Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
Messestand der Firma Isra Vision:
Der Optikkonzern wehrt sich gegen
ein Nachhaltigkeitsrating.

SZ Photo

Das Rating


und dessen


Bewertungs -


methode sind


vollständig


transparent.


Christoph Rieken
Kanzlei Noerr

Jakob Blume Frankfurt

D


er Streit begann mit ei-
ner E-Mail: Man plane,
ein Nachhaltigkeitsra-
ting über die Firma zu
veröffentlichen,
schrieb ein Mitarbeiter der Ökora-
ting-Agentur ISS ESG an den Darm-
städter Optikkonzern Isra Vision. Ob
sich Isra Vision an der Erstellung des
Ratings beteiligen wolle, schob der
ISS-Analyst nach. Isra Vision, Herstel-
ler von Kameratechnik, Sensoren
und Software für Industrieroboter,
ignorierte die E-Mail, wohl in der An-
nahme, dass es sich dabei um eine
Marketingmasche handelte.
Zwei Wochen später stand das Ra-
ting fest: „D–“, die schlechteste Note,
die ISS ESG an Unternehmen vergibt.
Isra Vision, als Ausgründung der
Technischen Universität Darmstadt
gestartet und mittlerweile ein börsen-
notierter Technologiekonzern mit
800 Mitarbeitern und 150 Millionen
Euro Jahresumsatz, sollte zu den Un-
ternehmen in der Branche gehören,
die am wenigsten auf Nachhaltigkeit
achten. Enis Ersü, Gründer und CEO
von Isra Vision, wollte das nicht hin-
nehmen, schaltete Anwälte ein und
erwirkte im Schnellverfahren ein Ver-
bot. Am Dienstag kam es daher vor
dem Landgericht München zum
Showdown zwischen der Ökorating-
agentur und dem Technologiekon-
zern (AZ: 39O8981/19).
Ein Urteil soll erst in zwei Wochen
fallen. Doch in der Tendenz folgte das
Landgericht München der Ansicht von
Isra Vision. Das Verbot des Ratings blei-
be bestehen, sagte Jens Matthes, An-

walt von Isra Vision, dem Handelsblatt.
Er betont: „Uns geht es nicht darum,
Nachhaltigkeitsratings zu verhindern.
Aber wir wollen, dass sauber und sinn-
voll berichtet wird.“ Der Anwalt von
ISS ESG, Christoph Rieken von der
Kanzlei Noerr in München, sagte dem
Handelsblatt, die Entscheidung betref-
fe nur das spezifische Rating. Doch
nachdem Isra Vision aus dem TechDax
gefallen sei, habe das Rating keine Be-
deutung mehr für ISS: „Es ist nicht so,
dass die Methodik oder das Geschäfts-
modell in Gefahr wäre.“
Dennoch: Es ist der erste öffentlich
bekannte Fall in Deutschland, in dem
sich ein Unternehmen juristisch gegen
ein Nachhaltigkeitsrating wehrt. Der
Rechtsstreit wirft ein Schlaglicht auf
die boomende Branche der Ökora-
tings. Immer mehr Investoren haben
sich dazu verpflichtet, Anlageentschei-
dungen auch nach sogenannten ESG-
Kriterien zu treffen. Die Abkürzung
steht für die englischen Begriffe für
Umwelt, Soziales und Unternehmens-
führung. Der Schweizer Vermögens-
verwalter Vontobel schätzt, dass schon
bis Ende 2018 bis zu 30 Billionen Dol-
lar nach Nachhaltigkeitskriterien ange-
legt wurden. Tendenz: stark steigend.
Um beurteilen zu können, ob Un-
ternehmen nachhaltig wirtschaften,
stützen sich viele Investoren auf die
Einschätzung spezialisierter Rating-
agenturen. Als Marktführer gelten
Sustainalytics, ISS ESG und der
Index anbieter MSCI. Die Agenturen
müssen immer mehr Unternehmen
und Märkte abdecken, um im Wett-
bewerb nicht zurückzufallen.

ISS ESG hat nach eigenen Angaben
Nachhaltigkeitsratings für über 5 000
börsennotierte Firmen erstellt. Aus
über 800 Kriterien wählt ISS ESG 100
auf das Unternehmen und die Bran-
che passende Kriterien aus. Dazu
zählen etwa die Aktionärsstruktur,
die Rechte von Arbeitnehmern, der
Anteil von Frauen in Führungsposi-
tionen, aber auch die Behandlung
von toxischem Abfall und die Kon-
trolle der Lieferketten von Rohstoffen
aus Bürgerkriegsländern.
ISS ESG sammelt alle öffentlich
verfügbaren Informationen zu diesen
Kategorien, gewichtet sie und bildet
daraus eine Gesamtnote von „A+“,
(„exzellent“) bis „D–“ („mangelhaft“).
„D“ sei das am häufigsten vergebene
Rating, heißt es von ISS ESG. Bisher
habe sich noch kein Unternehmen
beschwert. Bis auf Isra Vision.
Dem Handelsblatt liegt ein überar-
beitetes Rating von Isra Vision vor.
Nachdem die Darmstädter auf die
Note „D–“ mit einer Abmahnung ant-
worteten, besserte ISS nach. Doch
auch das überarbeitete Rating mit
der Note „D“, über das sich ISS ESG
und Isra Vision nun vor dem Landge-
richt München gestritten haben, hat
es in sich. Darin kommt eine ISS-Ana-
lystin unter anderem zu dem Urteil,
es sei unklar, ob das Unternehmen
wirksame Regeln gegen Insiderhan-
del aufgestellt habe und für die Rich-
tigkeit der Finanzkommunikation
Sorge trage.
Viele Details aus den einzelnen Ka-
tegorien zeichnen ein negatives Bild
von Isra Vision: So gebe es „keine

oder nur unzureichende Informatio-
nen über Unfälle am Arbeitsplatz“.
Das Gleiche gelte für die Frage, ob Ar-
beiter vor giftigen Stoffen geschützt
würden. Ebenfalls ein „D–“ gibt es
für die Unterkategorie „Zulieferer“:
„Keine oder unzureichende Informa-
tionen“ gebe es über die Frage, ob Is-
ra Vision ausschließen könne, dass
eingesetzte Rohstoffe aus Konfliktre-
gionen stammen.

Falsche Kategorien
Allein diese und noch Dutzende wei-
tere Kategorien treffen auf das Darm-
städter Unternehmen gar nicht zu.
Das zumindest schreibt Isra-Vision-
Anwalt Matthes in einer Stellungnah-
me ans Gericht. Matthes wirft ISS vor,
sich nicht intensiv genug mit dem Ge-
schäftsmodell auseinandergesetzt zu
haben.
Bei Isra Vision würden nur fertige
Bauteile wie Kameras, Kabel oder
Sensoren zu eigenen Produkten
kombiniert, und die passende Soft-
ware werde mitgeliefert. „In der Pro-
duktion wird weder geflext noch ge-
schweißt.“ Arbeiter in der Produkti-
on sind daher weder giftigen Stoffen
ausgesetzt, noch kauft Isra Vision
Rohstoffe ein, die potenziell aus
Kriegsgebieten stammen könnten.
Matthes kritisiert, dass die Rating-
agentur immer dann die schlechtes-
te Note „D–“ vergibt, wenn ISS ESG
zu bestimmten Kategorien keine öf-
fentlichen Informationen finden
kann.
ISS ESG sieht das anders. „Das Ra-
ting und dessen Bewertungsmethode

Nachhaltige Finanzen


Ökoratings vor Gericht


Der Mittelständler Isra Vision erwirkt ein Verbot gegen ein Nachhaltigkeitsrating der


Agentur ISS ESG. Der Streit wirft ein Schlaglicht auf eine boomende Branche.


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MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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