FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MONTAG, 9.MÄRZ2020·NR.58·SEITE 5
Foto Bloomberg
U
nter denFüßenvonNgasipat
Alyard knirscht und knackt es.
Bis zum Horizont istder Bo-
den im nordkenianischen Öd-
land vontoten Heuschreckenbedeckt:ein
gelber Teppich, durch den hier und da
rote afrikanische Erde und verdorrte
Dornbüsche durchscheinen.Vorwenigen
Wochen nochhat die 43 JahrealteFrauin
der Gegend, die siegerade durchstreift,
ihreRinder und Ziegenweiden lassen.
Dochdann zog aus nordöstlicherRich-
tung eingewaltiger Schwarmvon Wüsten-
heuschrecken in das Gebietsüdlichvom
Turkanase e. Bei einigen derViehhirten
brac hPanik aus, als dieWand aus Insek-
tenauf sie zurollte. Sie wussten nicht,was
das war, schließlichwardie letztederarti-
ge Heuschreckenplagevor mehr als 70
Jahren über das ostafrikanische Land her-
eingebrochen. Esel gingen durch,Ziegen
zerrten an ihrenStricken.
Nurdie Männervonder Bezirksverwal-
tung warenauf die Invasion dergefräßi-
genTierevorbereitet und rückten mitPes-
tiziden an.Zuvorhatten die Schwärme –
teils 60 Kilometerlang und 40 Kilometer
breit –Somalia heimgesucht undÄthio-
pien. Siewarenmit einer Geschwindig-
keit vonbis zu 150Stundenkilometern
vorgerückt, siekamen inWolken vonbis
zu 50 MillionenTieren. DerWind wehte
sie hierhin und dorthin. Große Schwärme
teiltensichinkleinereauf.Dasssieir-
gendwannKenia erreichen würden,war
also nur eineFrageder Zeit gewesen. Sie
kamen inverschiedenenWellen.
Als diegefräßigen, 60 bis 90 Millimeter
großen Gliederfüßer mit dem wissen-
schaftlichenNamen Schistocercagrega-
riavor zweiWochen den Marsabit-Bezirk
erreichten, rückten die Insektenbekämp-
feralso mit Handpumpen aus und be-
sprühten dieTiereflächendeckend. „In
den Morgenstunden befinden sichdie
Heuschreckennochauf dem Boden und
lassen sichleicht bekämpfen“, sagt Ed-
ward Lentoror.Der 50 JahrealteMann ist
zuständig für dasWohl derNutztiereim
Bezirk. „Wir warenalarmiert, denn die
Grillen fressen alleskahl“, so Lentoror.
„Je eher mangegensie vorgeht, desto grö-
ßer istdie Chance, eineKatastrophe zu
verhindern.“ Die Menschen im trocknen
Norden Kenias sindViehhirten, de renTie-
re vonden dürrenSträuchernleben, die
in der Halbwüste nahe der äthiopischen
Grenzegedeihen. Eine Heuschrecken pla-
ge kann den schnellenHungertodihres
Viehs bedeuten und die Lebensgrundlage
der Hirtenzerstören.
Lentoror und seine Männer haben an
jenem Morgenvor vierzehnTagenalso
massenhaftGrillen vernicht et.Aber ha-
ben sie wirklichgenuggetan? Lentoror
blickt auf den Boden.Überall wimmelt es
vonkleinen schwarzen Krabbeltieren. Es
sind die Jungheuschrecken, die gerade
aus den Eiernschlüpfen. Siewerden Nym-
phengenannt.Sie sind jetzt überall. Ein
einziger Brutplatz sei die Gegend, sagt
Lentoror.„Wirmüssen uns jetzt beeilen
und bei der Bezirksverwaltung Alarm
schlagen.Wenn wir jetzt nicht sofortwie-
der sprühen,geht alles wiedervon vorne
los.“ DiePestizide,die gegendie Heu-
schreckenversprühtwerden, sollen nach
24 Stunden abgebaut sein, sagen die Män-
ner vomBezirk. Dennochtrauensichdie
Hirtennicht zurück, nicht AlyardsFami-
lie vomStamm derRendille und, wie sie
sagt, auchnicht die sieben Rinder und 30
Schaf eund Ziegen,vondenen sie leben.
Die Tierefressen das Gras nicht, sagt die
Frau mit dem bunten Halsschmuck. Aber
sie selbstscheint auchnicht sorecht an
die Ungefährlichkeit der Insektizide zu
glauben.
Unterstützung bekommen dieRendille
voneiner Organisation aus der Gegend.
Sie heißt „PastoralistCommunity Initiati-
ve and Development Assistance“, kurz Pa-
cida. Diese wirdwiederumvonder Or ga-
nisationMalteser International unter-
stützt.Dank diesesNetzwer ks erhalten
die Menschen in derNotwenigstens Nah-
rungsmittel und einwenig Geld für sich
selbstund Futterfür dieTiere. Bereits seit
langem sind die Organisationen hier ak-
tiv.Die Gegend istempfindlichfür extre-
me Wetterereignisse. Erst vonJuni bis De-
zember2019 litten dieRendillezunächst
unterextremerTrockenheit und danach
unter heftigenRegenfällen. DochKenia,
ein Land mitetwasmehr als fünfzig Mil-
lionen Einwohnern, einer Lebenserwar-
tung vonfastsiebzig Jahren und einem
Durchschnittsverdienstvon mehr als
1800Dollar im Jahr,verfügtüber einever-
gleichsweise guteInfrastruktur.Esist rela-
tiv sicher.Viele internationale Organisa-
tionen haben hier ihren Sitz. Es gibtStra-
ßen und zurNotauchGeld.
Die Heuschreckenp lageaber wütet
auchinÄthiopien,wo der Durchschnitts-
verdienst853 DollarimJahr beträgt, in
Uganda (724 Dollar), in Südsudan (
Dollar) und in Somalia (314 Dollar). Es
sind die ärmsten Länder der Erde. In Süd-
sudan herrschte bis vorkurzem nochein
Bürgerkrieg, der in denvergangenen Jah-
renrund 400 000 Menschen das Lebenge-
kostet haben soll. 1,3 Millionen Kinder
sind in Südsudan in diesem Jahr unterer-
nährt, schätzt die Hilfsorganisation„Safe
the Children“.
Zwar einigten sichunlängstdie Bürger-
kriegsrivalen auf einegemeinsame neue
Regierung, in dervergangenenZeit wur-
den allerdings sämtliche ausgehandelten
Waffenstillstandsabkommen bereits nach
kur zer Zeit wiedergebrochen. „Ausge-
rechnet bevorwir unsere politischenDif-
ferenzen beilegenkönnen und eineÜber-
gangsregierunggeschaf fenwird, durch-
lebt Südsudan diese Heuschreckeninvasi-
on“, sagt derkatholische PfarrerJames
Oyet Latansio,Generalsekretär des südsu-
danesischen Kirchenrats.
Nicht viel besser sieht esweiter östlich
aus. In Somalia leiden die Menschen seit
fast drei Jahrzehnten unter Anarchie,
Chaos und Islamisten. WeiteTeile des
Landes am Hornvon Afrikasind wegen
der Terroris tenvon al Shabaab und der
schlechten Infrastrukturkaum erreich-
bar.Ausländische Helferwagensichohne-
hin kaum nochnachSomalia.Dazu
kommt, ebenso wie in Südsudan, eine Be-
völkerung,vonder ein Großteil seit vie-
len Jahren unterernährtist.
UndauchÄthiopien, das viele Jahr-
zehntelang unterverschiedenen Diktatu-
renlitt, beginnt sichgerade erst unter der
Führung des Friedensnobelpreisträgers
Abiy Ahmed zu öffnen.Vielen Menschen
istnochdie Hungersnotaus den achtziger
Jahren in Erinnerung.Zudem leidetdas
Land unter immer wieder aufflammen-
den ethnischenKonflikten und bürger-
kriegsähnlichenZuständen imvonSoma-
lis be völker tenOgaden. Bereitsvorder
Heuschreckenplage, schätzt dasNothilfe-
büroder VereintenNationen, hätten in
den aktuell betroffenen GebietenOstafri-
kasfast25,5 Millionen Menschen nicht ge-
nug Nahrung zurVerfügunggehabt.
Im Momenthat die äthiopischeRegie-
rung vier Leichtflugzeugefür den Ein-
satzgegen die Heuscheckengecha rtert.
Vie lzuwenig, moniertZebdewosSalato,
Pflanzenexpertebeim Landwirtschafts-
ministerium inAddis Abeba,gegenüber
derNachrichtenagenturReuters. Zur wir-
kungsvollen Bekämpfung der Plagebenö-
tigeman mindestens doppelt so viele Ma-
schinen. Nungehen dem bitterarmen
Landauchnochdie Pestizide aus.Wegen
Mangels an Devisenkanndie einzige
staatliche Fabrik ,die dieseWirkstoffe
herstellt, nicht mehr die für die Produk-
tion nötigenChemikalien importieren.
Mindestens500 000 Liter Insektizidefeh-
lennachSchätzungen im Moment, um
die nächste Aussaatund Erntezusi-
chern.
„Die Lageinder gesamtenRegion be-
reitet uns große Sorge“, sagtTobias Taka-
varasha. Der Zimbabwer, 62 Jahrealt und
Doktor fürAgrarpolitik, wurde erst im
November übergangsweise zum Landes-
vertreterder Welternährungsorganisati-
on derVereintenNationen (FAO)inKe-
nia ernannt.Erwar nicht langeimAmt,
da brachdas Unheil schon über dieRegi-
on herein. ImNovember soll einZyklon
vorder somalischenKüstedie Tierevom
Jemen nachAfrik agetragenhaben.Von
dortbreiteten sie sich, begünstigt durch
ungewöhnlichstarkeRegenfälle,rasend
schnell aus: zunächstnachÄthiopien, am
- Dezember dann nachKenia. Anfangs
warennur dreivonden 47 Bezirken des
Landes betroffen, mittlerweile sind es be-
reits 17. Die meisten liegenimNordenKe-
nias. Vorkurzem zogen die ersten Schwär-
me über Uganda nachSüdsudan. Medien-
berichten zufolgesollen sichmittlerweile
sogar Länder wie Israel und Jordanien
auf den Ernstfallvorbereiten.
„Zwei Gramm wiegt eine Wüstenheu-
schrecke –und genauso viel frisst sie am
Tag“, sagtTakavarasha: „Ein Quadratme-
terHeuschreckenschwarmvertilgt am
Tagsoviel Nahrung wie 35 000 Men-
schen.“ Ein einziger Schwarm, der aus
hundertbis zweihundertMilliarden Heu-
schreckenbestand, sollfast 2500 Quadrat-
kilometerFläche kahlgefressen haben.
FünfFlugzeugehätten sie inKenia der-
zeit im Einsatz, um die biblische Plagezu
bekämpfen, sagtTakavarasha, dazukom-
men die Helfer am Boden. In Uganda
wirdsogar die Armee in Marschgesetzt –
2000 Soldaten undKampfhubschrauber
wurden in den betroffenen Ostendes Lan-
des verlegt.
Dochungeachtet all dieserAnstrengun-
genund ob wohl lautTakavarasha die Heu-
schreckenmit Insektiziden „sehr effektiv
bekämpftwerdenkönnen“, istesfraglich,
ob das Problem nochinden Griffzube-
kommenist.„Derzeit gilt unser Kampf be-
reits der zweiten GenerationvonHeu-
schrecken“, soTakavarasha: „Wenn der
nicht erfolgreich ist, haben wir es bald
mit der dritten zu tun.“ Anfang Märzsäen
die Bauernaus, dann beginnt die lange
Regenzeit,welche dieVermehrung der
Tiereerheblichbegünstigt.NachFAO-
Schätzungenkönnte die Dimensionder
Zerstörung dann 500 Malgrößer sein als
derzeit.„Noch is tdas wahreAusmaß der
Krisegarnicht absehbar“,soTakavaras-
ha. Wenn die Bauerneinen Großteil ihrer
nächs tenErnte verlieren sollten,fingen
die Probleme erst an.Um70Millionen
DollarUnterstützung hat dieFAOgebe-
ten. Allerdings istbisher erst ein Bruch-
teil des benötigten Gelds zusammenge-
kommen.
EdwardLentoror hat die Informatio-
nen, die er auf demWeidegrund vonNga-
sipat Alyard und ihrer Sippegesammelt
hat, weiter gegeben. Nunhofft er,dass
sichschnell ein neuer Sprühtrupp auf den
Wegmacht .Eigentlichhatteervor,inder
Nähe ein solchesTeam, das für dieFAO
arbeitet,zutreffen. Dochals er ankam,
warendie Insektenbekämpfer bereitsver-
schwunden. Die Schwärmewarenweiter-
gezogen nachNorth Horr, westlich vom
Turkan asee. „Wir rasen den Insektenim-
mer hinterher“, klagt Lentoror,„wie sol-
len wir diesenKampfnur gewinnen?“
MarkMeadows hattekeine Probleme,
sichinGeduldzuüben. Er wusste, dass
DonaldTrumpnochetwas mit ihmvor-
hatte.Kurz vorWeihnachtengabdas
Mitglied desRepräsentantenhausesbe-
kannt, in seinemWahlkreis inNorthCa-
rolina nicht wieder anzutreten. Er hatte
aus Sicht des Präsidenten guteArbeit
geleistetund solltebald belohntwer-
den. Über Wochen hatteerimPubli-
kumgesessen, als der Geheimdienstaus-
schus sunter demVorsitz Adam Schiffs
die Impeachment-Ermittlungengegen
Trumpführte.Meadows gehörtdem
Ausschuss nicht an. Dennochzählte er
gemeinsam mit Jim Jordan und Devin
Nunes zu den Chefstrategender Vertei-
digung. In Sitzungspausen zog er sich
mit Jordan zu Beratungen zurück, und
zum Tagesabschlusssorgt eerauf „F ox
News “, demvomPräsidenten bevorzug-
tenNachrichtensender,für die mediale
Deutung im Sinne desWeißen Hauses.
Nach seinemFreispruchimFebruar be-
danktesichTrump bei Meadows gerade-
zu überschwänglich.
An seiner Ernennung zum neuen
Stabschef imWeißen Hausverwunder-
te nur derZeitpunkt.Seit Wochen wur-
de mit der Entlassung MickMulvaneys
gerechnet. Am Freitag teilteder Präsi-
dent dann überTwitter diePersonalie
mit.Später äußerte er vorSpendernin
Florida, Meadows werdesein James Ba-
kersein. Baker,der alsAußenminister
internationalen Ruhm erwarb, war
Stabschef sowohl unterRonald Reagan
als auchunter George H. W. Bush –als
solcher setzteeraus Sicht derRepubli-
kaner Standards. Trumpdürftemit
dem Vergleichnochetwas anderesge-
meint haben: Mit derPersonalierichtet
der Präsident dasWeiße Haus auf den
Wahlkampf aus. DerWestflügel dürfte
nun zur Schaltzentrale derTrump-Kam-
pagnewerden. AuchBakerwarein her-
vorragenderWahlkampfstratege.
Dass Mulvaney, den Trumpzum Son-
dergesandten fürNord irland ernannte,
das Weiße Hausverlassen würde, hatte
sichschon im Herbstangedeutet.
Monate diente er als amtierenderStabs-
chef. Trumpübertrug ihm nie offiziell
den Posten, obwohl der bisherigeLeiter
des Haushaltsbüros im Präsidialamt
nicht vomSenat hättebestätigt werden
müssen. Mulvaney, der dritteMann auf
dem Posten nachReince Proebus und
JohnKelly, solltesichnicht zu sicher
fühlen.
ZumBruch kamesimHerbst, als
Mulvaneyineiner Pressekonferenz auf
dem Höhepunkt der Ukraine-Affäre
sagte,Trumphabe sehrwohl dieFreiga-
bederMilitärhilfefürKiewdavonab-
hängiggemacht, dassPräsidentWolo-
dymyr Selenskyj belastendes Material
über Joe Biden, den demokratischen
Präsidentschaftsbewerber,liefere. Das
Motiv Mulvaneys istbis heuteunklar.
Waresein vonTrump genehmigterVer-
such, aufVorwärtsverteidigung zu set-
zen? Oderredete sichder Stabschef ein-
fach in etwa shinein? Die Sache ging je-
denfalls schief.UndPat Cipollone,der
Rechtsberater imWeißen Haus, distan-
zierte sichoffen von
ihm. Mulvaneyver-
sucht esichspäter
damit herauszure-
den, man habe ihn
bewusst falschver-
standen.Trumpver-
zicht etedarauf, sich
sogleichvon ihm zu
trennen –womög-
lich, weil Mulvaney
den Präsidenten
dann erst recht hättebelastenkönnen.
Der 60 JahrealteMeadows geht mit
dem Verzicht auf seinenAbgeordneten-
sitz ein Risikoein, schließlichkönnte
Trumps PräsidentschaftimJanuar
enden. Es handelt sichaber um ein be-
grenztes Risiko, schließlichfallenStabs-
chefsinder Hauptstadt des Lobbyismus
selten ins Nichts. Meadows,als Solda-
tenkind in Frankreich geboren, zog
2013 in denKongress ei n, er zählte zum
libertär-konservativen „Tea Party“-Flü-
gelseinerPartei. Zwischenzeitlichsaß
er dem „Freedom Caucus“vor. Er zähl-
te damit zu dem Zirkel, der John Boeh-
ner,den seinerzeitigen „Sprecher“ des
Repräsentantenhauses,stürzt eund des-
sen Nachfolger Paul Ryan das Leben
schwermachte.
Eine unheimliche Bedrohung: Ein Bauer inKenia beobachtet einen Heuschreckenschwarm. FotoAP
Vieles schien klar,als das Bundesverfas-
sungsgerichtkürzlichüber Suizidhilfe ur-
teilte. Unwillkürlich wurden Empörung
und Begeisterung über das neue „Recht
auf selbstbestimmtesSterben“ laut.We-
sentlicheFragen sind aber auchnach
dem Urteil of fen. Das betrifft etwa des-
sen Verhältniszueiner früheren Ge-
richtsentscheidung,wonachschwerkran-
ke Menschengegenüber demStaat sogar
einen Anspruchauf Suizidbeihilfeha-
ben.Bis heuteverhindertBundesgesund-
heitsministerJensSpahn (CDU)dieUm-
setzung desUrteils –bislang unter Beru-
fung auf das ausstehendeUrteil desVer-
fassungsgerichts.
Dorthatten suizidwilligeMenschen,
Sterbehilfevereine und Ärztegeklagt.
Sie richteten sichgegen dasVerbotge-
schäftsmäßigerSterbehilfe, mit dem
sichder Gesetzgebervorallem gegen
Sterbehilfevereinewandte. EndeFebru-
ar kippte das Gericht dieNorm;das
„Recht auf selbstbestimmtesSterben“
entwickelteder ZweiteSenataus dem
AllgemeinenPersönlichkeitsrecht. Die-
ses Rechtschließedie Freiheit ein, sich
das Leben zu nehmen und Hilfe in An-
spruc hzunehmen, sagteder Präsident
des Verfassungsgerichts, AndreasVoß-
kuhle, bei derVerkü ndung desUrteils.
Darinstellen die Richter klar:„Dieses
Rechtbesteht in jederPhase menschli-
cher Existenz.“
Noch istoffen, welche Konsequenzen
dasUrteilfür Sterbewillige,Vereine, Ärz-
te und die Gesellschafthaben wird. Die
Befürchtungen, die mit einerNormalisie-
rung derSterbehilfeverbunden sind,er-
kennt dagegen auchdas Verfassungs-
gerichtan. Die Richterverpflichten den
Gesetzgeber zwar nicht, Suizidhilfe zu
regulieren–was selbstBefürworter der
Entscheidung erstaunt –, legen ihm ein
neuesGesetz aber zumindestnahe.
Gleichzeitig machen sie deutlich:Bei al-
ler Regulierung müsse der Gesetzgeber
sicherstellen, dassdem Rechtdes Einzel-
nen, sein Leben selbstbestimmt zu been-
den, hinreichendRaum zur Entfaltung
und Umsetzungverbleibe. Der Bundes-
tagsteht damitvoreiner schwerenAuf-
gabe.
Am Freitag sprachsichBundesjustiz-
ministerinChristine Lambrecht (SPD)
dennochdafür aus,eine neueRegulie-
rungder Suizidbeihilfe noch indieserLe-
gislaturperiode zu erlassen. Angesichts
des Urteils, das dem Bundestageine Re-
gulierung ausdrücklicherlaube, seien
die Abgeordne tenjetzt gefordert, sagte
Lambrecht der Zeitung „Rheinische
Post“. Sie sei „davonüberzeugt“,dass
derassistierte Suizidkeine gesellschaftli-
cheNormalitätwerdendürfe,soLam-
brecht.„Alteund pflegebedürftigeMen-
schen haben einRechtauf Pflege,Beglei-
tung undZuwendung.Sie dür fenkeines-
falls das Gefühlhaben, dasssie ab einer
gewissen Pflegebedürftigkeit die Suizid-
hilfeinAnspruchnehmen müssten“, sag-
te die Justizministerin undverwies auf
Passagen desUrteils, in denendie Rich-
teretwaAufklärungs- undWartepflich-
ten, Erlaubnisvorbehalteund Verbote be-
sondersgefahrenträchtiger Formen der
Suizidhilfeinden Raum stellen.
Auch in andererHinsicht herrscht
nach demKarlsruherUrteilzunächstwe-
niger Klarheit, als manchegehofft,sich
zumindestentsprechendgeäußerthat-
ten. Zu ihnen zählt seit 2017 Jens Spahn.
Damals entschied das Bundesverwal-
tungsgericht, dassdas Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte un-
heilbar krankenPatienten einen An-
spruc hauf Medikamente zur schmerzlo-
sen Selbsttötung in Extremfällen nicht
verwehren dürfe.Voraussetzung sei,
dassder Patient aus einer unerträgli-
chen Leidenssituation heraus frei und
ernsthaft entschieden habe, das Leben
zu beenden, und eskeine zumutbare Al-
ternative gebe. Wiefreieine derartige
Entscheidung seinkann,problematisier-
tendie Richter nicht.Sie machten auch
keine genaueren Angaben,wie eine In-
stitution derartig heikle Entscheidungen
tref fenkönnte.
Spahn kritisierte,das Urteil zwinge
den Staat zu tun,wasdas Strafrecht un-
tersage. GesetzlicherAuftragdes Insti-
tutssei zudem, die medizinischeVersor-
gung der Bevölkerung sicherzustellen,
nicht aber Suizidbeihilfezuleisten. Per
Nichtanwendungserlasswies er das Bun-
desin stitut an, der Entscheidung nicht
Folgezuleisten. Mehr als 100 Anträge
wurdenseitdem abgelehnt .Oppositions-
po liti kerwerfenSpahnvor, höchstrich-
terliche Rechtsprechung zu ignorieren;
er argumentierte stets, „ausRespektvor
dem Bundesverfassungsgericht“ zu han-
deln, dessen Entscheidung er abwarten
wolle.Der Einwand, dortwerde eine an-
dereKonstellation verhandelt, ließ
Spahnnicht gelten. Nunberuf tsichdie
Bundesregierung eben darauf. „DieAus-
legung des Betäubungsmittelrechts und
insbesonderedie Frage, ob das Bundes-
institutfür Arzneimittel undMedizinpro-
dukteden Er werb einestödlich wirken-
den Betäubungsmittels zum Zweckder
Selbsttötung erlauben muss,warnicht
Gegenstand desVerfahrens“,heißt es in
der Antwortauf eineschriftliche Frage
der FDP-BundestagsabgeordnetenKa-
trinHelling-Plahr,überdiezuerstder
„Tagesspiegel“ berichtet hat.
Wieder Antwortzuentnehmenist,
setzt die Bundesregierung inzwischen
auf eineandereEntscheidung desVer-
fassungsgerichts. Dortist eine Vorla ge-
frag edes VerwaltungsgerichtsKöln an-
hängig,das mehrereKlagen schwerkran-
kerMenschengegendas Institut für Arz-
neimittelverhandelt. DieKölner Richter
wollenvom Verfassungsgericht wissen,
ob das Betäubungsmittelgesetz im Hin-
blickauf Suizide mit dem Grundgesetz
vereinbar ist. Nach der Entscheidung
vonEnde Februardürfteaus SichtKarls-
ruhes einiges dagegen sprechen.
Die Heuschreckenfressen alles kahl
Ein folgenreiches
Urteil
Der Bundestagsteht bei derRegelung derSterbehilfe
voreiner schwerenAufgabe / VonMarlene Grunert
Trumps Lohn für Meadows
Neuer Stabschef / VonMajid Sattar,Washington
MarkMeadows
Ostafrik awirdvon der
schlimmsten
Insektenplage seit
siebzi gJahren
heimgesucht. Füreinen
wirksamenSchut zfehlt
nichtnur das Geld.
VonThilo Thielke,
Marsabit
Mitder digitalenF.A.Z.
habenSie alle Seiten im Blick.
Vonüberall.
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Heuschreckenplage
Ausbreitungbiszum 5.3.
Heuschreckengruppe
SOMALIA
JEMEN
SAUDI-ARABIENSAUDI-ARABIEN
Nairobi
Mogadischu
Winter 2Winter 2019/20019/
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2019
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2019
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Quelle:FAO/
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