Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13.03.2020

(avery) #1

SEITE 10·FREITAG,13. MÄRZ2020·NR.62 Neue Sachbücher FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


N


ach1989/90konnte manden Ein-
druckhaben,Aufstiegund Fall
vonDiktat ore nseiennur noch
vonhistorischemInteresse. Dasgalt ni cht
nurfür denzusammenbrechendenOst-
bloc k, sondernauchimHinbli ck aufdie
„DritteWelt“,wo Westen wieOsten vor-
malseine ansehnlicheZahlvon Diktato-
renals Garanten fürgeopolitischen Ein-
flussunterstützt hatten. Mitdem Endedes
Ost- West-Konfliktsverschwandendie
meis tenvon ihnensang -und klanglos von
derpolitischenBühne:Auf sich alleinge-
stellt,hattensie sichnicht an der Macht
haltenkönnen.
Dassdie Geschichteder Diktatorenund
ihrer Herrschaftspraktikenwieder zum
Themageworden ist, hat nicht zuletztmit
demAufstieg autokratischerPolitiker in al-
ler Welt zu tun undder naheliegendenFra-
ge,obwir fü rden Umgang mit ihnen aus
der Geschichtelerne nkönnen.Auch wenn
Frank Diköttersichausnahmslos mit Dikta-
torenbeschäftigt, die längst totsind –sei
es vonihren Gegnernexekutiert, durch
Selbstmordgeendetodereines natürlichen
Todesgestorben –, so istsein Interesse an
ihnen, wie dasNachwort zeigt,dochdurch
die Gegenwartbestimmt, wo vonKim
Jong-un undBaschar al Assad,von Erdo-
ganund Xi Jinpingdie Rede ist, und die As-
soziation zuweiteren istnaheliegend.Der
Titelder deutschen Ausgabe such tdiese
Assoziationenzubefeuern,indem er den
im Originalfehlenden Begriff desPopulis-
mushinzufügt: Wasvergangen schien,ist


wieder gegenwärtig .Die Einmannherr-
scha ft istzurückgekehrt, und in denlibera-
lenDemokratien mussman sichdarüber
Gedankenmachen,wie man mit diesen
Männern–eshandeltsichnur u mMänner
–umgehenwill.
Nunsind Diktatoreneinandernicht
gleich,und ein allgemeinesStrukturmus-
terihres Aufstiegs undFallslässt sich
kaum entwickeln. Es gabimzwanzigsten
Jahrhundertfaschistische Diktatoren,
die daran scheiterten,dasssie dievonih-
nenbegonnenen Kriegeverloren; esgab
kommunistische Diktatoren, die sich
gänzlichanderen Risikenbei derAuf-
rechterhaltung ihrer Herrschaftausge-
setzt sahen;und esgabDiktatoren, deren
Aufstieg mit dem Endeder europäischen
Kolonialherrschaftbegann und die ihre
Machtauf ethnische Loyalitätenund fa-
milialeBindungenstützten. Wasist ih-
nengemeinsam?Waslässt sichaus der
Beschäftigung mitihren „Karrieren“ für
die Gegenwartlernen? Vielhängthier
an der Auswahlder zu beschreibenden
Diktatoren,und zwar umso mehr,wenn
man sichihnen überdieBiogr aphie und
nicht überden strukturiertenVergleich
ihresAufstiegs und ihrer Behauptungan
derMacht nähert.
Dikötterhat acht Diktatoren ausge-
wählt:Mussolini und Hitler alsVertreter
desfaschistischenTyps,Stalin,Mao Tse-
tung, Kim Il-sung und Ceauşescu für den
kommunistischenTypsowie François Du-
valier (Papa Doc) aus Haiti und Mengistu
ausÄthiopien alsVertreterdes Diktato-
renmodells der DrittenWelt.Über die
fürdieseWahl maßgeblichenKriterien
äußertersichnicht ;sie dürften vonder
Vorstellungangeleitet sein, nachMög-
lich keit alleRegionen in denBlick zu be-
kommen.Dennoch dominiertEuropa,
während Lateinamerika, Afrikaund Süd-
ostasienunterrepräsentiertsind. Faschis-
tische Diktatoren, die „im Bett“gestor-
ben sind, wieFrancound Salazar, kom-
mennichtvor, und die jeweiligenRah-

menbedingungen, die der Entstehung ei-
ner Diktatur entgegenkamen,werden
nur amRande gestreift. Insgesamt inter-
essiertsichDiköttermehr fürdie Zeit
des Aufstiegs als die des Niedergangs in
den Karrieren. Im Prinziphandelt es sich
um acht nebeneinandergestellteBiogra-
phien, bei denen derPersonenkultim
Zentrumsteht. Wiehabensich Diktato-
renbei den Massen populärgemacht,
und aufwelche Medien habensie dabei
gesetzt?
Es fällt auf,dassdie meistendem Medi-
um Bucheine große Bedeutung beimaßen,
wenngleichauch derRundfunkals Massen-
medium einegroße Rolle spielte. Dennoch
hat man bei der LektürevonDikötters
Buchden Eindruck, dassder Rundfunk
(dasFernsehen spielt nochkeineRolle)
nur der Platzhalterdes persönlichenAuf-
tritts ist,weil der Betreffende nichtüberall
seinkann. Beide, das Buch, in dem die
Grundzügeeiner mit demDiktatorverbun-
denen Ideologie präsentiertwerden, und
der sorgfältig inszenierte Auftritt vorju-
belnden Massen, legen freilich nahe,dass
wir es hiermit den Diktatoren einer media-
len Vergangenheit zu tun haben.Außer-
dem hat dieStilisierungStalinszum „größ-
tenWissenschaftler“ deszwanzigstenJahr-
hunderts sowie Maos kleines „Rotes Buch“
für die Perpetuierung ihrer Herrschaft
einewesentlichandereBedeutunggehabt
als etwa Hitlers„MeinKampf“; und die
„Werke“ des großenConducators
Ceauşescu haben eher skurrilen Charak-
ter, für seinen langen Verbleib an der
Macht sind sie eher marginal.
Auch sonstfallen eineReihe vonUnter-
schieden auf:Mussolini und Hitler schlu-
gendie Massen mit ihrenRedeninBann.
Das mag auch nochfür Leningelten, nicht
jedochfür Stalin, derdie großenParaden
schweigend abnahm, undauchMao Tse-
tungbeherrschte China mehr durch Direk-
tivenals durch persönlicheAuftritte.Cha-
rismatischeHerrschaft, die häufigmit dik-
tato rischer Machtverbundenwird, kann

sehr unterschiedli cheGrundlagen haben:
Gründetesie sich bei Mussoliniund Hitler
aufrhetorische Präsenz, sowarsie bei Du-
valier mit derVorstellungverbunden, er
verfügeübermagischeFähigkeiten und
könneseine Gegnerverh exen.Bei Stalin
und Mao lässt sich so etwaswie dieMagie
öffentlicherAbsen zbeobachten, während
KimIl-sungNordkorea bereitszuLebzei-
tenmit Statuen zupflastern ließ, um den
Eindruck vonOmnipräsenz zu erzeugen.
Dasalles kann manbeiDikötternachle-
sen; über dieBedeutungdessenfür den
Typdiktatorische rHerrschafthat er sichje-
doch ebensowenig Gedankengemacht
wie darüber, ob dieseUnterschiedenun in
derPersondes j eweiligenDiktators oder in
derKultur seinesLandesbegründetsind.
Eines zumindestist allen behandelten
Figurengemeinsam: dasgrenzenlose Miss-
trauen, mit dem sie ihrerUmgebung be-
gegnen, und die Neigung,niemandem
über längereZeit einenfesten Platz in ih-
rerengerenUmgebung zuzugestehen.Ty-
rannen,so bereits derTenor vonXeno-
phons Dialog „Hieron“, einemText des
viertenvorchristlichen Jahrhunderts, ha-
ben keine Freunde und führen deswegen
letztlichein erbärmliches Leben. Diese an-
tikeEinsicht lässt sichanden vonDikötter
dargestellten Diktatoren bestätigen.
Prunk undPomp,mit dem sie sichumge-
ben, sind ebenso wie dievoneinigen zur
SchaugestellteBescheidenheit Bestand-
teil desPersonenkults, aberkaum eine Be-
friedigung persönlicher Präferenzen. Es
istnicht sonderlichattraktiv,Diktator
oderTyrannzuwerden, lautet denn auch
DiköttersResümee. HERFRIED MÜNKLER

Vertrauen istein komplexes, in sichwi-
dersprüchliches Phänomen, eine auf die
Zukunftbezogene Mischung ausWis-
sen und Nichtwissen. In einer Definiti-
on vonGeorgSimmel, die auchinden
beiden vorliegenden Werken zitiert
wird, isteseine Hypothese überkünfti-
gesVerhalten, „die sichergenug ist, um
praktisches Handeln darauf zu grün-
den“, aber zugleichriskant bleibt,weil
Vertrauen auchenttäuscht werden
kann. NiklasLuhmann hat einen Auf-
satz überVertrauen als „Mechanismus
zur Reduktion sozialerKomplexität“ver-
öffentlicht, der gleichamAnfang mit
dem berühmten Satz aufwartet, ohne
jeglichesVertrauenkönne der Mensch
morgens sein Bett nichtverlassen. Einig-
keit besteht darin, dassVertrauenzu-
nächstauf der Einschätzung beruht, ein
anderer Menschsei „vertrauenswür-
dig“. Das lässt sichvergleichsweise gut
auf Kleingruppen wie dieFamilie oder
den Bekanntenkreis ausdehnen.Aber
wie lässt sichVertrauengesellschaftlich
generalisieren oder sogargegenüber Or-
ganisationen und Institutionen fassen,
zu denen es,wenn überhaupt, nurver-
mittelte persönliche Beziehungen gibt,
nicht zuletzt zum politischen System?
Dasistdie„Vertrauensfrage“,dieJut-
ta Allmendinger,seit 2007 Präsidentin
des Wissenschaftszentrums Berlin für
Sozialforschung (WZB), und ihr Mitar-
beiter JanWetzel stellen. IhreAusgangs-
these ist, dassVertrauen eine Bezie-
hung sei, diegemeinsames Handeln erst
möglichmache. Genauergesagt:Men-
schen schenken anderen MenschenVer-
trauen, „weil sie davonausgehen, dass
diese wie siedenkenund sichwie sie ver-
halten“. Das isteine fürkomplexstruk-
turierte Gesellschaftenvoraussetzungs-
volle Annahme. Die empirische Grund-
lage, auf der Allmendinger undWetzel
ihreStudie aufsetzen–zweibreit ange-
legteUmfragen –, führtdies vorAugen.
Zwar diagnostizieren die Autoren, es
gebe keine generelle„Vertrauenskrise“.
Aber die Bereitschaft, anderen zuver-
trauen,also auchmit ihnen zukooperie-
ren, werdebehindertdurch die Spaltung
der Gesellschaftinverschiedene Mi-
lieus oder Schichten.Unterihnen istdie
Vertrauensbereitschaftunterschiedlich
ausgeprägt.Esgebe sie bei den Ärme-
renweniger als bei den Bessergestell-
ten, sie sei bei den „Bildungsarmen“ge-
ringer als bei den „Bildungsreichen“.Bil-
dung istfür die Autorender wichtigste
Schlüssel: „Bildung zustärkenheißt,
Vertrauen zu schaffen.“ DassVertrauen
am ehesten innerhalbethnischoder sozi-
al homogener Milieus herrscht, verwun-
dert wenig –das sagt schon das leicht an-
rüchigealteSprichwort„Gleichund
Gleichgesellt sichgern.“
Vieles,wasdie Autoren herausgefun-
den haben, bestätigt die bekannteUnter-
scheidungzwischen den „liberalenkos-
mopolitischen Eliten“ und den berühm-
ten„Abgehängten“.Umso erstaunlicher
istesangesichts dieser Spaltung, dass
achtzig Prozent der Befragten, quer
durch alle Schichten, der Meinung sind,
dassdiejenigen, die sichmehr anstren-
gen, auchmehr verdienen sollten. Das
passt nicht sorecht in das Schema der
Autorenund wirdinseiner Bedeutung
auchnicht wirklichentfaltet,sondern
als eine ArtkontrafaktischeWahrneh-
mung derWirklichkeit eingeordnet.
Damit istein dezidiertpolitischer
Tonangeschlagen, der imVerlauf des
Buches zu einemgroßen Akkordan-
schwillt. Schon in der Einleitung nen-
nen die Autoren den „sozialdemokrati-
schen Wohlfahrtsstaat“ skandinavi-
scher Prägung als ihr präferiertes Mo-
dell. Die„Vertrauensfrage“ sehen sie
vorallem als eine„Verteilungsfrage“.
Sie definierenVertrauen als soziale Be-
ziehung, die ihrerseitsvonden vorherr-
schenden sozialen Bedingungen be-
stimmt sei.Wo es anVertrauen man-
gelt, kommt es demnachdarauf an,Ver-
hältnisse zu schaffen, in denen die Men-
schen annehmenkönnen, dassdie ande-
renwie sie selbstdenken und sichauch
so verhalten. Das nennen sie eine „Poli-
tik desVertrauens“.
Vondiesem Punkt aus entfalten sie
ein politisches Programm, dasweitge-
hend mit sozialdemokratischenReform-
ideen identischist:von einer Bildungs-
politik der Chancengleichheit bis zum
Ausbau des öffentlichenNahver kehrs,
vonder sozialen Durchmischungvon
Städten alsAufgabe desWohnungsbaus
bis zum bedingungslosenGrundeinkom-
men,vonder einheitlichen Krankenver-
sicherung bis zur Ausweitung der Erb-
schafts- undVermögensteuer.
Man fragt sich,warumdie SPD, die
viele derForderungenvertritt,die in die-
sem Buchaufgestellt werden, seit Jah-
renanZustimmung, also doch offen-
sichtlichauchanVertrauen,verliert.
Nurwegen „einer desolaten Politikmini-
maler Interventionen, dieweder ein kla-
resZiel haben nochden Wegdahin aus-
leuchten“, wie die Autoren meinen? Da
liegt eine drastische Überschätzung
staatlicher Eingriffsmöglichkeitenvor.
Nicht nur mussdemokratischePolitik
parlamentarische Mehrheiten für ihre
Eingriffeorganisieren, ihr sind auchver-
fassungsrechtlicheund finanzielle Gren-
zen gezogen.
Untermethodischen Gesichtspunk-
tenlässt sichmonieren, dassdie Auto-
ren denVertrauensbegriffüberdehnen.
Nicht aller sozialeZusammenhalt be-
ruht aufVertrauen,es gibt auchandere
Stabilisatoren, wie die „Legitimation

durch Verfahren“, die Luhmann vor
JahrzehnteninsFeldgeführthat.Sie
bleibt, trotzmancher Protestbewegung,
immer nochein Ankerrech tsstaatlicher
Politik.Ebenso zählen die Effizienz und
Verlässli chkeit staatlicher Dienstleistun-
gendazu. Sind das wirklichalles nurUn-
terkapitel der„Vertrauensfrage“?
Werdaran zweifelt,kann sichvon
dem Buch des inLuzernlehrenden Phi-
losophen Martin Hartmann bestätigt
fühlen. Erwehrtsichgegen die „inflatio-
näreVerwendung des Vertrauensbe-
griffs“und dieRedeweise voneiner gro-
ßen, die Gesellschaftgefährdenden„Ver-
trauenskrise“: „Diesekann es schon des-
halbnicht geben,weil es nicht eineeinzi-
ge Kraf tgibt, die Gesellschaften zusam-
menhält.“ Sein als eine Artsokratisches
Selbstgesprächaufgezogenes Buchver-
sucht zunächsteinmal zu klären,was
Vertrauen istund wie es entsteht, voral-
lem aber auch,wasmit diesem Begriff
nicht zu fassen ist. Hartmann schlägt ei-
nen Vertrauensbegriff vor, der bewuss-
terverwendetwird, um besser zuverste-
hen,wasereigentlichbedeutet.
Der Autor setzt an derWurzel an, am
personalenVertrauen. Umfragedaten
misstraut er im Gegensatz zu Allmendin-
gerund Wetzel grundsätzlich,weil sie
Einstellungen abfragten und damit den
eigentlichen Ortverfehlten, an demver-
trauensvolles Handeln entstehe: das
sind nämlichlebenspraktischeKontex-
te,wie sie Hartmann beispielhaftunter
dem Rubrum „Liebe, Freundschaft,
Nähe“ thematisiert. In diesen Zusam-
menhanggehörtauchdie schwierige

FragenachWahrhaftigkeit, oder umge-
kehrt: welche AuswirkungenLügenauf
die Vertrauensbereitschafthaben. Hart-
mann zeigt auch, dassdie Forderung
nach„mehrTransparenz“ ambivalent,
jedenfallskein Allheilmittelzur Schaf-
fungvonVertrauen ist.
Das Buchbesteht zugroßenTeilen
aus der Analysepraktischer Situatio-
nen, aus Beispielen und Lebenserfah-
rungen. Immer wieder fragt Hartmann,
wo es berechtigt sei,vonVertrauen zu
sprechen, undwann es eigentlich um et-
wasanderesgeht, für das man besser
ein anderesWort benutzen sollte. Dazu
gehörtetwa„Verlässlichkeit“, die er in
einer längerenKasuistikvomVertrauen
abgrenzt.Vertrauen wir im eigentlichen
Sinn dem Beamten, der uns als Büro-
krat entgegentritt, oder dem Lebensmit-
telhändler,bei dem wir einkaufen?
Oder „verlassen“ wir uns inWirklich-
keit nur auf deren Korrektheit, die
durchaus vonEigeninteressen bestimmt
seinkann? Zu den Differenzierungen,
die bei Allmendinger undWetzel keine
Rolle spielen, gehörtbei Hartmann,
dasses„falschesVertrauen“ gibt,wenn
nämlich„Vertraue ninVertrauen“indie
Irre führe, weshalb Misstrauen ange-
bracht und notwendig seinkann. Das
wirdauchanBeispielen aus dem „Nah-
bereich“ der Menschen durchexerziert,
also dort,wo persönliches Vertrauen
vorherrschtund damit eingrundlegen-
des Weltvertrauenstifte t.
PolitischeFragen, die sichaus seinen
Beispielen ergeben, erörtertHartmann
vor- und umsichtig in einem Schlusska-
pitel. Er erinnertdaran, dassDemokra-
tie nicht nur auf Vertrauen,sondern
auchauf institutionalisiertem Misstrau-
en beruht.Inanderen Schlussfolgerun-
genstimmt er dagegen durchaus mit All-
mendinger undWetzelüberein:Erbefür-
wortet mehr Bürgerbeteiligung an politi-
schen Entscheidungen und ist, zumin-
destprinzipiell, für die Einführungvon
Elementen direkter Demokratie.
Sein abschließendesResümeekönnte
allerdings ernüchternder nicht sein,
denn es führtvon den „sozialen Bedin-
gungen“ wieder zurückauf die persona-
le Wurzel allenVertrauens:„Vertrauen
istnicht machbar oder beliebig herstell-
bar,nur schlechte Management-Ratge-
ber suggerieren das. Deswegen bleibt
der Politikvorerstnichtsweiter übrig,
als mitglaubwürdigem undkompeten-
temPersonal umVertrauen zuwerben.“
Beide Bücher reizen,gerade weil sie
sichergänzen und unterscheiden, zum
Widerspruch. Allmendinger undWetzel
machen denVertrauensbegriff zur sozi-
alpolitischen Universalschablone, bei
Hartmann wirdermanchmal einwenig
sophistischdurch Worteersetzt, mit de-
nen im Grunde nichts anderes inten-
diertist.Obder im Hintergrund beider
Bücher präsenten Herausforderung des
Rechtspopulismus mit einer „Politik des
Vertrauens“ oder mit einer begriffli-
chen Schärfung desVertrauensbegriffs
beizukommen ist, bleibt eine andereFra-
ge. GÜNTHER NONNENMACHER

Martin Hartmann:
„Vertrauen“.
Die unsichtbare Macht.
S. FischerVerlag,
FrankfurtamMain 2020.
302 S.,geb., 22,– €.

Daniel Cohn-Bendit hat einen bewegten
Lebenslauf hinter sich: dieVerfolgungs-
undVertreibungsgeschichteder deutsch-
französisch-jüdischenFamilie; seineRol-
le bei den Ereignissenvon1968 inNan-
terreund Paris, die „DanyleRouge“ zu ei-
ner historischen Figur machten; sein
FrankfurterBeitrag zurUmformatierung
der „Grünen“voneiner heterogenen Pro-
testbewegung zu einer nationalenRegie-
rungspartei; die bahnbrechende Dezer-
nententätigkeit für multikulturelle Ange-
legenheiten in derFrankfurterStadtregie-
rung; dieZeit im EU-Parlament;schließ-
licheine beachtlicheWirkung als Journa-
listund Dokumentarfilmer.Diesen Le-
benslaufunter dem Aspekt seiner lebens-
langen Fußballpassion als Schlachten-
bummler und Amateur zu schildern,war
eine vielversprechende Idee.
DochinStil und narrativerFinesse un-
terscheiden sichCohn-BenditsFußballer-
innerungenkaum vonweniger originell


konzipiertenPolitikermemoiren. „In den
Überlandbussen, den sogenanntenleitos,
sind wirvonNorden nachSüdengereist,
TausendevonKilometern über oftmals
arglädierte Straßen, wiraßen in den merk-
würdigsten Tankstellenrestaurants bau-
rus,brasilianische Sandwiches, und mach-
tendabei viele überraschende Bekannt-
schaften. Mit einem Wort:Wir haben
Land und Leutekennengelernt.“ Diese
Sätze aus demKapitel über dieFußballna-
tion Brasilien–ein Land, das den Autor,
wie er schreibt,verführthat –sind charak-
teristischfür die eigentümliche Leblosig-
keit der Prosa, die im französischen Origi-
nal nicht inspirierter seinkann. Inwiefern
warenjene Tankstellenrestaurants merk-
würdig?Womit haben ihn seineReisebe-
kanntschaftenüberrascht?Waswar denn
so verführerischanBrasilien?Wirerfah-
renesnicht.Unddie resümierende Wen-
dung „Land und Leutekennenlernen“ ist
vonkongenialer Phantasielosigkeit.

Am Thema liegt es nicht.Über Fußball
kann man auf eineWeise schreiben, dass
auchLaien einenBegriff vondessen Ele-
ganz, Faszination undstrategischer Intel-
lektualität bekommen. Dochdavonist bei
Cohn-Benditwenig zu spüren.Wersich
deshalb in die hintere n, ehergesells chafts-
politischund sporthistorischorientierten
Kapitelvorkämpft, wirdaber einigerma-
ßen entschädigt durch interessanteund
zumTeil auchoriginelle Analysen von
Wechselwirkungen zwischengesellschaft-
lichen Entwicklungen und demFußball-
sport. Der ehemaligeDezernent für multi-
kulturelle Angelegenheiten schreibt hier
anekdoten- undkenntnisreichüber die
spielkulturellen Impulse durch National-
spieler mit Migrationshintergrund, über
Nationalismus undFußballund über sei-
ne Begeisterung für denFrauenfußball.
Undauchder langjährigeEU-Parla-
mentarier hat Dingezusagen, die man
nicht schon zehnmalgelesen hat, zum

Beispiel über„Das Giftdes Geldes“(wie
das Kapitelüber die Kommerzialisierung
des Spiels heißt)und die politischenVer-
strickungen desSports. So retten die
sportpolitischenEinblicke, die Anekdo-
tenüber Begegnungenmit Spielern,Poli-
tikernund Funktionären und nicht zu-
letzt Cohn-Bendits aufjederSeitespürba-
re Begeisterung für den Fußball ein
Buch, dessenpolitischePassagen lesba-
rerund an Einsichtenreicher sind als sei-
ne sportjournalistisch-memoirenhaften
Abschnitte. STEPHANWACKWITZ

Frank Dikötte r: „Diktator
werden“. Populismus,
Personenkult und
die Wege z ur Macht.
Ausdem Englischenvon
Henning Dedekind und
HeikeSchlatterer.
Klett-CottaVerlag,Stuttgart


  1. 366 S.,geb., 26,– €.


Jutta Allmendinger
und JanWetzel:
„DieVertrauensfrage“.
Für einePolitik des
Zusammenhalts.
Dudenverlag, Berlin 2020.
128 S.,geb., 16,– €.

Daniel Cohn-Bendit:
„Unter denStollen der
Strand“. Fußball undPolitik
–mein Leben.
Kiepenheuer&Witsch
Verlag, Köln 2020.
272 S.,geb., 22,– €.

AusgroßerGegenwartindie strahlende Zukunft:Nordkoreanisches Propagandaplakat au sder Zeit derHerrschaftKim Il-sungs Foto F1online


Ein Mann, ein Buch, ein Volk


Mit Steilpässen öffne tman dieRäume


Daniel Cohn-Bendit nimmt für seineAutobiographie diePassion fürFußball zum Leitfaden


Wieman Personenkult


inszeniert: Frank


Dikötterschreibt Porträts


vonDiktatoren des


vorigenJahrhunderts.


Worauf wiru ns verlassen


Transparenz hilftnicht immer:ZweiBücher über


die politisch-gesellschaftlicheRolle desVertrauens

Free download pdf