Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 93

Kampf um Gold
und Drogen
VENEZUELA Im Grenzgebiet
zwischen Kolumbien und Vene-
zuela eskaliert ein Krieg zwi-
schen verfeindeten kolumbiani-
schen Guerilla-Organisationen:
auf der einen Seite abtrünnige
Kämpfer der aufgelösten Farc,
auf der anderen Seite die größte
Rebellenorganisation ELN. Am
vergangenen Wochenende sind
dabei mindestens 23 Menschen
ums Leben gekommen. Tausen-
de sind auf beiden Seiten der
Grenze bereits vor der Gewalt
geflüchtet. ELN und die soge-
nannten Dissidenten der Farc
kämpfen um die Kontrolle der
Region: Sie dient als Korridor
für den Drogenhandel nach
Venezuela, wo weite Landestei-
le mittlerweile in der Hand ko-
lumbianischer Guerilla-Organi-
sationen sind. Nach Angaben
kolumbianischer Sicherheits-
kräfte halten sich zwischen
3000 und 5000 Kämpfer der
ELN im Nachbarland auf, sie
dringen immer weiter ins Lan-
desinnere vor. Die ELN kontrol-
liert zahlreiche illegale Goldmi-

nen auf venezolanischem Ge-
biet und ist Berichten von
Goldsuchern zufolge selbst im
äußersten Osten des Landes
nahe der Grenze zu Brasilien
präsent. Die ELN liefert sich
immer öfter Gefechte mit ande-
ren kriminellen Gruppen, die
bislang die Minen kontrollieren.
Sicherheitsexperten befürchten,
dass die Rebellen nun verstärkt
versuchen, das rohstoffreiche
Becken des Orinoco unter ihre
Kontrolle zu bekommen. Der
Fluss ist Venezuelas wichtigster
Wasserweg, er gewährt den
Zugang zu den dünn besiedel-
ten Regionen im Süden und
Südosten des Landes. Venezue-
las Präsident Nicolás Maduro
duldet die Präsenz der kolum-
bianischen Rebellen in seinem
Land, zumal er sein Regime
zum Teil mit den Einnahmen
aus dem Goldschmuggel finan-
ziert. Caracas hat neben der
ELN auch mehrere abtrünnige
Anführer der Farc aufgenom-
men, die sich nach dem Frie-
densabkommen mit der kolum-
bianischen Regierung im Jahr
2016 in eine politische Partei
verwandelt hat. JGL

Brüder im Geiste


UNGARN Viktor Orbán, autori-
tär herrschender Premier in Bu-
dapest, ist in der EU ziemlich
isoliert. Deshalb sieht er sich
nach neuen Freunden um – und
findet sie auf dem Westbalkan.
Vor Weihnachten sagte er Milo-
rad Dodik, dem Führer der bos-
nischen Serben in der Republi-
ka Srpska, einen 100-Millionen-
Euro-Kredit zu. Ausgerechnet
dem Mann, der seit Jahren den
Zerfall Bosniens und Herzego-
winas betreibt. Die USA haben
diese Woche Sanktionen gegen
Dodik verhängt, und auch die
EU erwägt Strafmaßnahmen.

»Orbán zielt darauf, zu einem
Machtfaktor auf dem Balkan zu
werden«, sagt Daniel Hegedüs,
Außenpolitikexperte beim
German Marshall Fund: »Sein
Signal an Brüssel ist: Seid vor-
sichtig mit mir! Ich kann euch
schaden.« Denn die EU ver-
sucht, gerade jenes wackelige
Staatswesen in Bosnien und
Herzegowina am Leben zu er-
halten, das Dodik demontieren
möchte. Schon länger engagiert
sich Ungarns Premier in der Re-
gion. Er unterhält gute Bezie-
hungen zum serbischen Präsi-
denten Aleksandar Vučić und
gewährte dem korrupten nord-
mazedonischen Ex-Herrscher
Nikola Gruevski Asyl. Diese
Leute sind mit ihrer nationalisti-
schen Grundhaltung Orbáns
Brüder im Geiste. Ungarns Bal-
kanpolitik hat vor allem Erfolgs-
aussichten, weil die EU die Re-
gion seit Jahren vernachlässigt.
»Orbán hätte es schwerer, wenn
Politiker vom Balkan nicht so
frustriert wären«, sagt Hegedüs.
Denn weder finden sie in Berlin
noch in Paris Gehör, eine rea-
listische Perspektive für einen
EU-Beitritt fehlt. JPU

»Wir sind ein Volk«


NORDKOREA Der deutsche Ex-Botschafter Thomas
Schäfer über Pjöngjangs neuesten Raketentest und
darüber, warum Kim Jong Un wohl nicht allein herrscht

Schäfer, 69, war
bis 2018 insge-
samt acht Jahre
lang deutscher
Botschafter in
Nordkorea.

SPIEGEL: Herr Schäfer, seit zehn
Jahren regiert Kim Jong Un.
Wie mächtig ist er heute?
Schäfer: Er hat in jedem Fall
Einfluss, aber ich kann nicht sa-
gen, wie groß dieser ist. Ich
glaube, dass in Nordkorea heu-
te ein eng begrenzter Kreis von
alten, gut vernetzten Familien
das Sagen hat. Es sind die Hard-
liner, die sich seit 2015/16
durchgesetzt haben.
SPIEGEL: Wofür stehen die?
Schäfer: Es sind Militärs, Ver-
treter der Geheimdienste und
Leute, die für Bevölkerungs-
kontrolle und Ideologie zustän-
dig sind. Sie fahren einen sehr

harten militaristischen Kurs und
stehen ausländischen Investitio-
nen skeptisch gegenüber.
SPIEGEL: Gelten ausländische
Ideen als Gefahr?
Schäfer: Ja, seit 20 Jahren gibt
es etwa die Idee, China, Russ-
land und Südkorea durch Eisen-
bahnlinien zu verbinden, die
durch Nordkorea verlaufen.
Doch das Projekt ist nie voran-
gekommen. Nordkoreaner hö-
ren permanent, ihr Land sei an
der Spitze des Fortschritts.
Wenn sie dann einen ausländi-
schen Hochgeschwindigkeitszug
vorbeirasen sehen, wäre das
eine Blamage für die Führung.
SPIEGEL: Der militaristische
Kurs bedeutet auch, dass Rake-
ten getestet und Atomwaffen
weiterentwickelt werden.
Schäfer: Der Hauptgrund für
die atomare Bewaffnung ist Ab-
schreckung. Es gibt aber auch

politische Motive: Nordkorea
möchte Washington und Seoul
entzweien und die Amerikaner
aus Südkorea vertreiben.
SPIEGEL: Welchen Zweck hat
der aktuelle Raketentest?
Schäfer: Vielleicht wollte Nord-
korea zeigen, dass es nicht von
seinem Kurs abweicht. Im Au-
genblick scheint die Führung
abzuwarten. Sie sieht Trumps
Stärke in den USA: Sollte er
oder ein Nacheiferer 2024 ge-
wählt werden, hofft man, den
US-Abzug oder andere Zu-
geständnisse zu erzwingen.

SPIEGEL: Haben Sie noch Hoff-
nung für das Land?
Schäfer: Mein Wunsch war und
ist, dass sich Nordkorea in Rich-
tung des chinesischen Modells
entwickelt. Doch die Hardliner
haben Angst, dass wirtschaftli-
che Unabhängigkeit das Regime
destabilisieren könnte. Das
hängt mit der Teilung des Lan-
des zusammen. Diese Leute ha-
ben sich die deutsche Wieder-
vereinigung angeschaut. Sie
wissen, dass aus dem Ruf »Wir
sind das Volk« schnell »Wir
sind ein Volk« werden kann. KGP

Dodik, Orbán

Kim, Mitglieder des Zentralkomitees

Szilard Koszticsak / AP

KCNA / KNS / AP

Jörg Carstensen / dpa

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