»Ein mitunter schwer erträgliches Herren
magazin« nannte »taz«CoChefredakteurin
Barbara Junge den frühen SPIEGEL in der
vorangegangenen Ausgabe. Wie wird über
Frauen und Männer im SPIEGEL selbst dis
kutiert? Darüber sprechen nun zwei Kollegin
nen und ein Kollege, an einem dafür typischen
Ort: der Snackbar des Hauses. Der SPIEGEL
hat rund 500 Redakteurinnen und Redak teure,
und wenn sich nur 3 davon unterhalten, kann
das nicht repräsentativ sein. Doch das Ge
spräch zeigt die Perspektiven, die in so einem
Haus zusammenkommen, und auch, wie sich
das Selbstverständnis des Journalismus ver
ändert hat: weg vom allwissenden SPIEGEL,
der mit einer Stimme spricht, hin zu mehr
Pluralismus. Kulturredakteur Tobias Becker,
44, unterhält sich mit Susanne Beyer, 52, Auto
rin im Hauptstadtbüro, die die erste Frau in
der Chefredaktion des Heftes gewesen ist, und
mit Simone Salden, 43, stellvertretende Lei
terin des Ressorts Deutschland/Panorama.
Salden hat 2017 eine #MeTooUntersuchung
beim SPIEGEL mit angestoßen.
Tobias: Simone, Susanne, wir sprechen über
die Geschichte der Frauen im SPIEGEL. Was
verschafft mir die Ehre, mitreden zu dürfen?
Simone: Du bist unser Quotenmann. Und das
ist als Kompliment gemeint. Dein Part ist so
wichtig wie unserer, weil sonst eine Perspek-
tive fehlt.
Tobias: Ich habe gezögert zuzusagen. Ich will
nicht nur der Stichwortgeber sein. Und schon
gar nicht der Agent Provocateur oder Anwalt
des Teufels.
Susanne: Warum diese Scheu? Es gibt nur
wenige Männer im Haus, die sich so regel-
mäßig mit Geschlechterthemen beschäftigen
wie du. Das Thema geht uns alle an.
Tobias: Das haben viele Frauen lange Zeit
anders gesehen, sowohl in der großen Debat-
te draußen im Land als auch hier im Haus:
Da haben sie den Wunsch geäußert, Männer
sollten erst mal still sein und zuhören.
Susanne: Diese Frauen befürchteten wohl,
dass manche Männer ihnen nicht glauben
könnten, was sie etwa unter dem Hashtag
MeToo berichten. Die Sorge verstehe ich, auch
dass sich Männer daraufhin zurück hielten.
Aber wenn unterschiedliche Meinungen in der
Welt sind, dann wirken sie sich sowieso aus,
weswegen eine respektvolle Auseinanderset-
zung immer besser ist als Schweigen.
Tobias: Nur was kümmert all das den Leser
und die Leserin?
Simone: Wir wollen einen Blick in die Werk-
statt bieten: Was bewegt uns im Haus, was
bewegt uns bei Recherchen.
Susanne: Der SPIEGEL ist ein mittelständischer
Betrieb, wie es viele gibt. Er ist insofern auch
ein Spiegel der Gesellschaft. Historisch For-
schende würden feststellen, dass wir in man-
cher Hinsicht spät dran waren, in anderer früh.
Wir hatten schon im Jahr 2000 einen Arbeits-
kreis Gleichstellung und 2011 eine Streitschrift
für die Quote als Titelgeschichte. Und auch
die Initiative ProQuote wurde wesentlich von
GLEICHBERECHTIGUNG
»Frauen waren
eine Irritation«
Der SPIEGEL war jahrzehntelang ein
Klub junger und alter weißer
Männer. Was hat die #MeToo-Debatte
verändert? Ein Gespräch unter
Kolleginnen (und ein Mann war auch dabei).
SPIEGEL-Gründer
Augstein mit
seiner Sekretärin
Katja Kloos 1947
Roman Stempka / DER SPIEGEL
64 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022
TITEL 75 JAHRE DER SPIEGEL
2022-02SPAllTitel456852202_GespraechMeTooimSPIEGELD2-064064 642022-02SPAllTitel456852202_GespraechMeTooimSPIEGELD2-064064 64 06.01.2022 21:55:4306.01.2022 21:55:43