Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1

D


ie beiden Männer, von denen
wesentlich abhängt, wie New
York durch die Corona-Krise
kommt, können einander
nicht ausstehen. Bürgermeis-
ter Bill de Blasio und Gouverneur Andrew
Cuomo gehören beide der Demokratischen
Partei an, was sie nicht davon abhält, die po-
litischen Projekte des anderen zu kritisie-
ren oder, wenn möglich, zu torpedieren.
Cuomo steht dem Bundesstaat New York
seit 2011 vor, de Blasio ist seit 2014 Bürger-
meister von Nordamerikas größter Metro-
pole, und da die Administrationen von
Staat und Stadt eng miteinander verfloch-
ten sind, ist es eigentlich unabdingbar,
dass beide Männer zusammenarbeiten.
Oft war ihnen ihre Fehde jedoch wichtiger.
Die immer raschere Ausbreitung des
Coronavirus in New York zwingt die beiden
Männer nun zusammen. De Blasio sagte in
dieser Woche: „Der Staat und die Stadt
haben in dieser Situation bisher sehr gut
zusammengearbeitet. Wir waren bei allen
großen Entscheidungen einer Meinung.“
Zu diesen Entscheidungen gehörte es,
sämtliche Bars zu schließen. Restaurants
dürfen nur noch außer Haus verkaufen.
Die Schulen sind zu. Die Museen sind zu.
Die Theater am Broadway sind zu. De Bla-
sio hat die Einwohner der Stadt dazu aufge-
rufen, wenn irgend möglich in ihren Woh-
nungen zu bleiben. Eine Ausgangssperre
hat er bisher nicht verhängt, aber er sagte,
New Yorker sollten sich schon einmal dar-
auf einstellen, dass sie kommen werde.


Wenn man de Blasio in diesen Tagen zu-
hört, gewinnt man den Eindruck, dass er
die Ausgangssperre gern schon längst ver-
hängt hätte, denn seit in dieser Woche ne-
ben zwei staatlichen auch einigen privaten
Labors erlaubt wurde, Menschen auf das
Virus zu testen, ist die Zahl der Fälle mas-
siv gestiegen. Allein zwischen Montag und
Freitag hat sich die Zahl der Menschen in
New York City, die positiv getestet wurden,
vervierfacht. Mehr als 5000 sind es im Bun-
desstaat, mehr als 4000 in der Stadt, Ten-
denz stark steigend, und zwar stündlich.
New York ist das Epizentrum der Epidemie
in den USA, und da lange so gut wie gar
nicht getestet wurde, gehen die Behörden
von einer hohen Dunkelziffer aus.
Um eine Ausgangssperre verhängen zu
können, braucht de Blasio die Zustim-
mung Cuomos. Der ist derzeit dagegen,
weil er den Ausbruch einer Panik befürch-
tet. Es ist allerdings nicht auszuschließen,
dass er auch deshalb dagegen ist, weil de
Blasio dafür ist. „Es wird keine Regel ge-
ben, die besagt, dass alle zu Hause bleiben
müssen. Das wäre kontraproduktiv“, sagte
Cuomo in dieser Woche rund eine Stunde
nachdem de Blasio erstmals öffentlich ei-
ne Ausgangssperre in Aussicht gestellt hat-
te. De Blasio sagte daraufhin, es gebe
keinerlei Meinungsverschiedenheiten. So
konziliant ist der Bürgermeister sonst nie,
wenn er mit dem Gouverneur überkreuz
liegt. Tatsächlich wirkt es, als hätten beide
Männer früh begriffen, dass diese Krise
viel zu ernst ist, um einander weiterhin zu
unterminieren.
Womöglich setzt Bill de Blasio darauf,
dass der Druck auf Cuomo allmählich zu
groß wird und er einwilligt. Nicht nur stei-
gen die Zahlen, auch gehen andere Politi-
ker mit strikteren Maßnahmen voran. Der
kalifornische Gouverneur Gavin Newsom
zum Beispiel hat am Donnerstagabend ei-
ne Ausgangssperre in seinem Bundesstaat
verhängt.
Auch ohne Ausgangssperre haben sich
die Straßen New Yorks in den vergangenen
Tagen dramatisch geleert, und de Blasio
hat das aus unmittelbarer Anschauung
erlebt. Der Bürgermeister ließ sich bis vor
Kürzestem nahezu täglich von seinem
Amtssitz in Manhattan nach Brooklyn ins
Fitnessstudio fahren, und da die Straßen
New Yorks notorisch verstopft sind, konn-
te sich die knapp 20 Kilometer lange Fahrt
bisweilen in die Länge ziehen. Cuomo hat
sich darüber in der Vergangenheit selbst-
verständlich des Öfteren lustig gemacht.
In den vergangenen Tagen müsste de Bla-
sio die Strecke in Rekordzeit bewältigt ha-
ben, denn in immer rasanterem Tempo ver-
schwinden die Menschen von den Straßen
und Plätzen. Insbesondere an den Orten,
die sonst von Touristen bevölkert werden,
ist das gespenstisch.


Mehr als 60 Millionen Menschen besu-
chen New York City im Jahr, und in der Re-
gel erkennt man die Touristen. Wenn man
jetzt durch die Straßen spaziert, sind so gut
wie keine Touristen zu sehen. Am Times
Square blinken die riesigen Leuchtrekla-
men in die Leere. Auf der berühmten Eisflä-
che am Rockefeller Center, wo sich sonst
Hunderte auf Schlittschuhen drängen:
niemand. In die normalerweise rappelvol-
le U-Bahn-Station World Trade Center ist
hier und da ein Mensch getupft.
Es ist nicht so, als wäre überhaupt nie-
mand mehr auf den Straßen, es gibt durch-
aus noch Leben in der Stadt. Aber der Un-
terschied zur vergangenen Woche, als der
stählerne Pulsschlag New York Citys noch
wie gewohnt pochte, ist so gewaltig, dass
es sich surreal anfühlt, durch die Straßen
zu laufen.
Die Metropolitan Transportation Autho-
rity (MTA), die für den öffentlichen Nahver-
kehr zuständig ist, teilt mit, dass derzeit
noch gut 1,5 Millionen Menschen pro Tag
mit der U-Bahn fahren. Das ist eine gewalti-
ge Zahl, es sind mehr Menschen, als Mün-
chen Einwohner hat. Aber normalerweise
sind es am Tag eben mehr als 5,5 Millio-
nen. Zuletzt war es nach den Anschlägen
vom 11. September 2001 derart einfach,


zur Rush Hour einen Sitzplatz zu ergattern.
Dank einer seltsamen Volte in der Gesetz-
gebung von Stadt und Staat untersteht die
MTA, die wohl wichtigste Behörde New
York Citys, dem Gouverneur, und Cuomo
hat in der Vergangenheit keine Gelegen-
heit ausgelassen, de Blasio das spüren zu
lassen. Kürzlich vergraulte er den Englän-
der Andy Byford, der als eine Art Star unter
den U-Bahn-Managern gilt und im Jahr
2017 angeheuert worden war, um das maro-
de System zu modernisieren. Mehreren
Medienberichten zufolge hatte er es irgend-
wann satt, dass Cuomo ihm dauernd dazwi-
schenfunkte, weshalb er im Januar dieses
Jahres sehr zum Verdruss von de Blasio
kündigte.
Wieder und wieder mahnen de Blasio
und Cuomo derzeit zur Ruhe. Allerdings ge-
ben manche ihrer Äußerungen Anlass, sich
ernsthaft Sorgen zu machen. Cuomo sagte
zum Beispiel in dieser Woche, er gehe da-
von aus, dass zwischen 18 000 und 37 000
Intensivbetten benötigt werden. Das mag
nicht sonderlich gewaltig klingen im Ange-
sicht der Größe dieser Stadt, aber derzeit
gibt es in New York lediglich 3000 Intensiv-
betten, von den 80 Prozent bereits belegt
sind. Bleiben also noch 600 freie Betten,
was bei 8,5 Millionen Einwohnern, gelinde
gesagt, wenig ermutigend klingt. Insge-
samt, meinte Cuomo, werde man wohl
110000 Krankenhausbetten benötigen. Es
gibt derzeit 53 000, von denen ebenfalls
mehr als 80 Prozent belegt sind. Bleiben al-
so gut 10000 Betten.
Noch beunruhigender ist, dass es laut
Cuomo lediglich 10 000 Geräte zur künstli-
chen Beatmung gibt. De Blasio sagte, man
sei dabei, mehr Geräte zu beschaffen, aber
woher und wie schnell, ist offen.
Diese Zahlen sind kein Geheimnis, sie
sind in verschiedensten Medien veröffent-
licht worden, und manche Menschen kom-
men offenbar zu dem Schluss: Diese Zah-
len bedeuten, dass über kurz oder lang das
Chaos ausbricht. Wie in Deutschland wapp-
nen sich viele Amerikaner für das, was da
kommen mag, indem sie massenweise Klo-
papier bunkern. Nicht wenige wappnen
sich hingegen, indem sie Waffen kaufen.
LautForbeshat das FBI allein im Februar
2,8 Millionen Backgroundchecks bei US-
Bürgern vorgenommen, die Waffen erste-
hen wollten. Das sind 36 Prozent mehr als
im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Stark
gestiegen sei vor allem die Zahl an asia-
tischstämmigen Amerikanern, die Waffen
kauften, weil sie rassistische Ausfälle
fürchteten. Tatsächlich sind in der New Yor-
ker Subway zuletzt asiatisch aussehende
Menschen beschimpft worden, als wären
sie in irgendeiner Weise verantwortlich für
die Ausbreitung des Virus. Dass Präsident
Donald Trump das Coronavirus seit Neu-
erem nur noch das „chinesische Virus“
nennt, ist in diesem Zusammenhang si-
cherlich nicht hilfreich.

Mitte der Woche hat Trump diesem „chi-
nesischen Virus“ den Krieg erklärt. Er sehe
sich nun als Kriegspräsident, sagte er im
Weißen Haus, und er forderte von seinen
Mitbürgern Opferbereitschaft. „Jede Gene-
ration von Amerikanern war dazu aufgeru-
fen, Opfer zum Wohle der Nation zu brin-
gen“, sagte er. Und weiter: „Im Zweiten
Weltkrieg haben sich junge Menschen,
Teenager, freiwillig gemeldet, um zu kämp-
fen. Sie wollten unbedingt kämpfen, weil
sie ihr Land liebten.“
Diese Analogie mag hanebüchen er-
scheinen, aber Trump führte sie in einiger
Länge aus: „Und jetzt ist unsere Zeit gekom-
men. Wir müssen gemeinsam opfern, weil
wir gemeinsam durch all das gehen, und
wir werden zusammenkommen. Es ist der
unsichtbare Feind. Das ist immer der här-
teste Feind: der unsichtbare Feind.“
Wie dieser Kampf ausgehen könnte?
Trump sagte: „Es wird ein vollständiger
Sieg sein. Es wird der totale Sieg.“
Diese martialische Rhetorik steht in
krassem Gegensatz dazu, dass Trump lan-
ge versucht hat, das Virus kleinzureden. Es
passte ihm nicht ins Konzept, er wusste
nicht, wie er mit dieser Bedrohung umge-
hen sollte. Trump liebt die Konfrontation.
Er attackiert seine Gegner mit allem, was
er hat, und was immer man von seinen in-
tellektuellen Kapazitäten halten mag: Er
hat ein nahezu unfehlbares Gespür dafür,
wie und wo er sein Gegenüber treffen
kann. Aber wie attackiert man ein Virus?
Trumps Lösung war, es wegzureden.


  1. Januar: „Alles wird gut sein. Wir ha-
    ben das vollständig unter Kontrolle.“

  2. Januar: „Wir glauben, dass wir es
    sehr gut unter Kontrolle haben.“
    In diesem Stil ging es den ganzen Febru-
    ar über weiter. Von 20. Februar an wurde
    die Wall Street nervös, der wichtigste Fi-
    nanzplatz der USA. Die Kurse begannen
    bedenklich zu wackeln.

  3. Februar: „Es wird verschwinden. Ei-
    nes Tages, wie durch ein Wunder, wird es
    verschwinden.“
    Flankiert wurde Trump von seinen Er-
    füllungsgehilfen auf dem Sender Fox
    News, die unentwegt verkündeten, dieses
    Virus werde in erster Linie von den Demo-
    kraten aufgebauscht, um dem Präsidenten
    zu schaden.

  4. März: „Es wird verschwinden. Bleibt
    ruhig. Es wird verschwinden.“
    Es war faszinierend, diesem 73 Jahre al-
    ten Mann dabei zuzusehen, wie er trotzig
    wiederholte, dass die Welt nicht sei, wie sie
    ist, sondern so, wie er sie wollte und sich
    vorstellte. Und wie er damit durchkam,
    weil er sich im Weißen Haus mit Kriechern
    umgibt, mit Männern und Frauen, deren
    Rückgrat aus Pudding ist.
    Als sich das Virus nicht länger weglügen
    ließ, begannen die Märkte, brutal einzubre-
    chen. Nach jüngstem Stand hat der Dow Jo-
    nes alles verloren, was er während Trumps
    Präsidentschaft gewonnen hatte, und ein
    Ende des Kurssturzes ist nicht abzusehen.


Das brachte dann auch Trump zum Nach-
denken.


  1. März: „Falls Sie über dieses Virus re-
    den, nein, das ist nirgendwo auf der Welt
    unter Kontrolle.“
    Trump sagte das so, als gäbe es keinerlei
    Widerspruch zu seinen vorherigen Äuße-
    rungen. Dreist? Durchaus, aber richtig
    dreist wurde es erst einen Tag später.

  2. März: „Ich habe immer gewusst, dass
    dies eine, dass dies real ist, dies ist eine Pan-
    demie ... ich habe gefühlt, dass es eine
    Pandemie war, lange bevor es Pandemie ge-
    nannt wurde.“
    Beinahe zwei Monate lang hatte Trump
    versucht, das Virus kleinzureden. Nun war
    er in seiner Darstellung derjenige, der von
    Anfang an die ganze Tragweite erkannt hat-
    te. Er stellte damit die Wahrheit schlicht
    auf den Kopf. Im Vergleich zu Trump wir-
    ken selbst die notorischen New Yorker
    Streithähne Bill de Blasio und Andrew Cuo-
    mo wie Staatsmänner. Auch sie mögen
    sich bisweilen kindisch verhalten, aber
    immerhin lügen sie nicht fortwährend.
    Bereits vor eineinhalb Wochen hatten
    sie den Notstand ausgerufen, als Trump
    noch davon redete, das alles werde im Nu
    vorbei sein. Wann immer de Blasio gefragt
    wird, wie lange die Krise seiner Meinung
    nach dauern werde, sagt er: „Das wird
    nicht schnell vorübergehen.“ Er rechne mit
    mindestens sechs Monaten.
    Was sechs Monate der sozialen Isolati-
    on, der geschlossenen Schulen, Museen,
    Bars, Theater, Restaurants und Konzerthal-
    len mit einem Universum wie New York an-
    stellen könnten, ist kaum vorstellbar. Man
    erholt sich von so einem Shutdown nicht
    von heute auf morgen. Schon jetzt, nach
    wenigen Tagen, ist die Stimmung bedrü-
    ckend. Viele New Yorker wohnen wegen
    der enormen Mietpreise in Kleinstwohnun-
    gen. Es gibt all die tollen Parks in dieser
    Stadt auch, damit die Menschen in ihren
    Wohnungen nicht durchdrehen. Gut mög-
    lich, dass Cuomo auch diesen Gedanken
    im Kopf hat, wenn er de Blasios Idee einer
    Ausgangssperre derzeit ablehnt.
    Besonders gut lassen sich die Auswir-
    kungen der Restaurantschließungen auf
    dem Teil der 9th Avenue beobachten, der
    durch den Stadtteil Hell’s Kitchen verläuft.
    Hell’s Kitchen liegt, wenn man auf eine Kar-
    te von Manhattan blickt, ungefähr in der
    Mitte links. Früher war es ein raues Viertel,
    in dem die irische Mafia regierte. Heute
    wirkt es, als hätten sich die Stadtplaner
    überlegt, exemplarisch eine Gegend mit
    Menschen aus sämtlichen Teilen der Welt
    zu bevölkern, deren Vermögensverhältnis-
    se das gesamte Spektrum zwischen mittel-
    los und superreich abdecken.


Die 9th Avenue wird von unzähligen Res-
taurants und Bars gesäumt, sie ist die
Hauptschlagader dieses Viertels, und seit
Anfang der Woche pulsiert sie nur noch
schwach. Wie viele der Etablissements
überleben werden, ist fraglich.
An der südöstlichen Ecke von 9th Ave-
nue und 51st Street macht ungefähr ein-
mal im Jahr ein neuer Laden auf, aus ir-
gendeinem Grunde scheint die Ecke ver-
flucht zu sein. Die Läden gehen dort auch
ohne Coronavirus ein. Seit Kürzerem ist an
der Ecke eine Bar namens „’ritas“ ansässig,
die auf mexikanisch macht. Der Name ist
eine Kurzform des Drinks Margarita.
Das „’ritas“ schien sich überraschend
gut etabliert zu haben, nun aber hat es wie
alle anderen Bars geschlossen, und obwohl
sie wissen, dass sie als vergleichsweise
neue Bar deshalb vermutlich pleitegehen
werden, haben sie eine Botschaft nicht nur
an ihre Kunden, sondern an alle Passanten
in Hell’s Kitchen neben die Tür gehängt:
„Wenn du durch einen Sturm gehst, dann
geh erhobenen Hauptes. Am Ende des
Sturms ist ein goldener Himmel und das sü-
ße, das silbrige Lied einer Lerche.“
Die demokratische Senatorin Kamala
Harris wies soeben darauf hin, dass zwei
Drittel der Menschen, die unterdurch-
schnittlich verdienen, keine Arbeitslosen-
versicherung haben. Das ist in Amerika so
üblich. Menschen, die in Bars und Restau-
rants wie dem „’ritas“ arbeiten, gehören
fast ausnahmslos zu dieser Gruppe. Wie
sie diese Krise finanziell überstehen sol-
len, ist ein Rätsel. Und 40 Prozent dieser
Gruppe, führte Harris aus, seien Schwarze
und Latinos. Auf der 9th Avenue in Hell’s
Kitchen kochen Latinos in so ziemlich al-
len Restaurants, und ja, auch beim Italie-
ner oder beim Griechen. Diesen Menschen
droht eine ökonomische Katastrophe.
Viele reiche New Yorker, so berichtet die
New York Times, haben sich hingegen in
die Hamptons in ihre Sommervillen ver-
fügt, um der depressiven Stimmung in der
Stadt zu entfliehen. Die immer etwas kra-
walligeNew York Postschreibt, dass sie
dort die Lebensmittelläden leer räumten,
um die Waren in ihre eigens neu gekauften
Riesenkühlschränke zu stopfen.
New York ist eine Stadt, die viel abkann.
Sie hat die Anschläge vom 11. September
2001 ebenso überstanden wie die Finanz-
krise von 2008. Über Trump, der im Stadt-
teil Queens zur Welt kam und sich, nach al-
lem, was man hört, so sehr wünscht, von
der New Yorker Gesellschaft ernst genom-
men zu werden, lacht sie bis heute. Aber
nun, im Angesicht des Virus, scheint selbst
New York nervös zu werden.
Dass die Krankenhausbetten bald ausge-
hen werden – daran wird auch die Tatsa-
che nichts ändern, dass demnächst ein Spi-
talschiff der Marine, dieUSNS Comfort,in
New York anlegen soll. Es hat 1000 Betten.
Nicht übel, aber natürlich lächerlich wenig
in Anbetracht dessen, was da womöglich
kommt. Gouverneur Cuomo nannte das
Schiff, und er wirkte recht stolz dabei, ein
„schwimmendes Krankenhaus“. Diese Äu-
ßerung war vor allen Dingen deshalb ganz
passend, weil in dieser so stolzen Stadt ge-
rade alles zu schwimmen scheint.

DEFGH Nr. 68, Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020 DIE SEITE DREI 3


Ob am Times Square, in der U-Bahn
oder auf der Brooklyn Bridge, in New York sind kaum
noch Menschen zu sehen. Und von Tag zu Tag wird die Stimmung
in der Stadt, die angeblich niemals schläft, bedrückender.
FOTOS: DAVID DEE DELGADO / AFP, JOHN MINCHILLO / AP, JUSTIN HEIMAN / AFP

Virus and the City


In den Straßen von New York ist es still, leer und gespenstisch.


Die Stadt ist das Epizentrum der Corona-Epidemie in den USA – und


erschreckend wenig vorbereitet


von christian zaschke


Viele reiche New Yorker haben
die Stadt schon verlassen und
warten in den Sommervillen ab

Auch die New Yorker wappnen


sich mit sehr viel Klopapier,


aber auch mit sehr vielen Waffen


Allein zwischen Montag und


Freitag hat sich die Zahl der


Infizierten vervierfacht


Trump redete das Virus lange
klein. Dann gab er sich plötzlich
als Entdecker der Pandemie
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