SEITE 10·MONTAG,24. FEBRUAR2020·NR.46 Kinder-und Jugendbücher FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Als dasAquarium in Scherben auf dem
Boden liegt,weiß die zwölfjährigeVon-
kie, dassesschlimm um ihreFamilie
steht.Die Sekunden unmittelbar davor
hat sie nicht mitbekommen, erst den
Knall, aberwassie sieht, als sie darauf-
hin dieKüchebetritt, reicht aus für eine
Rekonstruktion: Die Mutterhält die Brat-
pfanne nochinder Hand, dieFische lie-
genjapsendauf dem Boden, derVater,
sonstoffenbar eher ungerührtund
stumm, sieht aus, alswolle er gleichan-
fangen zu schreien.
Dasserestrotzdem nicht tut, istviel-
leichtTeil des Problems, und dassersich
in dieser Situation ausschließlichmit sei-
nen geliebtenFischen beschäftigt, macht
es nicht besser.„Undich?“, fragt seine
Frau. Dannstürmt sie aus derKüche, um
wenig späterVonkie ins Autozupacken
und zu ihremVaterzufahren,wo das
Mädchen eineWochebleiben soll. Die
Elter nsollen sichaussprechen, sowe-
nigstens will esVonkies Mutter.Der Ro-
man „DasAbrakadabrader Fische“, der
mit dieser Szene einsetzt, schildertaus
Vonkies Sicht denVerlauf dieserWoche.
Dass es einExperiment mitoffenemAus-
gang ist, wissen die Elternsogut wie ihr
Kind.
Simonvander Geest,geboren 1978,
gehörtinseiner niederländischen Hei-
mat zu den bekanntestenAutoren der
Kinder-und Jugendliteratur.Sein Ro-
man „Krasshüpfer“ (F.A.Z. vom12.
März2016) schildertden plötzlichen
Zwistzweier Brüder,die sic hbis dahin
sehr gutverstanden hatten, und einwe-
sentlicher,wenn auchaus großer zeitli-
cher Distanz berichteterKonflikt invan
der GeestsRoman „Das Abrakadabra
der Fische“ istähnlichgelagert.Vonkie
empfindetdie Fahrtzum Großvater und
dem Bauernhof inFamilienbesitz wie
eine Zeitreise –die erfreulicherweise
dem BuchimVorsatz beigegebeneKarte
zeigt ein Gelände mit einigenKanälen
und anderenWasserläufen, dazuWie-
sen, eine Mühle und ein Dorf–,kann
aber nochnicht ahnen, dassdies nicht
nur eine Metapher für die friedliche, tra-
ditionelle Ländlichkeit ist, sondernganz
buchstäblichzutrif ft.Das neugierige
Mädchen nimmt das,wassie sieht,zum
Anlass, den Großvater nachder Vergan-
genheit zu fragen, angefangen mit der in
dieser Generation nochgroßen Familie
aus Elternund sieben Brüdern.
Die Antworten des Großvaters, die
meistviel länger ausfallen als erwartet,
bilden denKern dieses Buchs und sind
mit der Gegenwart nicht zuletzt durch
Vonkies Ermittlungen verbunden, die
das Mädchen immer dann anstellt, wenn
die insgesamt zehn Geschichten aus der
Kindheit und Jugend des Großvatersall-
zu deutlichunter vielen Details dasWe-
sentlicheverbergen. „Du mit deinenFra-
gen“, seufzt der Großvater,wenn Vonkie
jener einen Geschichtezunahe kommt,
die er nicht erzählen will:Wieesdazu
kam, dassersichmit seinemgeliebten äl-
terenBruder „Beule“ sotödlichzerstrit-
tenhat, dasssie nun seit knapp fünfzig
Jahrenkeinen Kontakt mehr haben.
Es geht um Annäherungen in diesem
Buch, um die erhoffteneuerliche zwi-
schenVonkies Eltern, die unterwegs zer-
störte zwischen den Brüdernund die
langsam wachsende zwischen Vonkie
und ihrem Großvater.Das Mädchen ist
in derKammer untermDachunter ge-
bracht, in der früher der Großvater
schlief, zusammenmit Gisbert,genannt
Beule–alle sieben Brüder hatten Spitz-
namen, er selbst, Leo, wurde „Eisen“ge-
nannt,wassichals wahr und unheilver-
heißendentpuppte. Sie erfährtvon Strei-
chen undAbenteuern, in denen Eisen
und Beule als scheinbar unzertrennli-
ches Paar fungieren, in dem der ältere
Bruder den jüngeren aus jeder Gefahr
heraushaut.Vor allem abergeht es um
eine scheinbar einfache, tatsächlichaber
problematischeFamilienstruktur,inder
die oftwie ab wesende Mutter eine ent-
scheidendeRolle einnimmt. AlsVonkie
einmal die Erzählungen des Großvaters
kommentiert, dieseFrau, ihreUrgroß-
mutter,hättesichwirklic hnicht sehr zu-
gewandt verhalten, brummt er nur,seine
Mutter sei jetzt seit 24 Jahren tot. Dass
ihm diePerspektivedes Kindes trotzdem
zu denken gibt,kann man annehmen.
Die Wochejedenfalls entpupptsich
als äußerst kurzweilig, auchfür den Le-
ser.Nicht nurwegender vielen Geschich-
tendes Großvaters, dievomSchlittschuh-
laufen auf zugefrorenenKanälen,von
Wildvogeleiersuche,Abenteuerninder
verrufenen Mühle in derNachbarschaft
oder sogar einem allerersten Kuss han-
deln. Sondernauchwegen derAbenteu-
er,die in der Gegenwart auf Vonkie und
ihren Großcousin, den Sohn des jetzigen
Bauern,warten. Beide lassen nicht lo-
cker in ihrenVersuchen, das Geheimnis
zu lüften, das Beule und Eisen umgibt,
und es istdiese Erfahrung, dieVonkie
schließlichauchgegenüber ihren Eltern
die Stärkegibt, deren Entscheidung über
Zusammenleben oderTrennung hinzu-
nehmen.
Hier liegtvermutlichdas größteVer-
diensteines verdienstvollenRomans, der
in all seiner Spannung, seinemTiefgang
und seinen immer wieder neu dargestell-
tenKommunikationsproblemen auch
ausgesprochenkomische Szenen enthält
(etw aden Kampfeines wütenden
Schwans mit einem Handy,das Raubvo-
gelschreie ausstößt): Waszwischen Men-
schen passiert, istkein Schicksal, so
könnteman das deuten, undweresnicht
hinnehmen will, dassBrüder,die einmal
füreinander durch dickund dünngegan-
gensind, nun ein halbes Jahrhundert
lang kein Wort miteinanderwechseln,
der solltewenigstens versuchen, die
Str eithähne an einen Tischzubringen.
DerAutor jedenfalls dürfte hie rganz
auf Vonkies Linieliegen.Undsowie er
selbs tein kunstvollesNetz vonVerwei-
sen über sein Buchlegt,ein Netz, das
hartnäckigdie Zeitläuf te und die Prot-
agonisten miteinanderinBezugsetzt,
so gibtesauchfür die knurrigsten Mit-
gliedervonVonkiesFamiliekein Ent-
kommendaraus.Auch das lässt auf eine
gemeinsame Zukunftfür dieElte rn hof-
fen. TILMAN SPRECKELSEN
D
as Wörtchen „nett“ wirdvon
Erwachsenenfast nie mitRe-
spekt im Mundegeführt. Un-
terden deutschenAdjektiven
gehörtesindie Top-Auswahl der Dimi-
nutiv-Talente: Es wirkt mickrig, schüch-
tern und etwa sverloren.Wäre es leben-
dig, man müssteeszwischendurch tät-
scheln, damit es sein Selbstbewusstsein
nicht komplett einbüßt.
Vorneun Jahren istein Bucherschie-
nen, das schon imTitelmit allem,was
nett ist,kurzen Prozessmacht:„Nett ist
die kleine Schwestervon Scheiße“.The-
ma: „Danebenbenehmen und trotzdem
gut ankommen“. Dabeiweiß jeder,dass
sichinteressanteDanebenbenehmer
schnell in ätzendeNervensägenverwan-
deln.Auchunterromantischen Bedin-
gungen istesmit derNettigkeit so eine
Sache,wasFragenwie diese belegen:
„Flirteter, oder istereinfac hnur nett?“
Es macht einengroßenUnterschied,
ob man das „nur“stehen- oderweglässt.
„Einfachnur nett“ klingtnachLangewei-
le, „einfachnett“ nachAnerkennung.Zu
Recht, denn sicheinfac hnettzuverhal-
tenbereit et vielen Leuten enorme
Schwierigkeiten (sieheStraßenverkehr,
Online-Foren, verkaufsoffener Sonn-
tag). Insofernträgt Alison Greens Buch
den richtigen Titel, handelt es sichdoch
um einen längstfälligenRatgeber für
eine unterschätzteHaltung. Daran erin-
nertder Illustrator und AutorAxel
Schef fler imVorwort, wenn er schreibt,
wir sollten uns „klarmachen, dassschon
kleine Dingeetwas verändernkönnen“.
Die Heldensind auf jeder Seiteande-
re:Affen undVögel, Hunde und Eich-
hörnchen.Aber auchMenschen–jene,
die gemalt wurden, und jene, diegemalt
haben.Achtunddreißig namhafte Illus-
tratoren sind angetreten, um mal ingro-
ber Schraffur,mal mitfein geschwunge-
nem Strich zu zeigen, wie eine alltägli-
cheLebenskunstder Selbstbescheidung
und Rücksichtnahme aussehenkönnte.
Eine der wichtigstenTugenden istes,
anderen zuzuhören. Bei Chris Haughton
leihen ausgerechnetzweiLöwen einer
weinenden Antilope ihr Ohr.Das Ar ran-
gementunddieFarbpalettesindaufdas
Nötigste reduziert, ein Hintergrund
fehlt.Seht her,will uns diese Ästhetik sa-
gen, ihr müsst nicht herumdeuten,Text
und Bild sagen allesganz direkt. „Es gibt
viele Arten, nett zu sein“,steht über der
Illustration–hier sind sogarverschiede-
ne Ar tennettzueinander.
Davonprofitiertauchder Charmevon
Lucia Gaggiottis Plädoyerfür Geduld.
Untersengender Sonne lässt eine Schild-
kröteeinem Fuchsmit gebrochenem
Bein denVortritt beim Eismann. Prompt
regt sic hinder WarteschlangeWider-
stand, der Dackelschimpft, der Elefant
trötet,das Nashornschaut grimmig
drein undstemmt dieFäuste in die Hüf-
ten. Dafür lächeln die zwei neuenFreun-
de. Obwohl alleTiereindem Moment
dargestellt sind, da ihreEmotionen am
deutlichstenzutag etreten, erzählt das
Bild die Geschichteeines Prozesses: Die
Schildkrötewar auf der Suche nacheiner
Haltung, wurde fündig und nimmt sich
nun selbstindie Pflichtgegenüberder
Gemeinschaft.
Ähnlichverhält sichjemand, der
Fremdsprachen lernt, um seine Mitmen-
schen besser zuverstehen. Davonzeugt
Beatrice AlemagnasWimmelbildvoller
Charakterköpfeund Sprechblasen, die
mit demWort „Hallo“ in unterschiedli-
chen Sprachengefüllt sind.Keine dieser
Figuren hatweltanschauliche Claims ab-
gesteckt, hier herrschen weder Redever-
bote nochBerührungsängste.Dasselbe
gilt für David Barrows vorsichtigen
Waschbären, der einem Grizzlymit Par-
tyhut und Muffininden Tatzen dieTür
öffne t: „Wenn du niemandenherein-
lässt,erfährst du auchnie, wasduver-
passt.“Eskönnte nämlichnettwerden,
einfachnett. KAI SPANKE
Geschichten,die vonauf Smartphonestip-
penden Jugendlichen handeln.Romane,
dieden digitalen Schriftverkehr im Stacca-
to-Stil kopieren und in druckbareForm
bringen.Passagen vonErzählungen, in de-
nen dieversendetenEmojis dank detail-
lierter Beschreibung genauso lebendig
werden wie die Protagonisten. Es gibtAu-
toren, d ie haben nochkeinen souveränen,
keinen originellenUmgang mit der Aufga-
be gefunden, die digitale Prägung zuPa-
pier zu bringen, um dieWelt der jungen
Leserglaubwürdig zu schildern. Einiges
mag Geschmackssache sein, aber zu den
Sätzen, die Jugendlicheganz sicher nicht
lesen wollen, gehört:„Sein Handyverkün-
detden Eingang einerNachricht.“
Verbreitet auchdie Methode, in emsi-
gerNachahmung einerNetflix-Produktion
jedes nochsorandständigeDetail zur Spra-
chezubringen: eine im Gesichtverirrte,
widerspenstigeLocke.Der schnelle, scan-
nende Blicküber einenRaum. Reihenwei-
se verblüfft hochgezogeneAugenbrauen.
Diese Erzählstrategien beherrschtdas be-
wegteBild besser,das hat sichzuletzt in
der HBO-Serie „Euphoria“ bewiesen, eine
durch verschiedeneZeitebenengleitende
Geschichte über die Härtendes Teenager-
lebens an einer kalifornischen High
School. Die typischen Schulstarsaus dem
Footballteam treffendortauf Jugendliche,
die inkeine für sievorgesehene Schublade
passen, die trans sind oder lesbisch oder
depressiv und zwischen sexuellem Erfolgs-
druc kund psychischer wie physischer Ge-
walt immer mehr zerrieben werden.
So hatKarenM.McManus auchihren
zweitenRoman „Two Can Keep ASecret“
angelegt.Mit dem ersten, einer aus vier
Perspektiven erzählten Kriminalgeschich-
te über denTodeines Schülerswährend
seines Arrest s, standdie Autorinaus Mas-
sachusetts 93Wochen auf der Bestsellerlis-
te der „New York Times“, „One Of Us Is
Lying“ wurde für den Deutschen Jugendli-
teraturpreis 2019 nominiert.
Auch diesmalformtsichdie Geschichte
aus mehrerenPerspektiven: Denkonster-
nier tenStandpunkt derZwillin gsges chwis-
ter, die Hollywood und ihrepsychisch
krank eMutter zurücklassen mussten, um
einigeMonateinder Kleinstadt, aus der
ihreFamiliestammt, zu leben, erzählt das
Mädchen Ellerly,eine einzelgängerische
True-Crime-Spezialistin.VomerstenMo-
ment an leidetsie unter dem oberflächli-
chen IdyllvonEchoRidge, in das die Kin-
der einergescheitertenSchauspielerin, de-
renSchwestervor Jahren justandiesem
Ortverschwand, und eines davongelaufe-
nen Vaters nicht zu passen scheinen. Alles
istFassade.
Unddann istdaMalcolm, dem es ähn-
lichgeht mit seinem Bruder,den die halbe
Stadt verdächtigt, eine bezaubernde Schü-
lerin, die Homecoming Queen, auf dem
Gewissen zu haben. In Echo Ridgelebt die
Vergangenheit,die Erinnerung an diesen
vorJahrengeschehenen Mordund das
nochlänger zurückliegendeVerschwin-
den vonEllerlysTante, und dann entde-
cken die ZwillingeamAbend, als sie die
Stadt erreichen, auchnocheinen Toten
auf derStraße. DasTempo stimmt in die-
sem Strang der Geschichte, der der Span-
nung Raum gibt, und der Mörder istnicht
zimperlich.
Aber wieso nimmt man den Jugendli-
chen ihreBestürzung über denToddes
Lieblingslehrersnicht ab?Warumgibt es
amMorgennachdem FundEier zumFrüh-
stück, vondenen der Protagonistin das
Wasser im Mund zusammenläuft und der
Magen knurrt –und wieso sprechen die
Schülerinnen später darüber,als verhan-
delten sie einekomplizierte Rechenaufga-
be? Mussteder Vergnügungspark, in dem
die schöne Ballkönigin erwürgt wurde,
wirklich„Murderland“ heißen–und wie-
so is tEllerly zufällig immergleichzur Stel-
le, wenn wieder ein drohender roter
Schriftzug auf einerWand leuchtet?
McManuswillvonallem zu viel, siestaf-
fiertSzenefür Szene aus wieein Gruselka-
binett, lässt ihrejugendlichen Ermittler in
holprig-hölzerner Sprache diskutieren
und jeden Satz und jede Geste reflektie-
ren. Aber all daskönntedas Lesevergnü-
gennur unmerklichschwächen, käme
man denFiguren ihrer Geschichtewenigs-
tens nah.Während die Lagesichzuspitzt,
bleiben Ellerly,ihr Bruder,Malcom und
die beliebten Mädchen der Schulewäch-
serneAbziehbilder aus High-School-Ko-
mödien,unterkomplexund merkwürdig le-
bensfern.
Genausowenig, wie der eine durch drei
EigenschaftenfestgezurrteNerdtypusexis-
tiert, gibt es die eine Klischeeprinzessin
ohne komplexenFamilienhintergrund.
DasssichauchihreRollen mitWider-
sprüchlichkeiten,Neid, Fürsorge und Un-
berechenbarkeit füllen lassen, ohne ihrem
Charakter die Kraftzunehmen, und dass
dies besondersneuen erzählerischen,tech-
nischen Mitteln zuverdanken ist, hat „Eu-
phoria“ bewiesen.
Literaturkönntedas auch. Man müsste
es nur wirklichwollen. ELENAWITZECK
Wenn es mal wiederalles ein bisschen
viel istfür Andrea, verkriecht sichder
Jungeinden Pappkarton, in dem sein
Vatereinmal die neue E-Gitarre gelie-
fert bekommen hatte: Hier,inder Muf-
figkeit, der Wärme, der Engehat er al-
les unterKontrolle.Undwenn es viel
zu viel ist, dann müssen es an derLuft
hartgetrock nete Saftbärchen sein: „Ich
stopfemir eineganze Handvoll in den
Mund und fühle mich wie ein Hamster:
Augenzu, Gesicht zur Decke,und kaue
auf meinen Gefühlenrum, bis sie wie-
der in meinen Bauchpassen.“
In seinemKinderbuch„Unterwegs
mit Kaninchen“findetBenjaminTienti
großartigeBilder für Gefühle, und das
gleichauf zwei Ebenen: äußerlich,
wenn es um dasRückzugsbedürfnis ei-
nes vielleicht elf Jahrealten Jungen mit
erklärungsbedürfigemVornamengeht,
oder um dieVerlorenheit seinesVaters,
der zumKochen immer alles einkauft,
wasauf derRezeptliste ste ht –jetzt sta-
peln sichachtPackungen Salz imKü-
chenschrank.Aber auchinnerlich,
wenn Andrea, der zum allergrößtenTeil
in diesem Bucherzählt, Wortefür seine
Lage, seineVorlieben, seine Gefühlefin-
den muss.Undseine Lageeskaliert.
Andreas Mutter istschon langeaus
der Berliner Wohnung ausgezogen.
„Ichmussdochmein Lebenleben“,
sagtsie ihm,fastamEndeder Geschich-
te.Seit zwei Jahren istjetzt schon viel
Platz undwenig Halt im LebenvonVa-
terund Sohn. Dassder Vatervon der Ar-
beit im KrankenhausFarah undFidaa
mit nachHause bringt, eine Mutter und
eine Tochter aus Syrien, die nicht wis-
sen wohin, istalso zugleichnahelie-
gend und entsetzlich.
Farahspricht nur Arabisch,Fidaa in-
des aucheinwandfrei Deutsch–im A n-
griffsmodus.AuchohneNeigung zum
Verkriechen inPappkartons kann man
sichvor d em Mädchen fürchten: wenn
aus demNebenzimmer die Schreiekom-
men, mit denen sie ihrtägl ichesTae-
kwondo-Training absolviert, und Dro-
hungen,wenn man sie bitten will, leiser
zu sein.„Wenn du nochmal lauschst,
bistdutot.“ Dann lässt sie auchnoch
Maikelfallen, Andreas altersschwaches
Kaninchen, das sichprompt die Pfote
bricht und nicht nur denTierarztvon
Erlösung sprechen lässt.
Für den Jungen gibt es nur nocheine
Lösung: die nächtliche Flucht —aus
dem Karton,aus de rWohnung, aus Ber-
lin, zu seiner Mutter,ineine autofreie
Kommune beiFreiburg, in der sie als
Heilerin schaffenmuss, wasdem Tier-
arzt nichtgelungen ist. Maikel wieder
auf die Beine zu bringen.Wiesie das im-
mer macht:mit Energie.Undfür das
Mädchen gibt es nur eine Entschei-
dung, alsFidaa bemerkt, wie Andrea
heimlichdas Hausverlässt:mitzukom-
men. Das merkt Andrea aber erst im
Zug, als die beiden ein erstes Mal um
Haaresbreiteskeptischen Erwachsenen
entwischen, die sie nachHause schi-
cken oder diePolizei holenwollen. Wei-
terals bis nachSpandau haben sie es da
nochnicht geschaf ft.
Zwei ungleiche Kinder,die einander
mehr mögen, als sie sicheinges tehen
können, auf ihrem Wegquer durch
Deutschland, mit einerKühlbox, in der
ein Kaninchen zusterben scheint;Er-
wachsene zumWeglaufe nund Er wach-
sene, die den beiden zutrauen, schon zu
wissen,wassie wollen; am Ende eine
Enttäuschung und eineÜberraschung:
Das Buchwäreauchgut ohne die Ein-
schübe ausgekommen, in denen dasKa-
ninchen auf seineflapsigeArt das Ge-
schehenkommentiertund zumWeiter-
lesen animiert. Schließlicherzählt Ben-
jaminTienti einerasanteGeschichte
mit haarsträubenden Situationen, skur-
rilen Gestalten und witzigen Sprüchen.
Undzugleichganz unaufdringlicheine
so einfühlsame wie originelle Geschich-
te über Eigenwilligkeit und Angst,Ver-
lassensein und Flucht, Freundschaft
und Vertrauen. F RIDTJOF KÜCHEMANN
Simonvander Geest: „Das
AbrakadabraderFische“.
Roman.
Ausdem Niederländischen
vonMirjam Pressler.Verlag
Thienemann,Stuttgart
- 320 S.,geb., 15,– €.
Ab 10 J.
Alison Green:
„Einfachnett“. Ein Buch
überdasFreundlichsein.
Vorwortvon Axel Scheffler,
Bildervon38Illustratoren.
Ausdem Englischenvon
Maren Illinger.Beltz &
Gelberg,Weinheim 2020.
46 S.,geb., 12,95 €.Ab 6J.
KarenM.McManus:
„TwoCanKeepASecret“.
Roman.
Ausdem Englischenvon
Anja Galić.Verlag Cbj,
München 2019. 416 S.,geb.,
18,– €.Ab 14 J.
Benjamin Tienti:
„Unterwegs mit
Kaninchen“.
Mit Bildernvon Anke
Kuhl. DresslerVerlag,
Hamburg2019. 208 S.,
geb., 13,– €.Ab 10 J.
Du mit deinen Fragen!
Schwan schlägt Handy:Simon vander Geestbringt feindliche Brüder zusammen
Hilftfastimmer:herzlichlächeln
Einfachmal „Hallo“ sagen, egal inwelcher Sprache! AbbildungenvonBeatrice Alemagna und Sarah McIntyreaus dem besprochenen Band
Alles ist
Fassade
KarenM.McManusgeht
einem Mordnach
Allein wirddas nichts
BenjaminTientis rasanteKaninchenrettungsmission
Anleitung zum Freundlichsein
Gut getrös tet, Lö we:
Ein Bilderbuchfragt,
wassichverändert,
wenn man offen,
rücksichtsvoll und
nett miteinander
umgeht.Die
Antwort: alles.