AUSLAND
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 101
Städten Vorschrift ist. Erst dort testete er posi-
tiv auf Omikron.
Der 67-Jährige wurde in ein Krankenhaus
gebracht, alle weiteren 4543 Bewohner seiner
Wohnanlage in eine Quarantäne-Einrichtung.
Taxis durften nicht mehr in die Nachbarschaft
einfahren, nahe liegende U-Bahnhöfe wurden
geschlossen, Bewohner umstehender Häuser
angewiesen, sich zu isolieren. Insgesamt wa-
ren fast 14 000 Menschen betroffen. Bis auf
den 67-Jährigen wurden alle negativ getestet.
Pekings große Sorge ist, dass solch zu-
nächst unentdeckten Omikron-Infektionen
infolge der Olympischen Spiele vermehrt auf-
treten könnten. Rund 3000 internationale
Athletinnen und Athleten sowie 25 000 wei-
tere sogenannte Stakeholder, also etwa Sport-
funktionäre und Journalistinnen, werden in
China erwartet.
Bei Ankunft sollen sie zwar getestet, aber
nicht in Quarantäne gesteckt werden, sofern
sie geimpft sind. Wie sollte ein Athlet schließ-
lich seine Wettkampfform erhalten, wenn er
unmittelbar vor den Spielen zwei Wochen
lang untätig in einem Hotelzimmer herum-
sitzen muss?
Stattdessen werden sie sich innerhalb
einer Bubble aus sorgsam abgeschotteten
Sportstätten, olympischen Dörfern und Ho-
tels halbwegs frei bewegen dürfen, voraus-
gesetzt, sie tragen eine Maske und lassen sich
täglich testen. Ausflüge sind hingegen ver-
boten, physischen Kontakt mit dem Publi-
kum wird es ebenfalls keinen geben. Aus-
ländische Olympiatouristen dürfen ohnehin
nicht einreisen.
Zweifelsohne werden die chinesischen Be-
hörden in der Blase alle Erfahrungen zum
Tragen bringen, die sie in zwei Jahren Pan-
demiebekämpfung gesammelt haben. Trotz-
dem ist wohl davon auszugehen, dass dort
vereinzelte Infektionen auftreten werden.
Wie Peking auf ein olympisches Covid-Clus-
ter reagieren wird, sollte sich denn eines ent-
wickeln, ist nicht abzusehen. Und wird sich
die Bubble tatsächlich als so hermetisch er-
weisen, wie die Organisatoren hoffen?
Die Spiele in letzter Minute doch noch ab-
zusagen ist für Chinas Führung ohne Gesichts-
verlust jedenfalls nicht mehr möglich. Zum
einen hat der regionale Rivale Japan vor
einem halben Jahr die Olympischen Sommer-
spiele ausgetragen. Zum anderen hat Staats-
und Parteichef Xi Jinping soeben in seiner
Neujahrsansprache verkündet: »Wir werden
keine Mühen scheuen, um der Welt groß artige
Spiele zu zeigen. Die Welt schaut auf China,
und China ist bereit.«
Für die kommenden Wochen und Monate
sind etwa die folgenden beiden Szenarien
denkbar: Im besten Fall gelingt es den chine-
sischen Behörden, etwaige Infektionen in der
Blase rasch zu isolieren und die Spiele ohne
größere Störungen über die Bühne zu brin-
gen. Womöglich kommen der chinesische
mRNA-Impfstoff oder ein wirksames Corona-
medikament ebenfalls bald auf den Markt.
Mittelfristig, etwa Anfang 2023, könnte Chi-
na dann seine Grenzen wieder öffnen – und
hätte die Pandemie tatsächlich mit einem viel
geringeren Verlust an Menschenleben über-
standen als jedes andere große Land. Staats-
chef Xi wäre unantastbar.
Im schlimmsten Fall aber durchdringt
Omikron die Olympia-Bubble – und landet
direkt in der Hauptstadt, deren Sicherheit
seit dem ersten Tag der Pandemie für die
Führung stets oberste Priorität hatte. Ein
Lockdown Pekings wäre ein Fanal, er würde
das Land in eine politische Krise stürzen.
Chinas Einsatz bei den Spielen ist also
hoch. Wie angespannt die Autoritäten sind,
ließ sich zuletzt am Beispiel von Yuzhou ab-
lesen. Über die Stadt von etwa der Einwoh-
nerzahl Kölns wurde Montag Nacht ebenfalls
ein umfassender Lockdown verhängt, nach-
dem dort einige Coronafälle registriert wor-
den waren. Der gesamte Nahverkehr sowie
Taxis dürfen nicht mehr fahren, Supermärk-
te und Shoppingmalls nur noch Güter des
täglichen Bedarfs verkaufen. Der Präsenz-
unterricht an den Schulen wurde ebenso ge-
strichen wie jede Art von Freizeitangebot.
Niemand darf die Innenstadt betreten oder
verlassen.
Als der Lockdown verkündet wurde, lag
die Zahl der in Yuzhou gemeldeten Infektio-
nen bei drei.
Georg Fahrion n
Testzentrum in Xi’an: Einkaufen ist verboten, ins Freie darf man nur noch für den Test
Zheng Tingpeng / VCG / Getty Images
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