Süddeutsche Zeitung - 03.03.2020

(Tina Sui) #1

Elisabeth Hartnagel war die Schwester von
Hansund Sophie Scholl, die 1943 von den
Nationalsozialisten hingerichtet worden
waren. Sie war jünger als ihr Bruder und et-
was älter als ihre Schwester, und sie hat
1945 Fritz Hartnagel geheiratet, Sophies
früheren Verlobten. „Durch das gemeinsa-
me Schicksal und die Trauer über den Ver-
lust wurde aus der tiefen Freundschaft
bald Liebe“, sagte Elisabeth Hartnagel spä-
ter in einem Interview. Sie übernahm nach
dem Tod der Schwester Inge Aicher-Scholl
1998 die Aufgabe, in Zeitzeugengesprä-
chen an die Widerstandsgruppe „Weiße Ro-
se“ und an ihre Geschwister zu erinnern.


Sophie (Jahrgang 1921) und Hans Scholl
(1918) waren Mitglieder der studentischen
Bewegung „Weiße Rose“. Sie verteilten un-
ter anderem Flugblätter, in denen sie zur
Auflehnung gegen das Nazi-Regime aufrie-
fen. Ihre Schwester Elisabeth, die zu dieser
Zeit als Kinderkrankenschwester in der Nä-
he von Ingolstadt arbeitete, besuchte sie
im Januar 1943 in München. Sie wusste
nichts vom aktiven Widerstand der Ge-
schwister. „Ich war zu naiv“, sagte sie ein-
mal, „dabei hätte ich mir alles zusammen-
reimen können.“ Hans und Sophie Scholl
weihten die Schwester wohl bewusst nicht
ein. „Selbst Mitwissen konnte ja für ein To-
desurteil genügen“, sagte Hartnagel.
Zwei Wochen nach ihrem Besuch wur-
den Hans und Sophie Scholl verhaftet und


in Stadelheim hingerichtet. Ihre Schwester
Elisabeth erfuhr dies einen Tag später aus
der Zeitung. „Ich bin dann bis abends nur
planlos herumgeirrt“, erzählte sie in einem
Interview. „Ich habe mir damals einfach ge-
wünscht, ich sei verrückt, ich würde mir
das alles einbilden, es würde bestimmt
nicht wahr sein.“
Kurz nach der Beisetzung der Geschwis-
ter wurde die Familie Scholl in eine soge-

nannte Schutzhaft genommen. Elisabeth
Scholl wurde in der unbeheizten Zelle, in
der sie auf dem blanken Betonboden schla-
fen musste, krank und nach zwei Monaten
entlassen. Nachbarn und Bekannte im hei-
mischen Ulm hätten die Scholls danach ge-
mieden, sagte sie später, Passanten hätten
die Straßenseite gewechselt. „Nur ein klei-
ner Freundeskreis hielt zu uns.“ Dazu ge-
hörte auch Fritz Hartnagel. Elisabeth

Scholl heiratete den früheren Verlobten ih-
rer Schwester Sophie im Herbst 1945. Das
Paar bekam vier Söhne. Elisabeth und
Fritz Hartnagel, der Richter wurde, de-
monstrierten gegen die Wiederbewaff-
nung der Bundesrepublik, gegen die Nato-
Nachrüstung, gegen Kriege im Irak und in
Afghanistan, gegen die NPD.
Inge Aicher-Scholl, Mitbegründerin der
Weiße-Rose-Stiftung, übernahm die Auf-
gabe, an die Geschwister Hans und Sophie
und an den Widerstand der Studenten-
gruppe zu erinnern. Denn Elisabeth Hart-
nagel stand nicht gerne im Mittelpunkt.

Aber als Aicher-Scholl 1998 starb, sprach
auch Hartnagel an Schulen und gab Inter-
views. Sie fühlte sich verpflichtet, als Zeit-
zeugin aufzuklären. Autogrammwünsche
hat sie immer abgelehnt. „Das ist doch lä-
cherlich“, sagte sie. „Ich war doch nicht im
Widerstand.“
Elisabeth Hartnagels Mann starb 2001.
Sie hat seine Briefe an Sophie Scholl auf
der Schreibmaschine abgetippt und 2005
als Buch herausgegeben. Auf die Frage ei-
nes Journalisten, ob die tote Sophie zwi-
schen ihr und ihrem Mann gestanden ha-
be, sagte sie einmal: „Niemals. Wir führten
eine glückliche Ehe.“
Elisabeth Hartnagel, die zuletzt in Stutt-
gart lebte, starb am vergangenen Freitag,
nur einen Tag nach ihrem 100. Geburts-
tag. gerhard fischer

von philipp crone

M


ehr geht nicht. Das Eingangslied
„Komm, o Tod, Du Schlafes Bru-
der“ endet mit einem Finale aus
Streichern, Bläsern und Paukenwirbel, die
Trauergäste der bis auf den letzten Platz ge-
füllten Michaelskirche hören wie erstarrt
zu. Gerade stand draußen vor der Kirche
noch Walter Hutterer, der ein ähnliches Bai-
risch spricht wie es Joseph Vilsmaier ge-
sprochen hat und sagt über den Regisseur:
„Was war er? Na, a Hund.“ Und mit einem
angemessen ohrenbetörenden Fortissimo
beginnt dann diese Trauerfeier für den
Hund Joseph Vilsmaier.
In den folgenden eineinhalb Stunden
versuchen Weggefährten wie Kai Wiesin-
ger, Charlotte Knobloch oder Michael Bul-
ly Herbig, den Regisseur zu würdigen und
zu beschreiben. Es ist eine denkwürdige
und damit angemessene Feier für den bay-
erischen Regisseur und Filmemacher.
Drei Wochen nach dem Tod des 81-Jähri-
gen am 11. Februar sind die Reihen der Kir-
che eng besetzt. Neben Vilsmaiers Töch-
tern Josephina, Theresa und Janina sind
vor allem sehr viele Filmgefährten gekom-
men. Ben Becker und Kai Wiesinger, Dar-
steller aus Vilsmaiers „Comedian Harmo-
nists“, Regie-Kollegen wie Marcus H. Ro-
senmüller oder Produzent Günther Rohr-
bach, die Gastronomie ist mit Wiesnwirten
vertreten und die Politik neben Minister-
präsident Markus Söder auch durch etwa
Oberbürgermeister Dieter Reiter oder Ilse
Aigner.


Es geht in der Kirche da weiter, wo drau-
ßen Walter Hutterer aufgehört hat: mit
dem Erklären und Beschreiben dieses so
begnadeten Filmemachers. Und mit Anek-
doten, von denen Vilsmaier wahlweise wel-
che selbst lieferte oder erzählen konnte. An
diesem Nachmittag teilen die Trauergäste
noch einmal all ihre Erinnerungen, um sie
anschließend möglichst gut im Gedächtnis
zu behalten. Söder ist der erste Redner, er
spricht davon, dass ihn kaum jemand so be-
geistern konnte wie Vilsmaier. Diese Kraft.
Keine Würdigung der vergangenen Wo-
chen ohne den Hinweis auf Vilsmaiers
schier unerschöpfliche Energie und Begeis-
terungsfähigkeit, die alle um ihn herum
mitnahm. Für den Beruf des Regisseurs ist
das eine Gabe. Liebenswürdigkeit habe
Vilsmaier selbst im größten Stress ausge-
zeichnet, sagt Söder. Dabei habe er erst mit
50 mit der Regie angefangen.
Damals war Produzent Rohrbach ganz
nah dabei. Der bis dahin als Kameramann
arbeitende Vilsmaier kam zu ihm und sag-
te, er wolle jetzt Regie machen. „Das war
mutig, er war ja nicht mehr der Jüngste.“
Aber er habe die Dinge eben einfach durch-
gezogen. Wie auch beim Dreh von „Stalin-
grad“, erzählt Rohrbach, da warf Vilsmaier
den Produktionsleiter kurzerhand raus.
Und auf Rohrbachs Frage, wer das jetzt
übernimmt, antwortete Vilsmaier. „Ich.“
Kabarettist Ottfried Fischer, Schauspiele-


rin Brigitte Hobmeier, alle können sie so-
fort ein Erlebnis mit Vilsmaier erzählen. In
der Predigt sagt Jesuitenpater Karl Kern:
„Die Meisterschaft ist es, wenn einer als er-
wachsener Mann Kind geblieben ist.“ Und
das ist Vilsmaier auf jeden Fall geblieben.
Und immer bei der Arbeit.
Am 3. Februar noch saß er im Schneide-
raum und arbeitete am gerade abgedreh-
ten Film „Der Boandlkramer und die ewige
Liebe“, eine Woche später war er tot. Der
Boandlkramer, wo bringt der Vilsmaier
nun hin? Pater Kern zitiert aus dem letzten
Film des Regisseurs eine Definition des Pa-
radieses: „Das Paradies ist immer da, wo ei-
ner aufpasst, dass kein Depp reinkommt.“
Einige in der Kirche lachen. Ein Vilsmaier-
Satz: bayerisch trocken, klar, hart und lie-
bevoll zugleich.
Zwischen den musikalischen Einlagen
des Filmfoniker-Orchesters herrscht oft
lange Ruhe. Dann schaut Vilsmaier still
von einem plakatgroßen Schwarz-Weiß-
Foto in die Kirche. Unter einer Schirmmüt-
ze, ernst, die qualmende Zigarre zwischen
den Fingern. Aber selbst wenn er ernst
schaut, ist da etwas Witz, eine feine komi-
sche Glut in seinem Blick. A Hund halt.
Kai Wiesinger geht langsam nach vorne
und spricht schnell. Erzählt, wie Vilsmaier
seine Darsteller beim Dreh von „Comedian
Harmonists“ mühelos unter den Tisch ge-
trunken habe und am nächsten Tag ebenso
mühelos drehen konnte, im Gegensatz zu
seinen Schauspielern. „Wie eine Maschine
war der.“ Oder wie Vilsmaier bei einer Audi-
enz bei der Queen kurz vor dem Zusam-
mentreffen merkte, dass seine Schuhsohle
abging, dann einfach so tat, als sei er ein
Kriegsversehrter und so ging, dass man
die lose Schuhsohle nicht bemerkte. „Ich
habe oft Tränen gelacht“, sagt Wiesinger.
Am Montag sind es Tränen der Trauer. Er
muss kurz innehalten, dann kommt der
Bremer Ben Becker, der erst gar nicht ver-
sucht, gefasst zu bleiben. Unter Tränen be-
schreibt er Vilsmaier als „einen Verarbei-
ter“, der sich verarbeitet habe, für die
Kunst, die Familie, der sich aber eben auch
aufgearbeitet hat. „Digga! – mach’s gut.“
Bevor Vilsmaiers Töchter am Ende die-
ser Trauerfeier nach vorne kommen, die
Urne mit der Asche ihres Vaters nehmen
und langsam aus der Kirche gehen, singt
erst noch Musiker Hubert von Goisern, mit
dem Vilsmaier oft zusammengearbeitet
hat, seinen Song „Heast as nit“, diese Hym-
ne auf den Gang der Zeit. Es ist der traurigs-
te Moment an diesem Mittag in der Micha-
elskirche. Und dann kommt Herbig und er-
zählt, wie er sich vorstellte, mit Vilsmaier
am Tag zuvor zusammenzusitzen und zu
fragen, was er denn jetzt sagen soll. „Dir
fällt schon was ein“, habe Vilsmaier gesagt.
Das sei Vilsmaiers „gnadenloser Optimis-
mus“. Immer, wenn es bei einem Dreh mal
so richtig aussichtslos war, sei er aufge-
blüht. Er habe immer eine Lösung gehabt,
dabei oft mit dem Satz: „Den kenni do, den
ruafi glei o.“ Viele lachen, auch Herbig lä-
chelt kurz, bevor er erzählt, wie er sich den
Weg von Vilsmaier in den Himmel vor-
stellt. Der Regisseur sitzt auf der Kutsche
neben dem Boandlkramer und sagt zu
ihm: Fahr nur weiter, bis ganz hoch. Denn
da oben, „da kenni oan.“ A Hund halt.

Elisabeth Hartnagel mit den Bildern von Sophie und Hans Scholl.FOTO:STEFAN PUCHNER

Im Namen der Geschwister


ElisabethHartnagel, eine Schwester der Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, stirbt mit 100 Jahren


Mit dem Boandlkramer


auf der Kutsche


Die Trauerfeier für Regisseur Joseph Vilsmaier passt
zum Leben des Verstorbenen: Sie ist voller Emotionen,
etwa von Michael Bully Herbig oder Ben Becker,
hat aber auch angenehm leichte Momente

Er hat die Beerdigung des Ministerpräsi-
denten Franz Josef Strauß geplant, Schau-
spieler Helmut Fischer hat mit ihm die eige-
ne Trauerfeier besprochen. Und auch die
Abschiede des Schauspielers Heinz Rüh-
mann, des Modedesigners Rudolph Mos-
hammer und des Schlagersängers Roy
Black hat er organisiert. Am Samstag ist
der Bestattermeister Karl Franz Denk im
Alter von 89 Jahren gestorben.
„Der Beruf des Bestatters war für ihn ei-
ne Berufung“, heißt es in der Traueranzei-
gen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Firma Bestattungen Karl Albert Denk.
Karl Franz Denk trat 1948 ins elterliche Un-
ternehmen ein, das sein Urgroßvater 1844
gegründet hatte. Nicht nur der Großvater,
auch sein Vater und er selbst waren von
klein auf im Unternehmen tätig. Denk wur-
de später Prüfer, vereidigter Sachverstän-
diger und Vizepräsident des Bundesver-
bandes des Bestattungsgewerbes und war
Vorstandsmitglied der Handwerkskam-
mer München.
Bereits 1944, Denk war damals 14 Jahre
alt, half er das erste Mal im elterlichen Be-
trieb mit – „weil wir keine Angestellten
mehr hatten“, sagte er vor Jahren in einem
Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
„Ich habe immer ausgeholfen, wenn wir
keine Träger oder Fahrer hatten.“ In der
Nachkriegszeit wollte er eigentlich Malerei
und Grafik studieren, dann entschied er
sich aber doch für den Beruf des Bestat-
ters. „Ich habe dann aber doch auch gese-
hen, dass es eine große Aufgabe ist“, Men-
schen beim Abschied nehmen helfen zu
können. „Das verschafft einem trotz der
Schwere dieser Arbeit doch eine gewisse

Befriedigung und auch ein gewisses Ge-
fühl für diesen Beruf“, sagte er vor Jahren.
2003 verkaufte Karl Franz Denk die
Trauerhilfe Denk mit ihren mehr als 100 Fi-
lialen und fast 500 Mitarbeitern an eine
große Bestattergruppe. Zwei Jahre war er
dort noch als Berater tätig, dann löste er sei-
nen Vertrag auf. Im Alter von 77 Jahren un-
terstützte er seinen Sohn Karl Albert Denk
bei der Gründung eines neuen Bestattungs-
unternehmens. Er stand „ihm und seinen
Mitarbeitern als wertvoller Ratgeber und
gute Seele des Unternehmens zur Seite“,
heißt es in der Traueranzeige.
Das Requiem für Karl Franz Denk ist am
Freitag, 6. März, um 11 Uhr in der Heilig-
Kreuz-Kirche. Anschließend findet die Be-
erdigung im Ostfriedhof statt. mbr

Viele Filmfreunde
kamenzur Trauerfeier
für Joseph Vilsmaier
am Montag in die
Michaelskirche, etwa
Helmfried von Lüttichau
(ganz oben), Regisseur
Michael Verhoeven (oben),
Franz Xaver Bogner
mit seiner Frau Sonja
(unten, links) oder
Michaela May mit ihrem
Mann Bernd Schadewald
(unten, rechts)
FOTOS: ROBERT HAAS (4),
TOBIAS HASE/DPA

Der Tod des Bestatters


KarlFranz Denk ist im Alter von 89 Jahren gestorben


Hartnagel gab den Briefwechsel
zwischenihrem Mann und
Sophie als Buch heraus

Sie wusste nichts


vom aktiven Widerstand


der Schwester und des Bruders


Karl Franz Denk war seit 1948 als Bestat-
ter tätig. FOTO: IMAGO

Selbst wenn er ernst schaut, ist da


einbisschen Witz, eine feine


komische Glut in seinem Blick



R6 (^) LEUTE Dienstag, 3. März 2020, Nr. 52 DEFGH

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