Linux-Magazin_-_Januar_2019

(singke) #1
die Materialkosten drastisch senken. Er
rechnete vor, dass die Prozessoren seit
Jahrzehnten immer Energie-effizienter
und Material-sparender würden. Benö-
tigte Eniac für 1000 Rechenoperationen
noch eine Kilowattstunde an Energie, las-
sen sich auf einem aktuellen Laptop mit
demselben Energieaufwand eine Billiarde
Rechenoperationen ausführen.
Das Problem: Bevor man sich über Ener-
gie-Einsparungen neuer Prozessorgene-
ration freuen könne, seien diese schon
wieder weg, weil die Softwareseite sie
auffresse. „Die Ansprüche wachsen mit.“
So würde die IT weltweit trotz enormer
Effizienzsteigerungen bei der Hardware
immer mehr Strom verbrauchen. Das be-
treffe auch Rechenzentren, obwohl diese
sich besonders vehement um Energie-
Effizienz bemühen.
Wenn etwas billiger und schneller werde,
sei eben „die Tendenz da, es auch mehr
zu verbrauchen“. Was ökonomisch er-
klärbar und unter dem Schlagwort Re-
bound Effect [2] bekannt sei, überrasche
Hilty dennoch aufgrund der „Synchro-
nizität“. Er forderte einen Ausstieg aus
dieser „Tretmühle der Steigerungslogik“.

Aus Neu mach Alt


Der Ausstieg sei nicht zuletzt wegen des
Materialaufwands nötig: Elektronik ent-
halte heute über 50 Metalle, aber nur
maximal 17 davon seien recycelbar. In
EU-Ländern landen weniger als 50 Pro-
zent der Komponenten überhaupt im
Recycling, das am Ende nur wenig zum
Schutz der Ressourcen beitrage.
Seltener etwas Neues kaufen sei aber
kaum möglich, denn die Hersteller zwin-
gen Verbraucher förmlich, neue Geräte
anzuschaffen. Seine These: Software
wende sich inzwischen oft aktiv gegen

Mit mehr als 1300 verkauften Tickets
darf die Bits & Bäume 2018 [1] wohl
als bisher erfolgreichster Versuch gelten,
die Nachhaltigkeits- mit der IT-Szene zu
verkuppeln. Am Konferenzort an der TU
Berlin diskutierten die Teilnehmer auf
zum Teil hohem Niveau über Digitalisie-
rung und Nachhaltigkeit.

Was zusammengehört


Tilman Santarius, Professor an der TU
Berlin, hielt die erste von drei Keynotes.
Er fand Gemeinsamkeiten zwischen den
technisch und ökologisch interessierten
Gruppen vor allem in den Menschenrech-
ten. Während die Techies sich seit der
Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte von 1948 eher auf die politischen
und bürgerlichen Menschenrechte (etwa
digitale Selbstbestimmung) fokussier-
ten, würde die Ökologie-Bewegung eher
wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Menschenrechte (Recht auf Nahrung,
Trinkwasser und so weiter) in den Vor-

dergrund stellen. Beide Szenen will die
Konferenz zusammenbringen, um Digi-
talisierung demokratischer und nachhal-
tiger zu machen.
Auch Constanze Kurz, Sprecherin des
Chaos Computer Club, verglich die
beiden Communities miteinander: Die
Umweltbewegung habe in den letzten
Jahrzehnten eine beeindruckende Ent-
wicklung hingelegt. Von der könne die
noch recht junge Bewegung für digitale
Bürgerrechte durchaus lernen. Sie kri-
tisierte, dass Fragen zu Digitalisierung
und Bürgerrechten heute nicht mehr so
breit diskutiert würden wie etwa noch
vor zehn Jahren.
Lorenz Hilty, Professor an der Universi-
tät Zürich (Abbildung 1), stellte in sei-
ner Keynote die Frage, warum Hardware
immer Energie- und Material-effizienter
werde, der IT-Bereich dennoch immer
mehr Ressourcen verbrauche. Dabei ar-
gumentierte Hilty technisch: Richtig und
klug eingesetzt könnte die Branche die
weltweiten Energiekosten, aber auch

Endlich eine Konferenz, die Nerds und Ökos zusammenbringt, meinten viele Besucher der ersten „Bits &
Bäume“-Konferenz, die Mitte November 2018 an der Technischen Universität Berlin stattfand. Kristian Kißling

Konferenz zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung


Auf die Bäume!


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