzte Pace auf mobile Arbeit.
So können seine Erfahrungen denen helfen,
die seit wenigen Tagen virtuell konferieren müs-
sen. Paces Ratschlag: Videoschalten nutzen,
selbst im bilateralen Gespräch. „Es ist fundamen-
tal, den Kollegen ins Gesicht zu schauen, um de-
ren Stimmung zu verstehen und eine bessere
Verbindung aufzubauen“, sagt der 50-jährige Ma-
nager, der zuvor für Microsoft arbeitete. Neben-
bei zwinge ihn die Videotelefonie dazu, auch bei
der Arbeit in den heimischen vier Wänden das
Business-Outfit anzuziehen. „Dadurch komme
ich besser in den Arbeitsmodus“, sagt er.
Auch Experten raten zur Videoschalte. „So
können die Teilnehmer zielgerichteter diskutie-
ren und sind besser in die Entscheidung einge-
bunden“, sagt Hofmann. Zwar seien Telkos
schneller vorbei, dafür diskutierten aber häufig
auch nur zwei oder drei Teilnehmer mit. Der
Rest gieße etwa seine Blumen oder checke Mails.
Das entfällt in einer Videoschalte. Zudem lasse
sich das Gespräch dort leichter steuern, urteilt

Illustrationen: Birgit Schoessow

Zoom Meetings Vor
allem bei Jüngeren
beliebt. In der kosten-
losen Version auf 40
Minuten begrenzt.

Skype/Teams Pro-
gramme von Micro-
soft. Skype ist ein
klassisches Videotool,
Teams ein Chatpro-
gramm mit Videofunk-
tion. Auf 50 Teilneh-
mer begrenzt.

Cisco WebEx Einer
der ersten Anbieter
von Videocalls. Bis zu
100 Teilnehmer.

Slack Das Chattool
bietet in der Bezahlva-
riante Videocalls mit
bis zu 15 Personen.

Google Hangouts
Meet Integriert in das
Cloud-Büroprodukt
G-Suite (ab fünf Euro
pro Monat/Nutzer).

Programme für
die Videoschalte
Free download pdf