Berliner Zeitung - 21.03.2020

(Rick Simeone) #1

4 21./22. MÄRZ 2020


MEIN PLATZ


MalteWehr brüht


Espresso an seiner


Hobelbank


Beruf: Erzieher;Alter:38; geboren in: Pforzheim; wohnt in: Neukölln; Zeit am Platz: jedenTag

D


ererste Gangam Morgenistjenerindie
Küche.IchstelledenHeizmechanismus
meiner„Strietman“an,dasmachtKlick.Ge-
erdetundverheißungsvollstehtdiebronze-
farbeneStrietman auf der altenWerkbank
ausBuche,demHerzstückmeinerKüche.
ZehnMinutennachdemEinschaltenhat
deroffeneBoilerseine95GradBetriebstem-
peratur erreicht, daszeigt mir ein Thermo-
meteran.DieZubereitungdesEspressosge-

schiehtdannvölliglautlos.Miteinemlangen
HebelübertrageichdieKraftaufdenKolben.
DerpresstdasheißeWassermitbiszu9bar
durchdasKaffeemehlimSiebunduntenbil-
densichTröpfchen,dieSekundenspäterals
dünnerStrahlindie Tassefließen.DasGanze
isteinsehrbedächtigesRitual.
Voreiniger Zeit hinterließ mir einOnkel
Geld,undichhatteschnelldenWunsch,da-
mit einen Erinnerungswertmit täglicher

Freude zu schaffen.DieKaffee-Kultur faszi-
niertemichschonimmer,alsobegannichzu
recherchieren.Bald stieß ich auf kleine und
verborgeneManufaktureninallerWelt.
Monate verstrichen, bis endlich die Es-
pressomaschinevonWouter Strietman aus
Eindhovenundeine KaffeemühlevonDenis
BasaricaliasKafaTekausSeattleaufmeiner
HobelbankPlatznahmen.Erstsp äterbegriff
ichihreneigentlichenWert:Ichmöchtesel-

VonJörg Niendorf (Text)
und Benjamin Pritzkuleit (Fotos)


bernochmehrüberjeneverborgenenWerk-
stätte nerfahrenundmeineLeidenschaftmit
anderenMenschenteilen.Desweg enbi nich
zu einigen dieser Produzenten gefahren,
worausnuneinBuchen tstehe nwird:„Third
WaveMachinists“. WennichnachtsinsBad
muss,dannwerfeichoftnocheinenBlickin
diedunkleKücheundvergewisseremichder
schemenhaften Anwesenheit meinerStriet-
man.NochwenigeStunden...Klick.

L


öwenmäulchen, Elfenspiegel,
Schmuckkörbchen,JungferimGrü-
nen, Liebeshain-, Ringel- oder
Gauklerblume–allein dieNamen
vieler Sommerblumen sind hübsch, ja
manchmal geradezu märchenhaft.Undge-
nau so sehen sie auch aus:Ihre Blüten sind
hauchzart(Schleierkraut) bis tellergroß
(Sonnenblumen) undweisen alle erdenkli-
chen Farben und Schattierungen auf.Man-
che duften betörend, viele ernährenHum-
meln, Bienen und Schmetterlinge.Sie wer-
denSommerblumengenanntundgeltenals
einjährigePflanzen,weilsieineinereinzigen
Gartensaisonkeimen,wachsen,blühenund
Samenbilden.Ihrkurzes,fulminantesLeben
endet meist im spätenHerbst und beginnt
im Frühling, also jetzt. Es macht großen
Spaß, sie zu säen.Daskräftige Grün ei nes
Keimblatts ist die optimistischsteFarbe der
Welt,besondersangrauenMärztagen.
NatürlichgibtesSommerblumenauchfix
und fertig zu kaufen, aber dieAuswahlist
sehrbegrenzt.ImLadenwirdmankaumei-
nen „Bienenfreund“ finden, keine wohlrie-
chendeReseda,keinewildeKornblume.Zu-
demhabenGreenpeace,aberauchderbriti-
sche Biologe Dave Goulson in Studienge-
zeigt, dass man sich mitBlumen ausdem
GartebcentersehroftGiftindenGartenholt
–selbstwennsieals„bienenfreundlich“ge-
kennzeichnetsind.WerInsektenhelfenwill,
sollte inBiogärtnereien einkaufen–oder
eben selbst ziehen, was erheblichweniger
kostet.
Unddas ist ganz einfach, sofernwir die
Bedürfnisse der Pflanzenrespektieren: Die
meistenSommerblumen keimen ab 10 bis
15Grad,daherwirdimM ärzundAprilgesät.
DerBoden sollte warm, humusreich und
schön feinkrümelig sein, damit die zarten
Wurzelnmüheloshineinwachsenkönnen.
Gesätwirdsot ief,wiedieKörnchendick
sind, und nicht zu eng.DieAbstandsan-
gaben auf denSamentüten sind erst ge-
meint.Pflanzen,diesichdrängeln,gedeihen


nicht.BisdieSamenkeimen,möchtensiees
unbedingt feucht haben, ausgetrocknete
Erde verzeihen sie nicht.In einem Frühjahr
mit sanftemRegen ist das keinProblem. In
einem trockenen hilft nur sanftesGießen.
OdereinnasserSackau fdemBeet.
DieSaat im Freiland bringt kräftige,an
ihreUmgebungbestensangepassteBlumen
hervor,aberesgibtauchguteGründe,sieun-
teroderhinterGlasvorzuziehen: Besonders
wärmeliebende oder anfangs langsam
wachsende Pflanzen wie Löwenmäulchen,
Zinnien,GauklerblumenoderPatagonisches
Eisenkraut können ein bisschenVorsprung
vertragen. Außerdem sind vieleBeete im
MärzundAprilnochvollerTulpenundande-
rerFrühblüher;esi stal somanchmalgarkein
PlatzfürdieSaat.
Werkein Gewächshaus oder Frühbeet
hat,wir dsichmitdemFensterbrettbehelfen.
Spezielle Anzuchtkisten sind praktisch, ge-
nauso gut funktionieren aberEierkartons,
Joghurtbecher(mitLöchernimB oden)oder
aus Zeitung gebastelte Töpfchen. Hinein
kommtidealerweiseAnzuchtsubstrat,man-
che schwören auch auf eigeneMischungen
oder Maulwurfshügelerde.ImZ weifel tut es
aber schlichte Tütenerde,der Umwelt zu-
liebe torffreie.Gesät wirdwie draußen,
obendraufsetztmaneinTrinkglas,einezer-
schnittenePET-Flasche oder ähnliches.Ge-
gossen wirddirekt vorm Säen, diePlastik-

geheizten Schlafzimmer oderTreppenhaus
istperfekt.MiteinbisschenGlücklassensich
lange schlappe Pflanzenretten, indem man
sie möglichst tief in einen neuen Topf
pflanzt.Bevo rder zarteNachwuchs dann
nach ein paarWochen insB eetoder in den
Balkonkasten kommt, sollte er sich an die
Frischluftgewöhnen–ine inergeschützten,
sonnigenEcke,erst mit Abdeckung, dann
ohne.
Natürlich macht das alles Arbeit, und es
gehtauchmaletwasschief.SpargeligeSäm-
linge fallen um und sterben, statt zartem
Grün sp rießen Pilzeaus de nTöpfchen, das
Kind,die Katze–odermanselbst–fegtverse-
hentlicheinDutzendjungeLöwenmäulchen
vomFensterbrett.Andererseitserfreutnichts
sosehr ,wiederLieblings-Levkojeodereiner
wilden Kamille beimKeimen undHeran-
wachsenzuzusehen.Esisteineangenehme,
ja meditativeBeschäftigung, Pflanzen aus
Samen zu ziehen, ebenweil es nicht per
Mauskl icko derschnellemShoppinggeht.
DieMöglichkeiten sind dabei auch viel-
fältigeralsmitgekauftenPflanzen:Wirkön-
nen einfarbige oder kunterbunteBeete ge-
stalten, seltene,alte oder wildeSorten zele-
brieren,duftendeBlumen(z .B.Levkojen,Re-
sede n)säen,gezieltBienen,Hummelnoder
SchmetterlingenFutter anbieten (Letzteren
mitWitwenblumenoderEisenk raut).Allein
derStandortsetztder Fantasie Grenzen,die

meistenSommerblumen möchtenSonne,
mitSchattenkommennurwenige(z.B .Lie-
beshain- undGaukle rblumen oderBlauer
Waldmeister)gutzurecht.
Eine un verwüstliche Anfängerpflanzeist
dieknallorangeodergoldgelbblühendeRin-
gelblume.Oderder Bienenfreundmitseinen
blauviolettenBlüten.Ergiltals Bienenweide
undGründünger.EineMischungausbeiden
macht ausjeder halb wegs sonnigen, gern
auch ein bisschen kargenEcke ein pflege-
leichtesBlütenmeer.
Voreinem Ständer mitHunderten Sa-
mentüten kommen einem eher zu viele als
zuwenigeIdeen.Einbisschenverwirrend ist,
dassdor tzwischenSommerblumenoftauch
zwei- oder mehrjährige Pflanzen hängen.
Dieblühen selten im erstenJahr,was sehr
enttäuschendseinkann.Alsogilt,genauhin-
zuschauen, meist steht es auf den Tüten.
Auch ein Blickauf die Blütezeiten schadet
nicht.VieleSommer blumenblühenaberoh-
nehinwochenlang,wennVerwelkteswegge-
schnittenwird.DerSinnihresLebensistSa-
menbildung,wenn wir sie daran hindern,
treibensieimmerneueKnospen.
Weilwira berimmerSamenkapselnüber-
sehen oder imHerbst doch stehenlassen,
pflanzensiesichamEndeoftdennochfort.
Ihre Nachkommen keimen imFolgejahr oft
ganz ohne unsereHilfe:Ringelblumen,
Schmuckkörbchen,Mohn, Jungfer imGrü-
nenundvieleanderewerden,einmalgesät,
zuDauerg ästenimGarten.ManchePflanzen
sterben inZeiten steigenderTemperaturen
auchgarnichtmehrab.VieleRingelblumen
zumBeispielblühtenindiesemmildenWin-
tereinfachdurch.Auchdaseineoderandere
Löwenmäulchenhatüberlebtundstartetge-
radefröhlichinsneueGartenjahr.

Sabine Rohlfhat gerade 26 kleine
Töpfe mit jungen Sommerblumenvor
Fensternund Balkontür stehen.

Sich eine solche Blütenpracht selber zu ziehen, macht etwas Arbeit, aber der Anblick macht es gleich wiederwett. IMAGO STOCK&PEOPLE


Elfenspiegel


undLiebeshain


Jetztistderrichtige


Zeitpunkt,dieersten


Sommerblumenzusäen.


Dasgehtganzeinfach,


auchaufdem


Fensterbrettundim


Balkonkasten


VonSabine Rohlf


oderGlasdeckelhaltendieFeuchtigkeit,die
WohnungswärmefördertdenKeimprozess.
Nachdem Keimenwirdese inofteinbiss-
chen knifflig, denn bei Lichtmangelwerden
die Jungpflanzen sehr schnell lang, dünn
und blass.Daher wirddie Abdeckung nun
entfernt.Gartenprofis sortieren schwächli-
cheundüberzähligeExemplareeinfachaus.
DaLaiensichabermeistinjedeneinzelnen
Keimling verlieben, hier derTipp: Nicht zu
viel säen! Möglichst viel Licht und nicht zu
vielWärme!EinSüdfenster in einemwenig
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