Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
KULTUR

112 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

E


s muss ein gutes Gefühl sein, die einzige
Leuchte zu sein in finsterer Zeit. »Wenn
Satire wieder frei ist und darf, was Sa-
tire darf, nämlich alles, dann werden Sie die
erste sein, die man wieder engagieren wollen
wird«, schreibt jemand auf der Facebook-
Seite von Lisa Fitz, und der gefällt diese Pro-
gnose. Sie versieht den Eintrag mit dem Dau-
mensymbol, einem Like. Ihre Kolleginnen

und Kollegen, die anderen Kabarettisten?
»Bücklinge des Systems« oder »Pros -
tituierte«, schreiben ihre Fans. Findet auch
Fitz: Daumen hoch.
Nach ihrem Abgang beim SWR wegen ir-
reführender Äußerungen zu Corona-Impf-
toten wird Fitz von ihrer Internetgemeinde
gefeiert als mutige Verkünderin der Wahrheit.
Bejubelt wird die 70-Jährige auch in den so-

genannten alternativen Medien, im rechten
Verschwörungsmagazin »Compact«, im
Kremlsender RT DE oder vom professionellen
Corona-Umdeuter Boris Reitschuster. Die
»taz« hingegen titelte: »Schwurbelei in der
ARD«, »Focus« bezichtigte sie der »Impf-
Lügen«. Fitz selbst sieht sich als Opfer einer
»Inquisition«, meint, dass die Presse sie »ver-
nichten« wolle. Die Frau, die seit mehr als
40 Jahren auf Deutschlands Kabarettbühnen
und im Satirefernsehen präsent ist, die einst
bei »Scheibenwischer« auftrat und den Bay-
erischen Verdienstorden hat, ist zur Sym-
bolfigur geworden für die derzeit so viel dis-
kutierte Spaltung der Gesellschaft. Und sie
spaltet selbst: Sie will differenzierte Kritikerin
sein und bedient doch immer wieder ganz
simpel die Radikalisierten.
Im Januar war es zwischen der Kabaret-
tistin und dem SWR zum Eklat gekommen
und zu einem singulären Ereignis im deut-
schen Satirefern sehen: Der Sender winkte
einen Beitrag von Fitz für die Sendung »Spät-
schicht« vom 10. Dezember erst durch, bei
der Aufzeichnung distanzierte sich Gastgeber
Florian Schroeder dann aber von der Mei-
nung der Satirikerin. Nach der Ausstrahlung
verteidigte der Sender den Beitrag zunächst
als Meinungsäußerung, rückte später aber
doch ab, weil es sich um eine falsche Tatsa-
chenbehauptung gehandelt habe, und nahm
den Beitrag schließlich aus der Mediathek.
Daraufhin sprach Fitz von Vertrauensbruch
und warf bei der »Spätschicht« hin, wo sie
viele Jahre lang regelmäßig Stammgast ge-
wesen war.
Streitpunkt war vor allem eine Zahl. Fitz
hatte behauptet, das Europäische Parlament
beantrage einen Entschädigungsfonds für Op-
fer von Corona-Impfungen: »Für 5000 Men-
schen leider zu spät. Da waren die Folgen
durch die Covid-19-Impfstoffe tödlich.« Bei-
des stimmt nicht, war schon Wochen vorher
in einschlägigen Foren behauptet und von
anderen Medien widerlegt worden.
Immer wieder relativierte Fitz – und legte
gleichzeitig nach. »Ich bin keine Impfgegnerin
und keine Coronaleugnerin«, bekräftigt sie,
die nach eigenen Angaben selbst geimpft ist.
Sie räumt einen »Fehler« ein, den sie im
nächsten Statement zum »Formfehler« ver-
kleinert. Zugleich argumentiert sie arg schräg,
dass ihre Zahl nicht »nachweislich falsch« sei,
weil ja niemand die genaue Zahl kenne. Und

Lautstarke Mundtote


KARRIEREN Die Kabarettistin Lisa Fitz ließ sich stets als Kämpferin gegen die Konventionen feiern.
Mittlerweile wähnt sie sich als verfemte Aufdeckerin von Verschwörungen der Reichen
und Mächtigen. Beifall bekommt sie dafür von den ganz Rechten, den ganz Linken und den ganz Verwirrten.

Künstlerin Fitz 2019: Symbolfigur für die derzeit so viel diskutierte Spaltung der Gesellschaft

Michael Tinnefeld / AGENCY PEOPLE IMAGE

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