Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
KULTUR

110 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

J


ede gute Geschichte braucht
einen Konflikt. Der muss gar
nicht groß sein, der Held sollte
aber mindestens ein bisschen da run­
ter leiden. Meistens zieht er aus, ihn
zu lösen, und kehrt dann siegestrun­
ken und testosterongeladen heim.
Ende. Aber was ist, wenn es um eine
Heldin geht? Und deren Problem
nicht so offensichtlich ist wie ein feu­
erspeiender Drache? Dann wird es
schon komplizierter, echter, womög­
lich auch weiblicher. »Dann wird es
ambivalent und damit wahrhaftig«,
sagt Doris Dörrie.
Als die Schriftstellerin und Filme­
macherin aus Hannover aufbrach, um
ihren Drachen zu erlegen, war ich
noch lange nicht geboren. Ich bin erst
auf ihr Werk gestoßen, als ihre Biblio­
und Filmografie bei Wikipedia schon
ein bisschen unübersichtlich wurden,
2019, durch Dörries autobiografi­
schen Text »Leben, schreiben, at­
men«, der eigentlich eine Anleitung
zum Selberschreiben sein will. Darin
lernt man eine zarte, sehnsüchtige,
leidende, liebevolle, rastlose Frau
kennen. Eine, die weiß, wie barba­
risch diese Welt sein kann. Eine, die
trotzdem lebt. Und zwar gern. Der
Text wanderte zwischen den Zim­
mern meiner Mitbewohnerinnen und
meinem hin und her.
Es gelingt Dörrie so gut, die Fa­
cetten ihres eigenen Lebens wie durch
ein Kaleidoskop zu betrachten, in
kleinen, bunten Episoden, dass nun
innerhalb weniger Jahre bereits das
dritte Buch dieser Art erscheint, »Die
Heldin reist«. Darin nimmt Dörrie die
Leserinnen und Leser mit auf ihre
Reisen in die USA, nach Marokko
und in ihr Sehnsuchtsland Japan.
Aber eigentlich geht es wieder um sie.
Und mehr noch um ihr Frausein.
Wer sich mit Dörrie verabredet,
erkennt sie sofort. Die kurzen blon­
den Haare fliehen ihr in verschiede­
nen Richtungen vom Kopf, die Nase
ziert eine auffällige Brille, an den Oh­
ren baumeln blaue Kristalle. Dazu
trägt sie eine grasgrüne Hose und sil­
berne Schuhe. Mutig. So sieht eine
Frau aus, die keine Angst hat vor den

feuerspeienden Drachen eines Frau­
enlebens, Vergleich, Urteil und Ver­
letzung. Oder?
Es ist seltsam, Dörrie zu treffen,
wenn man ihre Memoiren kennt. Ob­
wohl man ihr noch nie begegnet ist,
weiß man bereits ziemlich viel über
sie.
Man hat gelesen, wie sie die erste
Nacht nach der Geburt ihrer Tochter
hellwach lag, bereit, das Kind zu
verteidigen, sollte jemand es stehlen
wollen. Wie sie auf der Flucht vor
einem kläffenden Hund als Kind
einen herrlichen Samtrock zerriss.
Wie sie sich ihre Nase unter Einfluss
von reichlich Bommerlunder mit
einer heißen Nadel durchstechen ließ.
Wie sie mit ihrem ersten Mann gegen
eine todbringende Krankheit kämpf­
te. Dörrie hat die Leserinnen und
Leser zu den Höhen und Tiefen ihres
Lebens geführt und sie dabei zu
Freunden gemacht. Auch mich, eine
Frau aus einer ganz anderen Gene­
ration.
Sie habe es lange nicht geschafft,
so autobiografisch und direkt zu
schreiben, erzählt sie nun, in der Ca­
feteria der Hochschule für Fernsehen
und Film München, wo sie Drehbuch
lehrt. »Es ist ein langer Weg, zu er­
kennen, dass man nicht mehr verletzt
wird, wenn man ehrlich von sich
selbst berichtet«, sagt Dörrie. Verletzt
werde man als Künstlerin sowieso.
Von negativen Kritiken oder einem
fehlenden Publikum. Wer einige Film­
rezensionen liest, weiß: Dörrie hat
beides erlebt. »Wenn man aber etwas
Echtes von sich herzeigt, etwas Fra­
giles, wird man durchaus mit Kontakt
belohnt.« Etwa zu einer neuen Gene­
ration von Leserinnen und Lesern,
meiner, für die Dörries Durchbruch
weit vor der Geburt liegt.

1985 sahen über fünf Millionen
Zuschauerinnen und Zuschauer ihren
Kinoerfolg, »Männer«. Dörrie war
gerade 30 Jahre alt, fast so alt wie ich
jetzt. Der Film trieb ihre Karriere an,
brachte sie auf den SPIEGEL­Titel und
nach Hollywood. Auch Heiner Lau­
terbach und Uwe Ochsenknecht pro­
fitierten von den zwischen starren
Maskulinitätskonzepten irrlichtern­
den Figuren, die sie ihnen schrieb.
Wer den Film heute sieht, muss fest­
stellen, dass beide vielleicht nie wie­
der so gut waren wie unter ihrer Re­
gie. Schade, dass der Film in der
Gegenwart kaum eine Rolle spielt.
Dabei ist er noch immer recht pro­
gressiv. Ein bisschen plakativ zwar,
aber in der Persiflage von Gender­
stereotypen treffend.
Das gilt auch für viele weitere
Filme und Romane von Dörrie. Wer
sie mit den Augen einer jungen Frau
von heute ansieht, entdeckt ein
vielfältiges Werk. Und wundert sich,
wie furios Dörrie sich immer schon
mit Identitätsarbeit und dem Frau­
sein beschäftigt hat. Denn obwohl
Dörrie gern die »Männer«­Kennerin
genannt wurde, vor allem ihre Frau­
enfiguren sind aus heutiger Sicht
innovativ.
Etwa die blauhaarige Anna Blume
in »Mitten ins Herz«, die um die Lie­
be eines passiven, eiskalten Mannes
kämpft. Und ihn, nachdem sie sogar
ein Kind für eine Zukunft mit ihm
stahl, umbringt. Oder die erotische
Lotte aus »Paradies«, die so un­
gezwungen, ja egoistisch durch ihr
Leben geht, dass die konventionelle
Gesellschaft sich in Form eines ein­
gerosteten Ehepaars an ihr rächt. Die
dicke Friseuse Kathi, die mit so viel
Kraft durch diese aufs Schlanksein
fixierte Welt waten muss, dass sie
selbst bisweilen ungerecht wird. Oder
Trudi, in »Kirschblüten Hanami« sen­
sibel von Hannelore Elsner gespielt,
in deren Haut sich gleich mehrere
Frauen verstecken, die nicht dazu
kommen, ihre Träume zu leben.
Und dennoch hat sich Dörrie ein
bisschen hinter diesen Figuren ver­
steckt, glaubt man. Erst in ihren auto­

Im Kampf mit dem Drachen


AUTORINNEN Warum Doris Dörries Filme und Romane für junge Frauen so beeindruckend sind


Hof, 31, ist Redak-
teurin im SPIEGEL-
Kulturressort.

»Es ist mir unerträglich,
so lange Gewalt hin­
genommen zu haben.«
Doris Dörrie

Julia Steinigeweg / DER SPIEGEL

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