Neue Zürcher Zeitung - 22.02.2020

(Frankie) #1

22 PANORAMA Samstag, 22. Februar 2020


ZAHLENRÄTSEL NR. 44

SPIELREGELN«KR INGEL»:Die Ziffern 1
bis 7sind soeinzutragen,dasssie in jeder
Reihe einmalvorkommen.Zwischenzwei
Felderngilt: AusgefüllterKreis:EineZahl
ist das Doppelte der anderen.LeererKreis:
EineZahl ist um1 grösser als die andere.
KeinKreis: Keineder beidenEigenschaften
trifftzu.

Auflösung:
ZahlenrätselNr. 43

Statt Schneeflocken fliegen Pollen durch die Luft


Dieser Winter ist so warm wie nie – für manche Vogelarten kann das bedroh liche Folgen haben


KARIN A. WENGER


DieserWinter werde der wärmste seit
Messbeginn1864, sagt Meteo Schweiz.
2,9 Grad Celsius wärmer ist der gegen-
wärtige Winter als der landesweite
Durchschnitt von1981 bis 2010. Die
30-jährigePeriode dient in der Klima-
tologie als Normwert.
Das Wort Rekordwinter ist durch-
aus angebracht: In Bern, Genf, Zürich
undBasel hat laut denAufzeichnun-
gen die Sonne imJanuar so oft ge-
schienen wie noch nie in den vergan-
genen über hundertJahren. Die ers-
ten Schneeflocken beziehungsweise die
erste Schneedecke hingegen lassen auf
sich warten. Das bisher spätesteDatum
des ersten Neuschnees wurde in Neuen-
burg am 28.Januar1990 und in Klo-
ten am 31. Januar1988 registriert. Hier
setzt der gegenwärtigeWinterRekorde.
Auch inBasel und Genf hat es noch
nicht geschneit, dort fiel der bisher
späteste Schnee im März 2008. Einen
schneelosenWinter hat es an diesen
Ortenseit Beginnder Messungen noch
nie gegeben.


Allergiker reagierenbereits


Statt Schneeflocken fliegenPollen durch
die Luft. Bereitsan Weihnachten began-
nen vereinzelte Haselsträucher imTes-
sin und im baslerischenTherwil zu blü-
hen, nach Neujahr öffnetensich die
grünlichen Haselkätzchen auch im Mit-
telland. Bereits imJanuar klingelte das
Beratungstelefon im aha! Allergiezent-
rum Schweiz, erstePersonenmit Heu-
schnupfen berichteten von Niesattacken
oder tränendenAugen.
«Die Haseln blühen in diesemJahr
deutlichfrüher, als es naturgemäss zu
erwarten wäre», sagt BettinaRavazzolo,
Beraterin beim Allergiezentrum. Aller-
dingskomme ein Blühbeginn imJanuar
immer mal wieder vor, zuletzt vor zwei
Jahren.Auch die Erle war heuer frü-
her dran. Speziell sei, dass jetzt schon
Eschenpollenin der Luft sind, die mit
demWind aus dem Süden hertranspor-
tiert werden. Für Allergikerinnen und


Allergiker gibt es einenTrost:Wer auf
Hasel und Erlereagiert, hat diesesJahr
früher wiederRuhe.
Auch die Obstbäume sind zurzeit
der Natur voraus. Das mildeWetter
seit AnfangJahr habe dieWinterruhe
vieler Obstbäume verfrüht beendet, so
dass nun bei allen Sorten die Knospen
anschwöllen, teilt die landwirtschaft-
licheForschungsanstalt Agroscope auf
Anfrage mit.Vereinzelt öffneten sich
bereits die Blüten der Aprikosen, was
sie bei einem potenziellen Kälteein-
bruch besonders anfällig macht. Beim
Weinbau hängt laut Agroscope viel von
denkommendenWochenab. Sollte das
mildeWetter andauern,könnten die

Rebentriebe früher als üblich aus den
Knospen spriessen.Das verlängert die
Periode, in der sich dieWinzer vor
Frost fürchten.

Zugvögelbleibenhier


Nicht nur Pflanzen, auchTiere bemer-
ken den warmenWinter. Positiv wirkt
sich das mildeWetter auf vieleVögel
aus, die in der Schweiz bleiben, beispiels-
weise auf den Eisvogel. GefroreneTüm-
pel und Seen sind fürihn ein Problem,
weiler weniger Nahrung findet.Da-
durchkönne ein grosserTeil derPopula-
tion sterben, sagt der Biologe LivioRey
von derVogelwarte Sempach.

Die Vogelwarte beobachtet, dass
immermehrVögel,die früher zum
Überwintern in den Mittelmeerraum
flogen, imWinter in der Schweiz blei-
ben. Als Beispiele nennt der Biologe
Rotmilan undWeissstorch. «Für Zug-
vögel ist der Flug in den Süden eine
gewaltige Anstrengung und birgt viele
Risiken», sagtRey. Solange sie in der
Schweiz genügend Nahrung finden, ist
es für sie durchaus positiv, wenn sie das
ganzeJahr hierbleiben.
Dagegen kann sich der warmeWin-
ter negativauf Artenauswirken, die
an kalteTemperaturen angepasst sind.
«Für Bergvögel wie das Alpenschnee-
huhn ist die Situation bedenklich, sie lei-

den unter dem Klimawandel», sagtRey.
Sie flüchten in Richtung Berggipfel, um
derWärme zu entkommen.Je näher
am Gipfel dieVögel leben, desto grös-
ser werde dieräumlicheTrennung zwi-
schen den verschiedenenPopulationen.
Und desto unwahrscheinlicher werde es,
dass sich diePopulationenvermischten,
erklärtRey. Dadurch steige möglicher-
weise das Risiko von Inzucht, und die
Tiere seien wahrscheinlich anfälliger für
Krankheiten.
Auch fürVögel wie den Gartenrot-
schwanz, die bis inRegionen südlich der
Sahara in Afrika ziehen, bringen warme
Winter Probleme. Wenn sie imFrühling
zurückfliegen, ist die Natur hierzulande
weiter fortgeschritten als üblich. Livio
Rey erklärt, dass sich dann Insekten teil-
weise bereits verpuppt hätten und die
Zugvögel so wenigerLarven fänden,mit
denen sie ihreJungen fütternkönnen.

Nicht vorbereitet aufKälte


Doris Hölling von der Forschungs-
anstalt fürWald, Schnee undLand-
schaft (WSL) sagt, eskönne sein, dass
sich einige Insekten in gewissenJah-
ren vorzeitig verpuppten, aber dies sei
nochkeine generelle Entwicklung. Für
In sekten stelle ein milderWinter per
se kein grosses Problem dar, solange es
konstant warm bleibe. Negativ sind vor
allem stark schwankendeTemperaturen,
da dieTiere in warmer Umgebung ak-
tiv werden und bei Kälteeinbrüchen in
die Kältestarre verfallen. «Das entkräf-
tet Insekten sehr stark und kann dazu
führen, dass sie sterben», sagt Hölling.
Aus wärmerenWintern ohne Kälte-
einbrüchekönnten beispielsweise Holz-
bienen sogar Nutzen ziehen,da sie ihnen
ermöglichten, in neue Gebiete vorzu-
dringen, sagt Hölling. Problematisch sind
mildeWinter hingegen für Borkenkäfer,
falls es aufgrund der höheren Schnee-
fallgrenze mehrregnet.Borkenkäfer, die
unterBaumrinden oder im Boden aus-
harren, können inder Feuchte verschim-
meln. Hölling bilanziert: «Für Insekten
heben sich dieVor- und die Nachteile
der mildenWinter zurzeit noch auf.»

Die Sportbahnen Marbachegg im Entlebuch könnendie Talabfahrtenwegen des Schneemangels nicht öffnen. MARCEL BIERI / KEYSTONE

Wuhans kulturelles Erbe reicht bis zu deutschen Bierbrauern


Die chinesische Millionenstadt ist das Epizentrum der Coronavirus-Krise – Kolonialisten haben sie mitgeprägt


MATTHIAS MÜLLER, PEKING


Diesen Sonntag feiert die Hauptstadt
der zentralchinesischen Provinz Hubei,
Wuhan, ein trauriges Jubiläum. Die
11-Millionen-Stadt wird dann seit einem
Monat wegen der Coronavirus-Epidemie
abgeriegelt sein.Wie schwierig die Situa-
tion inWuhan ist, zeigen die Mitteilungen
der Regierung. Sie hat in den vergange-
nenTagen zwar ihreTonalität verändert
und verbreitet Optimismus, weil die Zahl
der Neuinfizierten zurückgehen soll. Für
Wuhan gibt sie jedochkeine Entwarnung.


Besuch desBotschafters


Yang Fan leidet unter den schwierigen
Bedingungen, auch wenn er sagt,es gehe
ihm gut. Derzeit ist er nicht inWuhan,
sondern in einer 80 Kilometer südlich ge-
legenen Stadt, wo er ebenfalls dieWoh-
nung nichtverlassen darf. Der studierte
Ökonom hat jedoch eine besondere Be-
ziehung zu seiner Heimatstadt entwickelt.
«Ich interessiere mich sehrfür ihre Ge-
schichte und will das architektonische
Erbe erhalten», betont er amTelefon.
Er ist Gründer derVereinigung China
Endangered Culture Protector (CECP).
Mehr als 100 000 Freiwillige arbeiten
für CECP. So bietetYangs Organisation
Stadttouren durch das historischeWuhan
an, an denen auch schon der deutsche
Botschafter in China teilgenommen hat.
Dieser kam aus gutem Grund in die
Hauptstadt der Provinz Hubei. Es exis-
tiert zwar der weitverbreitete Glaube,
die in der östlichen Provinz Shandong
gelegene Hafenstadt Qingdao, aus der


das gleichnamige Bier stammt, sei die
Wiege der deutschenKolonialarchitek-
tur in China.«Allerdings gab es inWuhan
die erste deutscheKolonie in dem asiati-
schenLand überhaupt, auch wenn heute
nicht mehr so viel davon übrig ist», sagt
der in Berlin lebende Architekt Eduard
Kögel. Yang undKögel kämpfen darum,
das Verbliebene zu erhalten.
Wuhan in der jetzigenForm exis-
tiert seit1949. Zuvor gabes mit Han-
kou, Hanyang undWuchang drei von-
einander unabhängigeViertel,die nach
der Machtübernahme derKommunisti-
schenPartei miteinander verschmolzen
worden sind. Vor allem dem pulsieren-
den Gebiet Hankou eilte im19. Jahr-
hundert derRuf voraus, ein «Chicago
des Ostens» zu sein. «Mehr als 600Jahre
lang war der amJangtsegelegene Hafen
die Lebensader, es wurden Produkte
wiePorzellan oderTee gehandelt», sagt
Yang. Die boomende Stadt weckte Be-
gehrlichkeiten beiKolonialmächten.
Nach Beendigung des erstenchine-
sisch-japanischen Krieges wurdeTokio
aufgefordert,Konzessionen in derunweit
vonPeking gelegenen HafenstadtTian-
jin sowie inWuhan an Deutschland abzu-
treten.Am3. Oktober1895 verpachtete
China ein 400 000Quadratmeter gros-
ses Gebiet mit dem Namen «Deutsche
Konzession in Hankou» an das Deutsche
Reich. Daneben gab esdamals in der zen-
tralchinesischen Stadt auch belgische, bri-
tische, französische, japanische undrus-
sischeKonzessionen. 22Jahre später, am


  1. März1917, kündigte China denVer-
    trag mit Deutschland schliesslich wieder
    auf. In jenen zweiJahrzehnten haben die


deutschenKolonialistenFabriken, Lager-
hallen,Regierungs- undWohngebäude
gebaut. Der Bestand wurde jedoch im
Dezember1944 durch Angriffe amerika-
nischer Bomber schwer beschädigt.
Als Folge der zwischen1966 und 1976
tobenden und von Staatsgründer Mao
Zedong angezetteltenKulturrevolution
sind dieRäumlichkeiten nunmehr klein
zugeschnitten. In den sechzigerJahren
sind die damaligen Eigentümer enteignet
und vor dieTür gesetzt worden. «Dort,
wo einst nur eineFamilie lebte, waren
es fortan fünf oder mehr», sagtYang. Es
heisst denn auch,dass in denWohnun-
gen trotz einer eigentlich attraktiven
Umgebung eher ärmere Chinesen leben.
Mit gemischten Gefühlen blicktYang
auf die ZukunftderKonzessionen in
Wuhan.«Es kommt noch immer vor,
dassFamilien ihreWohnungen verlassen
müssen, weil diese abgerissen werden,
um Platz für neue Gebäude zu schaffen»,
betont er. Die Folge davon ist, dass sich
die meisten chinesischen Grossstädte
wegen ihrer vielen gesichtslosen Hoch-
häuser ähneln.Yang treibt auch der Um-
stand um, dassTeile derKonzessionen
zwarrenoviert, dann jedoch touristisch
gen utzt werden. DieViertel verlieren
ihre Seele und den einstigen Charme,
obwohl sie nicht abgerissen werden.
Yang nimmt jedochauch eine positive
Entwicklung wahr. «Als ich ein Knabe
war, hat sich niemand inWuhan für das
koloniale Erbe interessiert. Inzwischen
gibt es jedoch mehrPersonen, die sich
daran erinnern», sagt er. Und auch die
Regierung ist aktiv geworden. Das eins-
tige deutscheKonsulatsgebäude und die

Polizeistelle wurdenrenoviert und sind
nun Museen. Die Nähe der amJangtse
gelegenenMillionenstadt zu Deutsch-
land zeigt sich auch in der1982 geschlos-
senen Städtepartnersc haft mitDuisburg.
Es war die ersteFreundschaft ihrer Art
zwischen einer westdeutschen und einer
chinesischen Stadt.

DasBierbrauen muss warten


Wuhan verbindet inzwischen noch etwas
anderes mit Deutschland. Die der CSU
nahe stehende Hanns-Seidel-Stiftung
gründete1986 zusammen mit derKom-
munistischenPartei eine Brauschule
in Wuhan, um auf diesemWeg das in
Deutschland – und auch in der Schweiz–
gängige duale Bildungssystem nach
China zu exportieren. 1988 nahm sie den
Unterricht auf. Dem erstenJahrgang ge-
hörte Zhang Xiangyun an, der sich nach
seiner Hochzeit mit einer Münchnerin
auch KlausRechenberg nennt.
«Es gab bereits eine grosse Nieder-
lassung der aus München stammenden
Brauerei Spaten», sagt Zhang. «Wahr-
scheinlich war dies einer der Gründe,
warum sich die Hanns-Seidel-Stiftung
zusammen mit den Machthabern dazu
entschlossen hat, die Schule inWuhan
zu errichten», fügt er an.In den Jahren
danach wurde noch die «Brauereitech-
nische AkademieWuhan», die den Sta-
tus einerFachhochschule hat, eröffnet.
Von den rund 6000 Studenten an der
Fachhochschule befassen sich rund 10 00
mit dem Brauwesen. Die Nachfrage nach
den Absolventen ist gross, auch weil es
nichtsVergleichbares in China gibt und

Bier in dem asiatischen Land immer
populärer wird. «Die Abgänger haben
kein Problem, eine Stelle zu finden»,
betont Zhang. Für sie wie für denRest
Wuhans gilt jedoch, dass sie zunächst auf
ein Ende der Coronavirus-Krise warten
müssen, bevor sie sich wieder mit der
Kunst des Bierbrauens befassen dürfen.
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