Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1

S P O R T


114 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022


D


as Park Hot el im Melbourner
Stadtteil Carlton ist für Ge-
flüchtete vorgesehen, die auf
ihre Abschiebung warten. Im Okto-
ber br ach unter den Gästen eine Co-
rona-Masseninfektion aus, vor zwei
Wochen brannte es auf zwei Stock-
werken. Menschenrechtsaktiviste n
protestieren seit Jahren gegen die
schlechten Bedingungen für Asylsu-
chende. Es ist ein Ort, an dem sich
Schicksale entscheiden.
Seit Donnerstag lebt hier der bes-
te Tennisspieler der Welt: Ein Gericht
wird entscheiden, ob er nach Austra-
lien einreisen darf oder ob er abge-
schoben wird.
Novak Djoković gehört zu den Ge-
strandeten, seit ihm die australischen
Grenzbehörden am Mittwoch wegen
seines Impfstatus das Visum verwei-
gert haben. Der Serbe wollte sich in


Australien eigentlich zum König des
Tennis kr önen. Bei den Mitte Januar
beginnenden Australian Open peilte
er seinen 21. Grand-Slam-Titel an.
Keiner hat mehr. Djoković wäre da-
mit erfolgreicher als Roger Federer
und Rafael Nadal, die beiden anderen
Größen dieses Sports. Nun sitzt der
34-Jährige in einem Abschiebehotel.
Australien hatte bereits vor Mona-
ten angekündigt, wegen der Pande-
mie nur vollständig geimpfte Spiele-
rinnen und Spieler zum Tennisturnier
zuzulassen. Das Land hat einen der
härtesten Lockdowns weltweit hinter
sich. Selbst Australier, die sich im
Ausland aufgehalten hatten, durften
monatelang ihre eigene Heimat nicht
mehr betret en.
Djoković hat um seinen Impfstatus
st ets ein Geheimnis gemacht. Dass er
nicht wie gefordert doppelt geimpft

TENNIS Novak Djoković durfte nicht nach Australien einreisen. Der Superstar,


der ein bizarres Verhältnis zur Medizin pflegt, ist offenbar nicht geimpft.


Je mehr Menschen den Serben kritisieren, desto mehr feiern ihn seine Landsleute.


Djoković in Paris
am 6. November 20 21

sein kann, hat er selbst angedeutet.
Vor seinem Abflug nach Melbourne
machte er auf Instagram öffentlich,
dass er mit einer medizinischen Aus-
nahmegenehmigung anreise. Die aber
akzeptierten die Grenzbeamten nicht.
Ob das Papier wirklich nicht als Son-
dergenehmigung taugte oder ob im
Vorfeld der australische Tennisver-
band und die Behörden den Serben
und seine Berater unzureichend infor-
miert hatten, blieb bislang ungeklärt.
Tatsache ist, dass Djoković’ Nach-
weis nicht ausreichte, um ins Land
gelassen zu wer den.
Der Fall ist zu einem Politikum ge-
wor den. Serbiens Präsident Aleksan-
dar Vučić sprach von einer »politi-
schen Hexenjagd«. Der australische
Botschafter in Belgrad wurde einbe-
st ellt. Die serbische Zeitung »Kurir«
schrieb vom »größten Sportskandal
aller Zeiten«.
In Australien hingegen hatte die
Ausnahmeerlaubnis schon Anfang der
Woche für Empörung gesorgt. Der
Sender ABC schrieb, sie löse »Zorn
und Konfusion« aus. Angesichts der
zunehmend aufgeheizten Stimmung
in der Bevölkerung sah sich Premier-
minister Scott Morrison genötigt, kla-
re Kante zu zeigen: »Wenn er keine
akzeptablen medizinischen Beweise
vorlegt, sitzt er im nächsten Flugzeug
nach Hause.«
Am Montag soll ein Gericht ent-
scheiden, ob Djoković endgültig ab-
gewiesen wird. Showdown für den
Weltstar.
Es gab Zeiten, da stürzten Stars,
ohne aus der Gesellschaft zu fallen.
Die Sexsucht des Tiger Woods, die
Lügen Lance Armstrongs, die Dro-
genexzesse Diego Maradonas: Die
Legenden fielen, und die Welt schau-
te ihnen dabei zu, manchmal fühlte
sie auch mit. Es waren private Ver-
fehlungen. In der Pandemie gelten
andere Gesetze. Das Privateste einer
Person, der Umgang mit ihrer eigenen
Gesundheit, ist zum öffentlichen Cha-
raktertest geworden. Idole stehen am
Pranger, weil sie sich nicht impfen
lassen wollen oder schrägen Ansich-
ten anhängen.
Der Fußballnationalspieler Joshua
Kimmich löste Ende Oktober in
Deutschland Empörung aus, als er
erklärte, er wolle sich nicht impfen
lassen, ihm fehlten noch Informatio-
nen, um sich entscheiden zu können.
Er wurde angefeindet, bis er in einem
TV-Interview angab, seine Meinung
geändert zu haben. Der US-Ameri-
kaner Aaron Rodgers, einer der bes-
ten Football-Quarter backs, erklärte
im November, aus Angst um seine
Zeugungsfähigkeit auf eine Impfung

»Jesus wurde
gekreuzigt.
Jetzt versu-

Novak auf die


zu kreuzigen.«
Djoković’ Vater
Srdjan
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