Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 23

Nouripour: Die Abhängigkeit von russischem
Gas ist ein Problem, die früheren Regierungen
haben sie eher vergrößert, etwa durch die
Pipeline Nord Stream 2.
SPIEGEL: Die Grünen sind immer noch da-
gegen, dass Nord Stream 2 in Betrieb genom-
men wird. Was würde es politisch bedeuten,
wenn die Bundesnetzagentur der Inbetrieb-
nahme nun zustimmen würde?
Nouripour: Dass wir das Projekt nur noch sehr
schwer werden verhindern können. Wir fan-
den die Pipeline immer falsch, aber wir kön-
nen nicht politisch in Genehmigungsverfah-
ren hineinregieren und Recht und Gesetz
brechen.
SPIEGEL: Die Grünen plädieren für eine här-
tere Tonalität gegenüber China, Außenminis-
terin Baerbock hat ihre Teilnahme an den
Winterspielen in Peking abgesagt. Damit kam
sie einer Einigung auf EU-Ebene zuvor. Stößt
man mit solchen Alleingängen nicht die euro-
päischen Partner vor den Kopf?
Nouripour: Die Innen- und Sportministerin
Nancy Faeser von der SPD hat das Gleiche
getan. Jede Ministerin ist zuständig für ihren
eigenen Kalender. Die Amerikaner haben das
Boykott genannt. Das muss man nicht sinnvoll
finden. Ich würde nicht von einem allgemeinen
Boykott sprechen, da die Teilnahme für Sport-
lerinnen und Sportler möglich sein muss. Aber
wenn politische Vertreter nicht kommen, ver-
steht China das schon. Angesichts der kata-
strophalen Menschenrechtslage darf man die
Spiele politisch nicht aufwerten.
SPIEGEL: Noch kurz vor Ende der Amtszeit
hat die Große Koalition Rüstungsexporte in
Milliardenhöhe genehmigt. Nehmen Sie das
Olaf Scholz übel, der an der Regierung be-
teiligt war?
Nouripour: Aus unserer Sicht sind die Expor-
te nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag,
auch nicht mit dem Koalitionsvertrag der Gro-
ßen Koalition und den Rüstungsexportricht-
linien. Deshalb haben wir im Koalitionsver-
trag ein ambitioniertes Rüstungsexportkon-
trollgesetz vereinbart, um die Notwendigkeit
einer restriktiveren Genehmigungspraxis
gesetzlich zu verankern.
SPIEGEL: Taxonomie, Nord Stream 2, Rüs-
tungsexporte: Haben die Grünen ein Glaub-
würdigkeitsproblem in der Regierung?
Nouripour: Verzeihung, aber die Glaubwür-
digkeit der Grünen haftet doch nicht für die
Fehlentscheidungen anderer in der Vergan-
genheit.
SPIEGEL: Auch aus Ihrer eigenen Partei
kommt heftige Kritik. Die Grünen wirken, als
würden sie gerade unerfreulich mit der Re-
gierungswirklichkeit konfrontiert.
Nouripour: Wir haben 16 Jahre nicht regiert.
Wir werden nicht alles korrigieren können,
was in der Zeit falsch gelaufen ist, aber eini-
ges. Die Grundsteine einer neuen Politik sind
gelegt. Es wird aber ein paar Wochen dauern,
bis sich diese neue Regierung eingrooved, bis
sich alle vertrauen und bis Menschen, die nie
mit uns regiert haben, sich auf die neue Lage
eingestellt haben.

SPIEGEL: Die Grünen unterstützen Frank-Wal-
ter Steinmeier als Bundespräsidenten. Dabei
wäre die Wahl eine gute Gelegenheit gewesen,
um zu zeigen, dass die Grünen sich nicht im-
mer brav von SPD und FDP herumschubsen
lassen, oder?
Nouripour: Hätten wir zusammen mit der
Union eine Kandidatin aufstellen sollen, ohne
eine Mehrheit in der Bundesversammlung zu
haben? Sie glauben nicht wirklich, dass die
Union mit der Linken abstimmt oder wir mit
der AfD? Es wäre überfällig, dass dieses Land
eine Bundespräsidentin bekommt. Aber
Frank-Walter Steinmeier genießt hohes An-
sehen.
SPIEGEL: Auch was Corona anbelangt, sind
Sie hart in der Regierungswirklichkeit gelan-
det, die Zahlen steigen. Braucht es neue Kon-
taktbeschränkungen?

Nouripour: Ich gehe davon aus, dass es in die
Richtung geht. Einen allgemeinen Lockdown
wird es nicht mehr geben, dafür ist die Impf-
lage zu gut, und das geben die bisherigen Er-
fahrungen nicht her.
SPIEGEL: Wird die Bundestagsfraktion der
Grünen einen eigenen Gruppenantrag zur
Impfpflicht vorlegen?
Nouripour: Der Fraktionszwang im Bundestag
wurde aufgehoben. Deshalb wird es wohl
mehrere Gruppenanträge geben. Ich werde
einer allgemeinen Impfpflicht zustimmen,
wenn sie verfassungskonform ausgestaltet
wird, obwohl ich lange dagegen war. Wir
sehen, dass es sonst nicht nennenswert voran-
geht. Wir bestrafen ohne diesen Schritt nur
die riesige Mehrheit, die schon geimpft ist und
sich an alle Regeln hält.
Interview: Valerie Höhne, Jonas Schaible

Politiker Nouripour
Daniel Hofer / laif

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