Frankfurter Allgemeine Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1

tifr.MÜNCHEN.Mit dem Ergebnis der
Kommunalwahlen hat die CSU sichdies-
mal demonstrativkurzaufgehalten.Aus
viel mehr als einem „Besser alsgedacht“
bestand die ersteAnalysenachAuszäh-
lungderBür germeister- undLandratswah-
lennicht.DieCo rona-Kr ise,inderderPar-
teivorsitzende MarkusSöder vorallem als
Ministerpräsident gefragt ist, warzu-
nächs tErklärunggenug für denkurzen
Prozess. Jetzt, da gut eineWochenach der
WahlalleErgebnissedererstenRundevor-
liegen, istnochein anderer Grund hinzu-
gekommen: Das CSU-Ergebnis istdurch
die Gemeinde- undStadtrats- sowie die
Kreistagsresultatenicht eben besser ge-
worden. Vielmehr hat die CSU das
schlechteste Ergebnis inKommunalwah-
len seit fastsiebzig Jahren eingefahren.
Sieblieb mit34,5 Prozent5,1 Prozent-
punkt eunter ihrem Ergebnis von2014.
Damals freilichregierte die CSU im
Landtag nochmit absoluter Mehrheit
und laginUmfragen aufLandesebene
bei48 oder49 Prozent.Überdur chschnitt-
lichhohe Stimmverluste hatt edie Par tei


nuninden kreisfreien Städten. Sieverlor
dort sechs Punkteund landete bei 27,
Prozent. In den Landkreisenholtesie
nach einem Minusvon4,7 Punkten noch
36,6 Prozent.Von einer „Rückkehr in den
Städten“, wie es die CSU-Führung zu-
nächs tinterpr etierthatte,kann also
schwerlichdie Rede sein.
Zwar warendie Grünenetwasernüch-
tert,dasssie in keiner der fünfgrößten
bayerischenStädteindie Stichwahlge-
kommen sind. Auch mussberücksichtigt
werden, dassinder Gesamtheit derKom-
munalwahlen jede einzeln betrachtetwer-
den mussund dassPersönlichkeiten im
VergleichzuParteizugehörigkeit enwichti-
gersind als sonst.Trotzdem dürfensich
die Grünen am ehesten alsWahlgewinner
fühlen,weit eher jedenfalls als die CSU.
Im Vergleichzu2014 konnten sie 7,1 Pro-
zentpunktehinzugewinnenauflandesweit
17,3 Prozent.Ind en Städten wuchsen die
Grünen besondersstarkund konnten dort
um 10,6 Punkteauf 23,2 Prozent zulegen;
in manchenStädten wieetwa in München
brachten sie es sogar zurstärkstenKraft

imStadtrat .Ind en Landkreisenverbesser-
tensie ihr Ergebnis um sechs Punkteauf
15,5 Prozent.Während sie nachder Wahl
20141683Mandateinnehatten,werden es
künftig 2951 sein.Vorausgegangenwaren
zahlreicheNeugründungenvonOrtsver-
bänden–170 seit Anfang 2019. Hinzu
kommt ein Mitgliederzuwachs seithervon
11 585 auf 16 750.
Die SPD, die auchinBayernbisher als
vergleichsweise starke Kommunalpartei
galt, mussteVerlus te in Höhevonsieben
Punkten hinnehmen; siefiel auf 13,7 Pro-
zent.Die AfD, die 2014 nochwenig prä-
sent war, legteum4,4 Punkte auf 4,7 Pro-
zent zu. DieFreien Wähler kamen auf 4,
Prozent (plus 0,3), die FDP auf 2,7 Pro-
zent (plus 0,3). DieverschiedenenWäh-
lergruppen holten zusammen 8,6 Pro-
zent.Die Wahlbeteiligung lag mit 58,
Prozent um 4,2 Prozentpunkte höher als
2014 mitrund 55 Prozent.Ein endgülti-
gesUrteil über die Kommunalwahlen
wirderstnachden Stichwahlenamkom-
menden Sonntag zufällen sein; mit 780
sind das diesmal außergewöhnlichviele.

bub. BERLIN.Die Polizei hat imvergan-
genen Jahr deutlichmehr Fälle sexuellen
MissbrauchsundderVerbreitungvonKin-
derpornographie registriert. Diesestieg
2019 umrund 65 Prozent, wie aus der am
Dienstagveröf fentlichtenPolizeilichen
Kriminalstatistik (PKS) hervorgeht.Dort
wird einFallaufg enommen,sobald diePo-
lizei ihn an dieStaatsanwaltschaftweiter-
gibt –unabhängigdavon, wie dasVerfah-
renausgeht.Die Statistik spricht deshalb
auchnur vonTatverdächtigen und illus-
trier tinersterLinie die Arbeit derPoli-
zei, nichtetwa der Gerichte.Registriert
wurdenlautPKS12262 FällederVerbrei-
tung kinderpornographischer Schriften.
Beim sexuellen Missbrauchvon Kindern
verzeichnete die Polizei eineZunahme
vonelf Prozent, es wareninsgesamt
13 670Fälle. DurchdieverstärktenAktivi-
tätenderSicherheitsbehördenseienmehr
Straftaten vomDunkel- ins Hellfeldge-
rückt worden, teiltedas Bundesinnenmi-
nisterium in Berlin mit.Zudem habe die
Zusammenarbeit mit der amerikanischen
Nichtregierungsorganisation NCMEC
und deutschen Internet-Beschwerdestel-
len zu deutlichmehr Hinweisen und Er-
mittlungsansätzengeführt.
Insgesamt sankdie Zahl dererfassten
Straftaten um 2,3 Prozent aufrund 5,
Millionen. Nicht eingerechnetsind aus-
länderrechtliche Verstöße wie der illega-
le Aufenthalt .Die Diebstahlskriminalität
istumknapp sechsProzentauf 1,8Millio-
nen Fälle gesunken.Das is tder niedrigs-
te Wert seit1987.Gestie gensind etwa
die registrierten Fälle desWiderstands
gegendie Staatsg ewalt. Di eAufklärungs-
quot elagim vergangenenJahrbei 56Pro-
zent unddamitknappunter demHöchst-
standvon 2018.Die Zahl de rTatverdäch-
tigen lag mitetwa 1,9 Millionenum1,
Prozent niedrigerals im Vorjahr.Mehr
als drei Viertel vonihnen sindmännlic h.
DerAnteil der nichtdeutschenTatver-
dächtigen beträgtwie imVorjahretwa
dreißig Prozent.
„Deutschland ist wieder einStücksi-
cherer geworden“,sagteBundesinnenmi-
nisterHorst Seehofer (CSU).„UnserePo-


lizei arbeitetgut un deffektiv .Die Geset-
zesverschärfungen schreckenabund hel-
fen, Stra ftaten konsequentzuverfolgen.“
Als „dramatisch“ bezeichneteSeehofer
aber dieZunahme dessexuellen Miss-
brauchs an Kindern und derVerbreitung
vonKinderpornographie. Zurbesseren
Verhinderung dieserTatenmüssten Kin-
derund Ju gendlichebesser geschütztund
über mögliche Gefahrenaufgeklärtwer-
den, so Seehofer. „Wenninsozialen Me-
dienoder inKlassen-Chatgruppenporno-
graphischeBilder geteilt werden, sind
Opfer un dTäter of tselb st nochKinder
oder Jugendliche. In vielenFällen wissen
sie garnicht ,dasssie eineStraftat bege-
hen.“ Bundesjustizministerin Christine
Lambrecht (SPD)teilt emit:„Wirarbei-
tenmit alle mNachd ruck daran, Kinder
wirkungsvoll zu schützen.“ Der Bundes-

tag habe jüngst die Möglichkeitenge-
schär ft,imDarkne tzuermitteln.Durch
größer eWachsamkeit,internationalen
Austausch und verstärkte Ermittlungen
rückten dieTatenstärkerinden Fokus
als in derVergangenheit, so Lambrecht.
Der innenpolitische Sprecher der
FDP-Fraktion,KonstantinKuhle, bemän-
geltedie mangelndeAussagekraft der
PKS. Ob derstarke Anstieg im Bereich
der Kinderpornographie auf einegröße-
re Zahl vonAnzeigen zurückgehe oder
tatsächlichmehrStraftaten verübt wor-
den seien,könne derStatistik nicht ent-
nommenwerden. „Bundesinnenminister
Seeho fermussdeshalb endlich einen pe-
riodischen Sicherheitsbericht einführen,
um das Dunkelfeld besser auszuleuchten
und dieOpferperspektiv estärker zu be-
rücksichtigen.“

Dämpfer für die CSU


SchlechtestesErgebnis seitfast 70 Jahren beiKommunalwahl/Grüne auf Platz zwei


AktiveErmitt ler:Spurensicherung auf dem Campingplatz inLügde Fotodpa

Vieles fällt in der Corona-Krise unter den
europäischenTisch, nicht jedochdie Er-
weiterung derUnion. Am Dienstageinig-
tensichdie Europaministerder Mitglied-
staaten darauf, mitNord mazedonien und
Albanien Beitrittsgespräche aufzuneh-
men. Derformale Beschlussfällt nun im
schriftlichenVerfahren,weil das in den
mittlerweile üblichenVideokonferenzen
rech tlichnichtmöglichist.Daa uchFrank-
reich, die Niederlande und Dänemarkzu-
gestimmt haben, die im Oktober den Be-
ginn vonVerhandlungen blockierthat-
ten, dürftedie Zustimmung derStaats-
und Regierungschefseine Formalie sein.
Diese halten am Donnerstag eineVideo-
konferenz anstelle des eigentlichgeplan-
tenEuropäischenRats in Brüssel.
„Das sind historische, guteNachrich-
tenfürdiebeidenLänder“, sagtediekroa-
tische EuropaministerinAndreja Metelko
Zgombićnachder Schaltungder Europa-
minister. Es seien auchguteNachrichten
für die anderen Europäer,ergänztesie,
weil dieEU in„herausforderndenZeiten“
bewiesenhabe,dasssie„strategischeEnt-
scheidungen“ treffenkönne. FürKroatien
waresdaswichtigste –manchesagen:das
einzige–Anliegen seinerRatspräsident-
schaft, den Beitrittsprozessvoranzutrei-
ben. Der für Erweiterung zuständigeEU-
Kommissar Olivér Várhelyi attestierte
Nord mazedonien und Albanien,dasssie
in denvergangenen Monaten ihreAn-
strengungen nocheinmal beschleunigt
hätten, so dassnun möglichwerd e, was
im vorigenOktober nochundenkbarge-


wesen sei. DieKommission werdein
„sehr kurzer Zeit“ dasVerhandlungsman-
dat für beideStaaten vorlegen.
Das französischeVeto gegenden Be-
ginn vonVerhandlungenwarschonim Fe-
bruar gelöstworden, als dieKommission
dasVerfahrenfürdie Beitrittsverhandlun-
genüberarbeitete. So werden die 35 Bei-
trittskapitel jetzt in thematischen Grup-
pen zusammengefasst,die wichtigen und
dringendenReformensollen dannstärker
hervortreten.BesondersschwierigeKapi-
tel,derSchutzvonGrundrechten,eineun-
abhängigeJustiz, funktionierende demo-
kratische Institutionen und die transpa-
renteVergabe öf fentlicherAufträge, wer-
den als Erstes eröffnetund als Letztesge-
schlossen.Außerdem wirdausdrücklich
daraufverwiesen,dassderProzess„rever-
sibel“ ist. ZumTeil hat dieKommission
damit zwar nur die ohnehin schon beste-
hendeRechtslageund Verhandlungspra-
xis in Wortegefas st,dochreicht edas, um
demfranzösischenPräsidentenEmmanu-
el Macron einengesichtswahrendenWeg
zu ebnen, um seinVeto zurückzunehmen.
Zuletzt wurde nur nochüber Albanien
verhandelt, das im Oktober auchvon den
Niederlanden und Dänemarkblockiert
worden war. Das schlägt sichauchinden
Schlussfolgerungen der Ministernieder.
Anders alsNord mazedonien mussdie Re-
gierung inTirana mehrereBedingungen
erfü llen, bevordieer steRegierungskonfe-
renz zusammenkommenkann, mit der
die Verhandlungentatsächlichbeginnen.
An er sterStelle steht die Änderung des
Wahlrechts, damitParteien undWahl-

kampagnen transparentfinanziertwer-
den. DieseReform steht kurz vordem
Abschluss.Außerdem soll Albanien den
Kampfgegen Korruption und organisier-
te Kriminalität „weiter verstärken“. Da-
für wirdderzeit eine neue Behörde aufge-
baut,unddieEU-Kommissionbescheinig-
te dem Land in ihrem jüngstenFort-
schrittsberichtAnfang März„bedeutsa-
me Fortschritte“. So wurden ein früherer
Innenminister, ein Dutzend Beamteim
Justizministerium und drei Richterwegen
Amtsmissbrauchs undKorruptionverur-
teilt.Zudem arbeiten die albanischen Be-
hörden nun eng mit europäischenStellen
zusammen. In mehreren gemeinsamen
Operationen wurden beträchtliche Men-
genRauschgiftsicher gestellt und krimi-
nelle Netzwer ke zerschlagen.
Außerdem mussAlbanien dafür sor-
gen, das sweniger Bürger„unbegründet“
inderEU umAsyl bitten ,undes mussdie-
se Personen sofortzurücknehmen.Die
EU-KommissionverzeichnetebisNovem-
bervergangenen Jahres 5600 Asylanträge
vonAlbanern,2000 weniger als imglei-
chen Zeitraum des Vorjahres. Dieser
PunktwarbesondersFrankreic hwichtig.
Macron hatteöffentlichgesagt, dasseres
schwer erklärenkönne, wenn die Bürger
eines Beitrittslandes inFrankreichum
Schutz nachsuchten. Der Bundestagwie-
derumhatteReformenimJustizwesenan-
gemahnt, die ebenfalls auf demWegsind.
Der Ratwirddas Verhandlungsmandat
derKommission erst annehmen,wenn all
diese Bedingungen verwirklicht sind,
heißt es in den Schlussfolgerungen.

Polizei erfasstmehr Missbrauchsfälle


Seehofer:DramatischeZunahme/InsgesamtAbnahme derKriminalität


Auflagen für Albanien


Die EU ebnetden WegzuBeitrittsverhandlungen/VonThomasGuts chker,Brüssel


BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER


Wassoll diese Schlagzeile„Todeszone
Italien“ (F.A.Z.vom20. März), und das
in IhrerZeitung. Noch mehr Panik (wie
Hamsterkäufe) brauchen wir nicht! Es
istschlimmgenug, dassimmer mehr
Menschen, insbesondereinItalien, an
demCoronavirussterben.DasWortTo-
deszone lässt an ein Gebietdenken, in
dem schon allein das Betreten tödlich
sein kann. Daswäre ja nur dann der
Fall,wenn man zu engenKontakt mit
Menschen hat und zur Risikogruppe ge-
hört–nachallem, wasuns dieWissen-
schaftler sagen.
Etwas mehrverbaleAbrüstungistan-
gesagt.Die Häufigkeit der Artikel über
das Virustut schon das ihre. Informati-
on der Öffentlichkeit istunabdingbar.
Aber braucht man wirklichtäglic hMel-
dungen überNeuinfizierte,zumal sich
dieseZahlen offensichtlichstündlich
verändern. Schlimm istallerdings, dass
immer nochMenschen meinen, sie
müssten sic hnicht an dieAuflagen hal-
ten. EtwainRisikogebietennoch Ur-
laubverbringen,alsdieVerbreitungdes
Virusschon bekanntwar, istunverant-
wortlich. Ichdenkedaunter anderem
an die Skifreizeiten in Südtirol, dievon
einigen Schulen nochverans taltet wor-
den sind, oder die Hamburger,die ihre
WinterferienindenbelastetenSkiregio-
nen verbracht haben.

Die Lieferketten brechen dennoch
zurzeit ein, und zwarweil sic hdie euro-
päischen Länder nicht solidarischzei-
genund ihre Grenzen schließen,was
für den Individualverkehrdie zweifel-
los richtigeMaßnahme ist, nicht aber
für den Lieferverkehr.Man betrachte
sichdie langen Lkw-Staus auf der A
RichtungPolen. Solidaritätfindetnur
statt, wenn vonanderenetwa sverlangt
werden kann (finanzielleUnter stüt-
zung).Wenn man aber selbstetwas ge-
ben soll, istessofor tvorbei. Deshalb ist
es auchgut, dassdie EU jetzt eigene
Kontingente an Schutzanzügen, Mund-
schutz und Beatmungsgeräten aufbau-
en will. Allerdings sollteman auchhier
pragmatischvorgehen und aufweltwei-
te Au sschreibungenverzichten.DieMa-
terialien werden jetztgebraucht und
nicht erst in Wochen, wenn alle Ange-
bote geprüftsind.
Ausdieser Krisekönnen wir auf je-
den Fall etwa slernen: Globalisierung
istnicht alles, Produktionins Ausland
verlagern,weil dor tbilligergefertigt
wird, auchnicht .Esbleibt abzuwarten,
welche KonsequenzenPolitikundWirt-
schaf taus dieser Erkenntnis ableiten
werden.

ANGELIKASCHÄFERS,MÜNSTER

ZurHölderin-Beilage der F.A.Z. vom


  1. März: Eswarmir einegroße Freu-
    de, inmitten der allgegenwärtigen Pan-
    demie-TristesseinI hrer Ausgabevom

  2. Märzdie Hölderlin-Beilagevorzu-
    finden. Sie haben damit ein Jubiläums-
    schaufenstergeöffnet, das ohne über-
    mäßigeRelevanznotausges tellt hat,
    wasanErinnerunggegenwärtig, wich-
    tigun dsinnvollist.DieLektürehatmei-
    nemgeisti genHorizontund derzwangs-
    weise reduziertentäglichenWahrneh-
    mung gutgetan.
    Mein Fazit danach: Den Dichter
    selbstgerade jetzt wieder intensiv le-
    sen, Zeit genug gibt es. Ichdankeallen
    Autorenfür ihr eBeiträge, auchBarba-
    ra Klemm für die schönenFotos.


DR.ELISABETHFUCHSHUBER-WEIß,
NEUENDETTELSAU

BertholdKohlerbefindet inseinemLeit-
artikel „Jetzt!“ (F.A.Z.vom20. März),
BundeskanzlerinMerkel habeinderCo-
rona-Krise „nachanfänglichem Zö-
gern“ihre„Trittsicherheit“wiedergefun-
den. Als abschreckendes Gegenbeispiel
stellt derAutor –vorhersehbar–den
amerikanischen Präsidenten Trump
und den britischen Premierminister
Johnsongegenüber.Mit Verlaub, das
kann man auchgänzlichanderssehen:
Viele Deutsche hätten sichfrühzeitig
klareAnsagen und kraftvolles, zupa-
ckendes Handelnvonihrer Regierung

gewünscht anstelle vonwochenlangem
Zögern, Lavieren und Beschwichtigen.
Nicht zuletzt Angela Merkels Politik
der ruhigen Hand (die faktischnichts
tut) hat dievonHerrn Kohler postulier-
te „Wir-Gesellschaft“ nachhaltiggespal-
ten, ja massiv beschädigt.Insofer nist
mir ein angeblich „erbärmlicher“ Do-
naldTrumpdochlieber,dersic hganzof-
fenzuerst umsein LandundseineLeute
kümmert, anstatt st etszuvörderst die
Welt retten zuwollen.

CLAUSMICHAELSCHMIDT, DILLENBURG

DerWirtschaftskorrespondentIhrerZei-
tunginRom,Tobia sPiller ,lobtinsei-
nemArtikel „WarumItalienbesserKrise
kann“(F.A.Z. vom21. Mä rz)die Moral
deritalienischenBevölkerungimAnge-
sicht der Corona-Krise.Ich habe zehn
Jahr emeines LebensinItaliengelebt ,in
RomMedizinstudiert, und binseit 13
JahrenalsFachärzti nindeutschenKran-
kenhäusern beschäftig t. DieWiederho-
lung deutscher Vorurteile über Italien ist
dasLetzte,waswir–DeutscheundItalie-
ner–jetztgebrauchenkönnen.Piller
schildertdas ruhige Verhalten der Italie-
nerundzi tier tPersonendesöffentlichen
Lebens,soden Psychiaterund Buchau-
torPaoloCrepet,derinzahlreichenFern-
sehsendungen inItalienzusehenist.Die
Italiener seien Kinder derKatastrophen,
sie hätten dieFähigkeitentwickelt, dar-
aufkollektiv eAntwortenzugeben.Gula-
berto Ranieri, einSpitzenmanager, sagt,
Itali ener seien imNotfallsehrgut in der
Lage, dasRichtig ezutun.FrancoTatò,
ehemaligerChefdesitalienischenStrom-
monopols,meint, dieItaliene rzeigten
Angs tund Verstand.Esist ehren wert,
dass Piller anscheinendbemüht ist,ge-
wissendeutschenStereotypenüberchao-
tische,undisziplinierteSüdländereinan-
deres Bild entgegenzusetzen.
Es stimmt auchsicherlich, dassesin
Italie nmehr Naturkatastrophen, wie
etwa Erdbeben gibt als in Deutschland.
DassprominenteItaliener und italieni-
sche Politiker in diesenTagenzuBesin-
nung undRuhe aufrufen und an denge-
sunden Menschenverstand appellieren
–nun, das dürftekaum erstaunen. Der
Ansicht, dieRuhe in Romsei darauf zu-

rückzuführen,dass„Italiener besserKri-
se können“, mussich allerdings ent-
schieden widersprechen. Diese Darstel-
lung ersetzt die altbekanntenVorurteile
lediglichdurch neue. Nach dem Motto:
Die Italienerkriegen nichts auf dieRei-
he,aberdafürstehensieSchicksalsschlä-
ge gemeinsam durch.
Nein! Die Italiener nehmen die Krise
ernst, weil sie sichmit einemgravieren-
den Notfall konfrontiertsehen. Die Si-
tuation in diesen Märztagen 2020 istin
den Krankenhäusern,auf denFriedhö-
fen, in denFamilien in Italien drama-
tischwie noc hnie. Werist infiziert,wer
nicht?Werüberträgt die Erkrankung,
ohne es zu ahnen?Fast 800 Menschen,
die bis eben nochganz normal mitten
im Lebenstanden, ob in derFamilie
oder in einer Einrichtung, sind am 21.
MärzanderCoronainfektiongestorben,
erstickt .Seit Tagensind es täglichHun-
derte,und es istkein Ende in Sicht.
Die DisziplininRom hat nichts mit
„Krise besserkönnen“ zu tun.Viele in
Deutschlandkönnen sichdas Ausmaß
der Tragödie nochgar nichtvorstellen.
Das Ausmaß isthier nochnicht ange-
kommen, nicht alsNachrichtund auch
nicht in denKöpfen.
Anstattwohlfeiles Lob zuverteilen,
wäre es das Gebotder Stunde, Italien
nachKräften zu unterstützen –mit Not-
fallkrankenhäusern, Einsatztruppen,
Beatmungsgeräten, die bei Bedarfspä-
terinanderebetroffene Gebieteverlegt
werden können. China,Kuba undRuss-
land schickenÄrzte und Material.Wor-
auf warten Deutschland und die EU?

DR.(UNIV.ROM)SUSANNEMÜHLHOFF,
ESSEN

Zuraktuellen Corona-Berichterstattung:
AlsamerikanischerStaatsbürgermöchte
ichmichbei dem deutschenVolk für das
außerordentlichkrasse,wenigmitfühlen-
de und möglicherweise kriminelleVer-
haltenunseresPräsidentenentschuldi-
gen, wasseine Absichtangeht,einen der-
zeitinDeutschlandinEntwicklungbe-
findlichen Covid-19-Impfstofffür den
ausschließlich amerikanischen Ge-
brauc hzukaufen.
Ichhoffe,unseredeutschenFreunde
wissen, dassdie meistenvon unsinden
VereinigtenStaatenmiteinersolchenun-
verantwortlichen Beschränkung niemals
einverstandenwären.SeienSiesic hbitte
bewus st,dasswir in denVereinigten
Staaten Schulter an Schulter mit unse-
renFreundeninDeutschland und der
Weltstehen,umgemeinsamdiesegloba-
le Krise zu bekämpfen–und dazu bereit
sind, jederzeit in Freundschaftund Ein-
tracht mit unserenFreundenweltweit
zu handeln, trotzunserer sogenannten
Staatsführung.

LAWRENCEREICHARD,BELFAS T,
MAINE,USA

Ichschätze an IhrerZeitung, dassSie
trotzangeordneterPanik auchvernünf-
tigeLesermeinungen veröffentlichen.
Dieselbe Ansicht wie Leserin Birgit
Wissmann („Bevormundung mit unge-
ahntenFolgen“,F.A.Z. vom19. März)
habe ichvor einerWocheimFreundes-
kreis vertreten(alle so um die 70 plus)
und dabei einigePrügel bezogen.Aber
wir Alten sind dochwirklichnicht
mehr derNabel derWelt, undwegen
uns sollten den Jungen, die denKarren
schieben,keine wohlstandsgefährden-
denBremsklötzein denWeggelegtwer-
den. Mir drängt sichangesichts derwe-
nigenCorona-ToteneineFrageauf.Wir
haben jährlich20000 Tote durch Kran-
kenhauskeime, das sindfast 60 pr oTag.
Istdas nicht die eigentliche Gefahr für
Corona-Patienten im Krankenhaus?

RAINERHUTHMANN,MEERBUSCH

Immerwenn Bundeskanzlerin Angela
MerkelnachChina zu politischen Ge-
sprächenflog, wurde sie begleitet von
großen Wirtschaftsdelegationen. Die
dabei abgeschlossenenVerträgehaben
große Firmen nochreicher undgrößer,
aber dieVersorgung Deutschlands mit
wichtigen Gütern(zum Beispiel Medi-
kamenten) abhängig vonChina ge-
macht und immer mehr Menschen zwi-
schen China und Deutschlandfliegen
lassen. Sokamdas Coronavirus zu uns.
Waslernen wir aus der krank machen-
den Globalisierung?
Begnügen wir uns mit Selbstversor-
gung aus heimischer Erzeugung, aus
heimischen Rohstoffen und Böden.
SchätzenwirdasEigene,Nahe,Vertrau-
te.Lassen wir uns nicht mehrverfüh-
renzuFlugreisen –auchnicht vonden
vielfliegenden, sogenannten Grünen.
Warumindie Fernefliegen,wenn das
Guteliegt so nah?Nehmen wir dieNot
als Lehreund Chance:Kommen wir
runter vomExaltiertenund Ex otischen
zum Echten und Einfachen.Verzichten
wir auf dieAusbeutungferner Länder,
übernehmen wir Verantwortung für
das hierNotwendige. Indem wir das
Kleine bejahen, tragen wir bei zur Hei-
lung des Ganzen.

TOMRIECKMANN, LÜNEBURG

Zu „Feuilleton–live/Hölderlin“ (F.A.Z.
vom20. März): Ein Schatz! Ichdanke
der Redaktion für das „Feuilletonlive“
zu Hölderlin. Diese Beilagehat mir in
diesen trübenZeiten ein wunderbares
Wochenende beschert. Ichkonnte
durch die unterschiedlichen Themen-
schwerpunkte undSichtweisenzu„Höl-
derlin“den mirvertrautenFeuilletonre-
dakteurenwiederbegegnen. DiesesHöl-
derlin-Dossierwerdeich aufheben.

ANNE WILKSEN,IBBENBÜREN

Zu„HinterdenGedanken“(PatrickBah-
ners zum neunzigstenGeburts tagvon
Kurt Flasch, F.A.Z. vom12. März):
Schön,dassdieser Manngewürdig twird.
EinebessereDarstellungdermittelalterli-
chen Philosophie als sein „Philosophi-
sches Denken im Mittelalter“ (1986) gibt
es nicht.DiesePhilosophie aus dem Ge-
ruch derDunkelheitbefreitzuhaben,dar-
anhatermitgewirkt :„AufklärungimMit-
telalter“ (1989).Wunderschön zu lesen:
„Kampfplätzeder Philosophie“ (2008).
Vergessen werden sollte sein Werk über
die „geistigeMobilmachung“
(2000)nicht.Dasindwirnämlichschnell
beiderWillfährigkeitdes„Geistes“,oder
folgterden „Idolen des Marktes“?

WOLFGANGTEUNE,LEVERKUSEN

In unsererpolitis ch wie wirtschaftlich
unsicheren Zeit möchteich michaus-
drücklichfür di eexzellenteBerichter-
stattun gder F.A.Z. bedanken. Die
Qualität des Blattes istzwarauch in
wenigerdramatischen Zeiten stetsge-
währleis tet, er weistsichinder aktuel-
lenKrisensituation aber als besonders
wichtig.

InsbesonderederLeitartikel „Jetzt!“
vonBertholdKohler (F.A.Z. vom20.
März)fasstunser aller Herausforde-
rung undVerantwortung in der Krise
in einer Prägnanz zusammen, wie man
sie dieserTage gernehäufiger sehen
würde.

MICHAEL SCHOTTEN,DÜSSELDORF

Dank efür de nKommentar„Abrüsten“
vonJohannesPennekamp(F.A.Z. vom
19.März) :Der sp rachliche nAbrüstung
sollt eauchnochdie mentale Abrüs-
tung folgen .Und:Michverwundertes
sehr,wiewir alle dieserTage die massi-
ve Einschränkung unsererPersönlich-
keitsrechteohneWidersp ruch akzep-
tiere n. Is tdas Vernunft, Gelassenheit
oderDummheit? DiesogenanntenMa-
cher,wie zu mBeispie lSöder ,gehen
mir dieserTageerheblic hauf dieNer-
ven. Es wäre hilfreich,wenn er einfach
unaufgeregt seinenJob machen und
die Bevölkerungnicht nochzusätzlich
inAngstund Schre cken versetzenwür-
de.

DR.CHRISTINESCHEITLER,AFFALTERBACH

Nicht nochmehrPanik verbreiten

Seite an Seite

Prügel bezogen

Das Gutesonah

Wunderbar

Freude

Nichts Besseres

Trumpist mir lieber alsMerkel

Dankfür dieexzellenteBerichterstattung

Deutschlandkönntemehrfür Italientun

Abrüstung

SEITE 6·MITTWOCH,25. MÄRZ2020·NR.72 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

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