Die Welt - 20.03.2020

(C. Jardin) #1

4


20.03.20 Freitag,20.März2020DWBE-HP


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4 POLITIK *DIE WELT FREITAG,20.MÄRZ


T


eil vier unserer Interviewse-
rie mit Politikern per E-Mail
aus dem Homeoffice. Katja
Kipping, die Chefin der
Linkspartei, kritisiert die
Bundesregierung ungewöhnlich scharf.

VON ULF POSCHARDT

WELT:WWWie sieht Ihr Alltag im Augen-ie sieht Ihr Alltag im Augen-
blick aus? Wie laufen Homeoffice und
wwwie Ihr „Job“ als Mutter?ie Ihr „Job“ als Mutter?
KATJA KIPPING: Das ist eine wider-
sprüchliche Situation – wie Homeoffice
fffast immer ist. Einerseits ist es wunder-ast immer ist. Einerseits ist es wunder-
schön, mehr Zeit mit meiner Tochter zu
Hause zu haben. Da alle größeren Zusam-
menkünfte abgesagt wurden und wir fast
alle Sitzungen auf Telefonkonferenzen
umgestellt haben, läuft die meiste Arbeit
nun von zu Hause, und ich habe nur noch
wenige Termine außer Haus. Andererseits
wenden sich per Mail viele Menschen an
mich, die im Zuge der Krise enorme wirt-
schaftliche und soziale Probleme haben,
und in meinem Kopf rattert es die ganze
Zeit, was wir da tun können. Und so
springe ich gedanklich und körperlich

ständig hin und her zwischen Schulaufga-
ben der Tochter kontrollieren, Essen ko-
chen, da die Schulspeisung ja ausfällt –
und meiner politischen Arbeit an Handy
und Laptop.

Das heißt konkret?
Um es konkret zu machen: Für die Ant-
worten auf dieses Interview brauche ich
doppelt so lang wie sonst, denn ich wurde
unterbrochen, um Aufgaben zu kontrol-
lieren, neue Schulaufgaben hinzulegen
und Obst aufzuschneiden, weil meine
Tochter zu Recht fand, sie habe sich jetzt
ihre zweite Frühstückspause verdient.

Sind Sie eine gute Lehrerin?
Mir macht das großen Spaß. Aber ich habe
diese Frage mal an meine Tochter weiter-
gereicht. Ihre Antwort: Mama, beim Kopf-
rechnen bist du zu ungeduldig.

WWWie fanden Sie die Ansprache derie fanden Sie die Ansprache der
Kanzlerin am Mittwochabend?
Ein solcher Appell war überfällig. Heute
wwwissen wir, er hätte schon vor der Karne-issen wir, er hätte schon vor der Karne-
valszeit kommen müssen.

WWWas hat Sie gestört?as hat Sie gestört?
Ein Dank an all die Beschäftigten im Ge-
sundheitswesen ist richtig, aber dabei
darf eine Kanzlerin in diesen Zeiten nicht
stehen bleiben. Das Pflegepersonal arbei-
tete schon vor Corona am Limit. Das ver-
schärft sich nun. Um umgehend mehr
Personal für den Gesundheitsbereich zu
gewinnen, braucht es erstens einen Auf-
schlag von 500 Euro pro Monat auf deren
Löhne. Zweitens müssen über ein zentra-
les Register Reserven mobilisiert werden,
zum Beispiel sollten medizinisches Fach-
personal, das schon im Ruhestand ist,
oder Medizinstudenten ab dem fünften
Semester angeworben werden. Und was
wwwir auch nicht vergessen sollten: Wäh-ir auch nicht vergessen sollten: Wäh-

rend viele andere gerade mit ihren Kin-
dern zu Hause im Homeoffice sind und
sich im Homeschooling versuchen, sind
die Kinder von Pflegekräften oft in der
Notbetreuung, wo eine größere Infekti-
onsgefahr besteht. Das ist bestimmt auch
keine leichte Situation. Auch deshalb darf
die Bundeskanzlerin es nicht bei einem
Dankeschön belassen, sondern muss jetzt
konkrete Verbesserungen für die Pflege-
kräfte liefern.

WWWas hat Sie noch gestört?as hat Sie noch gestört?
AAAls es um die sozialen Folgen der Krisels es um die sozialen Folgen der Krise
ging, ist sie unverbindlich geblieben.
Doch unverbindliche warme Worte rei-
chen nicht für Kleinstunternehmen und
Soloselbstständige, deren Einkommen
einbrechen, weil Messen, Seminare,
Sprachkurse, Festivals abgesagt und Gast-
stätten geschlossen werden müssen. Hier
muss die Bundesregierung ein Pandemie-
üüüberbrückungsgeld aufsetzen – mit sofor-berbrückungsgeld aufsetzen – mit sofor-
tiger Wirkung. Gerne auch ein Krisen-
grundeinkommen. Das Mindeste wäre je-
doch, dass die Vermögensprüfung bei Be-
antragung von Grundsicherung ausge-
setzt wird. So könnten Menschen, deren

Einkommen jetzt wegbrechen, sich erst
mal über Wasser halten, ohne ihre Alters-
vorsorge anzugreifen.

Profitieren in der Krise fast automa-
tisch bürgerliche Politiker wie die Mi-
nisterpräsidenten Markus Söder (CSU)
und Daniel Günther (CDU), weil es
mehr um pragmatische Politik geht als
um ideologische Umgestaltung der Ge-
sellschaft?
Diese Krise führt uns doch eins deutlich
vor Augen: dass die Ideologie, wonach der
Markt alles richtet und Privatisierungen
eine feine Sache sind, gescheitert ist. Es
tut dem Gesundheitssystem nicht gut,
wenn jeder Euro für Gewinne rausge-
presst wird. Sie nennen in Ihrer Frage na-
türlich nur Unionspolitiker. Deshalb ver-
stehen Sie bestimmt, dass ich hier bei-
spielhaft einen Linken positiv erwähne:
Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer
kämpft gerade vorbildhaft für all die
KKKunstschaffenden und Theater, derenunstschaffenden und Theater, deren
Existenz durch die Veranstaltungsabsa-
gen gefährdet sind, zum Beispiel indem er
dazu aufruft, dass alle, die können, ihr
schon gekauftes Ticket den Theatern
spenden.

WWWird diese Krise die politische Land-ird diese Krise die politische Land-
schaft umpflügen?
WWWomöglich wird der gesellschaftlicheomöglich wird der gesellschaftliche
Kompass neu ausgerichtet. In solchen
Zeiten zeigt sich der Charakter einer Ge-
sellschaft: Dominieren die Solidarität und
die gegenseitige Rücksicht, oder domi-
niert der kaltherzige Egoismus? Wenn wir
wollen, dass nicht der Egoismus die Ober-
hand gewinnt, müssen dringend soziale
Garantien und wirtschaftliche Hilfen
kommen.

Erreicht die Linke ihre Wähler und po-
tenziellen Wähler im Augenblick?

Leider können wir gerade nur über die di-
gitalen Medien und über Telefon kommu-
nizieren. Am Freitag um eins starte ich
ein neues Format „Auf einen Kaffee mit
Kipping in Zeiten der Krise“ – eine Art
Livechat über meinen Facebook-Account.
AAAnsonsten stehe ich regelmäßig morgensnsonsten stehe ich regelmäßig morgens
vorm Jobcenter oder gehe mit dem „Ro-
ten Wohnzimmer“ (Bürgergespräch im
Freien, d. Red.) rein in die Stadtteile und
suche so das direkte Gespräch. Diese
Form des direkten Austauschs mussten
wwwir leider gerade schweren Herzens ein-ir leider gerade schweren Herzens ein-
stellen.

WWWie angenehm empfinden Sie das aktu-ie angenehm empfinden Sie das aktu-
elle Desinteresse an der AfD?
AAAngemessen.ngemessen.

Tut die Bundesregierung genug, um die
WWWirtschaft und die Arbeitsplätze zuirtschaft und die Arbeitsplätze zu
retten?
Nein. Wo ist die Gesetzesvorlage für ein
Pandemieüberbrückungsgeld für Kleinst-
unternehmen und Soloselbständige? Ich
bin in großer Sorge, dass am Ende die
Kleinstunternehmen, die Gastwirte, die
Soloselbstständigen, jene, die von Vorträ-

gen, Kunst, Sprachkursen etc. leben, dass
die durchs Raster fallen und die Bundes-
regierung nur für die Geld locker macht,
die sich eine Lobby leisten können wie die
AAAirlines. Olaf Scholz plant den Haushaltirlines. Olaf Scholz plant den Haushalt
noch mit einer schwarzen Null. Das ist
Irrsinn. Nach der Krise brauchen wir ei-
nen Aufbruch, und das erfordert massive
Investitionen.

Unterstützen Sie den Kurs der Regie-
rrrung?ung?
WWWenn es um die dringend notwendige so-enn es um die dringend notwendige so-
ziale Abfederung der Corona-Krise geht,
hat diese Bundesregierung doch gar kei-
nen Kurs. Bisher wurden uns Abgeordne-
ten nur Papiere der Regierung zugestellt,
wo Maßnahmen zusammengeschrieben
wwwurden, von denen viele sowieso geplanturden, von denen viele sowieso geplant
waren, zum Beispiel im Zuge von EU-För-
dermitteln. Das ist ein beliebter PR-Trick:
Dinge, die sowieso geplant waren, aufhüb-
schen und als neues Paket verkaufen. Ent-
scheidend ist aber, dass bei den Menschen
wwwirklich Hilfe ankommt. Ich hoffe sehr,irklich Hilfe ankommt. Ich hoffe sehr,
dass die zuständigen Ministerien jetzt
schnell handeln.

WWWas heißt das für Sie als linke Opposi-as heißt das für Sie als linke Opposi-
tion?
AAAls soziale Opposition kämpfen wir vorls soziale Opposition kämpfen wir vor
allem darum, dass es konkrete und wirk-
lich belastbare Hilfen für alle gibt. Die
Maßnahmen zur Eindämmung der Virus-
verbreitung müssen umgehend flankiert
werden durch soziale Garantien für alle
und unbürokratische wirtschaftliche Hil-
fffen. Die Ärmsten hat die GroKo nochen. Die Ärmsten hat die GroKo noch
üüüberhaupt nicht in den Blick genommen.berhaupt nicht in den Blick genommen.
Dabei sind die besonders betroffen: viele
Tafeln schließen. In den Supermärkten
sind nicht selten die billigen Produkte wie
Reis und Nudeln ausverkauft, ein Notvor-
rat ist im Hartz-IV-Regelsatz nicht vorge-
sehen. Deshalb braucht es jetzt einen

Pandemiezuschlag auf alle Sozialleistun-
gen. Stromsperren und Zwangsräumun-
gen müssten umgehend per Verordnung
aaausgesetzt werden.usgesetzt werden.

Ökonomen sprechen von einer gravie-
renden Rezession. Die Linke hat kaum
Kompetenz, wenn es um Wachstums-
politik geht. Macht Ihnen das vor dem
Hintergrund anstehender Wahlen Sor-
ge?
Es ist gerade die Linke, die seit Langem
fffür massive Investitionen ins Soziale undür massive Investitionen ins Soziale und
Ökologische eintritt. Nach der Corona-
Krise wird unsere Gesellschaft mehr denn
je einen Aufbruch von historischem Aus-
maß brauchen, wahrscheinlich in Form ei-
nes „New Deal“: also enorme Investitio-
nen in Gesundheit, Öffentliches, Soziales
und Klimaschutz, einen Umbau der Wirt-
schaft hin zu Wirtschaftsdemokratie. Da-
fffür braucht es eine starke Linke.ür braucht es eine starke Linke.

Die Krise hat die Frage nach der Bezah-
lung systemrelevanter Berufe neu ge-
stellt. Was ist da Ihre Vorstellung?
AAArbeit am und mit Menschen muss unsrbeit am und mit Menschen muss uns
mehr wert sein. Diese Engel des Alltags
sollten ein 14. Monatsgehalt bekommen.

Sehen Sie in der Krise eine Renationali-
sierung in Europa?
Gerade in solch einer Krise ist abge-
stimmte europaweite Koordination not-
wendig. Leider passiert das Gegenteil.

Ist die neue „Bazooka“ der EZB richtig?
WWWenn das nicht ergänzt wird durch massi-enn das nicht ergänzt wird durch massi-
ve Investitionen ins Öffentliche und Maß-
nahmen zur Stärkung der Massenkauf-
kraft, zum Beispiel durch höhere Renten,
Sozialleistungen und Löhne, wird das ver-
puffen.

WWWas können wir alle aus dieser Krise imas können wir alle aus dieser Krise im
AAAugenblick lernen?ugenblick lernen?
Wie unverzichtbar die Arbeit von Men-
schen im Gesundheits- und Pflegebereich
ist. Deshalb sollten diese Berufe attrakti-
ver werden, und das beginnt mit höheren
Löhnen und mehr Personal um den Stress
aaaus dem Berufsalltag rauszunehmen. Undus dem Berufsalltag rauszunehmen. Und
der gesellschaftliche Shutdown ist für vie-
le natürlich auch eine Chance, mal inne-
zuhalten, zu fragen, was ist uns wirklich
wwwichtig, was vermisse ich am meisten undichtig, was vermisse ich am meisten und
wo hab ich mich nur aus schlechter Ge-
wohnheit gestresst.

WWWas machen die Bilder der vielen Ju-as machen die Bilder der vielen Ju-
gendlichen und jungen Menschen beim
AAAbhängen und Feiern mit Ihnen? Wiebhängen und Feiern mit Ihnen? Wie
mündigsollten auch junge Menschen
eigentlich sein?
Die Lage ist ernst, und wir stehen alle in
der Verantwortung. Doch wer jetzt über
andere urteilt, sollte sich fragen: Wie lan-
ge habe ich selber für diese Erkenntnis ge-
braucht? Als ich vor drei, vier Wochen an-
fffing, keine Hände mehr zu schütteln,ing, keine Hände mehr zu schütteln,
stieß das anfangs noch auf viel Unver-
ständnis und ironische Bemerkungen. So
mancher, der noch vor einer Woche ironi-
sche Kommentare abgab, urteilt heute
streng über andere, die etwas länger als er
brauchen, um den Ernst der Lage zu be-
greifen. Wer von sich selbst sagen kann,
er habe früh genug den Ernst der Lage er-
kannt und alles getan, um das umzuset-
zen, der werfe den ersten Stein.

Ein Ausgehverbot könnte kommen: Ist
das der Preis, den wir zahlen müssen,
wenn sich zu viele Menschen unmün-
dig verhalten?
Das ist vor allem der Preis dafür, dass die
Regierung zu lange gezögert hat, um
Großveranstaltungen wie Fußball und
Karneval zu unterbinden. Am Anfang hät-
te es noch die Chance gegeben, die Aus-
breitung komplett zu stoppen. Aber of-
fffensichtlich brauchte es erst auch hierzu-ensichtlich brauchte es erst auch hierzu-
lande Tote, bevor die Experten deutlich
genug wurden oder bevor die Regieren-
den auf sie gehört haben.

WWWie verhalten sich Freiheit und Verant-ie verhalten sich Freiheit und Verant-
wortung in der Krise?
In der Krise wird nur deutlicher, was so-
wwwieso gilt: Sie stehen in einem dialekti-ieso gilt: Sie stehen in einem dialekti-
schen Verhältnis wie Ich und Wir.

WWWie finden Sie die Kommunikations-ie finden Sie die Kommunikations-
leistung der führenden Mediziner, allen
voran die von Christian Drosten?
Es ist gut, dass es entsprechende Experti-
se wie die des Robert-Koch-Instituts gibt.
Doch ich hätte mir gewünscht, dass die
Experten zu einem Zeitpunkt deutlich
werden beziehungsweise dass die Regie-
renden auf sie gehört hätten, als man
noch die Ausbreitung hätte stoppen kön-
nen.

Haben Sie persönlich Angst vor dem Vi-
rrrus?us?
Ich bin gerne vorausschauend vorbeu-
gend, damit ich nicht wirklich Angst ha-
ben muss. Als mir klar wurde, dass der Vi-
rus auch hierzulande angekommen ist,
hatte ich eher um meine Eltern Sorge und
habe ihnen ins Gewissen geredet, größere
AAAnsammlungen zu meiden. Das ist beidennsammlungen zu meiden. Das ist beiden
sehr schwergefallen, da sie echte Kultur-
fffans sind.ans sind.

MARTIN U. K. LENGEMANN/WELT

„Pandemie-


Zuschlag


auf alle


Sozialleistungen“


„Offensichtlich brauchte es erst Tote“:


Katja Kipping attackiert Merkels


Corona-Krisenmanagement – ein


Ausgehverbot könne der Preis für das


Zögern der Regierung sein. Auch fordert


die Linke-Chefin Soforthilfen


D


er Prozess gegen Eric X. sollte
regulär am vergangenen Diens-
tagmorgen vor dem Landgericht
Köln beginnen. Der 33-Jährige ist wegen
einer Vergewaltigung in der Siegaue bei
Bonn verurteilt worden und nun erneut
angeklagt, weil er seine Gefängniszelle in
Brand gesteckt haben soll. Doch dann in-
tervenierte der psychiatrische Sachver-
ständige in Saal 23: Er halte die Durch-
ffführung der Verhandlung wegen nichtührung der Verhandlung wegen nicht
einzuhaltender Sicherheitsabstände zwi-
schen den Verfahrensbeteiligten für „un-
verantwortlich“. Nach kurzer Beratung
mit der Kammer wurde der Prozess des
Landgerichts abgesagt. „Das ist eine spä-
te Entscheidung, aber die treffe ich
jetzt“, sagte der Vorsitzende Richter. Der
Prozess wurde auf Herbst verschoben.

VON HANNELORE CROLLY
UND KRISTIAN FRIGELJ

Trotz wachsender Infektionszahlen
lief bisher in den meisten deutschen Ge-
richten alles wie gewohnt. Spätestens
seit dieser Woche ist die Corona-Pande-
mie endgültig auch in Amts-, Land-,
Oberlandes- und Bundesgerichten, bei
Straf- und Zivilrichtern angekommen.
Erste Corona-Infektionen bei Beschäf-
tigten werden gemeldet, etwa beim Bun-
desverwaltungsgericht in Leipzig, das bis
zum 19. April nur noch im Notbetrieb ar-
beitet. Verdachtsfälle gab es in einigen
Justizvollzugsanstalten. Bei Gerichten
gehen immer mehr Aufhebungsanträge
hinsichtlich Verhandlungsterminen von
Rechtsanwälten und Prozessbeteiligten
ein, weil sie nicht mehr reisen oder öf-
fffentliche Verkehrsmittel nutzen wollen.entliche Verkehrsmittel nutzen wollen.
Oder Angst vor zu viel Kontakt im Ge-
richtssaal haben.
Sogar höchste Instanzen verschieben
wichtige Verfahren. Beim Bundesverfas-
sungsgerichtshof in Karlsruhe war für
den 24. März eine mit Spannung erwar-
tete Urteilsverkündung terminiert. Da-
bei geht es um den Ankauf von Staatsan-
leihen durch die Europäische Zentral-
bank. Der Termin wurde mit Verweis auf
die Corona-Krise aufgehoben. Das Anlei-
he-Urteil wird nun am 5. Mai gespro-
chen. Wenn nicht unbedingt nötig, we-
gen besonderer Eilbedürftigkeit zum
Beispiel, wird es derzeit keine Verhand-
lungen mehr geben. Verzichtbare münd-
liche Verhandlungen fallen vorerst aus.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat
mehrere angesetzte Verhandlungstermi-
ne aufgehoben. Die Entscheidung hätten
die jeweiligen Senatsvorsitzenden ge-
troffen, sagte eine Sprecherin des obers-
ten Zivil- und Strafgerichts. Die Lage
werde jeden Tag neu bewertet.
Die Sorge vor der Ausbreitung des Vi-
rus stellt die Justizbehörden bundesweit
vor eine große Herausforderung. In den
meisten Straf- und Zivilprozessen gilt
der sogenannte Öffentlichkeitsgrund-
satz. Ein Rechtsstaat, der „im Namen
des Volkes“ urteilt, muss demnach die
Öffentlichkeit zulassen.
VVVor besonders großen Problemen ste-or besonders großen Problemen ste-
hen Richter, die länger laufende Groß-
verfahren führen. In Nordrhein-Westfa-
len hat das Landgericht Bonn einen Pro-
zess um Steuerhinterziehung bei soge-
nannten Cum-Ex-Deals, in das auch
mehrere Banken verwickelt sind, ver-
kürzt und wesentlich früher ein Urteil
gesprochen. Eine „mehrwöchige Verzö-
gerung des ansonsten kurzfristig mögli-
chen Verfahrensabschlusses“ hielt das
Gericht für „unangemessen“. In Frei-
burg müssen sich elf Angeklagte wegen
einer mutmaßlichen Gruppenvergewal-
tigung verantworten, doch einer von ih-
nen befindet sich wegen eines Kontakts
zu einem Corona-Infizierten in häusli-
cher Quarantäne.
Damit das gesamte Verfahren mit
Dutzenden von Zeugen nicht von vorn
aaaufgerollt werden muss, lässt der Richterufgerollt werden muss, lässt der Richter
unter strengen Auflagen weiterverhan-
deln. Zuschauer mit Symptomen einer
Hustenkrankheit und Rückkehrer aus Ri-
sikogebieten dürfen das Gebäude gar
nicht erst betreten. Im Zuschauerbe-
reich muss jeder zweite Stuhl frei blei-
ben. Der langwierige Strafprozess um
die Loveparade-Tragödie 2010 in Duis-
burg wurde bis Anfang April unterbro-
chen, weil sich eine Richterin in Quaran-
täne begeben musste. Das Gericht soll
die Verantwortung für ein Desaster auf-
klären, bei dem 21 Menschen starben und
Hunderte verletzt wurden.
Jene, die das Funktionieren des
Rechtsstaats garantieren müssen, stehen
vor einem Dilemma. Die Prozesse für
mehrere Wochen zu unterbrechen, kann
die Verfahren gefährden. Beschuldigte in
Untersuchungshaft beispielsweise ha-
ben ein Anrecht auf zügige Verfahren, an-

dernfalls müssten sie entlassen werden.
In der geltenden Strafprozessordnung ist
eine Unterbrechung der Hauptverhand-
lung gemeinhin auf drei Wochen be-
grenzt. Wenn bereits zehn Verhandlungs-
tage stattgefunden haben, gelten vier Wo-
chen, und wenn zudem ein Angeklagter
erkrankt ist, ist immerhin eine Pause von
maximal zwei Monaten erlaubt.
Um mehr Sicherheit zu schaffen, will
das Bundesjustizministerium einen grö-
ßeren zeitlichen Puffer bei Unterbre-
chungen gewähren, um zu verhindern,
dass strafgerichtliche Hauptverhandlun-
gen wegen des Coronavirus neu begon-
nen werden müssen. Die Regelung soll es
den Gerichten erlauben, eine Hauptver-
handlung für maximal drei Monate und
zehn Tage zu unterbrechen. Vorausset-
zung hierfür sei, dass die Hauptverhand-
lung aufgrund von Infektionsschutz-
maßnahmen nicht ordnungsgemäß
durchgeführt werden könne, erklärte das
Bundesjustizministerium.
Zahlreiche Gerichte haben zudem
Schutzmaßnahmen angekündigt. „Zur
Reduzierung des Ansteckungsrisikos
und zur Bewältigung der Pandemie ist es
wichtig, sich auf die Kernaufgaben zu
konzentrieren und auf vermeidbare so-
ziale Kontakte zu verzichten“, erklärten
gemeinsam das Oberlandes- und das
Landgericht Köln. Demnach wird der
Publikumsverkehr „auf das Nötigste be-
schränkt“. Nur bei dringenden Anliegen
ist der Zutritt erlaubt, die Gerichtskanti-
nen wird für externe Besucher geschlos-
sen, schriftliche Anträge sind nur noch
per Post zu übersenden. „Gerichtsver-
handlungen bleiben, dort wo es die Pro-
zessordnung so vorsieht, weiter öffent-
lich. Nach den Gegebenheiten vor Ort
kann die Zahl der Zuschauer so be-
schränkt werden, dass eine Anste-
ckungsgefahr im Publikumsbereich re-
duziert wird“, erklärten die Gerichte.
Ob und wann Gerichtstermine in Köln
stattfinden, entscheiden die Richter im
Rahmen ihrer richterlichen Unabhängig-
keit. Verhandlungen in weniger eilbe-
dürftigen Verfahren würden in vielen
Fällen vorerst vertagt. Bei Zivilprozessen
sei es möglich, die Rechtsfindung ohne
persönlichen Kontakt vorzunehmen und
sich auf einen schriftlichen Austausch zu
beschränken. Ähnlich reagieren weitere
Gerichte, etwa in den Bezirken Düssel-
dorf, Aachen oder Detmold. im Bezirk
Aachen und das auf die dramatische La-
ge. „Unaufschiebbare Maßnahmen und
VVVerfahren werden mit der gebotenenerfahren werden mit der gebotenen
VVVorsicht durchgeführt“, erklärte dasorsicht durchgeführt“, erklärte das
Oberlandesgericht Düsseldorf.
Einige Bundesländer haben generelle
Beschränkungen für die Gerichtsver-
waltungen verfügt. Schleswig-Holstein
verlangt sogar von Rechtsanwälten, dass
sie beim Betreten des Gerichts einen
Fragebogen mit Kontaktdaten ausfüllen.
In Baden-Württemberg wird der Betrieb
nach den Worten von Landesjustizmi-
nister Guido Wolf (CDU) deutlich einge-
schränkt. Ermittlungs- und Haftrichter
wwwürden weiterarbeiten, eilige Familien-ürden weiterarbeiten, eilige Familien-
sachen entschieden. Verhandlungen, die
stattfinden müssten, blieben öffentlich.
Die Richter könnten über die elektroni-
sche Akte der Gerichtsstandorte auch im
Homeoffice arbeiten. In Bayern sollen an
den Verwaltungsgerichten bis zum Ende
März keine Verhandlungen stattfinden.
AAAuch an Zivilgerichten fallen Verhand-uch an Zivilgerichten fallen Verhand-
lungen aus.
Am Dienstagnachmittag reagierte das
Justizministerium Nordrhein-Westfalen:
„„„Vor dem Hintergrund der dynamischenVor dem Hintergrund der dynamischen
Entwicklung des Coronavirus sind Maß-
nahmen erforderlich, wie wir sie bisher
nie getroffen haben“, sagte NRW-Justiz-
minister Peter Biesenbach (CDU) in
Düsseldorf. Sitzungen sollen nur durch-
geführt werden, wenn sie keinen Auf-
schub dulden. Dies betrifft vor allem
Haftsachen und laufende Strafverhand-
lungen. Gleiches gilt für ermittlungs-
richterliche Handlungen und Eilsachen
in sämtlichen Rechtsgebieten. „Eine
großzügige Ausschöpfung der prozes-
sualen Möglichkeiten wird empfohlen“,
heißt es dazu im NRW-Justizministeri-
um.
AAAllerdings überlässt die llerdings überlässt die richterliche
Unabhängigkeit jedem einzelnen Rich-
ter die Entscheidung, ob Prozesse wei-
tergeführt oder aufgeschoben werden.
Eine offene Rechtsfrage ist, ob die Jus-
tizverwaltung ein Gerichtsgebäude ge-
gen den Willen eines Richters, der wei-
terverhandeln will, schließen könnte.
Ein Zivilrichter am Amtsgericht Hagen
hat sich für eine bundesweit bisher wohl
einzigartige Schutzmaßnahme entschie-
den: Er führt seine Verhandlungen nun
mit Atemschutzmaske und Verfahrens-
beteiligte müssen ebenfalls eine tragen.

Das Corona-Dilemma


der Gerichte


Justizministerium arbeitet an einer Regelung, damit


Verfahren nicht neu aufgerollt werden müssen


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