Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

36 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022

mindestens sechs Vernehmungen
packte er über seine Freunde und
Helfer aus, protokolliert mehr als 100
Seiten lang. Eine Beichte wie im
Rausch: Frage: Wie war die Verneh-
mung? Antwort Petrou: »Sexy.«
Und was Petrou da alles erzählte:
dass er fast jede Woche mit zwei Poli-
zisten gekokst, ihnen das Zeug auch
verkauft habe. Dass er schon vom
Lack eines Streifenwagens gekokst
habe, im Streifenwagen gekokst habe,
im Polizeirevier gekokst habe, drittes
Zimmer links, wenn man vom Aufzug
kommt. Ja, sogar in einer Tiefgarage
vom Dienstausweis eines Polizisten


  • das sei die schönste Koks-Line ge-
    wesen, die er sich je reingezogen habe.
    Na klar, die Beamten hätten von
    ihm auch Spezialpreise bekommen, es
    habe schließlich nicht schaden können,
    als Mann mit seinem Geschäft Freun-
    de bei der Polizei zu haben. Und dafür
    hätten die Polizisten immer mal für
    ihn im Dienstcomputer nachgeschaut,
    ihn über Ermittlungen auf dem Lau-
    fenden gehalten. Einmal habe ihm
    einer seiner uniformierten Koks-Kum-
    pel auch durchgestochen, dass sein
    Foto im K83 an der Wand hing und
    die Drogenfahnder ihn im Auge hätten.
    Die Vernehmer schauten in einen
    Abgrund von Verrat, Korruption, Kri-
    minalität in den eigenen Reihen; in
    den Akten ist heute eine Kurve zu
    erkennen: Erst trauten sie Petrou
    nicht, dann trauten sie ihren Ohren
    nicht, dann bestätigten sich die ersten


Hinweise, danach glaubte die Polizei
ihm so ziemlich alles. Selbst wenn
Petrou immer neue Dinge einfielen,
die ihm beim letzten Mal noch nicht
eingefallen waren. Oder wenn er sich
widersprach: Mal hatte ihm der eine
Polizist das mit dem Foto an der
Wand verraten, dann der andere,
dann wieder der eine. Sogar über sei-
ne Festnahme erzählte er der Polizei,
die es nun wirklich wissen musste,
eine Fantasiegeschichte: Er sei im ge-
parkten Auto eines Bekannten vor
einer Bar eingenickt, irgendwer habe
die Polizei gerufen, warum auch im-
mer. Die habe den Wagen durchsucht,
Kokain gefunden und ihn festgenom-
men. Schon im März 2018, nicht im
April. Alles falsch, siehe oben.
Doch das, was stimmte und zu
Fahndungserfolgen führte, war so
groß, dass die Zweifel, ob denn alles
stimmte, immer kleiner wurden. Und
so stand für das LKA, das die Ermitt-
lungen innerhalb der Polizei über-
nommen hatte, und die Münchner
Staatsanwaltschaft bald fest, was auch
so in einem internen Vermerk steht:
Es weise »vieles (alles) darauf hin«,
dass Petrous Angaben »in allen bisher
bekannten Bereichen« korrekt seien.
Die Fahnder hatten damit endlich
den Zeugen, von dem sie schon im-
mer geträumt hatten. Der sie in seine
geheime Welt mitnahm, in unzähli-
gen Vernehmungen. Die Verhöre mit
Staatsanwalt Schmidkonz gingen
über Tage.

Staatsanwalt Schmidkonz:
Er ermittelte zwischenzeitlich
gegen 37 Beschuldigte. 13 Ver­
fahren sind mittlerweile ein­
gestellt. Bei 19 Verdächtigen
geht es nicht mehr um Drogen.

Verkehrs­
polizei? »Das
ist der Sarg­
nagel meiner
Karriere.«

Das alles führte zu dem großen
Bild, das auch die erste Pressemel-
dung der Staatsanwaltschaft nach der
Razzia 2020 noch ahnen ließ: ein rie-
siger Drogensumpf in der Münchner
Polizei, ein ganzer Haufen korrupter
Bullen, wie man das bisher nur aus
amerikanischen Cop-Filmen kannte.
Gangster in Blau.
Selbst die Ermittler sehen das heu-
te alles eine Nummer kleiner: Das sei
»keine geschlossene Gruppe« gewe-
sen, heißt es nun; mancher habe dies
oder das über andere gewusst, keiner
alles. Doch der erste Eindruck vom
großen Narco-Netz im Amt ist wich-
tig, um zu verstehen, warum aus einer
Ermittlung gegen die vermutlich Rich-
tigen irgendwann eine Ermittlung
wurde, die immer mehr ausfranste.
Und bei der nicht nur der Vorsitzen-
de der Gewerkschaft der Polizei in
München, Rainer Pechtold, inzwi-
schen den Eindruck hat, dass die Er-
mittler am Ende »händeringend nach
Bagatellen« suchten, um möglichst
viele Polizisten als belastet dastehen
zu lassen. »Wer harte Drogen nimmt
oder sogar damit handelt, hat in der
Polizei nichts verloren. Aber es sind
auch Leute unter die Räder gekom-
men, die damit nichts zu tun hatten.«

Der Jackpot
Der erste Polizist, den der Dealer Pe-
trou kennenlernte, ein Polizeiober-
meister, 35, steht heute unter Ankla-
ge in 149 Fällen: Erwerb, Beihilfe zum
Handel, Abgabe und Besitz von Be-
täubungsmitteln. Seine Haarprobe
lässt darauf schließen, dass er ein
starker Kokser war; bis zu seiner Fest-
nahme im Oktober war er unterge-
taucht. Petrou lernte ihn angeblich in
einem griechischen Café kennen;
auch der Polizist hatte griechische
Wurzeln. Sie hätten schon zusammen
gekokst, sagte Petrou, bevor ihm klar
geworden sei, dass der andere bei der
Polizei war.
Über den ersten lernte Petrou den
zweiten Beamten kennen. Gegen die-
sen Polizeiobermeister liegt nun eine
Anklage in mehr als 70 Fällen vor.
Auch der soll geschnieft, gekauft und
den Stoff an Kollegen weitervertickt
haben. Schätzungsweise je 100 Gramm
Kokain will Petrou beiden Beamten
insgesamt besorgt haben. Die seien
»ganz heiß« darauf gewesen.
Das galt auch für einen dritten
Polizeiobermeister, der in einem Vi-
deo auftaucht, das Petrou den Fahn-
dern gab. Übrigens offenbar das ein-
zige Video, nachdem Petrou anfangs
noch geprahlt hatte, er habe ganz
viele Videos und sogar Koks-Polizis-
ten in flagranti aufgenommen. Wel-

Peter Schinzler / DER SPIEGEL

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