Neue Zürcher Zeitung - 22.02.2020

(Frankie) #1

12 MEINUNG & DEBATTE Samstag, 22. Februar 2020


Donald Trump wittert in derWashingtoner Bürokratie überallVerräter. EVAN VUCCI / AP


Ein Hoch


auf den «tiefen Staat»


Ist der amerikanische Präsident das Opfer einer Verschwörung aus dem Innern des


Staatsapparates? Zumindest behaupteter dies unablässig. Was Populisten wie er verdammen,


gehört in Wirklichkeit zu den Grundfestenjeder Demokra tie.Von Andr eas Rüesch


Populisten unterscheidensich von anderenPoliti-
kern in einem wichtigen Punkt: EinWahlsieg ist
für siekeineswegs der Schlusspunkt im Kampf
um die Macht.Vielmehr beginnt, so wollen sie es
dem Publikum weismachen, damit nur die nächste
Etappe, nämlich der Kampf mit den finsteren Ele-
menten der Bürokratie, die denVolkswillen zu hin-
tert reiben versuchen.Während traditionelle Gross-
parteien einenWahlsieg alsAuftrag verstehen, die
Staatsmaschinerie zu übernehmen und in ihrem
Sinne zu lenken, misstrauen Populisten diesem
Apparat zutiefst.In einem vonVerschwörungstheo-
rien geprägtenWeltbild ist es nicht damit getan, ein
paar neue Minister einzusetzen und ab und zu ein
Dekret zu unterzeichnen. Nach dem Amtsantritt
des amerikanischen P räsidenten DonaldTrump
forderte dessen damaliger Chefideologe, Steve
Bannon,konsequenterweise etwas vielRadikale-
res: die «Zerstörung des administrativen Staates».


Beliebter Kampfbegriff


Auch Liberale haben Mühe mit wuchernden Staats-
strukturen, vor allem dort, wo sie dieFreiheit des
Einzelnen unnötig begrenzen und unternehmerische
Initiative ersticken.Populisten, gleich welcher Cou-
leur, zielen jedoch auf etwas ganz anderes ab. Ihnen
geht es nicht um ein freiheitliches Staatswesen, son-
dern um freieBahn bei der Machtausübung. Dabei
dient ihnen die Bürokratie als willkommenerFeind,
gegenüber dem sie sich alsVolkstribune inszenieren
können.Zugleich eignet sich derVerweis auf die Be-
harrungskräfte der Bürokratie alsAusrede, wenn die
Erfolge imRegierungsalltag ausbleiben.
DieVorstellungeines «tiefen Staates», eines Ge-
heimbundes namenloser Saboteure in den Einge-
weiden derVerwaltung, erfreut sich daher bei popu-
listischenRegierungschefs grosser Beliebtheit.Der
Begriff hat eine bemerkenswerte Geschichte hinter
sich.In den neunzigerJahren diente er oft dazu,die


Die Bürokratie


ist ein willkommener Feind,


gegenüber dem sich


Populisten wieTrump


als Volkstribune


inszenieren können.


in alle Gesellschaftsbereiche ausstrahlende Macht
der türkischenArmee zu beschreiben.Linke Kreise
in den USA sahen in derVerquickung von Mili-
tär undRüstungsindustrie ebenfalls einen «tiefen
Staat». In neuerer Zeit ist dies aber vor allem ein
KampfbegriffrechterPopulisten geworden. Nicht
nur Trump bedient sich seinerregelmässig. Der
Brite BorisJohnson warnte vor seinemAufstieg
an dieRegierungsspitze ominös vor einem «deep
state», der sich gegen den vomVolk gewünschten
Brexit verschworen habe. Dunkle Mächte sieht seit
langem auchPolens Regierung amWerk; sie pran-
gert die Richterschaft als feindliche «Kaste»an,der
man das Handwerk legen müsse.
Natürlich hat es etwas Skurriles, wennTrump
drei Jahre nach seinem Amtsantritt noch immer
über die Bösartigkeit des Staatsapparats schimpft.
Er hättereichlich Zeitgehabt, die nötigen perso-
nellenWeichen zu stellen. Oft sind es jedoch seine
eigenen Leute, die er nach kurzer Zeit mit Schimpf
und Schande entlässt – einWiderspruch, der seine
Anhänger nicht zu stören scheint. In zwei Punkten
hat der Präsident jedochrecht:Ohne Zweifel stösst
er in derWashingtoner Bürokratie überwiegend auf
Ablehnung. Ebenso wenig lässt sich leugnen, dass
Teile derAdministration ihre Eigeninteressen ver-
folgen undTrump dabeiregelmässig ausbremsen.
Häufige Informationslecks sind einAusdruck da-
von, aber sie gehören zum Spiel inWashington–
schliesslich steckt ja auchTrumps Umgebung den
Medienroutinemässig vertrauliche Informationen
zu, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Effektvolle Propaganda


Bezöge ein Marsianer seine Informationen über die
Erde einzig aus denTwitter-Mitteilungen des ame-
rikanischen Präsidenten, so müsste er zutiefst ver-
stört sein:InWashington lauern offensichtlich überall
Verräter undVersch wörer, die aufeinen Staatsstreich

gegen den erfolgreichsten und beliebtesten Präsiden-
ten desgrossartigstenLandes der Erde hinarbeiten.
Wer dies alsAusgeburt eines kranken Hirns abtut,
übersieht die zynische Genialität dieser Propaganda:
Das Feindbild des «tiefen Staates» hilftTrump ganz
offenkundig, jede Kritik ins Leere laufen zu lassen.
Jedem anderen Präsidenten hätte dieRussland-
Affäre oderspätestens die Ukraine-Affäre das
Genick gebrochen. DerRussland-Sonderermittler
Robert Mueller wies nicht nur nach, dass Moskau
zugunstenTrumps in denWahlkampf 2016 einge-
griffen hatte, sondern auch,dass sich dasFührungs-
team desRepublikaners aktiv um wahlpolitisch
nützliche Informationen aus russischen Quellen be-
müht hatte und dass dasVerhalten des Präsiden-
ten in derAffäre denTatbestand derJustizbehinde-
rung erfüllenkönnte. Nicht zuletzt warf die Unter-
suchung ein Schlaglicht auf die kriminelle Energie
im DunstkreisTrumps; fünf seiner Berater erhiel-
ten eine Gefängnisstrafe. Die Ukraine-Affäre wie-
derumbrachte zutage, wie der Präsident eine von
den USA abhängige ausländischeRegierung unter
Druck setzte, um sie für eine Kampagne gegen
einen innenpolitischen Gegner einzuspannen.
In einer weniger aufgeheizten Atmosphäre wäre
wohl den allermeisten Amerikanern klar, dass sol-
che Machenschaften dem Grundgedanken der
Demokratie zuwiderlaufen. AberTrump hat die
Untersuchungen gegen ihn wirkungsvoll als Putsch-
vers uch eines «tiefen Staates» gebrandmarkt. Er hat
es damit geschafft, zumindest die eigeneBasis bei
der Stange zu halten. Besagter Marsianer – oder
jeder interessierte Bürger– muss schonrecht genau
hinsehen,um im Nebel derTwitter-PetardenTrumps
Lügengebäude zu durchschauen:Weder war die
Einleitung derRussland-Untersuchung illegal oder
gar parteipolitisch motiviert; dies hat ein interner
Aufsichtsbericht unlängstbestätigt.Noch ist es statt-
haft, den damaligen FBI-Direktor und seinen Stell-
vertreter als Kriminelle zu bezeichnen; vonTrump
angestrengte Untersuchungen gegen die beiden er-
gabennichtsvon strafrechtlicherRelevanz. Ebenso
haltlos ist es, den anonymen Hinweisgeber, der die
Ukraine-Affäre insRollen brachte, als Spion zu ver-
unglimpfen; der zuständige Behördenchef hat dem
Autor der internen Beschwerde vielmehr ein mus-
tergültigesVerhalten bescheinigt.

Gesundes Gegengewicht


Etwas haben die Affären aber eindrücklich bestä-
tigt: Es besteht ein klarer Gegensatz zwischen den
amerikanischenJustizbehörden, den Geheimdiens-
ten und dem diplomatischenKorps einerseits und
dem Präsidenten anderseits. Von einerVerschwö-
rung kann jedochkeine Rede sein.DerWiderstand
aus der Bürokratie ist vielmehr ein gesunderReflex
in einem Staatswesen, das seit je auf«checks and
balances» setzt, auf ein Zusammenspiel machtpoli-
tischer Gegengewichte. TrumpsersterVerteidi-
gungsminister, James Mattis, soll laut einer gut ver-
bürgten Anekdote einmal einen dringenden Anruf
des Präsidenten entgegengenommen haben. Die-
ser wies ihn miteinem Schwall von Flüchen an,
den syrischen Diktator Asad zu töten. Mattis ver-
sprach umgehend die Planung eines Militärschlags,
hängte auf und sagte einem Mitarbeiter:«Wir wer-
den nichts dergleichen tun.»Das war zweifellos In-
subordination– abereine gut begründete. Ein sol-
cher Angriff hätte gegen internationales wie auch
amerikanischesRecht verstossen und wäre kaum
mit nationalen Interessen legitimierbargewesen.
Was Populisten als «tiefen Staat» verdammen,
ist daher in den meistenFällen ein durchaus heilsa-
mes Gegengewicht. DerRechtsstaat, eine nach ge-
setzlichenVorgaben operierende Bürokratie, aber
auchParlamente, Medien und eine wache Bürger-
gesellschaftkönnen denLaunen eines Staatschefs
Grenzen setzen.Populisten nehmen für sich in An-
spruch,dasvon den Eliten entmündigteVolk zu be-
freien – da liegt es nahe, jedenWiderstand alsVer-
rat an ebendiesemVolk zu geisseln.In Wirklich-
keit sind es gerade diese Gegengewichte, die das
Wesen einer funktionierenden Demokratie aus-
machen und sie vor autoritärenVerirrungen be-
wahren.Trumps Affären zeigen den «tiefen Staat»
insgesamt invorteilhaftem Licht: DerRussland-
Sonderermittler Mueller warkein machthungriger
Ideologe, ebenso wenig, wie es sich bei den imKon-
gress zurUkraine-Affäre befragten Diplomaten um
finstereVerschwörer handelte. Viel eher passt auf
sie das altbackeneWort «Staatsdiener» –pfli cht-
bewusste Beamte, die eine Karriere unterrepubli-
kanischen wie auch demokratischen Präsidenten
durchlaufen haben und die für dasFunktionieren
eines Staates unentbehrlich sind.
Noch machen solcheFachkräfte ihre Präsenz
bemerkbar, aber TrumpsTrommelfeuer zeitigtFol-
gen. Die massiveVerkleinerung des diplomatischen
Korps und nun die Ernennung eines Geheimdienst-
koordinators ohne jegliche Erfahrung in der Ge-
heimdienstarbeit sind klare Signale, dass bedin-
gungslose Loyalität für diesen Präsidenten zentral
ist, fachkundige Bürokraten jedoch wenig zählen.
Auf die vielenVakanzen in hohen diplomatischen
Positionen angesprochen, bekannteTrumpein-
mal: «Der Einzige, auf den es ankommt, bin ich.»
Ob diesesautoritäre Staatsverständnis auch künf-
tig gelten soll,werdenAmerikasWähler in weniger
als neun Monaten entscheiden müssen.
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