Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
Publikum. Harari beschreibt die Geschich-
te des Homo sapiens, der vor 70 000 Jah-
ren Afrika verließ, als eine Art Kunstwerk.
Als Geschichte der Fiktionen und Mythen,
der sozialen Konstrukte und kollektiven
Fantasien. Erzählungen, die es den Men-
schen ermöglichten, nicht nur in ihren
überschaubaren Sippen der Steinzeit mit
anderen zusammenzufinden, sondern auch
zu Tausenden und Millionen in Religionen,
Staaten, Unternehmen. Nur die Kraft einer
gemeinsamen Fiktion bringe uns dazu, mit
anderen zu kooperieren.
Götter sind solche Fiktionen, Gesetze
auch, Geld erst recht. Kommunismus, Fa-
schismus, Liberalismus, alles Ideen, die
unseren Köpfen entspringen, aber nicht
der Wirklichkeit. Ihr Wert ist nicht danach
bemessbar, ob sie wahr sind oder falsch,
sondern nur daran, ob es genügend Men-
schen gibt, die sie für plausibel halten,
ihnen glauben. Das menschliche Gehirn,
sagt Harari, sei eine einzige große Maschi-
ne, die Erzählungen erfindet. Und das Ein-
zige, was eine Geschichte ersetzen könne,
sei eine neue, andere Geschichte.

Längst ist aus demProfessor für Ge-
schichte eine Firma geworden. Sie hat ih-
ren Sitz in einem schicken Tower mitten
in Tel Aviv und zwölf Angestellte mit Job-
titeln wie Online Content Developer oder
Chief Marketing Officer. Die Firma heißt
Yahav-Harari Group Ltd. Yahav, das ist
Itzik Yahav, der Ehemann Hararis.
Die beiden haben sich 2002 nach
Hararis Rückkehr aus Oxford über eine
Datingplattform kennengelernt, obwohl
sie nur ein paar Hundert Meter entfernt
in einer Ortschaft außerhalb Haifas leb -
ten. »Wir fanden uns okay«, hat Harari
der »New York Times« erzählt, »und
entschieden uns zusammenzuziehen.
Wir glauben nicht so an die Idee des
Verliebtseins. Es war eher eine rationale
Entscheidung.«

In Interviews sagt Yahav, dass er Harari
für einen genialen Stubenhocker hielt.
Yahav hat in seiner Jugend in Kneipen
gejobbt und Spaß gehabt. Er war Manager
einer Cafeteria, leitete ein Privattheater,
arbeitete für eine Bildungsstiftung.
Sie sind ein gut eingespieltes Paar. Der
introvertierte Denker und der selbstbe-
wusste Verkäufer. Harari schreibt, Yahav
macht den Rest, sein Ziel ist es, die maxi-
male Kontrolle über die Verwertung der
öffentlichen Figur Harari zu behalten.
Wenn Yahav gefragt wird, was für eine
Bedeutung Harari habe, antwortet er: ir-
gendwo zwischen Madonna und Steven
Pinker, einem Harvard-Professor, der zu
den erfolgreichsten Sachbuchautoren Ame -
rikas gehört. Dem Reporter des »New Yor-
ker« erzählte er, dass Harari für einen
Auftritt in Kiew 2019 bei einer Veranstal-
tung des ukrainischen Oligarchen Wiktor
Pintschuk mehr als doppelt so viel Hono-
rar bekommen habe wie Donald Trump
vier Jahre zuvor. Trump erhielt wohl
150 000 Dollar, aber der war ja nur über
Video dabei.
Es gibt eine Menge Pläne, die die Yahav-
Harari Group verfolgt. Produktdiversifi-
kation würde das ein Marketingexperte
nennen: »Eine kurze Geschichte der
Menschheit« als Kinderbuch. Als mehr-
bändige Graphic Novel, in der auch ein
bebrillter Mann von zarter Statur auftau-
chen soll. Als Fernsehserie, ein Großpro-
jekt des Hollywoodproduzenten Ridley
Scott und des oscarprämierten britischen
Dokumentarfilmers Asif Kapadia. Yahav
und Harari haben auch eine Firma mit
dem Namen Sapienship gegründet, die als
eine Art soziales Unternehmen beitragen
will, die Probleme dieser Welt zu lösen.

Unser Treffen findet in einem Hotel in
Amsterdam statt, zwei Tage vor dem Auf-
tritt in Antwerpen. Es ist wie beim Promo-
tag eines Popstars. 45 Minuten, es beginnt

pünktlich, endet pünktlich. Ein Journalist
kommt, der andere geht.
Auf dem Sofa des Hotelzimmers wirkt
Harari noch schmächtiger als auf der
Bühne. Er sitzt gerade und aufrecht, na-
hezu regungslos, der Blick freundlich. Itzik
Yahav, erzählt Harari, sei das PR-Genie,
das schon damals, als alles anfing, daran
glaubte, dass man das Buch irgendwann
an jedem Flughafen der Welt werde kaufen
können. »Ich fragte ihn: Was weißt du,
wie man Bücher verkauft? Er antwortete:
Glaube mir, das ist nichts anderes, als Sand-
wiches zu verkaufen.«
Yahav begleitet Harari fast immer und
überall. »Ich bin einer dieser Leute, die
pro Jahr nur ein Buch lesen«, sagt Yahav.
Vielleicht auch zwei, sagt Harari.
»Ich wusste, wenn ich so ein Buch gut
finde, dann wird es jeder gut finden. Alles
nur eine Frage der Zeit.«
Das Geheimnis seiner Bücher? Dass
man sich klüger fühle, antwortet Harari.
Dass man verstehe, wie Kapitalismus funk-
tioniere, ohne gleich drei Jahre Ökonomie
studiert zu haben.
»Geld ist Vertrauen.« »Wir sind Tiere,
die man hacken kann.« Das sind typische
Harari-Sätze. Komplizierte Zusammen-
hänge so lange zu reduzieren, bis sie auf
eine Schlagzeile zusammenschnurren. Die
akademische Welt ist nicht überzeugt,
stellt seine Methodik infrage, kritisiert
seine Vereinfachungen. Wenn überhaupt,
füge er nur Altbekanntes neu zusammen.
»Akademiker sind immer in Sorge, dass
sie die Dinge zu sehr vereinfachen«, sagt Ha-
rari in Amsterdam. »Stattdessen werden sie
immer komplizierter und verlieren das nor-
male Publikum. Bei mir besteht das Risiko,
dass es keine perfekten Theorien sind, die
nicht alles berücksichtigen, aber deswegen
darf man sie auch nicht als finale Wahrheit
betrachten, sondern eher als Annäherung.«
Ein neues Buch, sagt Harari, sei nicht
in Arbeit. Wenn er etwas zu sagen hätte,

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ITZIK HARARI YUVAL NOAH HARARI

Präsident Macron, Facebook-Gründer Zuckerberg:Orakel und Lehrer, Seelsorger und Dystopiker


YUVAL NOAH HARARI
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