64 WOCHENENDE Samstag, 22. Februar 2020
Botschaft
im Doppel
Hier zeigt und beschre ibt die Fotostif tung
Schweiz (fss.) wöchentlich Highlights der
Schweizer Fotografie aus ihrerSammlung.
fss.· 19 82 fotografierte Barbara
Davatz (*1944) in Zürich zwölfPaare,
die durch ihr ausdrucksstarkesÄusse-
res auffallen. Im Doppelporträt sind
die Codes, die über Kleidung,Haltung
und Mimik ausgesendet werden, ver-
stärkt und zugleichvariiert. Sie drücken
sowohl Individualität wie Gruppen-
zugehörigkeit aus. Davatz porträtierte
dieselbenPersonen erneut1988, 1997
und zuletzt 2014. Meistens veränderte
sich die Partnerkonstellation. Serge
und Carole sind eineAusnahme. Ihre
Beziehung bliebkonstant, auch wenn
unklar ist, ob es sich um eineFreund-
schaft oder eine Liebesbeziehung han-
delt. Der einst androgyne Serge, der
in den1980erJa hreneine neue,etwas
zugrosse Bikerjacke trug, wurde zum
Mann – seinKleidungsstil dezenter,
dasRebellische im Blick verschwand.
Carole machte eine ähnliche Meta-
morphose durch. Der Fluss der Zeit ist
ablesbar an der äusseren Hülle derPor-
trätierten, nicht aber an einer veränder-
ten Ästhetik derFotografie. Dies er-
scheint zunächst banal, macht aber die
Qualität der Arbeit aus:Komposition,
Lichtführung undKontrast der analo-
gen Schwarz-Weiss-Fotografie haben
dem fortschreitenden technologischen
Wandel getrotzt. Nur so ist es uns
möglich, die beiden 32Jahre auseinan-
derliegenden Bilder zu vergleichen,als
wären sie wissenschaftliche Zeichnun-
gen der Gattung Mensch.
IN JEDER BEZIEHUNG
Sehnsucht nach dem Staubsauger
Von Bi rgit Schmid
Wer hätte dasgedacht? Mutters Apfel-
kuchen wird zu einer Drohung. Denn der
Apfelkuchen, der ofenwarm und duftend
auf demKüchentisch steht, beschwört
eine Vergangenheit herauf, in der die
Frauen an Haus und Herd gebunden
waren. Und ihre Kreativität darin be-
stand, gesunde Kinder zu gebären.
«Tradwives» backen demonstrativ
gerneKuchen und müssen sich vorwer-
fen lassen, denRechten zuzuspielen. Die
im Netz neugespielte Selbstbezeichnung
meint Ehefrauen, die die traditionelle
Rollenverteilung verteidigen. Sie haben
die sozialen Netzwerke als Schaufenster
entdeckt und zeigen auf Instagram und
Youtube vor, was sie erfüllt: waschen,
kochen, Hemden bügeln, sich schön
machen – bevorihrMann abends nach
Hausekommt.Das kann man zum Bei-
spiel der 34-jährigen Britin Alena Kate
Pettitt abschauen.
Die Hausfrau und Mutter eines Soh-
nes, die in ihrem Blog«T heDarlingAca-
demy»Tipps für die richtige Etikette
gibt,sagt von sich,sie wolle sich ihrem
Mann «unterordnen und ihn verwöhnen,
als wäre es1959». Sie hat das «Hand-
buch für die gute Ehefrau» von 1955
also genau gelesen. Darin steht: «Sor-
gen Sie dafür, dass Ihr Zuhause ein Ort
vollerFrieden, Ordnung und Behaglich-
keit ist, wo Ihr MannKörper und Geist
erfrischen kann.» DieFrau solle ihn bei
seiner Heimkehr «mit einem warmen
Lächeln» begrüssen.«Schieben Sie ihm
ein Kissen zurecht, und bieten Sie ihm
an,ihm die Schuheauszuziehen.»
Natürlich verzichtet die gute Haus-
frau auch auf Karriere, da sie «nicht wie
ein Mann» sein will, wiePettitt sagt. Sie
selber hat ihrenJob aufgegeben, weil
der Ehemann an erster Stelle steht.
SolcheAussagen mögen befremden,
aber sie interessieren. Selbst die tradi-
tionellen Medien von BBC über«T he
Guardian» bis zur «Zeit» berichten auf-
wendig über sie. Interessanter als das
Thema ist sein Absender. DerBegriff
Tr adwives, das haben amerikanische
Recherchen gezeigt, wird von der Alt-
Right-Bewegung vereinnahmt und mit
ultrarechtem Gedankengut assoziiert.
Entsprechend besorgtstellt die Presse
nun Bezüge von den Insta-Hausfrauen
zumFrauenbild im DrittenReich her.
Die selbsternanntenTr adwives wei-
sen solche Assoziationen zurück. Sie sei
keine weisse Suprematistin und wolle
niemandem ihren Lebensentwurf auf-
drängen, betontPettitt,derenMutter
alleinerziehend war.
Denn ja:Was soll dieAufregung?
Die Bewegung, falls man überhaupt
von einer solchenreden kann, hat in
meinenAugen nicht die politische Bri-
sanz,die man in sie hineindeutet. Sol-
cheAuftritte dienen der Selbstvermark-
tung. DieFrauen wollen möglichst viele
Li kes bekommen für dasPosieren mit
Staubsauger imPetticoat-Kleid oder für
das antikePorzellangeschirr. Sie möchte
nicht zurück in die fünfzigerJahre, sagt
MrsPettitt einmal. Sondern sie liebe ein-
fach deren Ästhetik. DieTr adwives ver-
stehen sich durchaus feministisch: Sie
wählen selber, wie sie leben wollen.
Sollen sie. Problematisch finde ich
nicht das Bekenntnis zum Hausfrauen-
dasein, sondern dessenVerklärung. Die
Frauen beschwören die falsche Gemüt-
lichkeit einer Unterwerfung. Sie sehnen
sich nach Zeiten,die es so nie gab. Sie ver-
ehren dasPatriarchat und tun so, als garan-
tiere es Sicherheit und Schutz.Als hätte
esFrauen nicht jahrhundertelang unter-
drückt. Sie liefern sich dem Mann aus und
stilisieren das als eigenwilligen Akt.
Diese Sehnsucht nach Unterwerfung
ist nicht neu. Schon dieAutorin E. L.
James bediente sie in ihrem Bestseller
«Fifty Shades of Grey», in dem sie den
Sadomasochismus dem vollendeten
Kitsch zuführte. Auch hier bietet die
kl areRollenverteilung einenAusweg
aus dem modernen Liebeschaos.
Wenigstens liessJames ihre Protago-
nisten noch mit Handschellen undPeit-
sche hantieren, um das wirreVerhältnis
zwischen Mann undFrau zu organisie-
ren.DieTr adwives begnügen sichmit
dem Staubsauger.
Die Frauen beschwören
die falsche
Gemütlic hkeit
einer Unterwerf ung.
BarbaraDavatz: Serge und Carole, 1982/2014, aus derSerie «As Time Goes By». © BARBARA DAVATZ