Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
René Bender Düsseldorf

V


ernichtende Kritiken wären einem
Drehbuchautor für eine solche Story
sicher. Eine abgedrehte und wirre
Handlung würde ihm vorgehalten, ei-
ne unglaubwürdige Inszenierung.
Doch was seit August 2019 im Strafprozess gegen
den Verlagserben Alexander Falk vor dem Frank-
furter Landgericht abläuft, ist real.
Eigentlich geht es darum zu klären, ob der Mil-
lionärssohn und Unternehmer vor zehn Jahren den
Anschlag auf einen Frankfurter Anwalt in Auftrag
gab, was er vehement bestreitet. Der Jurist Wolf-
gang J. arbeitete zu dieser Zeit an einer immensen
Schadensersatzklage gegen Falk und wurde durch
einen Schuss ins Bein schwer verletzt.
Doch der Prozess nahm zuletzt ungewöhnliche
Wendungen: Ein Tonband wurde präsentiert, auf
dem Falks Freude über den Schuss zu hören ist,
von dem man heute aber auch weiß, dass es an zig
Stellen manipuliert ist; ein Kronzeuge, der seine
Aussage zugunsten Falks korrigierte und dem da-
für aus dessen Umfeld Millionensummen angebo-
ten worden sein sollen - was Falk bestreitet.
Und schließlich der verbleibende Kronzeuge
Etem E. aus dem Hamburger Kriminellen-Milieu,
der für seine belastende Aussage als Einziger nach-
gewiesenermaßen Geld kassierte – 100 000 Euro
von Wolfgang J.s Kanzlei Clifford Chance.
Doch jetzt ist der Komplex um eine weitere Skur-
rilität reicher: einen USB-Stick, der eventuell zur
Entlastung Falks hätte beitragen können, dann
aber zerkaut wurde. Darüber berichtete heute ein
ehemaliger Verteidiger Falks im Zeugenstand. Er
gehört nicht mehr zu Falks Anwaltsteam, nachdem
er zum Jahreswechsel aus der Kanzlei von Falks
Hauptverteidiger Björn Gercke ausgeschieden ist
und sich selbstständig gemacht hat.
Die Geschichte über den zerbissenen USB-Stick
geht so: Bei Gercke meldete sich vor einiger Zeit

ein Informant. Der Mann teilte mit, dass es eine
weitere Tonbandaufnahme gebe. Auf dieser sei zu
hören, wie der verbliebene Kronzeuge Etem E. da-
rüber spreche, dass er die Polizei mit seiner Aussa-
ge an der Nase herumgeführt habe und Falk un-
schuldig sei. Der mehrfach vorbestrafte Etem E. ist
der Mann, der das Verfahren gegen Falk erst ins
Rollen brachte, indem er angab, dass Falk den Auf-
trag zum Anschlag auf den Anwalt erteilt habe.
Ob Falks Verteidiger die Aufnahme hören wolle
und was sie ihm wert sei, wollte der Mann wissen.
Gercke hatte Interesse, schlug ein Treffen vor. An-
fang März kam man in den Kölner Kanzleiräumen
Gerckes zusammen – seinen Ex-Kanzleikollegen
holte Gercke für das Gespräch als Zeugen dazu.
Der durfte zwar im Raum sein, doch zu hören be-
kam das Band nur Gercke – über Kopfhörer.
Gercke habe ihm aber gesagt, dass er nicht viel
verstanden habe. Es seien nur ein paar Gesprächs-
fetzen in deutscher Sprache zu hören gewesen, an-
sonsten Türkisch gesprochen worden. Nur in ei-
nem Punkt sei er sich sicher: Die Stimme, die dort
zu hören war, gehöre Etem E. Dessen Stimme
kennt der Anwalt sehr gut, sagte E. doch in den
vergangenen Monaten siebenmal als Zeuge aus.
Das, was er an Fetzen auf dem Band gehört hatte,
reichte Gercke nicht. Er wollte den gesamten Inhalt
der Aufnahme verstehen, dafür einen Dolmetscher
hinzuziehen. Und von einem Gutachter überprüfen
lassen, ob das Band echt oder manipuliert sei.
Man vertagte sich, der Informant, der nun die
klare Preisvorstellung von vier bis fünf Millionen
für das Band geäußert hatte, verließ die Kanzlei.
Weit kam er nicht. Denn nicht nur Falks Verteidiger
hatte Interesse an der Aufnahme, sondern auch
das Gericht. Gercke hatte den Vorsitzenden Richter
und die Staatsanwaltschaft zuvor über die mögli-
che neue Wendung in dem Verfahren informiert.
Und die Justiz sorgte dafür, dass sich vor dem

Kanzleigebäude Polizei postiert hatte.
Die Beamten griffen zu. Und der Informant biss
zu. Er zerkaute den USB-Stick. Den Ermittlern ge-
lang es nur noch zu verhindern, dass er die Spei-
cherkarte hinunterschlucken konnte. Ob Gercke
und das Gericht nun je erfahren werden, was auf
dem Band zu hören war, steht in den Sternen.
Ebenso wie der Nachweis, ob die Aufnahme echt
oder manipuliert ist. Das Landeskriminalamt ver-
sucht aktuell, den Stick doch noch zu retten.
Geklärt ist aber immerhin die Identität des zuvor
namentlich unbekannten Mannes mit dem Hunger
auf den Stick. Und die ist nicht minder interessant.
Denn es handelt sich bei ihm um Abdürrahim A. Er
sollte nur Tage später auch ganz offiziell eine Rolle
in dem Prozess spielen. Das Gericht hatte ihn als
Zeugen geladen. Und als Zeugen benannt hatte ihn
ausgerechnet Etem E., den A. ja durch die nun zer-
störte Aufnahme belasten wollte.
A. könne bestätigen, dass dem anderen Kronzeu-
gen, Serhad Y., aus Falks Umfeld eine Millionen-
summe angeboten worden sei. Und dass dieser
deshalb seine ursprüngliche, belastende Aussage
abänderte, hatte E. angegeben. Vor Gericht aller-
dings wollte A., der wie die beiden Kronzeugen
ebenfalls dem Hamburger Kriminellen-Milieu zuzu-
rechnen ist, dazu dann nichts mehr sagen.
So drängt sich vor dem Hintergrund, dass E. und
A. sich besser zu kennen scheinen, für Falks Vertei-
digung ein Verdacht auf: dass E. und A. bei der Auf-
nahme, die E. nun schwer belasten und Falk ent-
lasten sollte, möglicherweise gemeinsame Sache
machten. Und dass E., nachdem er bereits durch
Wolfgang J.s Kanzlei Geld für seine Falk belastende
Aussage kassierte, nun noch ein zweites Mal versu-
chen wollte abzukassieren. Diesmal dafür, dass er
für Falks Entlastung sorgt.

Corona verschärft Haftbedingungen
Erst gestern hatte Gercke noch einmal an das Ge-
richt appelliert, den Haftbefehl gegen Falk auszu-
setzen, nachdem er mit zwei formalen Anträgen in
den vergangenen Monaten gescheitert war.
Zum einen, so betonte Gercke nun, seien we-
sentliche Teile der ursprünglichen Beweismittel in-
zwischen weggefallen. Außerdem griff er die aktu-
ellen Folgen der Corona-Pandemie auf. Eine etwai-
ge Flucht ins Ausland sei schon aufgrund der
globalen Reisebeschränkungen kaum möglich.
Und auch Falk selbst äußerte sich: Ein Fluchtge-
danke sei völlig abwegig. „Ich scharre mit den Hu-
fen und will um meinen Freispruch kämpfen. Zur
Not würde ich auch per Fahrrad aus Hamburg ins
Gericht fahren.“ Um das Gefängnis verlassen zu
können, erklärte er sich zu allen Auflagen bereit,
die das Gericht für erforderlich hält.
Die Situation für Falk in der Untersuchungshaft
hat sich unterdessen als Folge der Corona-Ausbrei-
tung deutlich verschärft. Nach jedem Prozesster-
min muss Falk, obwohl selbst gesund, als Schutz-
maßnahme in zweiwöchige Quarantäne.
Praktisch bedeutet dies quasi Isolationshaft. Le-
diglich seine Anwälte können ihn noch treffen, pri-
vater Besuch ist nicht gestattet. Außerdem entfällt
der tägliche Hofgang, Sport kann er nur noch in
seiner acht Quadratmeter großen Zelle treiben.
Das Gericht scheint das Verfahren ungeachtet
dessen im Wesentlichen wie vorgesehen fortführen
zu wollen. Falk bleibe weiter inhaftiert, verkündete
der Richter heute und begründete dies nicht mit
Flucht-, sondern Verdunklungsgefahr.
Bis Mitte Juni sind noch Termine angesetzt. Für
Ende April ist dabei die Aussage des wohl letzten
entscheidenden Zeugen in diesem Verfahren vor-
gesehen, der dafür extra aus der Türkei eingeflo-
gen werden soll. Ob dies in Zeiten von Corona statt-
finden kann, wirkt aber eher unrealistisch.

Alexander Falk


Filmreif


Ein USB-Stick, der den Hamburger Verlagserben hätte entlasten können, wurde zerstört. Stattdessen


befindet sich der Angeklagte nun quasi in Isolationshaft.


Alexander Falk
und seine
Anwälte vor
Prozessbeginn.

ddp images/Marc Schueler

Ich habe


kübelweise


Dreck über


den Kopf


bekommen.


Dagegen will


ich mich vor


Gericht


wehren.


Alexander Falk
Unternehmer

Familienunternehmen


des Tages


WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
60
Free download pdf