Neue Zürcher Zeitung - 22.02.2020

(Frankie) #1

Samsta g, 22. Februar 2020 WIRTSCHAFT 27


Washington investiert in die künstliche Intelligenz


TrumpsTechnologiebeauftragter übt Kritik an Europa, hält den Zusammenhalt der westlichen Demokratien bei neue n Technologien aber für zwingend


MARTIN LANZ,WASHINGTON


Michael Kratsios, Präsident Trumps
Technologiebeauftragter im Weissen
Haus, hat am Donnerstag die Europäi-
scheKommission zu mehrFlexibilität
im Umgang mit künstlicher Intelligenz
(KI) aufgerufen. In einemAuftritt beim
Hudson Institute betonte der seitAu-
gust 2019 amtierende ChiefTechnology
Officer of the United States aber, dass
er im am Mittwoch vorgestellten euro-
päischenAnsatz vieleGemeinsamkeiten
mit dem amerikanischen sehe.
Er werde im März mit den EU-Ver-
antwortlichen zusammenkommen, um
die Gemeinsamkeiten undVerbesse-
rungsmöglichkeiten zu erörtern.Kon-
kret störte sich Kratsios am Donnerstag
an der Entweder-oder-Strategie der EU.
Die strikte Kategorisierung von KI-Ein-
sätzen in Hochrisikoanwendungen, wel-
che streng geprüft undreguliert würden,
und in nicht riskanteAnwendungen,die
überhauptnichtkontrolliertwerdensoll-
ten, sei nicht zielführend, sagte er. Ein
fallweisesVorgehen entlang des ganzen
Risikospektrums sei einem Alles-oder-
nichts-Ansatz vorzuziehen.
Die USA haben ihrenVorschlag für
einenregulatorischenRahmen für die


künstliche Intelligenz bereits imJanuar
indieVernehmlassunggegeben.Siedau-
ert noch bis Mitte März.

USA sind einenSchritt voraus


Der vorgeschlageneRahmen zielt ers-
tens darauf ab, stetsFeedback aus dem
Publikum, derWissenschaft und der In-
dustrie einzuholen. Zweitens soll Über-
regulierung vermieden werden. Die zu-
ständigen Behörden sind dazu aufgeru-
fen, Risikobeurteilungen undKosten-
Nutzen-Analysen vorzunehmen, bevor
regulatorische Massnahmen getroffen
werden. Angesichts des Innovations-
tempos brauche es einen flexiblen An-
satz. AutomatisierteFahrzeuge, Droh-
nen und durch KI gesteuerte Medizi-
naltechnik bedürften total unterschied-
licher Überlegungen, meinte Kratsios
am Donnerstag. Drittens strebe man
die Entwicklung von «vertrauens- und
glaubwürdiger» KI an.Zu diesem Zweck
seienFairness, Transparenz, Sicherheit
und Gesundheit zu berücksichtigen und
technische sowieregulatorische Ent-
scheide stets auf bestmögliche wissen-
schaftliche Erkenntnisse abzustützen.
Diese Prinzipien werden den USA die
KI-Führerschaft sichern, davon gab sich

Kratsios überzeugt. Der nächste techno-
logischeDurchbruchmüsseimWestener-
folgen, sagteer. Zu diesem Zweck müss-
ten die westlichen Demokratien zusam-
men für ihreWerte einstehen. Die Praxis
Chinas, seine Bürger mitKI-Anwendun-
gen zu überwachen, sei mit diesenWer-
ten nicht im Geringsten vereinbar und
müssebekämpftwerden,fordertederUS-
Technologiebeauftragte.Kooperationmit
allen US-Alliierten sei nötig, um China
unterKontrolle zu halten.
Allerdings warnte Kratsios davor, sich
an Chinas aufsehenerregenden Investi-
tionsankündigungen und der «Made in
China 2025»-Strategie im KI-Bereich zu
messen.Da sei viel heisse Luft dahinter,
liess er durchblicken.Bei den US-Zahlen
dagegen wisse man, woran man sei, ver-
sprachKratsios.SeinBürohatfürdaslau-
fendeHaushaltsjahrerstmalszusammen-
getragen,wievieldieamerikanischeBun-
desverwaltungindienichtmilitärischeKI-
Forschung und Entwicklung investiert.
Das ist nicht ganz einfach, weil es
in den USA nicht wie in anderenLän-
dern ein einzelnesTechnologieministe-
rium gibt, sondern zahlreiche Behörden
in verschiedenen Departementen invol-
viert sind.Jedenfalls kam Kratsios für
das noch bis Ende September laufende

Fiskaljahr 2020 auf fast 1 Mrd. $ für den
nichtmilitärischen Bereich. ZumVer-
gleich wird dasJahr 20 16 genannt,als di e
gesamten KI-Ausgaben inklusive Mili-
tär 1 Mrd. $ betrugen.

Verzettelte Investitionen


In denkommenden beidenJahren sol-
len die nichtmilitärischen KI-Ausgaben
auf 2 Mrd. $ proJahr verdoppelt werden.
GemessenamTotalderangestrebtenUS-
Bundesinvestitionen inForschung und
Entwicklung von142 Mrd. $ proJahr
bleibt derAufwand damit bescheiden.
Kratsios erklärte, dass es sich dabei um
Grundlagenforschung handle, die über-
wiegendinderNationalScienceFounda-
tionstattfindeundinderRegelnichtvom
Privatsektorverfolgtwerde.Dieanderen
wichtigenzivilenEmpfängerderBundes-
gelder sind die Ministerien für Energie,
Landwirtschaft und Gesundheit.
Aufseiten des Militärs sind KI-Inves-
titionen von jährlich 750 Mio. $ geplant.
FührendsinddabeidieDefenseAdvanced
Research Projects Agency (Darpa), wel-
che 460 Mio. $ erhalten soll, und das
Joint AI Center, für das 290Mio. $ be-
reitgestellt werden. Im laufendenFiskal-
jahrgibtdasPentagontotal650 Mio. $für

die KI-Forschung aus. Die zweite grosse
Priorität in den Bemühungen zum Er-
halt derTechnologieführerschaft ist die
Quanteninformatik. Mit Stolz verwies
Kratsios auf den Prozess, der 2019 zur
Quantenvorherrschaft (quantum supre-
macy) geführt habe. Die US-Bundesver-
waltung habe ursprünglich in das Quan-
tum Lab der University of California
SantaBarbara investiert, worauf Google
die Gruppe übernommen habe, welche
dann innerhalb von Google denDurch-
bruch geschafft habe. Um die «quantum
supremacy» zu belegen, also dieFähig-
keit, Berechnungen viel schneller aus-
zuführen, als es die besten Supercompu-
ter können, liess Google den Computer
gegen die bestenRechner des Energie-
ministeriums antreten. So habe sich der
Kreis wieder geschlossen,meinteTrumps
Technologiebeauftragter.
Auch im Bereich der Quanteninfor-
matik sind bedeutende Mehrinvestitio-
nen des Bundes vorgesehen.Gegenüber
dem laufendenJahr soll das Budget um
50% steigen und sich laut Kratsios bis
2022 wie jenes für die KI verdoppeln.
Führend sind auch hier die National Sci-
enceFoundation und das Energieminis-
terium, welche je eine knappeViertel-
milliarde Dollar erhalten sollen.

Die andere Sich t auf das umstrittene Palmöl


Indonesiens Vizeagrarministerin kontert die Referendumskampagne in der Schweiz gege n das neue Handelsabkommen


HANSUELI SCHÖCHLI


Die Schweizer Exportindustrie erhofft
sich zusätzliche Umsätze durch das
neue Handelsabkommen der Schweiz
und der anderen Efta-Länder mit
Indonesien.Doch die politische Dis-
kussion in der Schweiz zu diesem Ab-
kommen ist geprägt durchPalmöl–
das laut Kritikern oft unter ökolo-
gisch und menschenrechtlich bedenk-
lichen Umständen produziert wird.
Mehr als die Hälfte des jährlich welt-
weit hergestelltenPalmöls stammt aus
Indonesien. Im SchweizerParlament
fehlte einem Antrag, der ein Abkom-
men mit Indonesien verunmöglicht
hätte, nur eine Stimme. Die Sicht-
weise Indonesiens war in der Schwei-
zer Diskussion kaum einThema. Am
Rande ihres jüngsten Besuchs bei der
Welthandelsorganisation in Genf sagte
IndonesiensVizeagrarministerin Mus-
dhalifah Machmud im NZZ-Gespräch,
wie ihreRegierung mit derPalmöl-
frage umgeht.


Die Efta-Länder sind eher kleine
Märkte. Ist für Sie das Handelsabkom-
men mit der Efta ein Sprungbrett für ein
ähnliches Abkommen mit der EU?
Es geht im Prinzip bei Handelsabkom-
men nicht um Marktgrössen, sondern
um dieFrage, ob einAbkommen beiden
SeitenVorteile bringt.Wir machen einen
Schritt nach demanderen.Wir sind auch
in Gesprächen mit der EU und waren
erst jüngst wieder in Brüssel.Wir kamen
mit der EU überein, dieVerhandlungen
zu beschleunigen, und werden hoffent-
lich noch diesesJahr ein Handelsabkom-
men abschliessen.


In der Schweiz haben jüngst Kritiker
das Referendum gegen das Abkommen
Efta-Indonesien mit dem Slogan «Stopp
Palmöl» lanciert. Die Gegner kritisieren
Waldzerstörungen, den Rückgang der
Biodiversität, einen Mangel an Rück-
sicht auf dieRechte indigenerVölker
und schlechte Arbeitsbedingungen.Was
entgegnen Sie den Kritikern?
Die gesamteLandfläche Indonesiens be-
trägt 189 Mio. Hektaren.60% dieser Flä-
che sind durch Gesetze alsWaldfläche
geschützt.Palmöl macht nur6% unse-
rer Landfläche aus. Das Gesetz schreibt
überdies 27 Mio. Hektaren Schutzwald
für die Biodiversität vor.


Kritiker orten grosse Lücken zwischen
Gesetz und Praxis in Indonesien. Ein


indonesischerRegierungsbericht stellte
fest, dass etwa 80% allerPalmölplanta-
gen illegal seien.Können Sie die Gesetze
nicht durchsetzen?
In Indonesien leben 260 Mio. Men-
schen, viele von ihnen in sehr entlege-
nen ländlichen Gebieten. Es kann vor-
kommen,dass LeuteWald abholzen, ob-
wohles illegal ist.Wir haben seit 2011
ein Moratorium für neuePalmölplanta-
gen, um denWald zu schützen.Wir füh-
ren regelmässig Evaluationen durch.
Und wir haben auchRegeln zu den
Produktionsbedingungen für nachhal-
tigesPalmöl. Alles international gehan-
deltePalmöl aus Indonesien braucht ein
Nachhaltigkeitszertifikat. Eine der Be-
dingungen für den Erhalt des Zertifi-
kats ist das Einhalten der Gesetze. Man
sieht gewisse Ergebnisse in den Zah-
len. Das Produktionswachstum lag frü-
her bei etwa 10% proJahr, zuletzt war
es unter 2%.

Aber die Produktionwächst weiter, und
2019 war einRekordjahr.

DiesesWachstum beruht nicht auf einer
grösseren Produktionsfläche, sondern
auf einer höheren Produktivität der be-
stehendenPalmölplantagen.Wie ange-
tönt haben wir gut 100 Mio. Hektaren
Waldfläche – ein prozentualer Bestand
weit über demjenigen etwa europäischer

Länder. Das heisst allerdings nicht,dass
die Waldfläche immer so gross bleiben
wird. Es gibt auch andere wirtschaft-
liche Interessen. Noch immer leben
9% unserer Bevölkerung unterhalb der
Armutsgrenze. Wir müssen die Armut
weiterreduzieren. Etwa17,5 Mio. Men-

schen in Indonesien hängen wirtschaft-
lich von Aktivitäten im Zusammenhang
mit Palmöl ab. Vor allem in abgelege-
nen Gebieten istPalmöl ein Schlüssel,
um die Bevölkerung aus der Armut zu
holen und einen gewissenWohlstand zu
sichern.Das ermöglicht wiederum bes-
sere Bildung und Sicherheit.Nachhal-
tige Landwirtschaft liegt in unserem ur-
eigenen Interesse. Aber wir müssen die
Menschen dazu erziehen undVerständ-
nis schaffen.

Sie erwähnten die Notwendigkeit eines
Nachhaltigkeitszertifikats für gehandel-
tes Palmöl. Kritiker in Europa sagen oft,
dass der indonesische Standard ISPO
ungenügend sei und der internationale
Standard RSPO eher Nachhaltigkeits-
zielen nahekomme. Wa s sagen Sie dazu?
ISPO ist für alle Produzenten in Indo-
nesien verpflichtend,RSPO ist frei-
willig. Wir können nicht sagen, dass
die gesamte Produktion imLand dem
RSPO-Standard entsprechen muss, denn
dies wäre für die kleinen Produzenten

zu teuer. Aber auch die indonesische
Regierung will eine nachhaltige Pro-
duktion.Wir haben unseren nationalen
Standard 2011 etabliert, 2014 wurde er
revidiert, und jetzt istaufgrund der Be-
dürfnisse der Märkte wieder eineRevi-
sion im Gang. So kam aus Europa Kri-
tik bezüglich mangelnderVerifizierbar-
keit derRegeln. DieRevision des Stan-
dards aufBasis von Gesprächen mit
allen Anspruchsgruppen liegt derzeit
bei unserem Präsidenten zur Unter-
zeichnung. Vorgesehen sind Überprü-
fungen durch unabhängigeRevisoren.
Wir können nicht garantieren, dass
jeweils die ganze Produktion zu 100%
globale Standards erfüllt.Wir sind noch
ein Land in Entwicklung, und die Glo-
balstandards ändern sich laufend.Aber
wir streben die Erfüllung der internatio-
nalen Standards an.

Ihre grössten Exportmärkte fürPalmöl
sind nicht in Europa, sondern in China
und Indien. Sind in jenen beiden Gross-
märkten tiefere und damit billigere Stan-
dards gefragt?
Unsere Gesamtproduktion sollte Nach-
haltigkeitsstandards erfüllen, unabhän-
gig vom Absatzmarkt. Darum ist der
indonesische Nachhaltigkeitsstandard
obligatorisch für die ganze Produktion.
Wenn dieKonsumentenPalmöl nach
RSPO-Standard wollen, kann auch dies
produziert werden. Doch derzeit gibt
es zu wenig Nachfrage danach; Indone-
sien produziert mehrRSPO-Palmöl, als
nachgefragt wird.

Ihr Handelsvertrag mit der Efta enthält
eine Klausel für die nachhaltigePalm-
ölproduktion.Doch die Nachhaltig-
keitsvorgaben sind ausgeschlossen vom
sonst möglichen Schiedsgerichtsverfah-
ren bei Streitigkeiten. Sind die genann-
ten Pflichten wie etwa dieBeendigung
von Brandrodungen, dieReduktion der
Umweltverschmutzung und dieRespek-
tierung derRechte der indigenenBevöl-
kerung nicht verbindlich?
Doch,aber es geht nicht um harte Zah-
len wie zum Beispiel bei Zöllen und
Kontingenten.Für eine eindeutige Be-
urteilung durch ein Schiedsgericht ist
dies deshalb weniger geeignet und
wird anders gehandhabt.Das Abkom-
men zwischen der Efta und Indonesien
unterscheidet sich in dieserFrage nicht
von anderen Handelsabkommen. Indo-
nesien ist derweil gegenüber internatio-
nalen Gremien strenge Umweltver-
pflichtungen eingegangen.

Palmöl ist für Indonesien ein bedeutenderWirtschaftszweig – Ernte in der Provinz Riau aufder Insel Sumatra. DIMAS ARDIAN / GETTY

Ibu Musdhalifah
Machmud
Vizeagrarministerin
PD von Indonesien
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