Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

E


s sind Orte wie diese, an denen
sich das Schicksal Donald Trumps
entscheiden wird. Orte wie die
Siedlung »The Villages«, eine
Wohnanlage im Herzen Floridas. Palmen,
saftiger Rasen, dazwischen weiße Häuser –
die sich an sanft geschwungene Golfplätze
schmiegen – für ältere Paare. Man muss
sich keine Sorgen machen in diesem Win-
kel Amerikas, zumindest solange einem
das Geld nicht ausgeht.
The Villages, rund 90 Kilometer nord-
westlich von Orlando, ist ein Rückzugsort
für Senioren, die auf ein erfolgreiches
Berufsleben zurückblicken und die sich
nicht mehr mit den Ärgernissen des All-
tags herumplagen wollen. Die Sonne hier
in Florida scheint zuverlässig, am Eingang
der Wohnanlage wacht ein Pförtner, und
der Einkauf für das Abendessen lässt sich
im Zweifel mit dem Golfcart erledigen.
98 Prozent der Bewohner sind weiß,
68 Prozent haben bei der Wahl im Jahr
2016 für Donald Trump gestimmt.
Aber mit dem Virus hat sich die Angst
eingeschlichen in dieses sehr amerikani-
sche Idyll, und das liegt nicht nur daran,
dass der Erreger Senioren viel häufiger da-
hinrafft als junge Menschen. Der satte
Wohlstand hier ruhte auch auf dem Ak-
tienmarkt, der sich in den vergangenen
Jahren so prächtig entwickelt hatte und
der nun innerhalb von wenigen Wochen
so brutal abgeschmiert ist.
»Wir hätten viel früher etwas unterneh-
men sollen«, sagt Donna Scheuenzuber,
eine freundliche Dame mit graublonden
Haaren. Mit »wir« meint sie den Präsiden-
ten. Sie ist an diesem Dienstag zur Stimm-
abgabe in das Gemeindezentrum von The
Villages gekommen. Nicht nur die Demo-
kraten, auch die Republikaner halten an
diesem Tag Vorwahlen in Florida ab.
Donna Scheuenzuber hat im November
2016 für Donald Trump gestimmt. Aber
nun wird sie ihr Kreuz bei Bill Weld ma-
chen, dem früheren Gouverneur von Mas-
sachusetts. Natürlich wisse sie, dass Weld
keine Chance habe, sagt Scheuenzuber.
Ihr gehe es jedoch darum, ein Zeichen des
Protestes zu setzen. Für wen wird sie sich
bei der Präsidentschaftswahl entscheiden?
»Definitiv nicht für Trump«, sagt Scheuen -
zuber. In ihrem Freundeskreis sei sie nicht
die Einzige, die so denke. »Ich kenne eini-


ge Republikaner, die Trump nicht mehr
wählen werden.«
Wenn man in diesen Tagen durch die
USA reist, dann erlebt man ein Land, das
alle Gewissheiten verloren hat und alle
Routinen. Seit vergangenen Dienstag steht
praktisch fest, dass Joe Biden im Novem-
ber der demokratische Herausforderer
Donald Trumps sein wird. Der ehemalige
Vizepräsident gewann die Vorwahlen in
Florida, Arizona und Illinois mit einem
überragenden Ergebnis. Es war eine Nach-
richt, die das Land und die Welt in nor -
malen Zeiten über Wochen beschäftigen
würde, aber selbst die »New York Times«
brachte nur eine kleine dreispaltige Mel-
dung unten auf Seite eins.
Alles ist durch das Virus ins Rutschen
gekommen: die demokratischen Vorwah-

len, die zum Teil ausgesetzt und auf den
frühen Sommer verschoben wurden; der
Wahlkampf, der nun nicht mehr an Haus-
türen und in Basketballarenen stattfinden
wird, sondern – wenn überhaupt – auf
YouTube und Twitter. Vor allem aber der
Blick auf den Präsidenten selbst, der die
Gefahr des Erregers über Wochen ver-
harmlost hatte und erst in den vergangenen
Tagen allmählich zu begreifen schien, wie
ernst die Lage wirklich ist. Auch für ihn.
Wie bei Trump existieren bei seinen An-
hängern noch die alten Reflexe.
Angst vor dem Virus?
Nein, sagt Neil, der an diesem Dienstag
ebenfalls ins Gemeindezentrum von The
Villages gekommen ist und seinen Nach-
namen lieber nicht verraten will. »Was
soll mir schon zustoßen?« Der Präsident,
beteuert er, habe alles richtig gemacht.
Warum trägt er dann Gummihand -
schuhe?
»Ach«, sagt Neil, »die hat mir jemand
geschenkt.«
Trump war immer mehr als nur ein
Politiker; er war ein Mann, der für sich
und seine Anhänger eine eigene Realität
erschuf. Er behauptete, Barack Obama sei
in Wahrheit Muslim und nicht in den USA
geboren. Er kündigte an, Kinderkrebs zu
besiegen und Nordkorea dazu zu bringen,
auf die Bombe zu verzichten. Nichts davon
stimmte, es waren amüsante Lügen, die
seine Anhänger gern hörten. Aber gilt das
jetzt noch, in dieser schweren Krise?
Trump hat nach wie vor treue Anhänger,
Leute wie Justin Behrens, den Chef der
Republikaner in Luzerne County. Man
muss von Washington dreieinhalb Stun-
den fahren, um Behrens zu treffen. Er
steht vor seinem schweren Truck und blin-
zelt in die Sonne. Als das Wort »social dis-
tancing« fällt, kann er sich ein Grinsen
nicht verkneifen. »Ich habe keine Angst
vor dem Tod«, sagt der Kriegsveteran.
Luzerne County liegt im Nordosten
Pennsylvanias in den Hügeln der Appala-
chen. »Die Menschen hier lieben ihr Land
und die amerikanische Flagge«, sagt Beh-
rens. »Und sie haben das Gefühl, dass mit
Donald Trump endlich jemand im Weißen
Haus sitzt, der sie wirklich repräsentiert.«
Behrens ist Geschäftsführer der Key-
stone Mission, einer wohltätigen Organi -
sation, die von Spenden und örtlichen Kir-

Coronakrise

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MATT ROURKE / AP

Herausforderer Biden

Trumps Albtraum


USASeit dieser Woche steht praktisch fest, dass Joe Biden für die Demokraten gegen den
US-Präsidenten antreten wird. Aber die Corona-Pandemie hat auch diese Nachricht zur

Randnotiz gemacht. Eine Reise durch ein Land, das jetzt im Wahljahr alle Gewissheiten verliert.


7


Prozentpunkten Vorsprung
würde Biden die Präsident-
schaftswahl gegen
Trump zurzeit gewinnen.

Quelle: Yougov-Umfrage vom 18. März

Mit

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