Der Standard - 21.03.2020

(Ron) #1

DERSTANDARDWOCHENENDE Kommentarderanderen SA./SO., 21./22. MÄRZ 2020 | 35


Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)

HANSRAUSCHER


Verdienen die Regierenden


unserVertrauen?


Sebastian
Kurz spricht
ziemlichen
Klartext. Er
verzichtet auf
Beschönigun-
gen und from-
me Lügen
(soweit er-
kennbar) und konfrontiert
die Einwohner dieses Landes
mit unangenehmen Aussagen:
Er spricht wiederholt von
„Leid, Verzweiflung und Tod“,
die es geben werde. Man kön-
ne bremsen, aber nicht alles
verhindern. Er verwendet die-
se Worte nicht, aber er sagt
zwischen den Zeilen, dass die
Möglichkeit einer Katastrophe
im Raum steht. Ein Minimum
sei, dass sich jeder an die Vor-
gaben hält. Die Situation wer-
de „sehr, sehr lange“ dauern.
Also Monate, vielleicht sogar
bis Jahresende.

E


sist allerdings möglich,
sogar wahrscheinlich,
dass Kurz uns nicht alles
sagt. Die Epidemiologen, die
die Regierung beraten, haben
mit Sicherheit haarsträubende
Wenn-dann-Szenarien parat.
Die Ökonomen mit Sicherheit
ebenso. In den USA spricht
man von der Möglichkeit einer
Großen Depression wie in den
30er-Jahren mit 25 Prozent
Arbeitslosen und Durch-
schnittslöhnen, die um 60 Pro-
zent fielen. Auch bei Gesund-
heitsminister Rudolf Anscho-
ber, der mit der notwendigen
Ernsthaftigkeit auftritt, kann
man sich einiges dazu denken.
Er sagt, wir seien „zwei Wo-
chen hinter Italien“. Das soll
wohl heißen, dass wir eine
Entwicklung wie dort noch
abwenden können, oder?
Aber auf jeden Fall erzählen
sie uns keinen schöngefärbten
Blödsinn, und das ist schon
einmal etwas.
Was die notwendige Ernst-
haftigkeit, Realitätsnähe und
richtige Sprache im öffentli-
chen Auftritt betrifft, erweckt

die Regierung überwiegend
Vertrauen. Ob sie die richtigen
Maßnahmen rechtzeitig und
weise getroffen hat und trifft,
ist schwerer zu sagen. Man
kann der Meinung sein, dass
man das Überschwappen des
Virus von China nach Europa
etwas früher hätte für möglich
halten können. Aber ob die
drastischen Maßnahmen
schon vor, sagen wir, einigen
Wochen von der Bevölkerung
akzeptiert worden wären?
Österreich war mit diesen
Maßnahmen immerhin unter
den Ersten in Europa.
Enorm wichtig war, dass Se-
bastian Kurz und die Türkisen
sofort ihre Ideologie vom
„schlanken Staat“ über Bord
geworfen haben und auf mas-
sive Staatsintervention setzen.
Die Große Depression der
30er-Jahre war ja auch durch
einen unsinnigen Austeritäts-
kurs konservativer Regierun-
gen in den USA und Europa
(sowie Österreich) fatal ver-
schärft worden. Zumindest die
innere Einstellung ist heute
richtig. Das gilt allerdings
nicht für den Notenbankchef
Robert Holzmann, der mit sei-
ner Philosophie des „Nur die
Starken dürfen überleben“
direkt aus den 30er-Jahren
zu kommen scheint.
Vertrauen verdienen grosso
modo auch unsere Institutio-
nen (übrigens: warum nicht
die Gehälter für medizinisches
Personal erhöhen, und sei es
temporär?). Das ist ein vorläu-
figer Befund, der sich hoffent-
lich nicht ändert.

A


ber eines kann man
schon jetzt sagen: Öster-
reich mag manchem als
überverwalteter Staat erschie-
nen sein (Stichwort „Sparen
im System“), aber in einer
Megakrise wie dieser sind wir
vermutlich froh, dass unsere
Institutionen nicht kaputtge-
spart wurden wie in den USA,
Großbritannien oder Italien.
[email protected]

Eine Debatte, wieweit
eine Regierung in solchen
Krisenzeitengehen darf,
welche Rechte beschnitten
werden dürfen, istzu
führen.Aber auch eine
Debatte darüber,welche
positivenErfahrungen
wir machenwerden.

Unternehmen eingesetzt werden,
sondern für den dringend notwen-
digen Ausbau öffentlicher Infra-
strukturen, um eine nachhaltige
Wirtschaft zu stärken.
Das Coronavirus kann tödlich
sein, aber das trifft auf den Klima-
wandel eben auch zu. In beiden
Fällen gibt es besonders gefährde-
te Gruppen von Menschen. Bei
Corona geht es nach der Alters-
gruppe, beim Klimawandel nach
sozialem Status und der Wohn-
gegend. Bei Corona wird völlig
selbstverständlich auf Gebote und
Verbote gesetzt, was sich die Poli-
tik beim Klimaschutz bislang
nicht traut. Anreize, Bewusst-
seinsbildung und der Markt soll-
ten es regeln–und versagen weit-
gehend. Mit Corona wird denkbar,
dass auch eine ernst zu nehmen-
de Klimapolitik durchaus strenger
sein kann und angesichts der Kri-
se Verbote aussprechen muss:
raus aus dem Kohlestrom, kein
Ausbau von Flughäfen und Flug-
verkehr, keine Tierquälerei für
billiges Fleisch.
Drastische Maßnahmen sind
möglich, wenn der Großteil der
Menschheit ihre Notwendigkeit
versteht. Mit der Erfahrung der
Corona-Krise könnte dem Klima-
schutz die Ernsthaftigkeit ent-
gegengebracht werden, die er be-
nötigte. Es geht was! Keine fal-
schen Ausreden!

Staat, nicht Märkte regeln
Statt Schulen und Theatern
könnten Steuerschlupflöcher für
die großen Konzerne und die Ver-
mögenden geschlossen werden.
Und immer mehr Güter repariert.
Wo immer es möglich ist, weichen
Autos dem öffentlichen Verkehr.
Den Luxus von Profitmaximie-
rung und Superreichen kann sich
die Menschheit schlichtweg nicht
mehr leisten.
Eines macht die Coronavirus-
Pandemie deutlich: Wenn drin-
gendes Handeln notwendig ist,
überlässt niemand die Lösung des

Klimapolitik nach Corona


W


ie werden wir in zehn
Jahren auf die aktuelle
Krise sehen? Aktuell
lernt die Gesellschaft, dass sie im
Kampf gegen das Coronavirus tag-
täglich neue drastische Einschnit-
te und „Zwangsmaßnahmen“ ak-
zeptieren muss. Grenzen werden
geschlossen.DerAlltagmussstark
umorganisiert werden. Flüge wer-
den eingestellt. Kein Shoppen aus
Zeitvertreib. Die gleichzeitig ab-
laufendeFlüchtlingstragödiewur-
de im öffentlichen Diskurs beisei-
tegeschoben.
Der autokratische Ton, mit dem
die österreichische Regierung die
Maßnahmen verhängt und ver-
kündet–imUnterschied zur deut-
schen etwa –, irritiert. Es wirkt so,
als könnten einige Politiker Gefal-
len am autoritären Regieren mit-
tels Zwangsmaßnahmen finden.
Als malten sie sich aus, auch in
anderen Situationen einen Aus-
nahmezustand deklarieren zu
können. Etwa wegen der sich
zuspitzenden Klimakrise? Umso
wichtiger ist nun eine intensive
Debatte, wie weit die Regierung in
solchen Zeiten gehen darf, welche
Rechte beschnitten werden dür-
fen. Nicht nur jetzt, auch nach der
Corona-Krise wird es um die Ver-
teilung der Lasten gehen. Und
etwa um die Frage, ob und welche
Umweltauflagen geschwächt wer-
den, damit die Unternehmen sich
eher erholen können.


Nachhaltige Effekte ...


Positive Erfahrungen während
der Krise könnten durchaus blei-
ben: Der Flugverkehr bleibt auf
einem ökologisch erfreulich nied-
rigen Niveau. Aber auch globale
Güterketten in der Lebensmittel-
produktion könnten teilweise re-
gionalisiert, der Konsum deutlich
reduziert werden. Nicht auf das
Nötigste, sondern–soleuchtet es
immer mehr Menschen ein–auf
das Sinnvolle. Eine Einsicht
durch die aktuelle Krise könnte
sein,nichtmehraufmöglichstvie-
le und billige Produkte vom Welt-
markt zuzugreifen oder den Wo-
chenendausflug per Billigflug
cool zu finden. „Lokal und regio-
nal“wärenichtnureinMarketing-
spruch, sondern würde zu persön-
lichen Erfahrungen, die nicht der
Weltoffenheit entgegenstehen.
Die dringenden Maßnahmen
für Kurzarbeit treffen sich mit den
Wünschen vieler Menschen nach
Arbeitszeitverkürzung. Die aktu-
elleForderungnacheinemGrund-
einkommen für Menschen in pre-
kären Beschäftigungsverhältnis-
sen, um sie vor dem Schlimmsten


zu bewahren, könnte als positi-
ve Errungenschaft weitergeführt
werden. Und zwar auf europäi-
scher Ebene. Pflegeberufe, die bis-
her wenig geachtet und schlecht
bezahlt waren, erhalten durch die
Krise endlich die Wertschätzung,
die ihnen zusteht.

... auf die Klimakrise
Wichtig wäre: Nach dem erfolg-
reichen Kampf gegen das Corona-
virus werden die Erfahrungen auf
ein anderes, genauso gefährliches
Phänomen übertragen: auf die
Klimakrise. Spätestens seit 2019
ist das Thema endgültig auf der
politischen Tagesordnung. Näm-
lich nicht nur dort Umweltpolitik
zu machen, wo es niemandem
wehtut. Produktion und Konsum,
insbesondere der Luxuskonsum,
müssen deutlicher den Erforder-
nissen der Klimakrise angepasst
und dafür auch bestimmte Pro-
dukte und Branchen deutlich re-
duziert werden. Auch die aktuell
von der deutschen und französi-
schen Regierung angeregte Ver-
gesellschaftung von Schlüssel-
industrien wäre klimapolitisch
von großer Bedeutung, weil damit
langfristige Planung möglich ist
und der Profitdruck auf die Unter-
nehmen zurückgeht.
Vor einigen Monaten kündigte
die Präsidentin der EU-Kommis-
sion, Ursula von der Leyen, einen
Europäischen Green Deal an. Bis-
lang handelt es sich wesentlich
um ein Investitionsprogramm, um
die europäischen Konzerne im Be-
reich neuer Technologien gegen-
über den USA und China zu stär-
ken. Auch diese milliardenschwe-
re Initiative könnte nach der er-
folgreich überwundenen Corona-
Krise in einem anderen Licht ge-
sehen werden. Selbst die EU-
Kommission sieht aktuell, dass
die Menschen bereit sind, in der
Klimakrise umzudenken. Das
Geld könnte nicht zuvorderst für
eine größere globale Wettbe-
werbsfähigkeit europäischer

Ulrich Brand, Heinz Högelsberger

Problems dem „Markt“, sondern
Regierung und öffentliche Hand
müssen agieren. Allerdings unter
demokratischen und transparen-
ten Bedingungen. Und: Die dar-
aus resultierenden Änderungen
sind für die Durchschnittsbürge-

rin und den Durchschnittsbürger
gar nicht so dramatisch, wie die
aktuelle Situation.
ULRICHBRANDundHEINZ HÖGELS-
BERGERarbeiten beide am Institut für
Politikwissenschaft an der Universität
Wien.
Free download pdf