Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
binnen 36 Stunden stand ich vor dem
Nichts. Ich habe von der Handelskam-
mer eine Telefonnummer bekommen, da
habe ich 50-mal angerufen, immer be-
setzt. Wer soll mir helfen? Das Finanz-
amt bucht bald 2600 Euro ab, die Han-
delskammer will 70 Euro haben, der
Hamburger Tourismusverband bekommt
100 Euro. Meine Miete liegt bei 800
Euro, die Krankenversicherung kostet
600 Euro, 100 Euro Telekommunika -
tionskosten kommen in meinem Beruf
dazu. Mir steht das Wasser bis zum
Hals.«

Frank Stäbler, 30, aus Musberg
bei Stuttgart, dreifacher Weltmeister
im Ringen

»Als ich letzte Woche im Trainingslager
auf Zypern erfahren habe, dass die
Olympischen Spiele in Tokio auf der Kip-
pe stehen, habe ich das zunächst nicht
glauben können. Olympia absagen? Ach
Quatsch! Erst am vergangenen Wochen-
ende ist mir klar geworden: Mein großer
Traum von einer Medaille 2020 könnte
platzen. Gerade versuche ich aber noch,
das auszublenden.
2016 in Rio de Janeiro war ich Favorit
auf Gold, doch im letzten Training vor
dem Abflug nach Brasilien riss ich mir
das Syndesmoseband. Also machte ich
weiter. Nun sollte meine internationale
Karriere am 5. August mit dem olympi-
schen Finale in Japan enden.
Der Weg war brutal schwer. Da meine
ursprüngliche Gewichtsklasse aus dem
Programm gestrichen wurde, muss ich
mein Gewicht in Japan auf 67 Kilo-
gramm bringen, rund neun weniger als
mein Ideal gewicht. Allein die Qualifika -
tion für Tokio war unter diesen Voraus-
setzungen ein Riesenerfolg.
Auf dieses ›Projekt 67‹ habe ich mein
Leben ausgerichtet, Ernährung und Trai-
ning umgestellt, Blut, Schweiß und Trä-
nen investiert. Werden die Spiele nun auf
2021 oder 2022 verschoben und die Quali-
fikation annulliert, wäre das extrem bitter


  • ich kann mir aktuell schwer vorstellen,
    dass ich es noch mehr als einmal schaffe,
    mein Gewicht so stark zu reduzieren.«


Uschi Brüning,Sängerin

Wenn sie Politiker wie Olaf Scholz sagen
hört, es werde »nicht gekleckert, es wird
geklotzt« oder »Wir werden die Wirt-
schaft nicht hängen lassen«, weiß Uschi
Brüning, dass sie nicht gemeint ist – ob-
wohl auch sie Unternehmerin im weites-
ten Sinne ist. Brüning singt. Seit 50 Jah-

ren schon. Zu DDR-Zeiten galt sie als
die Ella Fitzgerald des Ostens, ihre Kunst
kam nach dem Fall der Mauer auch im
Westen gut an. Jetzt sind bis Ende April
all ihre Konzerte abgesagt, all ihre Lesun-
gen storniert worden. 15 000 Euro Ein-
nahmen fehlen, aber die Kosten laufen
weiter. Wenn es ab Mai wieder weiter -
ginge, wäre der Ausfall irgendwie zu ver-
kraften, aber sie glaubt nicht daran. Ihr
Mann ist schwer krank, monatlich muss
sie 1000 Euro zuzahlen, damit er in
einer Pflege-WG versorgt werden kann.
Aber wenn sie keine Einnahmen mehr
hat? »Es springt niemand ein«, sagt
Uschi Brüning. »Keine Versicherung,
weil das als höhere Gewalt gilt, keine
staatlichen Institutionen. Der Staat über-
schaut gar nicht, wie viele Leute von der
Hand in den Mund leben.«

Eine Mitarbeiterinaus der
Personalabteilung eines Start-ups in einer
deutschen Großstadt(Name, Alter,
Unternehmen sind der Redaktion bekannt):

»Das Coronavirus trifft unser Geschäft
hart, bis Ende der Woche werden wir
20 bis 30 Leuten kündigen müssen. Dass
alle unsere Mitarbeiter im Homeoffice
sind, macht das Kündigen natürlich
schwieriger. Das passiert dann über
Videochat oder Telefon. Ich bin seit eini-
gen Jahren als Personalerin tätig, Kün -
digungen gehen mir nicht mehr so nah
wie früher. Schwer ist es nur, Leuten zu
kündigen, die zeitgleich mit mir ange -
fangen haben, mit denen ich befreundet
bin. Diese Kündigungen versuche ich
an Kollegen abzutreten.«

Klaus Kowalke, 52, Buchhändler

Er hat damit gerechnet, dass er seine
Buchhandlung in Chemnitz schließen
muss, aber er dachte an zwei Wochen.
Nun sollen es viereinhalb Wochen sein,
»das hat mir den Boden unter den Füßen
weggezogen«, sagt Kowalke. Unterneh-
merlöhne und Gehälter könne man über
Kurzarbeitergeld finanziert bekommen,
nicht aber den Wegfall der Liquidität.
»Wovon sollen die monatlichen Kosten
von 30 000 bis 40 000 Euro beglichen
werden, wenn der Umsatz auf null
sinkt?« Bevor Kowalke am Donnerstag
schließen musste, war sein Laden voll, er
hat viele Schul-, Ausmal- und Bastel -
bücher verkauft, die Kunden wollen ihre
Kinder zu Hause beschäftigt halten.
Auch das Sachbuch über die Spanische
Grippe »1918 – Die Welt im Fieber«, das
2018 erschienen ist, verkaufe sich gut.
Vorbei. Es brauche einen Notfallplan für
den Buchhandel, sagt Kowalke. »Enor-
me Anstrengungen sind notwendig,
damit die Branche nicht zerbricht.«

Jörg Meyer,Barkeeper

SPIEGEL:Wie geht’s, Herr Meyer?
Meyer:Gefangen. Nicht vom Virus. Son-
dern irgendwo zwischen elitären Mitglie-
dern der #StayTheFuckHome-Bewegung
und den hektisch zusammengestellten
amtlichen Verfügungen. Um eine ziem-
lich in Panik geratende Bevölkerung zu
beruhigen, wurden Gastgewerbe und
Tourismus geopfert. Diese Branchen sind
jetzt faktisch tot. Dabei brauchen Men-
schen in Angst Orte, an denen man Men-

34 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020

Coronakrise

STEPHAN RUMPF / SZ PHOTO / PICTURE ALLIANCE / DPA

Unternehmer Meyer
Free download pdf