ten von journalistisch gebotener Klar-
heit und gegebenenfalls Schärfe geht.
Das Justiziariat versteht sich nicht als
Verhinderer, sondern vielmehr als Er-
möglicher, sodass die Redakteure und
Redakteurinnen ihre Beiträge unter
Vermeidung juristischer Fallstricke
und damit unerfreulicher Nachwehen
zu Papier bringen können.
Grundsätzlich prüft die Rechts-
abteilung sämtliche Beiträge, bevor
sie gedruckt werden – was in der
deutschen Verlagslandschaft einmalig
sein dürfte. Auf Anforderung werden
auch sonstige, vor allem digital er-
scheinende Texte, geprüft, wenn die-
se von der Redaktion als heikel ein-
geschätzt werden. Natürlich entschei-
det am Ende immer die Redaktion,
ob sie einen Text veröffentlicht – aber
das Wort der hauseigenen Presse-
rechtler hat erhebliches Gewicht.
Gleichzeitig verteidigen wir die
Arbeit unserer Redaktion gegen die
Einschüchterungsversuche durch Me-
dienanwälte – sowohl vor einer Ver-
öffentlichung als auch bei Angriffen
auf erschienene Beiträge. Maßstab
für den SPIEGEL sind dabei die Leit-
linien der höchstrichterlichen Recht-
sprechung, auch wenn manche Ins-
tanzgerichte diesen nicht immer ge-
recht werden. Die Rechtsabteilung
des SPIEGEL verteidigt auf diese Wei-
se auch die Pressefreiheit als solche.
Sascha Sajuntz (Rechtsabteilung)
Sie behaupten, das Credo von Rudolf
Augstein »Sagen, was ist« soll auch
heute noch gelten – warum ignorieren
dann Ihre Wissenschaftsredakteure
dieses Motto? Sie machen sich selbst
zu Akteuren. Dieter Kujawa
Lieber Herr Kujawa,
bei den Fakten zur Klimakrise, mit
denen wir uns als Wissenschaftsjour-
nalisten befassen, sehen wir uns einer
weltweiten Wissenschaftsgemein-
schaft gegenüber, die sich zu annä-
hernd 100 Prozent sicher ist, einen
menschengemachten Klimawandel
nachgewiesen zu haben. Hier eine
kritische Distanz zu diesem breiten
naturwissenschaftlichen Konsens ein-
zunehmen, käme einer weit überpro-
portionalen Gewichtung derjenigen
Stimmen gleich, die diesem Konsens
nicht folgen.
»Sagen, was ist« bedeutet für den
Wissenschaftsjournalismus zu berich-
ten, dass es keine begründeten Zwei-
fel an der Realität des menschenge-
machten Klimawandels gibt. Dass wir
bereits heute weltweit seine Vorboten
sehen und Extremwetter in ihrer In-
tensität zunehmen.
Dass wir das im SPIEGEL nun viel-
leicht häufi ger tun als früher und
unsere Berichte, Interviews und Kom-
mentare dringlicher werden, ist der
Realität und dem »Was ist« geschul-
det. Darüber in aller Klarheit wahr-
heitsgetreu zu berichten kommt dem
»Sagen, was ist« ziemlich nahe, fi nde
ich. Aktivistisch hingegen wäre es,
dies aus politischen Motiven oder we-
gen eines falsch verstandenen Plura-
lismus nicht zu tun. Kurt Stukenberg
(Ressort Wissenschaft)
Wird es den SPIEGEL zukünftig in einer
Art »geteiltem Abo« mit anderen Ma-
gazinen geben, zum Beispiel mit dem
»Handelsblatt«, der »FAZ«, dem mana-
ger magazin, der »taz« oder »SZ«? So-
dass ich ein Log-in habe, einmal zahle
botene« Wörter, wie Zigeuner(-schnit-
zel), Neger(-küsse), Schwarzfahrer?
Peter Ryder
Lieber Herr Ryder,
hätten Sie mich vor 30 Jahren – da-
mals war ich Schüler – gefragt, ob ich
jemals Delphin oder Phantasie mit
einem »f« oder »F« schreiben würde,
hätte ich Sie wohl ausgelacht. Heute
schreibe ich Delfi n und Fantasie, ohne
zu zucken.
Reformen bedeuten Entwicklung,
und so lässt sich schwer vorhersagen,
ob wir in einigen Jahren nicht alle wie
selbstverständlich Sternchen in unsere
Worte einfügen, falls die überwiegen-
de Mehrheit sich irgendwann ent-
schlossen hat, dass die weibliche
Form noch viel deutlicher als bislang
erkennbar sein sollte. Ich fände eine
solche Entwicklung weder erstaunlich
noch skandalös.
Zurzeit können wir uns das beim
SPIEGEL allerdings noch nicht vor-
stellen und haben uns daher für be-
hutsame Veränderungen entschieden:
Wir lassen öfter als früher Politikerin-
nen, Wissenschaftlerinnen oder Sport-
lerinnen aufscheinen, mischen die
Geschlechter in unseren Ausführun-
gen und achten bei der Auswahl unse-
rer Protagonistinnen und Protagonis-
ten in Geschichten viel stärker darauf,
dass Frauen wie Männer vorkommen.
Das Bewusstsein jedenfalls ist vor-
handen, dass sich die gesellschaftliche
Diversität auch in unseren Texten
widerspiegeln muss. Alles andere
wäre eine Verzerrung der Realität, für
die uns die Leserinnen und Leser zu
Recht kritisieren würden.
Schwarzfahrer werden Sie im
SPIEGEL dennoch weiterhin wieder-
fi nden, »Neger« – außer im histori-
schen Kontext – sicher nicht, das
Wort »Zigeunerschnitzel« haben wir
im SPIEGEL zuletzt im Juli gedruckt,
allerdings in einem Essay zum Thema
»Was man heute noch sagen darf«. Ich
würde also sagen: Sie müssen Ihr Abo
nicht kündigen, was Sie ja hoffentlich
sowieso nur aus rein inhaltlichen
Gründen und nicht wegen sprach-
licher Anpassungen tun würden, oder?
Martin Knobbe (Hauptstadtbüro)
Welche Bedeutung hat die rechtliche
Prüfung und Absicherung von redaktio-
nellen SPIEGEL-Beiträgen vor Veröffent-
lichung, wie viele juristische Experten
sind damit beschäftigt? Dr. Dieter Barth
Lieber Herr Barth,
in der Rechtsabteilung stehen für die
Redaktion drei Justiziare als An-
sprech-, aber auch Sparringspartner
bereit. Ihr Anspruch ist es, die Bericht-
erstattung so rechtssicher wie möglich
zu gestalten, ohne dass dies auf Kos-
Beteiligt
Anteilseigner des
SPIEGEL-Verlags,
in Prozent
SGrafik
* vormals
Gruner +
Jahr GmbH
SPIEGEL-
Mitarbeiter KG
RM Hamburg
Holding*
Erbengemein-
schaft Augstein
50,5
24,0
25,5
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 61
75 JAHRE DER SPIEGEL TITEL
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