Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Kunstmarkt
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
58

Sabine Spindler München

Z


eitzeugen“ heißt die Aus-
stellung zum Jubiläum der
vor 35 Jahren gegründeten
Galerie Maulberger. Seit
Monaten wird sie vorberei-
tet. Aber wegen der Corona-Pandemie
bleiben die Türen zur Vernissage am


  1. April und danach geschlossen. „Es
    ist schade um diese tolle Ausstellung,
    aber wir werden 700 bis 800 Kataloge
    an unsere Kunden schicken und ihn
    natürlich ins Internet stellen“, sagt
    Hans Maulberger.
    Die Mission des Galeristen: deut-
    sches Informel und Zero-Kunst. Es
    geht also um die abstrakte, gegen-
    standslose Kunst aus malerischen Ges-
    ten und die Kunst am Nullpunkt – die
    Licht und Bewegung verhandelt. Mit
    Werken von Fritz Winter, K. R. H. Son-
    derborg, Gerhard Hoehme, Conrad
    Westpfahl und Otto Piene wollte er
    das Progressive der abstrakten Kunst
    der 1950er- und 1960er-Jahre feiern
    und auch das 35-jährige Bestehen sei-
    ner Galerie.
    Sorgt die weltweite Pandemie nun
    dafür, dass alles umsonst war? „Wir
    haben hier nichts für den modernen
    Lifestyle“, stellt der Galerist mit einem
    Schmunzeln klar. Seine Sammler sind
    treue Stammkunden. Auf Wunsch
    werden Kunstwerke zur Ansicht gelie-
    fert, aber auch wieder von einer Spe-
    dition abgeholt.
    Vor mehr als fünf Jahren prophezei-
    te Hans Maulberger dem Handelsblatt,
    dass die Spitzenpreise für deutsche
    Nachkriegskunst in absehbarer Zeit
    um eine Kommastelle nach rechts rü-
    cken werden. Nicht alle Künstler ha-
    ben diesen Sprung gemacht. Aber
    sechsstellige Preise für K. O. Götz und
    Fritz Winter, Auktionserlöse in Millio-
    nenhöhe für Ernst Wilhelm Nay sind
    Bestätigung für einen Galeristen, der
    sein Lager seit Jahrzehnten mit infor-
    meller Kunst füllt. In den abstrakten
    Gemälden der jungen Bundesrepublik
    bewundert der heute 76-Jährige konse-
    quenten Formwillen und philosophi-
    sche Tiefe.


Mit Pressluft formen
Wie die Suche nach neuen Ausdrucks-
möglichkeiten die Entwicklung der
Malerei vorantrieb, das ist nun nicht
beim Galeriebesuch, sondern im Kata-
log und im Netz nachvollziehbar auf-
bereitet. So komponierte etwa noch
1953 Karl Otto Götz weiche, organisch
geformte Abstraktionen wie auf dem
Blatt „Dez. 1953/II“. Das ein Jahr da-
rauf entstandene Deckfarbenblatt von
ihm zeigt schon Dynamik statt Abbil-
dung. Kühnes Zeugnis einer frühen
Neudefinition des Kunstbegriffs liefert
1955 Herbert Zangs mit einem kittfar-
benen Gussrelief. Das zum Teil mit
Pressluft geformte Werk soll 120 000
Euro kosten.
In jedem Exponat sieht Maulberger
die Zeit- und Kunstgeschichte. Fred
Thielers Gemälde „0–32/55“ etwa, vor
dem sich der Galerist auf dem hier ab-
gebildeten Foto zeigt, tourte als Teil
der Ausstellung „ZEN 49“ der Jahre
1956/1957 quer durch die USA. Es soll
88 000 Euro kosten.
Die deutsche Nachkriegskunst ist
kein überhitzter Markt. Dass sie heute
zu den Klassikern des 20. Jahrhun-
derts zählt, ist auch ein Verdienst die-
ser Galerie. Dass der Zero-Boom die
Nachkriegskunst aufgewertet hat, be-
streitet ihr Gründer nicht im Gerings-
ten. Aber seine Devise als Kunsthänd-
ler lautet bis heute: „Wir richten uns
nicht nach dem Markt. Wir bewerten

Kunst aus dem Abstand von 50 Jah-
ren.“
Als die Kunstwelt in den 1970er- und
1980er-Jahren die Figuration von Kip-
penberger, Baselitz und Polke feierte,
kaufte Maulberger die Abstraktionen
von Rolf Cavael, Fred Thieler und K.
O. Götz. Später hat er ihnen in Anleh-
nung an das amerikanische „Action
Painting“ das Etikett „German Action“
verpasst. Er spürt und schätzt die
Energie dieser Maler. In seiner Galerie
in Landshut handelte er anfangs noch
mit Spätimpressionisten. Erst als er in
den 1990er-Jahren seine Galerie nach
München verlegte, konzentrierte er
sich ausschließlich auf die Nachkriegs-
kunst. Sein Kapital war der umfangrei-
che eigene Gemäldebestand. Er kaufte
für seine Ausstellungen direkt bei den
Künstlern oder ihren Erben.
So fuhr er etwa zu Emil Schuma-
chers Familie. Der Sohn des weltweit
geschätzten Künstlers hatte ein paar
schwächere Blätter herausgesucht.
Maulberger blieb hart, bis er einige
Werke mit Tiefgang hervorholte. Da-
runter war auch jenes Deckfarbenblatt
von 1987, das für 29 800 Euro in der
Jubiläumsausstellung angeboten wird.

Sein größter Coup
Maulberger stieg tief in die Materie
ein. Den Nachlass von Conrad West-
pfahl oder Klaus Wildemann zu erwer-
ben sind Gelegenheiten, die sich ein
Galerist mit Langzeitstrategie nicht
entgehen lässt. Seit Jahren betreut und
erweitert man in der Briennerstraße
das Archiv K. R. H. Sonderborg. Zu
den Galerie-Ausstellungen entstanden
mehr als 50 wissenschaftlich bearbei-
tete Kataloge etwa zur Künstlergruppe
„Quadriga“ und zu „ZEN 49“ sowie
Künstlermonografien. Der schnelle
Hype interessiert ihn nicht. Die Zeit
spielt nicht gegen, sondern für ihn.
„Selbst wenn ich ein Bild nicht verkau-
fe, bleibt es doch ein gutes Bild“, sagt
Maulberger. Sein Programm hat ein
wissenschaftliches Echo gefunden.
Seit 2019 existiert in Bonn die For-
schungsstelle Informelle Kunst.
Maulbergers größter Coup ist zu-
gleich Herausforderung. Den Nachlass
von Herbert Zangs übernahm er 2011,
kurz bevor im Zuge der Zero-Euphorie
die kalkig-weißen „Schnürungen“ aus
Korken, Bindfaden und Nesseltuch des
experimentellen Krefelders einen
enormen Preisanstieg erfuhren.
„Zangs war jemand, der seiner Zeit
weit voraus war. Sein komplexes Werk
ist bis heute gar nicht zu Ende bewer-
tet“, sagt der Münchener Galerist. Er
bewahrt dicke Aktenordner mit Doku-
menten und etwa 450 Werken dieses
zu lang Übersehenen in seinem Depot
auf. Maulbergers wissenschaftliche
Mitarbeiterin Carolin Weber spürt im
Jubiläumskatalog den Intentionen und
Einflüssen des international vernetz-
ten Avantgardisten nach.
Aber auch Hans Maulberger war sei-
ner Zeit voraus. Schon in den 1990er-
Jahren begeisterte er sich für Zero-
Kunst und die Arbeiten von Heinz
Mack, Otto Piene und Günther Uecker.
Anlässlich des 90. Geburtstags des Na-
gelkünstlers plante er für seinen Stand
auf der soeben verschobenen „Art Co-
logne“ eine Sonderschau mit Uecker-
Arbeiten. Glanzstück der Show soll
auch während des neuen Herbstter-
mins Ueckers großes Nagelbild „Hom-
mage à Lothar Wolleh“ von 1990 zum
Preis von drei Millionen Euro sein. Ein
bisschen Hype sei auch Maulberger zu
seinem 35. Jubiläum gegönnt.

Abstrakte Kunst

Begeisterung


für die Energie


im Bild


Galerist Hans Maulberger sorgt dafür,


dass deutsche Nachkriegskunst heute zu den


Klassikern des 20. Jahrhunderts zählt.


Hans Maulberger:
Vor Fred Thielers
Informel-Gemälde „0–32“
aus dem Jahr 1955.

George Ksandr/ Galerie Maulberger/VG-Bild-Kunst Bonn 2020?

Heinrich Wildemann:
Unbetiteltes Deckfarbenblatt von 1955.

Galerie Maulberger
Rolf Cavael „Ohne Titel“:
Rückseitig signiert und auf 1960 datiert.

VG Bild-Kunst 2020/Galerie Maulberger
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