Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
SPIEGEL-Kolleginnen vorangetrieben. Aus
anderen Häusern hieß es: »Wow, das traut ihr
euch!«
Tobias: Du bist 1996 zum SPIEGEL gekom-
men, Susanne. Wie hast du den Umgang mit
all den männlichen Kollegen empfunden?
Susanne: Es waren andere Zeiten. Weitgehend
ohne Internet, dafür mit Rohrpost. Und der
SPIEGEL schien mir doch sehr geprägt von 1968
zu sein, der sexuellen Revolution, die er ja
auch publizistisch vorangetrieben hat. Jeden-
falls haben einige Männer damals ständig Kör-
per von Frauen bewertet: Pos, Brüste, alles. Es
waren nur wenige, die das taten, aber die
waren penetrant. Und mächtig. Sie konnten
zugleich nett und klug und lustig sein – ich
denke, dass das dazu beigetragen hat, dass zu
selten Widerspruch kam. Ich kann mir auch
vorstellen, dass diejenigen, die solche Sprüche
mitbekamen, sie übergingen, um die peinliche
Lage nicht zu verschlimmern. Ich selbst habe
oft so getan, als hörte ich nicht hin. Ein Be-
dauern darüber aber kommt nie zu spät. Ein
Kollege sagte mir neulich, er ärgere sich, dass
er damals nicht deutlicher widersprochen habe.
Tobias: In den Zeiten, die du beschreibst, leb-
te SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein noch.
Er wurde oft als Chef beschrieben, der zu
Vorstellungsgesprächen in sein Privathaus ein-
lud und dann einen Bademantel trug. Hast
du diesen Augstein auch erlebt?
Susanne: Nein, aber ich wurde bald nach mei-
nem Einstieg angerufen, ob ich ihm würde vor-
lesen wollen. Augstein sah nicht mehr gut. Ich
rechnete nicht mit sexuellen Absichten, null.
Mir war jedoch klar, dass ich das nicht würde
machen können, weil Journalistinnen schnell
unterstellt wurde, sie hätten ihre Erfolge über
Beziehungen erreicht. Das wollte ich nicht.
Tobias: Anders als meistens berichtet, hat
Augstein auch Männer im Bademantel emp-
fangen. Eine Respektlosigkeit.
Simone: Eine Machtgeste.
Susanne: Augstein war eine komplexe Figur,
es ist wichtig, sich das klarzumachen. Nicht
um irgendetwas zu relativieren, sondern um
die Dinge zu sehen, wie sie sind. Er konnte
groß denken, den selbstbewussten SPIEGEL
von heute gäbe es ohne ihn nicht. Aber zu
deiner richtigen Anmerkung, Tobias: Patriar-
chale Strukturen verletzen auch Männer. Ich
habe hier Kollegen vorgefunden, die erzähl-
ten, wie sie sich als junge Redakteure unten
am Haus ans Fleet gesetzt und geweint haben.
Wo Macht ist, ist oft auch Machtmissbrauch.
Tobias: Es ist nicht lange her, dass der
SPIEGEL mit folgendem Slogan für sich warb:
»Die Konferenz, vor der Politiker zittern.«
Ich erinnere mich an Scherze im Haus: »Wenn
wir ehrlich sind, zittern auch wir.« Diese enor-
me Hierarchie!
Simone: Das Führungsverständnis ist heute
anders. Die junge Generation wäre weg, wenn
mit ihr noch so umgegangen würde.
Tobias: Simone, du bist 2006 ins Haus ge-
kommen, eingestellt von einer Chefin.
Simone: Ich kam von der ebenfalls männlich
dominierten »FAZ«, und das war für mich

ein wichtiger Aspekt. Die Ressortleiterin sag-
te mir, sie suche explizit eine junge Frau, die
Mumm mitbringe. Mit ihr wollte ich unbe-
dingt arbeiten. Für mein Vorstellungsgespräch
in der Chefredaktion gab sie mir den Satz mit:
»Egal worüber die Herren lachen, lachen Sie
mit.« Diese Herren sprachen dann kaum mit
mir, sondern vor allem über mich. Am Ende
fielen die Worte: »Na, dann stellen wir die
junge Frau doch mal ein. Wenn es nicht klappt,
schmeißen wir sie wieder raus.« Mit ähnli-
chen Worten sind auch viele männliche Kol-
legen eingestellt worden. Das war mir bloß
damals nicht klar. Als ich dann anfing, war
die Ressortleiterin abgesetzt worden. Das war
eine Bauchlandung für mich.
Susanne: Die ersten Ressortleiterinnen waren
oft nur kurz auf diesem Posten. Frauen waren
eine Irritation für den SPIEGEL.
Simone: Trotzdem gab es für mich etliche
weibliche Vorbilder im Haus. Selbstbewusste
Frauen, die in den Konferenzen ihre Meinung
sagten. Und mir hat geholfen, dass meine
Themen die sogenannten harten Themen
waren, viel Landespolitik, Rotlicht, Blaulicht.
Tobias: Die vermeintlich männlichen Themen.
Simone: So das Klischee, ja. Ich saß als Kor-
respondentin in Frankfurt am Main und Stutt-
gart. Wenn ich in der Hamburger Zentrale
zu Besuch war, hörte ich schon mal Kommen-
tare wie: »Zieh lieber keinen Rock und nicht
so etwas Buntes an, erst recht nicht, wenn du
in die Ressortleiterrunde gehst.«
Tobias: Gab es Coachings für Frauen?
Simone: Ja, und nicht wenige Kollegen haben
sich darüber lustig gemacht. Ich habe an so
einem Seminar teilgenommen, die Tipps
werde ich nie vergessen: Trage einen Hosen-
anzug! Rede über Fußball! Sitze breit! Und:
immer direkt die Nummer eins im Raum
adressieren!
Susanne: Es ging darum, die Frauen männ-
licher zu machen. Nicht, sie als Frauen zu
ermächtigen.

Simone: Es war schon ein verständlicher An-
satz, den Frauen die Spielregeln zu erklären,
damit sie irgendwann überhaupt eine Position
erreichen können, um diese zu verändern.
Und bei vielen Silberrücken hat das ja auch
einwandfrei funktioniert.
Tobias: Lasst uns über Kinder reden: In dem
Jahr, in dem du angefangen hast, Simone, hat
Ursula von der Leyen als Familienministerin
das Elterngeld durchgesetzt.
Simone: Ich habe noch erlebt, wie ein Ressort-
leiter mit Kolleginnen monatelang kein Wort
geredet hat, nachdem sie ihm erzählt hatten,
dass sie schwanger sind. Durch die Väter-
monate änderte sich das. Jeder Chef wusste
nun: Egal ob ich eine junge Frau oder einen
jungen Mann einstelle – das Risiko, dass sie
für eine gewisse Zeit ausfallen, ist ähnlich
hoch. Das hat den Boden bereitet für die Kar-
rieren von Frauen. Der Ausbau der Kinder-
betreuung hat in meinem Fall dann sein Übri-
ges dazu beigetragen, dass ich Familie und
Job besser zusammendenken konnte.
Tobias: Als ich vor einigen Jahren meinen
Ressortleitern, damals zwei Männern, erzähl-
te, dass ich Elternzeit nehmen wolle, aber
noch nicht wisse, wie lange, fünf oder sechs
Monate, da sagten sie: »Ein moderner Mann
nimmt mindestens ein halbes Jahr.«
Susanne: So wichtig ist Familienpolitik!
Tobias: 2013, ein Jahr nach Gründung von
ProQuote, sorgte ein SPIEGEL-Text für Dis-
kussionen, der Titel: »Die ScheinriesInnen«.
Der Autor kritisierte, dass die Journalistinnen
von ProQuote es gut verstünden, Eigeninte-
resse als gesellschaftliche Relevanz zu insze-
nieren. Ich teile mit euch das Ziel einer mög-
lichst diversen Redaktion. Aber hatte der
Autor nicht trotzdem recht?
Simone: Das sehe ich anders. Wer die Gesell-
schaft abbilden und verstehen will, braucht
ein diverses Team. Das ist urjournalistisch.
Susanne: Ich bin ProQuote-Mitglied, den-
noch müssen wir Journalistinnen, die sich als
Feministinnen verstehen, unbedingt selbst-
kritisch bleiben. Wir sind in erster Linie Jour-
nalistinnen, keine Aktivistinnen.
Tobias: Susanne, du bist zunächst zur stell-
vertretenden Ressortleiterin und dann von
dort 2015 in die Chefredaktion befördert wor-
den. Hast du dich als Quotenfrau gefühlt?
Susanne: Ja, und ich hatte damit gar kein Pro-
blem, weil wir die Quote ja politisch einge-
fordert hatten. Klaus Brinkbäumer, dessen
Stellvertreterin ich war, wollte eine oder zwei
Frauen in die Chefredaktion berufen, hat mir
aber immer wieder gesagt: Ich wollte jeman-
den wie dich, auch wenn du ein Mann gewe-
sen wärst. Irgendwann habe ich es geglaubt.
Tobias: Hast du gezögert, das Angebot anzu-
nehmen?
Susanne: Ich konnte nicht Gleichstellung for-
dern und dann sagen, ich mache es nicht.
Aber ich habe gewusst, was der Preis sein
würde. Als erste Frau in dieser Position konn-
te ich nicht diejenige sein, die abends auch
mal früh nach Hause geht. Das hätte anderen
Redakteur:innen Beyer, Salden, Becker Frauen geschadet.

Johannes Arlt / DER SPIEGEL

Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 65

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