Der Standard - 21.03.2020

(Ron) #1

30 |SA./SO.,21./22.MÄRZ2020DKommunikation ERSTANDARDWOCHENENDE


J


a, eh. Aber was soll man ma-
chen. Er ist nun einmal der
Bundeskanzlerunderregtals
solcher eine gewisse Aufmerk-
samkeit, auch wenn ihm das völ-
lig fernliegt. Klar, dass man dann
auch eine gewisse Aufmerksam-
keit erregt, wenn man ihn er-
wähnt. Peccavi, aber zur Buße
bereit. Daher holen wir diesmal
aus dem rhetorischenGewürz-
schrankvon„News“keinen Ne-
hammer und keine türkise Mi-
nisterin, nein, sondern das ab-
solute Kontrastprogramm zum
Krisenkompagnon: Rudolf An-
schober.Während andere Politi-
ker ins Licht drängen (?) und
sich dort erst so richtig entfalten,
nützt das „grüne Urgestein“ Inter-
views kaum, um für seine Über-
zeugungen zu werben. Er scheint
nicht um gefälliges Auftreten be-
müht, überzeugt nicht in erster Li-
nie durch seine charmante Ge-
sprächsführung. Meist schaut der
ehemalige Volksschullehrer gries-
grämig drein, er spricht ruhig und
gelegentlich ein bisschen lahm,
dafür scheint er der Sache ver-
pflichtet.
Folgt man derSprachprofilerin
Tatjana Lackner, ist klar: Also wie
ein Fels in der Brandung wirkt er

nicht.Dafür punktet der Sozialmi-
nister mit seiner schönen Stimm-
farbe. Mit der richtigen Stimm-
modulationkönnte er leichtge-
zielt„Atmosphäre“schaffen.Aber
er bleibt lieberder Sache ver-
pflichtet,daherkommen die Aus-
sagen häufig aus dem lehrmeis-
ternden „Eltern-Ich“.Laut Lack-
ner ist er einbesonnener Rhetori-
ker mit Hang zur Lehrmeisterei.
Da hat man schon unbesonnene-
re Lehrmeister erlebt. Und war-
um sollte er verleugnen, dass er
einen Beruf erlernt hat?Sein Re-
deduktus klingt eher phlegma-
tisch,aber das hat auch Gutes:Im
FallevonCoronakamihmdasklar
entgegen. Er wirkte besonnen, be-
ruhigend und hat viele Fragen ge-
lungen „runtergekocht“,wo ande-
re hochkochen.
ZumGlückkonnteder„Kurier“
am Donnerstag die Scharte aus-
wetzen, die„News“mit Anscho-
ber in Kanzlers Rhetorikcontrol
geschlagen hatte. ZurKanzler-
Rhetorikgab es eine ganze Seite

unter dem TitelDer „Fels in der
Brandung“-Effekt,und zwar von
einer,diesichseitJahrzehntenmit
Rhetorik und Sprache beschäftigt.
Und jetzt–der Zufall: Tatjana
Lackner.Sie befindet sich derzeit
gerade in Australien in Corona-
Quarantäne. Auch oder gerade
deshalb hat sie einen distanzier-
ten Blick darauf, wie
einzelne Staatschefs
versuchen,beideszu
schaffen, nämlich:
in der Krise zu beru-
higen und der Bevöl-
kerung dennoch den
Ernst der Lage zu
vermitteln.
Aus antipodi-
scher Sicht wirkt manches er-
freulicher als von oben.„Im Ver-
gleich zu einem Donald Trump
oder Australiens Regierungschef
Scott Morrison wählt Kurz eine
Sprache, die selbst für Kritiker
durchaus angenehm ist“, sagt
Lackner im Gespräch mit dem
„Kurier“.Im Vergleich zu Trump

oder Morrison bestimmt, aber ge-
genGriesgramAnschoberschnei-
det er nicht so gut ab.
Um„News“zu übertrumpfen,
verließ sich der „Kurier“nicht
allein auf die Gewürzkrämerin,
sondern zog mit Gerald Groß
einen zweiten Rhetorik-Experten
bei. Er befand,was dem Kanzler
sonst als Defizit an-
gekreidet werden
könnte, nämlich
eine „gewisse Steif-
heit im Auftritt und
die Variantenarmut
in der Mimik“, sei
nun auf seiner Ha-
ben-Seite. Groß
nennt das den „Fels
in der Brandung“-Effekt, sprich:
manchmalistes besser,wennsich
möglichst nichts ändert.Ob das in
diese Zeit passt?
Da gibt es Wichtigeres, wie der
„Trend“aufsehenerregend schon
auf dem Cover berichtete:Josef
Penninger–Der Virus-Jäger. Der
Weltklasseforscher steht kurz da-

vor, Corona zu besiegen. Im
„Trend“-Interview erzählt er, wie
ihm das gelingt.Leider bleibt of-
fen, wie lange es noch bis zum
Endsieg dauert, denn zunächst
beschreibt er lediglich ausführ-
lich, welche Hürden noch zu
meistern sind und was er sich jetzt
von der Politik erwartet.Das kann
sich laut Penninger noch ziehen.
Wir haben schon vor 15 Jahren
eine Flasche geköpft, als wir erst-
mals den Mechanismus entdeckt
haben, der jetzt Covid-19-Patien-
ten heilen soll.Das Medikament
APN01 wird laut„Trend“ nun an
den ersten zwölf Corona-Patien-
ten in China getestet,und Pennin-
ger ist zuversichtlich.Ich glaube
fest daran, dass es funktioniert,
und der Glaube kann bekannt-
lich Felsen in der Brandung ver-
setzen.
Undwenn,will„Trend“wissen,
Sebastian Kurz zu Ihnen käme
und Ihnen die Möglichkeit böte,
eine Art Max-Planck-Gesellschaft
zu gründen, mit Exzellenzfor-
schung,die von Beginn weg mit
mehrerenHundertMillionenEuro
dotiert ist? Dies,so Penninger,
wäre meiner Meinung nach eine
enorme Chance für Österreich.
Koste es, was es wolle.

BLATTSALAT


Felsen in der Brandung


GÜNTERTRAXLER


Coronawarnochkein Thema, alsDERSTANDARDOttoSchenkzum Interviewtraf. Im ORF-Film„Vier Saiten“
spielt er denParadegrantler,ander Rolle sei erwährend des Drehsvoneiner schwerenKrankheitgenesen.

Standard:Hin und wieder soll es
Spannungen an Sets geben.
Schenk:Nicht bei mir. Außer es
sind Unbegabte. Ich bemühe mich
dann.Aberesi sthaltschade,wenn
man sich bemühen muss, anstän-
dig zu sein.

Standard:Müssen Sie sich oft be-
mühen, anständig zu sein?
Schenk:Dauernd.

Standard:Siespieleneinenstren-
gen Cellolehrer. Waren Sie selbst
auch so beim Unterricht?
Schenk:Ichwurde unfreundlich,
wenn etwas länger dauerte.

Standard:Aber nicht unanstän-
dig.
Schenk:Dasisteinefließ endeGren-
ze. Ungeduld ist nicht anständig.
Aber manchmal wird der Ton et-
was präziser, wenn man ungedul-
dig wird.

Standard:Sie sagen, es ist mög-
licherweise Ihr letzter Film. Wie
kommen Sie darauf?

O


tto Schenk sitzt in seiner
Bibliothek, daneben der Re-
gisseurMichaelKreihsl,mit
dem er den FilmVier Saitenge-
dreht hat, der am Mittwoch ORF-
Premiere hat. Heute ist Pressetag
im Hause Schenk, Journalisten ge-
ben einander die Türklinke in die
Hand,vollesHaus.Nein,hierwird
nicht gegen jede Corona-Vernunft
verstoßen: Das Interview fand vor
der Krise statt, als man ältere Leu-
te noch bedenkenlos persönlich
treffen durfte. Schenk feiert im
Juni seinen 90. Geburtstag. Im
Film spielt er den Paradegrantler,
der dank eines jungen syrischen
Flüchtlings und Cellisten seine
Lektion lernt.


Standard:Was muss man ma-
chen,umSiezueinerRollezuüber-
reden: brav „Bitte bitte“ sagen?
Schenk:Manmuss mir eine Rolle
geben, in der ich Sätze sprechen
kann wie der, den ich zu spielen
habe. Michael Kreihsl ist ein Ur-
forscher nach Natürlichkeit und
nach Wahrheit süchtig.


Standard:Glauben Sie, dass Sie
Ihr Publikum erziehen können?
Schenk:Bisserl. Man kann die Leu-
te neugierig machen. Wir sind kei-
ne Gegner des allgemeinen Ge-
schmacks, eher Verführer. Wäh-
rend desDrehswarichsehr krank,
das hat mich in eine seltsame
Trance versetzt.

Standard:Was hatten Sie?
Schenk:So eine Art Grippe. Der
ganze Stab von Filmleuten wurde
dadurch zu Krankenhauspflegern.
Ich würde sagen, dieser Film ist
mein letzter, aber wenn ich wie-
der einen habe, ob ich den ohne
Grippe zustande bringe, weiß ich
nicht.

Schenk: Weiters spielen Omid
Memar, Marianne Mendt, Fried-
rich Thun. Ist Ihnen wichtig, dass
Sie Ihre Partner mögen?
Schenk:Ich muss mögen, wie er
redet mit mir. Er kann mein Tod-
feind sein, Intrigant, das ist mir
alles wurscht, wenn er nur ein gu-
ter, natürlicher Schauspieler ist.

Schenk:Indem ich meinen Tauf-
schein anschaue.

Standard:Sie sind ein begnade-
ter Geschichtenerzähler. Wie kom-
men Sie an Ihre Erinnerungen?
Schenk:Da zündet irgendwo ein
Funkerl, und mir fällt die Ge-
schichte ein, und die führt in eine
andere.
Kreihsl:IndenDrehpausenhastdu
minutenlang Passagen vomFaust
rezitiert.
Schenk:Ja, sowas geht. Das sind
diese Urlangzeitgedanken, die fast
schon geschnitzt sind.

Standard: Der90. Geburtstag
steht an. Lassen Sie sich gern fei-
ern?
Schenk:Nein, weil ich nicht weiß,
was ich für ein Gesicht ich dazu
machen soll.

Standard:Spielt das eine Rolle?
Schenk:Wahrscheinlich nicht. Ich
weiß aber nicht, wie ich beieinan-
der sein werde. Altern ist ein Tanz
aufeinemVulkan.Manmussdann

ein neues Leben beginnen, für die
Sekunden, die noch schön sind.
Und die gibt’s.

Standard:Zum Beispiel?
Schenk:Weiß ich nicht. Im Mo-
ment fallen mir keine ein.

Standard:Wasgibt’snochzutun?
Schenk:Weiß ich auch nicht. Plä-
ne macht man schon nicht mehr.

Standard:Noch ein Film?
Schenk:Ichwillessosagen:Schwö-
ren würde ich, aber wetten tat i
ned.

Standard: Beobachten Sie die
Bildungspolitik im Lande?
Schenk:Ich gebe keine Gutachten
ab. Gutachten abgebende Schau-
spieler sind lächerlich, die sollen
in ihrer Sprache bleiben. Schon
dieses Interview ist ein Verrat,
weil ich im Zeitungsdeutsch
schwätze.

Standard:Wasmachenwirjetzt?
Schenk:Schmeißen wir’s weg.

DieTheaterlegendeOttoSchenk–hiermitMichaelKreihsl–feiertimJuniihren90ernichtgern:„Weilichnichtweiß,wasfüreinGesichtichdazumachensoll.“

Foto:Corn

„Schon diesesInterviewist ein Verrat“


INTERVIEW:Doris Priesching
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