Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

28 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022

A


m 1. Dezember bekamen Bun-
destagsabgeordnete der AfD
einen Brief, der es in sich hatte.
Mitarbeiter der Fraktion beschwerten
sich in sechs Punkten über die eigene
Personalabteilung. Diese mache eine
»Nasenpolitik«, heißt es in dem in-
ternen Schreiben, das dem SPIEGEL
vorliegt.
Bei der Auswahl und Bezahlung
von Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern gehe es nicht um Qualifikation,
sondern um »persönliche Fehden«,
verdiente Kolleginnen und Kollegen
wüssten nicht, ob sie ihren Job im
neuen Jahr noch hätten. Außerdem
warfen die Verfasser den Verantwort-
lichen vor, Geld zu verschwenden. Es
sei geplant, eine fünfte Person in der
Personalabteilung einzustellen, ob-
wohl Linke und Grüne mit jeweils
zwei Personen auskämen.
Der Beschwerdebrief ist sympto-
matisch für den Zustand der AfD-
Fraktion: Die Stimmung ist auf einem
Tiefpunkt. Drei auf AfD-Ticket in den
Bundestag gewählte Abgeordnete
sind nun schon nicht mehr Teil der
Fraktion. Einer hatte sich in einem
Chat als »das freundliche Gesicht des
NS«, also des Nationalsozialismus,
bezeichnet. Er trat der Fraktion erst
gar nicht bei. Ein anderer hatte mit
dem Rechtsextremen Attila Hild-
mann zusammengearbeitet und anti-
semitische Nachrichten verschickt. Er
erklärte vergangene Woche seinen
Rückzug aus Fraktion und Partei. Ein
Dritter tat es ihm gleich, allerdings,
weil es »Grenzüberschreitungen« sei-
ner Kollegen gegeben habe.
Der Leiter der Social-Media-Ab-
teilung schrieb in einer internen
Rundmail von »menschlich inakzep-
tablem« Umgang, »groteskem Füh-
rungsstil« und erklärte seine Kündi-
gung sowie die zweier Kollegen. Ein
anderer Mitarbeiter beschwerte sich,
dass mit ihm bislang kein Gespräch

»Alternative


für Dilettanten«


BUNDESTAG Die AfD ist schon zu Beginn der
Legislaturperiode geschwächt und zerstritten,
auf drei Abgeordnete muss die Fraktion
verzichten. Und die Mitarbeiter rebellieren.

Fraktionschefs
Chrupalla, Weidel:
Kaum inhaltliche
Impulse

Ann-Katrin Müller n

geführt worden sei. Er werde deswe-
gen wohl demnächst wieder für die
Bundestagsverwaltung arbeiten, von
der er zur AfD gewechselt war. Die
Fraktion diskutierte die Fälle kurz in
einer Sitzung, dann wurde die
Schlichtungskommission beauftragt.
Das Problem löste sie damit nicht.
Die AfD stellt nach der Wahl we-
niger Abgeordnete als in der vergan-
genen Legislaturperiode, was auf die
Stimmung drückt. Vor allem aber
wirkt die Fraktion, die immer das
Machtzentrum der Partei war, orien-
tierungslos. Außer ihrem Kampf ge-
gen die Einführung einer Impfpflicht
haben die extrem Rechten derzeit
kein prägendes Thema.
Stattdessen befürchten einige, dass
sich die Rolle als Antreiber der vieler-
orts gewalttätigen und antisemiti-
schen »Querdenker«-Demos rächen
könnte. Für ein eigenes starkes Profil
reiche das nicht, sagen die Kritiker.
Die Umfragewerte der AfD sind
schlecht, und noch immer droht die
Einstufung der gesamten Partei als
rechtsextremistischer Verdachtsfall
durch den Verfassungsschutz. Eine
Entscheidung dazu wird im März er-
wartet. Und all das in einer Partei, die
tief gespalten ist und sich seit Mona-
ten in einem weiteren zehrenden
Machtkampf befindet.
Funktionäre und Mitarbeiter spre-
chen mittlerweile von der »Alternati-
ve für Dilettanten«, manche beschei-
nigen den eigenen Kolleginnen und
Kollegen »Politikunfähigkeit«.
Viele Abgeordnete machen Alice
Weidel und Tino Chrupalla, die Frak-
tionschefs, als Schuldige aus. Sie hät-
ten den Laden nicht im Griff, es fehle
der erfahrene Alexander Gauland,
der zuvor die Fraktion mit Weidel
angeführt hatte. Auf ihn hätten die
meisten gehört, er habe als »Brücken-
bauer« gegolten. Weidel und Chru-
palla dagegen führten die Fraktion
mit härterer Hand, heißt es. Sie wür-

den Diskussionen auch mal abbre-
chen und damit die »Meinungsfreiheit
verletzen«, wie ihre Kritikerinnen
und Kritiker sagen. Inhaltliche Im-
pulse aber kämen kaum.
Tatsächlich verweigern mittlerwei-
le viele den Chefs die Gefolgschaft,
selbst wenn es darum geht, die Arbeit
zu professionalisieren. So hatten Wei-
del und Chrupalla gemeinsam mit
dem fürs Personal zuständigen Frak-
tionsvize Leif-Erik Holm vorgeschla-
gen, die Arbeitskreise neu zu organi-
sieren, damit mehr von deren Vor-
schlägen beim Fraktionsvorstand
ankommen. Doch die Fraktion lehn-
te den entsprechenden Stellenplan
ab. Sie wollte verhindern, dass die
Fraktionsspitze mehr Macht und
Kontrolle bekommt.
Andere sehen die Zusammen-
setzung der neuen Fraktion als Grund
allen Übels. Zu viele »Wirrköpfe«
seien dort, der »gärige Haufen«, von
dem Gauland sprach, sei gewachsen.
Die Pandemie habe zu einer weiteren
Radikalisierung geführt.
Zudem fehlt der Parteispitze eine
Idee, wie man thematisch weiterma-
chen will, wenn die Pandemie sich in
eine endemische Lage wandelt und
es am Ende womöglich gar keine
Impfpflicht geben wird. Mit welchen
Thesen die AfD dann bei ihren An-
hängerinnen und Anhängern punkten
will, dafür gibt es keinen Plan, egal
wen man fragt.
Fraktionschef Chrupalla winkt auf
Anfrage ab: Themen gebe es auch
nach Corona zur Genüge. Die »Rei-
bungspunkte und Findungsprozesse«
zu Beginn der Legislatur seien »ganz
normale Prozesse«. Schließlich sei es
auch »die erste Fraktionsübergabe,
die die AfD je machen musste«. Die
Kommunikation innerhalb der Frak-
tion »kann man immer verbessern«,
gibt er zu, und natürlich müssten sich
die Abgeordneten in der neuen Zu-
sammensetzung noch »aneinander
gewöhnen«. Insgesamt aber, sagt der
Fraktionsvorsitzende, laufe es gut.
Einige in der Fraktion sehen das
anders. Seit Tagen macht ein Face-
book-Beitrag des Abgeordneten Jür-
gen Pohl aus Thüringen die Runde,
der sich zum neuen Jahr wünsch-
te: »Genug mit den liberalen Freun-
den in unserer Partei.« Die Forderung
fand offenbar sogar Anklang in der
Fraktionsspitze. Einem Account von
Alice Weidel jedenfalls gefiel das, zu-
mindest zeitweise. Inzwischen ist das
»Gefällt mir« verschwunden. Die
Screenshots davon aber werden flei-
ßig verschickt, der Fall soll sogar im
Bundesvorstand besprochen werden.
Rafael Heygster & Volker Crone / DER SPIEGEL

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