Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14.03.2020

(Nancy Kaufman) #1

SEITE 18·SAMSTAG, 14.MÄRZ2020·NR. 63 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


mas.BERLIN.Jede Wirtschaftskrise ist
anders–und dochschlägt immer wieder
die Erinnerung an das Damals auf das
Heutedurch.Obdas angemessen ist,
steht auf einem anderen Blatt.Was da-
malsrichtig war, kann heutefalschsein –
und umgekehrt. Dochbleibt der Ver-
gleichwichtig, um dierichtigen Lehren
für dieZukunftzuziehen.Nachfolgend
finden sichAntwortenauf die in diesem
Zusammenhang wichtigstenFragen.


Wieging es dasvorige Mal los?
Die Finanzkrise hatteimJahr 2008 ihren
Höhepunkt mit der überraschendenInsol-
venz der Investmentbank Lehman
Brothers.Vorher hatteeskleinereBeben
gegeben, aber die wurden weitgehend
ignoriert. Das amerikanische Geldinsti-
tut BearStearnsflücht eteschon Ende
Mai in die Arme desKonkurrenten JP
Morgan, um eine Insolvenz zuvermeiden.
Undsogar schon ein knappes Jahrvorher
hattedie Deutsche IndustriebankIKB
überraschend einen Milliardenverlust
melden müssen. Der Grund: Sie hattein
großemStil in amerikanische Hypothe-


kenkrediteinvestiert, derenName „Sub-
prime“ bald selbstNicht- Wirtschaftskun-
digengeläufigwerden sollte. Dahinter
standen Immobilienkredite, diestarkan
Wert verloren, als deutlichwurde, dass
viele Hauskäufer in Amerikaihre Darle-
hennicht zurückzahlenkonnten.Die Bun-
desregierungtatalles, um denKollaps
des Instituts in Düsseldorf zu verhindern
–und kamdennochkaum mit.
Waspassierte nachder Lehman-In-
solvenz?
Die Banken misstrauten sichgegenseitig,
schränkten Geschäfte untereinander ein,
hortete nLiquidität.Krediteandie reale
Wirtschaftwurden zurückgefahren, um
dem eigenen Haus mehrStabilität zuver-
leihen. So entstand aus einerFinanzkrise
eine Weltwirtschaftskrise. Um noch
Schlimmeres zu verhindern, spannte die
Bundesregierung in derFolgeeinen gigan-
tischen 500-Milliarden-Euro-Sicherungs-
schirmüber dieFinanzinstitute auf.
Waswurde sonstnochgetan?
Die ersteschwarz-roteKoalition unter
Angela Merkel(CDU), die damals ange-
sichts der Mehrheitsverhältnissetatsäch-

lichnoch dasAttributgroß verdiente,ver-
zichtetedarauf, denSteuerausfällen hin-
terherzusparen. Im Gegenteil: Mit zwei
Konjunkturpaketen über insgesamt 81
Milliarden Euroversuchtesie, dieWirt-
schaftwieder anzukurbeln.Wichtiges In-
strument wardie Abwrackprämie von
2500 Euro, die es für dasVerschrottendes
altenAutosbeim Kauf eines neuengab.
Zudem wurde dieKurzarbeitgroßzügig
ausgeweitet.Für das Jahr 2010rechnete
man mit einem Defizit im Bundeshaus-
halt von86Milliarden Euro, nie zuvor hat-
te es eine auchnur annähernd ähnlich
große Lückegegeben. Dochletztlichfing
sichdie Wirtschaftschneller alsgedacht –
im Ergebniswardann der negativeSaldo
nur etwa halb sogroß.
Istdie heutigeKrise ähnlichwie da-
mals?
Nein, auchwenn manches auf den ersten
Blickgleichaussieht: Es gibtKurseinbrü-
cheanden Börsen,großeUnsicherheit,
Stillstand in einzelnenWirtschaftsberei-
chen. Aber seinerzeitsprang der ökonomi-
sche Infektvonder Finanz wirtschaftauf
die reale Wirtschaftüber,heute droht es

andersherum zu laufen. Die Lieferkette
istunterbrochen,weil wichtigeTeile aus
Chinafehlen,wo das Coronavirus erst-
mals wüteteund Quarantäne-Maßnah-
men imgroßen Stil verhängt wurden.
Mittlerweile drohen in Europa ähnliche
Entwicklungen, indem beispielsweise
ganz Italien zurrotenZone erklärtwird.
Wenn in immer mehrUnternehmen die
Produktion ausfällt,gefährde tdas ihreLi-
quidität.Das wiederum schlägt auf die
Banken zurück, die dortmit Krediten en-
gagiertsind.
Warumkann die Bundesregierung
nicht einfachdie Instrumentevon da-
mals auspacken?
In derFinanzkrise musstedie Politikver-
sprechen, das Bankensystem stabil zu hal-
tenund die Einlagen der Bürgerzusi-
chern, umverlorenesVertrauen zurückzu-
gewinnen. ExpansiveFinanzpolitiken
und Geldpolitiken taten das ihrezur Über-
windung der Krise. Sie sorgten für die not-
wendigen Impulse, damit dieKonjunktur
wieder ansprang. Heutehat man es mit
anderenUrsachen zu tun–und die Geld-
politik istlängst nicht mehr so schlagkräf-

tig, weil sie schon langeextremexpansiv
ausgerichtet ist. Wenn Messen abgesagt
werden, Flugzeugenicht fliegen,weil Rei-
sen riskant sind,Unternehmen nicht pro-
duzierenkönnen,weil wichtigeVorpro-
duktefehlen–dann helfenkeine zusätzli-
cheInvestitionen desStaates und auchan-
dereNachfrageimpulse nur bedingt.
Waskann die Politik stattdessen
tun?
NachAnsicht vieler Ökonomenkommt es
nun darauf an, dasÜberlebenvonim
GrundekerngesundenUnternehmen zu
sichern, deren Geschäftnur wegender
Epidemie eingebrochen ist. Liquiditätshil-
fenund Kurzarbeit,wasdie Bundesregie-
rung beides schon ins Schaufensterge-
stellt hat,werde ngrundsätzlichals Instru-
mentenicht inFragegestellt.Darüber hin-
aus werden Steuerstundungen, einegroß-
zügigereVerrechnungvonaktuellenVer-
lustenmit früheren Gewinnen durch das
Finanzamt und eine schnelle Entlastung
vomSolidaritätszuschlaggefordert–Maß-
nahmen,die die Liquiditätslage der Unter-
nehmen sofortverbessernund denStaat
langfristigwenig kosten.

Wassind die langfristigeFolgen der
Krisen?
Unterder Finanzkris ehat dasVertrauen in
die Marktwirtschaftstark gelitten. Dass
dem zwar auchFehlerstaatlicher Institutio-
nen vorangegangen sind–nicht zuletzt in
Amerikadie unzureichendeRegulierung
der Immobilienkredite –, wirddagegenwe-
niger thematisiert. Künfti gkönnten zwei
Dingehinterfragtwerden: Dazugehört
zum einen die Globalisierung.Unterneh-
men, aber auchStaatenwerden möglicher-
weise langen Lieferketten künftigweniger
Vertrauen entgegenbringen, so dasswichti-
ge Produktewiedervermehrtinden heimi-
schen Gefildenproduziertwerden.Zum
anderenkönntenStim menverstummen,
die angesichts desstarkenWachstums der
chinesischen Wirtschaftbewundernd auf
die autoritäreStaatsführung inPekingge-
schauthaben. DerenVersuch, die unange-
nehmeWahrheit einer drohenden Epide-
mie zu unterdrücken, hat zu Beginn des
Ausbruchs diestille Verbreitungdes neuen
Virusermöglicht. Die Lehredaraus lautet:
Eine liberale Gesellschaft, in derFehlent-
wicklungensofortoffen angesproch en wer-
den, hat ihreeigenenStärken.

Aufder Suche nachder Lehreaus der Krise


Nicht alle Maßnahmen, die in derFinanzkrise 2008/2009taugten, würden imKampfgegen die aktuellen Probleme ihreWirkung entfalten


HerrKommissar, können Sie schon sa-
gen,wie stark die Corona-Krise in der
EU ökonomisch zu Bucheschlagen
wird?Natürlichhängt das sehrstarkda-
vonab, wie schnell sichdiese Epidemie
wieder eindämmen lässt.Sicher dürfte
sein, dassdie Wirtschaftinder EU in die-
sem Jahr schrumpfen wird.Unserevorläu-
fige Schätzung, die sichschnell ändern
kann, kalkuliertfür den Euroraum mit ei-
nem Minusvoneinem Prozentgegenüber
2019.


Sinddadie Stützungsmaßnahmen der
Mitgliedstaaten schon einkalkuliert, zu
denen Siejetzt auffordern?
Nein, aber natürlichkönnen die Mitglied-
staaten und die EuropäischeUnion durch
Stützungsmaßnahmenden Konjunktur-
einbruchabmildern.Undwir sind derzeit
sehr zuversichtlich, dasssichdaeine Men-
ge tun wird.


Wissen Siedas schon konkreter?
Italienwardas ersteLand, das einAusga-
benprogramm aufgelegt hat. Deutschland
und Frankreichfolgen jetzt.Aus anderen
Ländernerwarte ichmir bis zumTreffen
der Eurogruppe am Montagweiter eMaß-
nahmen.


Von welcher Größenordnungreden wir?
Ichrechne insgesamt mit mehreren hun-
dertMilliarden Euro.


Wirddas dennreichen?
Derzeit bin ichdavonüberzeugt.Aber es
hängt natürlichdavonab, wie schnell die
gesundheitliche Krise eingedämmt wird.


Sie verweisen aufdie Mitgliedstaaten.
Wastut die Kommission?
Waswir heute tun, istersteinmal das
Dringendste.Wir fordernalle Mitglied-
staaten auf, möglichstviel in den Gesund-
heitsschutz zu investieren,vonder Impf-
forschung bis zur ProduktionvonAtem-
schutzmasken. Wirwollenferner die nöti-
genGesundheitsmaßnahmender Mit-
gliedstaatenkoordinieren.


Und konkret wirtschaftspolitisch?
Wirwollen dafürsorgen, dassdie Mit-
gliedstaaten für sie zurVerfügungste-
hendeEU-Mittel ins Gesundheitssystem


fließenlassenkönnen.Außerdem haben
wir konkretisiert,welchevonder Krise
besonders betroffene Branchen–etwa
Luftfahrtund Tourismus–von den Bei-
hilferegeln ausgenommen sind und des-
halbvonden Mitgliedstaaten unkompli-
ziertunter stütztwerden können.Und
dann haben wirfestgelegt,dassdie aktu-
elle Krisenlageklar ein „außergewöhnli-
ches Ereignis“ im Sinnedes Stabilitäts-
pakts ist.

Was bedeutetdas?
Alles,was die Mitgliedstaaten imweite-
renSinne imKampfgegen diese humani-
täreKrise tun, sollvonden Regeln des
Pakts ausgenommenwerden. Wirwollen
den Begriff „außergewöhnliches Ereig-
nis“weiterfassen als bisher,wenn es
etwaum Naturkatastrophen ging. Die
Kommission wirddas diskretionär ent-
scheiden. DieseAusnahmeregel soll aber
nur temporärgelten.

Welche Staatsausgaben meinen Sie au-
ßer jenen fürs Gesundheitswesen kon-
kret?
Letztlichalle nationalen Hilfsprogram-
me,mit denendie Wirtschafttemporärge-
stützt werden kann. Das klassische deut-
sche Beispiel istdas Kurzarbeitergeld.

Eineabermalige Änderung des Pakts
selbst ist aber nichtvorgesehen?
Eine Krise wie diese istnicht derrichtige
Zeitpunkt für eineRegeländerung. Viel-
leicht machen wir jetzt Erfahrungen, die
eine Änderungdes Pakts in derZukunft
nahelegen.Aber nicht jetzt.Wir wenden
nur die Flexibilitätsklauseln an, die der
Pakt für solcheZeiten vorsieht.

Hat die Kommissionmit dieser Mittei-
lungihr Pulverschonverschossen?
Darauf habe ichzweiAntworten. Zumei-
nen dürfenSie sicher sein: Eswerden in
dieser Krise weiter eMitteilungen der

Kommissionfolgen.Zumanderen:Wir
haben aucheine Bazooka.UnsereBazoo-
ka heißtKoordinierung.

Aber worin besteht die? Sie rufen die Mit-
gliedstaaten auf, kräftigGeld auszuge-
ben, und legen ihnen dabei keine Steine
in den Weg. Ist das Koordinierung?
Die Antwortder Eurozone umfasst ja
mehr,und sie istkoordiniert. Am Don-
nerstag hat die EZBNotkreditefür kleine
und mittlereUnternehmen beschlossen.
Die Europäische Investitionsbank und die
nationalenFörderbankenkönnen Garan-
tien für Bankenkrediteabgeben,wasde-
renLiquidität absichert. Das gehörtalles
zusammen.

WaserwartenSie vom Treffen der Euro-
gruppe amMontag?
Die Finanzministersollten all das,was
ichgeradegeschilderthabe, beschließen.
Wirdürfennicht kleckern,wir müssen
klotzen.Undzwarjetzt.

Der niederländische Finanzminister
WopkeHoekstrahat in dieser Woche ge-
sagt, er sehe keinen Anlass fürschnelle
Maßnahmen.
Ichglaube, es wirdsichsehr schnell die
Erkenntnis durchsetzen, dassdiesehuma-
nitäreKrise keine Krise einzelner Länder
ist. In ein paarWochen wird diegesund-
heitliche Lageinallen Eurostaaten ziem-
lichähnlichaussehen.

Das ändert abernichts daran, dassIta-
lienwiedereinmal als erstes Land auf
Ausnahmenvom Pakt gepocht hat. Mal
wareszuwenig Wachstum, maleinErd-
beben, mal ein Brückeneinsturz, womit
diese Ausnahmeninder Vergangenheit
begründet wurden. War die Haushaltspo-
litik IhresLandes nicht ein wenig zu oft
unangemessen?
Wirhaben ja im Januar dieÜberprüfung
unseresRegelwer keseingeleitet.Dawer-
den wir überVersäumnisse aller Mitglied-
staaten–sowohl wasderen Defiziteals
auchderenÜberschüsse angeht–disku-
tieren. Es istjetzt aber nicht der angemes-
seneZeitpunkt für solche Diskussionen.
Wirmüssen jetzt diese Krise meistern,
das istdas einzigWichtige.

Befürchten Sie,dass dieUnruheanden
Börsenandauert?
Die Kriseist ja keine Finanzmarktkrise.
Wirkönnen jedenfalls dazu beitragen,
dassdie MärkteschnellwiederVertrau-
enfassen–mit einer kräftigen, schnel-
len undgemeinsamen Antwortauf die
Krise.

Das GesprächführteWerner Musslerzusam-
men mitLeonor Hubaut („LeFigaro“)und
MarcPeeperkorn(„Volkskrant“).

tp. ROM. EineWelle der Entrüstung hat
EZB-Präsidentin Christine Lagarde in
Italienausgelöst.Die Italienerregen sich
übereinen Satzinihrer Pressekonferenz
am Donnerstag auf. DieitalienischenMe-
dien zitierenLagarde mit denWorten:
„Wir sind nicht dazuda, die Risikozu-
schläge zu senken,darummüssensichan-
derekümmern.“NunwirdinItalien vor
allemvon der eurokritischen Pressevor-
gerechnet, wie vieldie Äußerungvon La-
gardedie Italienergekostet habe. Der
Satzder EZB-Präsidentin habezueinem
tiefenAbsturzder italienischen Börsen-
wertebeigetragen,der allein am Don-
nerstag im Schnittfast 17 Prozent erreich-
te.Der Risikozuschlag fürzehnjährige
italienischeStaatstitel (Spread) gegen-
überden deutschen sprang am Donners-
tag vonetwa2,1 Prozentpunkten auf bis


zu 2,7 Prozentpunkteindie Höhe. Der
stellvertretendeChefredakteurder römi-
schenZeitung „Repubblica“, Massimo Gi-
annini,rechnet eamFreitagvor, nuracht
Wortevon Lagardehätten Italien87Mil-
liarden Eurogekos tet, Europa dagegen
825Milliarden Euro.
„Lagarde mussdie Befähigung zum Be-
kleiden öffentlicher Ämter entzogenwer-
den“,forderte er.Der stellvertretende
Chefredakteur des Mailänder „Corriere
dellaSera“verbanddieVorwürfeanLa-
gardemit einemHieb auf dieBundes-
bank:Lagarde habeden Satz gesagt,
heißtesauf der ersten Seitedes „Corrie-
re“vom Freitag. „Der Satzstammtvon ih-
rerdeutschenKollegin.“ Gemeint istda-
bei das neue deutsche Direktoriumsmit-
glied Isabel Schnabel. DerKolle ge Gian-
ninivonder „Repubblica“unterstellt La-

gardezudemeine anti-italienischePosi-
tion:„Dasistdie Position der Bundes-
bank:drehen wir den Geldhahn ab.“ Ge-
mäßigtgabsichder geldpolitischeKom-
mentator derWirtschaftszeitung „Il Sole
24 Ore“ und Professor anderMailänder
Eli teuniversitätBocconi, DonatoMasci-
andaro:„Vonder EZBrichtigeEntschei-
dungen undfalscheWorte.“ In die Entrüs-
tunggegenLagarde unddie EZBstimm-
te am Donnerstag schließlichauchStaats-
präsidentSergio Mattarella ein: „Italien
steckt derzeit in einer schwierigenSituati-
on, und die Erfahrungdes Landes beim
Kampfgegen dieVerbreitung des Corona-
virus wird wahrscheinlichfür alle Länder
der EuropäischenUnion nützlichsein“,
erklärte Mattarella.„Man erwartet daher
mit Recht, zumindestimgemeinsamen
Interesse,Initiativen der Solidarität und

nicht Initiativen, die die Handlungsfähig-
keit beeinträchtigen.“
VielePolitikerund Medien sehnen
sichnun zurückindie Zeiten des bisvor
kurzem amtierenden EZB-Präsidenten
Draghi, immerwiederbeschrieben als
„Heiliger Mario Draghi“.Der ehemalige
Präsident desEuropaparlamentsund
stellvertretendeVorsitzendeder konser-
vativenEuropäischenVolkspartei,Anto-
nioTajani, schrieb in einemZeitungsbei-
trag: „Die neue Präsidentin der EZB hat
sichals ungeeignet erwiesen“.Wenigge-
hörtsind in diesenTagen diejenigen ita-
lienischen Ökonomen, diewährend der
AmtszeitvonMario Draghiforderten, Ita-
lienmüsse die gutenZeiten mit interna-
tionalemWachstum,niedrigen Zinsen
und niedrigem Ölpreis nutzen,umseine
StaatsfinanzeninOrdnung zu bringen.

Paolo Gentiloni FotoAFP

chs. PARIS.Ein Volk bleibt zu Hause:
In Frankreichdarfsichwegen der Coro-
na-Krise jeder Beschäftigtemit einem
Kind unter 16 Jahren krankschreiben
lassen,wenn ihm seinUnternehmen
keine Möglichkeit zur Heimarbeit ein-
räumt.Das erklärte die Arbeitsministe-
rinMurielPénicaud amFreitag imRa-
dio. AmVorabend hattePräsidentEm-
manuel Macron in einerFernsehanspra-
chedie Franzosen aufgerufen, mög-
lichs tnicht ihren Arbeitsplatz aufzusu-
chen und nur die dringendstenReisen
wahrzunehmen.„WirstehenerstamAn-
fang dieser Epidemie“,sagteMacron.
Schulen, Kindergärten undUniversi-
täten sindvonMontag an inganz Frank-
reich geschlossen. Die Überweisung
vonstaatlichemKurzarbeitergeld solle
nachdem deutschen Modell ausgewei-
tet,also entbürokratisiertund großzügi-
gergestaltet werden,kündigteder Präsi-
dent an. Die Arbeitsministerinpräzi-
sierte,dassdie Umgestaltung die fran-
zösischeKurzarbeit zum System „mit
dem höchstenSchutz der Arbeitneh-
mer in Europa“ machenwerde. Der
Staat erstatte dieKurzarbeit-Gehälter
(70 Prozent derNettobezüge) denUn-
ternehmen nicht mehr nurteilweise,
sondernnun zu hundertProzent.
Die staatlichenKosten bezifferteFi-
nanzministerBruno Le Maireauf meh-
rere Dutzend Milliarden Euro. Der Öko-
nom Jean Pisani-Ferry hält 30 Milliar-
denEurofürmöglich,wieerineinem
Interviewsagte. HaushaltspolitischeBe-
schränkungen sollen vorerstnicht
mehrgelten: „Gesundheit hatkeinen
Preis. DieRegierung wirdalle nötigen
Finanzmittel mobilisieren, um Hilfezu
leisten, sichumdie Kranken zuküm-
mernund um Leben zuretten–gleich
waseskostet“, sagteMacron.
Frankreichwollteindiesem Jahr sei-
ne Neuverschuldungvon3,1 auf 2,2 Pro-
zent des Bruttoinlandsproduktes senken
und seine Gesamtverschuldungbei
knapp 99 Prozent stabilisieren.Auch
eineÜberschreitung des bisher als psy-
chologischwichtig erachteten Wertes
von100 Prozent sei denkbar,heißt es im
Finanzministerium. Die Zinsen der
Staatsschulden sind spürbargestiegen,
obwohl die EuropäischeZentralbank
aufdiesem MarktPapiereaufkauft. Ge-
genAbend lagen die Zinsen für zehnjäh-
rige französische Anleihenknapp im
Plus.Vorvier Tagennotiertensie noch
bei minus0,4 Prozent.
Jenseits der öffentlichenFinanzen
stellt sichdie Frage, wie man eine
VolkswirtschaftamLaufen halten
kann, derenWarenzirkulieren sollen,
dochnicht deren Menschen. Der Präsi-

dent des Arbeitgeberverbandes Medef,
Geoffroy Roux de Bézieux, meint, dass
diesallenfalls einige Monate funktionie-
re.Bei einemFirmenbesuchimDepar-
tement Eurenordwestlichvon Parisbe-
grüßteerdie Maßnahmen derRegie-
rung, forderte aberweiter eUnter stüt-
zung. „Esgeht darum,Unternehmen zu
retten, die am Ende des Monats oder in
wenigenTagenpleite seinkönnen“, sag-
te der Arbeitgeberpräsident undver-
langtenicht nur einenAufschub von
Steuernund Sozialabgaben, sondernde-
rentemporäreStreichung für beson-
derskrisengeplagteUnter nehmen.
DieTransportbranche erlebt schon
einigeZeit, wie auf breiterer Ebene der
Warenaustauschder kommendenWo-
chen aussehenkönnte. „DieLastwagen-
fahrerkommen in Risikogebietenbeim
Kunden an, dochsie steigen nicht aus
der Fahrer kabine aus oder nur sokurz
wie möglich. Gleichzeitig tragen die
Entlader Schutzmasken“, berichtet Ro-
dolphe Lanz, Generalsekretär des
Transportverbandes FNTR. Die Han-
delsströme hätten sichanvielenStellen
verlangsamt. „DieFahrer haben zuneh-
mend das Gefühl, dasssie sichGefah-
renaussetzen.“
In Gefahr –wirtschaftlicher
Art–fühlt sichauchChristineFrançais.
Die Französin leitet als Generaldirekto-
rindas Busunternehmen Grisel in der
Kleinstadt Gisors, anderthalb Autostun-
den nordwestlichvon Paris. „So eine Kri-
se haben wir nochnie erlebt, sie brach
plötzlichüber uns herein, und wir wis-
sen überhauptnicht, wie esweiter geht“,
berichtetsie. Im nahegelegenen Depar-
tement Oise wurden die Schulen schon
voreinigenTagengeschlossen,wodurch
ihr aufgrund des Ausfallsdes Schüler-
transports einUmsatzpfeilerwegbrach.
Zudem wirdeine Seniorenreise nach
der anderengestrichen. „In unseremRei-
sebüroist die Psychose total“, klagt die
Unternehmenslenkerin. 30 vonihren
220 MitarbeiternhättenKurzarbeit be-
antragt.„Nach nur einerWocheKrise
haben wir schon einenVerlustvon fast
einer halben Million Euroregistriert.“
Besondersharttrifftesauchdie Kon-
zertveranstalter.Die Regierung hatte
zunächstVersammlungenvonmindes-
tens 1000 Besuchernverboten, amFrei-
tagsank die Grenze auf 100Personen.
„EinFünftelunserer Mitglieder istvom
Bankrottbedroht“,stöhnt Olivier Dar-
bois, der dasUnternehmen Corida und
den Branchenverband Prodissmit sei-
nen 130 000Voll- undTeilzeitarbeits-
plätzen leitet.„Man darfauchnicht ver-
gessen, dasswir zuvor schon unter den
,Gelbwesten-Protesten‘ und denRenten-
streikslitten“, berichtetder Franzose.

tih. FRANKFURT. Die Deutsche
Bahn will denZugbetrieb in Deutsch-
land „so langeund so gut wie möglich
aufrechterhalten“ –das versicherte
Konzernchef RichardLutz amFreitag
in Berlin.VielenKunden istmit der
fortschreitenden Corona-Krise dieRei-
selustallerdingsvergangen: In den ers-
tenbeiden Märzwochen brachen die
Passagierzahlen imFernverkehr um 25
beziehungsweisevoraussichtlich40Pro-
zent ein. Daraufreagiertdas Unterneh-
men nun. Man habeVerständnis,wenn
die Kunden in der aktuellen Situation
ihregebuchteReise nocheinmalüber-
denkenwollten, sagteLutz:„Aus die-
sem Grund haben wir uns bei der DB
entschieden, eine deutschlandweite
Sonderkulanz-Regelung einzurichten.“
VonAnfangkommenderWocheanist
es dann möglich,gebuchteTickets kos-
tenfrei in einenReisegutscheinumwan-

deln zu lassen.Dies gilt denAngaben zu-
folgefür alle Super-Sparpreis- undSpar-
preis-Fahrkarten fürReisenbis ein-
schließlich 30.April.Reisendemit nor-
malenFlexpreis-Tick etskönnen davon
unabhängigihreFahrkarten kostenlos
stornieren.WerseineReise verschieben
will ,kann dasgebuchteTicketbis zum
30.Juniflexibel nutzen. BeiSparpreisen
werdedie Zugbindung aufgehoben.
Der Zugverkehr nach Italien istunter-
dessen seitFreitagstarkeingeschränkt.
Die regelmäßigfahrenden Eurocity-Ex-
press-Zügevon FrankfurtnachBasel
und Mailandfallen aus.Fernverkehrs-
verbindungen nachItalienvonBayern
aus enden in Österreich. Direktverbin-
dungen nach Italien seien nun nicht
mehr möglich, hieß es. Die Bahnrätoh-
nehin,Reisen nachItalien zuverschie-
ben. Im Zugverkehr mitFrankreichgibt
es derzeit nochkeine Einschränkungen.

Entrüstung über Lagarde in Italien


Aussageder EZB-Präsidentin zu RisikozuschlägenverursachtWirbel /„Als ungeeigneterwiesen“


„Wir müssen klotzen“


Frankreichsetzt auf


Heim- und aufKurzarbeit


Der Staat öffnetdie finanzpolitischen Schleusen


Bahn wirdsehr kulant


GebuchteTicketskönnen eingetauschtwerden


EU-Wirtschafts- und


Währungskommissar


PaoloGentiloni über die


Folgen derCorona-Krise


unddie Antwortder EU.

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