Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
Franz Hubik München

D


er Name Breitschwerdt
entfaltet bei Daimler
nach wie vor einen gu-
ten Klang. In den 80er-
Jahren leitete schließ-
lich mit Werner Breitschwerdt ein
Mann die Geschäfte des Mercedes-
Herstellers, der in seiner Amtszeit so-
wohl Umsatz als auch Gewinn bei-
nahe verdoppelte. Der begnadete In-
genieur diente vielen späteren Daim-
ler-Größen wie Ex-Chef Dieter Zet-
sche als Vorbild.
Seine Neffen, Sven und Marcus
Breitschwerdt, haben sich bei dem
Stuttgarter Autobauer ebenfalls zu
respektablen Managern entwickelt,
die hochrangige Funktionen beklei-
den. So verantwortet der eine die
Produktionsplanung von Mercedes-
Aggregaten, während der andere die
Van-Sparte anführt. Insbesondere
Marcus Breitschwerdt, der mit 58 Jah-
ren etwas ältere Bruder, gerät aller-
dings zunehmend in den Fokus bei
dem Dax-Konzern. Er steht am Schei-
deweg, den guten Ruf der Familie zu
wahren oder sich an einer Großbau-
stelle zu verheben.
Der Grund: Nirgendwo treten die
bilanziellen Erschütterungen bei
Daimler so offen zutage wie in der
Transporter-Division, die Breit-
schwerdt seit Mai 2019 leitet. Mit 14,
Milliarden Euro steuern die Vans
zwar gerade einmal 8,6 Prozent zum
Gesamtumsatz von 173 Milliarden
Euro des Mercedes-Herstellers bei.
Dennoch zog die Einheit 2019 den

Euro. Und das neue US-Werk für den
Transporter-Bestseller Sprinter kam
2019 nur zaghaft in die Gänge.
„Das, so denken wir, liegt hinter
uns“, versichert nun Breitschwerdt
bei der Vorstellung des neu überar-
beiteten Kastenwagens Vito. Seine
Einheit werde dieses Jahr zu profitab-
lem Wachstum zurückkehren –
„Force majeure vorbehalten“, sagt
Breitschwerdt. Die Auswirkungen des
Coronavirus, die unter solch „höhere
Gewalt“ fallen, halten sich bei Merce-
des Vans bis dato in Grenzen. „Die
Lieferketten sind derzeit sicherge-
stellt. In unseren Werken außerhalb
Chinas läuft die Produktion planmä-
ßig“, erklärt der Manager. Und auch
die Fabriken innerhalb der Volksre-
publik würden bereits wieder mit
halber Kapazität laufen. In Summe
rechnet Van-Chef Breitschwerdt in
diesem Jahr mit einem leichten Ab-
satzrückgang bei einem zugleich
deutlich besseren Ergebnis.

Kulturwandel und Sparen
„Marcus ist ein brillanter Denker und
sehr belesen. Man kann mit ihm
hochphilosophische Diskussionen
führen“, konstatiert ein Mercedes-Ve-
teran: „Aber ist er auch der richtige
Krisenmanager?“ Als echter Sanierer
sei Breitschwerdt in seinen vorheri-
gen Positionen wie als Vertriebsleiter
von Mercedes in Europa nur bedingt
in Erscheinung getreten, meint der
Weggefährte. Genau dieses Profil sei
nun aber bei Vans vonnöten.
Breitschwerdt möchte beweisen,
dass er nicht nur ein glänzender Ver-
käufer ist, sondern auch nachhaltig
Kosten senken kann. Er will die mehr
als 21 000 Mitarbeiter zählende Spar-
te strukturell straffen und kulturell
neue Impulse setzen. Im Zuge des ex-
tra für die Division konzipierten Spar-
programms „Boost“ sollen allein
100 Millionen Euro an Personalkos-
ten mittelfristig wegfallen. Wie im Ge-
samtkonzern sollen auch in der ange-
schlagenen Van-Sparte vor allem in
der Verwaltung Stellen abgebaut
werden. Zudem sollen Syner-
gien mit weiteren Konzernein-
heiten gehoben werden.
Anfang Februar gründete
Vans ein sogenanntes Boost
Transformation Office (BTO).
Die neu geschaffene Organisa-
tion soll „Boost“ als Initiative
für mehr Effizienz und schnelle-
re Transformation bei der Sparte
„noch stärker“ verankern. Eine zu-
sätzliche bürokratische Einheit soll
BTO aber dezidiert nicht sein, ver-
spricht Breitschwerdt. Im Gegenteil.
Der Manager möchte flachere Hierar-
chen kreieren: „Wir werden die Silos
beseitigen.“
Breitschwerdt will mit gutem Bei-
spiel vorangehen und das weitläufige
Einzelbüro, das er von seinem Vor-
gänger Volker Mornhinweg in Stutt-
gart übernommen hat, bald verlas-
sen. „Ich werde mit meinen Execu -
tives in eine Großraumarchitektur
gehen“, sagt Breitschwerdt. „Da wer-
den ganz normale Kollegen zwischen
uns sitzen.“ Zudem möchte er die
„Speak-up-Culture“ bei Mercedes för-
dern und auch jenen Gehör verschaf-
fen, die Meinungen abseits des Main-
streams vertreten.
Wachsen will Breitschwerdt künftig
insbesondere mit Elektrotranspor-
tern. Die Bestellbücher für Modelle
wie den eVito seien „gut gefüllt bis
berstend“, frohlockt der Manager. Ge-
rade bei Kurier-, Express- und Paket-
diensten steige die Nachfrage nach
reinen Stromern für den Stadtver-
kehr stark. Und mit der Einstellung
des Streetscooters durch die Post ist
er zumindest einen Konkurrenten los.

Mercedes-Benz Vans


Verlustbringer


steuert um


Daimlers größte Krisensparte verspricht für


2020 Gewinne und hofft auf einen E-Boom.


Daimler in Zahlen

PP = Prozentpunkte; *Umsatzrenditen, bei Daimler Mobility Eigenkapitalrendite
HANDELSBLATT Quellen: Unternehmen, Bloomberg

Rendite* der Sparten in Prozent

Mercedes-
Benz Cars

Daimler
Trucks

Mercedes-
Benz Vans

Daimler
Buses

Daimler
Mobility

2018 2019

7,

-4,2 PP -1,1 PP -23,1 PP +0,1 PP +4,2 PP

7,

2,

5,

11,

3,

6,

-20,

6,

15,

kompletten Dax-Konzern mit
einem Verlust von 3,1 Milliar-
den Euro in Mitleidenschaft.
Breitschwerdt spricht von ei-
nem „bewegten“ Jahr und vie-
len Sonderbelastungen, die ihm
seine erste Bilanz bei Vans „tüch-
tig verhagelt haben“.
Weil der Dieselmotor bei Transpor-
tern der dominante Antrieb ist, leidet
die Sparte überproportional unter
dem Abgasskandal. 2019 wurden für
Rückrufe und Rechtskosten 2,2 Milli-
arden Euro bei Vans fällig. Der Prit-
schenwagen X-Klasse entpuppte sich
als Flop, Ende Mai endet die Ferti-
gung. Kostenpunkt: 828 Millionen

Marcus Breitschwerdt:
Der Van-Chef zieht ins
Großraumbüro.

Daimler, Daimler AG

Deutsche Bahn


Wachstum


mit weniger


Gewinn


Dieter Fockenbrock Düsseldorf


K


limadebatte und Verkehrs-
wende bringen der Deut-
schen Bahn so viel Geschäft
und Unterstützung wie lange nicht
mehr. Der Bund gibt Milliarden für die
Instandsetzung der Bahnhöfe und
Schienenwege. Reisende stürmen die
Züge. Allein im Januar und Februar
zählte die Bahn bis zu elf Prozent
mehr Kunden im Fernverkehr.
Dafür zeichnen sich jetzt nach inter-
nen Informationen für den Aufsichts-
rat andere Probleme ab: Der für Juni
geplante Arriva-Börsengang in Ams-
terdam wird abgesagt. Der Konzern-
tochter Schenker brechen die China-
transporte weg. Und der Gütertrans-
port auf der Schiene steuert 2020 auf
400 Millionen Euro Verlust zu.
Zeitgleich treibt Bahn-Chef Richard
Lutz seine Wachstumsoffensive voran.
Bis 2030 sollen die Zahl der Fernrei-
senden von rund 150 Millionen auf
260 Millionen steigen, der Gütertrans-
port seinen Marktanteil von 18 auf 25
Prozent ausbauen. Doch vorerst wird
die Bahn rund eine Milliarde Euro pro
Jahr weniger verdienen, als Lutz noch
vor zwei Jahren kalkuliert hatte.
In der revidierten Mittelfristpla-
nung, die dem Aufsichtsrat zur Bera-
tung vorliegt, stehen jetzt nur noch 1,
Milliarden Euro operatives Ergebnis
(Ebit) für 2020 und 2021. Für 2019
wird die Bahn ein Ebit von etwa 1,
Milliarden Euro ausweisen. Etwa 80
Prozent des abgemeldeten Gewinns
gehen auf das Konto der geplanten
massiven Investitionen in Personal,
Digitalisierung, Qualität und Kapazi-
tätsausbau. So will die Bahn unter an-
derem zusätzlich 30 weitere ICE über
das schon laufende Sechs-Milliarden-
Euro-Beschaffungsprogramm hinaus
bestellen. Auch in diesem Jahr will die
Bahn jeweils 25 000 Mitarbeiter ein-
stellen. Das alles kostet Gewinn, wofür
der Bahn-Vorstand aber Rückende-
ckung aus der Politik hat.
Allerdings sind mögliche Folgen der
Corona-Epidemie bisher nicht berück-
sichtigt. Der Plan könnte „hinfällig“
sein, sagte ein Bahn-Manager. Im Per-
sonenverkehr ist der Corona-Ef-
fekt seit einigen Tagen spürbar. Jetzt
gingen Buchungen „merklich“ zurück,
sagte eine Bahn-Sprecherin.
Gravierender zeigen sich die Coro-
nafolgen im Güterverkehr. Die Bahn-
Tochter Schenker, Europas größter
Logistikkonzern, meldet nach inter-
nen Informationen einen Einbruch
des Transportaufkommens im China-
geschäft von rund 80 Prozent. China-
verkehre machen rund 15 bis 20 Pro-
zent des Schenker-Geschäfts aus. Und
Schenker war mit 500 Millionen Euro
Ebit bislang einer der Gewinnbringer
des Staatskonzerns.
Zudem fehlen der Bahn durch den
auch in diesem Jahr nicht mehr statt-
findenden Verkauf der Auslandstoch-
ter Arriva drei bis vier Milliarden Euro
zur Refinanzierung des Wachstums-
programms. Der Verkauf war 2019 ge-
platzt, weil die potenziellen Investo-
ren weniger bezahlen wollten als die
von der Bahn erhofften drei bis vier
Milliarden Euro. Jetzt sollte es ein Teil-
börsengang im Juni 2020 werden.
Doch in Kreisen des Aufsichtsrats
heißt es, „das Thema ist vorerst vom
Tisch“. Das Umfeld für Börsengänge
ist derzeit denkbar ungünstig.


Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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