Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 29

»Wenn Raps länger überflutet


ist, dann ist er tot«


DER AUGENZEUGE Landwirt Claus Schmoldt,
40, aus Krummendeich in Niedersachsen,
versucht, nach den Stürmen sein Land wieder
trocken zu bekommen.

»Die Orkane der vergangenen
Tage haben auf meinen Fel­
dern Spuren hinterlassen.
Teilweise sind wir abgesoffen.
Auf manchen Flächen steht
das Wasser noch, Entwässe­
rungsgräben liefen über.
Ich bewirtschafte etwa
270 Hektar Ackerland. Hier in
Kehdingen, wie die Gegend
heißt, ist der Boden sehr
schwer, matschige Marsch mit
hohem Tonanteil. Die spei­
chert Wasser gut, hat aber
Probleme mit Starkregen. Bei
uns ist jeder Quadratmeter
entwässert, mit Drainagen,
Pumpen und Gräben. Über
den Jahreswechsel war es
schon sehr nass und das Ent­
wässerungssystem an seiner
Grenze. Das Tiefdruckgebiet
und die Stürme haben es zum
Überlaufen gebracht.
Auf meine Felder kann ich
erst mal nicht. Normalerweise
hätte ich schon das erste Mal
gedüngt. Alle Arbeiten, die
wir jetzt nicht machen, müs­
sen wir später auf einmal ma­
chen. Ich muss also umplanen.
Meine Nährstoffe für die
Pflanzen – also Gärreste aus
der Biogasanlage, die ich so­
wieso besitze – muss ich jetzt
teilweise abgeben. Und diese
später in Form von Mineral­
dünger wieder zukaufen, auch

weil man den leichter ausbrin­
gen kann als mit dem schwe­
ren Güllefass. Das sind für
mich zusätzliche Kosten.
Wir haben wegen des Re­
gens schon vor dem Orkan
Rillen in die Felder gebaggert.
Durch sie soll das Wasser in
die Entwässerungsgräben flie­
ßen, dann in Elbe und Oste,
von dort in die Nordsee. Aber
solange die Gräben voll sind,
bringt das nichts. Die Systeme
sind zur Zeit meines Groß­
vaters ausgelegt worden. Bei
Starkregenereignissen, wie es
sie immer häufiger gibt, sind
sie einfach zu schwach.
Gras und Getreide sterben
nicht sofort, wenn sie eine
Weile unter Wasser stehen.
Aber wenn Raps länger über­
flutet ist, dann ist er tot. Das
ist bei mir noch nicht großflä­
chig so, nur an einigen Stellen.
Es ist nicht nur schlecht,
dass es viel geregnet hat. In
manchen Regionen Deutsch­
lands fehlt Wasser. Wir sind
deutschlandweit betrachtet
noch nicht wieder auf dem
Stand von vor den trockenen
letzten Jahren. Aber für mei­
nen Hof und die Region hier
war es zu viel Wasser. Ich
muss es schnell wieder weg­
bekommen.

»Eine wachsende
Vertrauenskrise«
Achim Steiner, 60, Leiter des
Uno-Entwicklungsprogramms,
über den globalen Kampf gegen
die Pandemie

SPIEGEL: Herr Steiner, tut die
Weltgemeinschaft genug gegen
Corona?
Steiner: Gegenwärtig ist erst die
Hälfte der Weltbevölkerung ge­
impft. In den ärmsten Ländern
der Welt hat vielleicht gerade
mal einer von neun Menschen
überhaupt die erste Impfung
bekommen. Die zutiefst unglei­
che Verteilung von Impfstoffen
ist der Skandal dieser Pandemie
und wird international tiefe
Narben hinterlassen. Dazu ge­
hört auch, dass etwa die Impf­
stoffpatente nicht freigegeben
werden.
SPIEGEL: Wie ist das erklärbar?
Steiner: Die Gefahr einer Pan­
demie hat sich seit Jahren abge­
zeichnet, weder G7 noch G20
noch andere internationale Fo­
ren waren jedoch ausreichend
darauf vorbereitet. Und weil
die internationale Zusammen­
arbeit nicht sofort funktionierte,
setzte man wieder auf nationa­
le Alleingänge. Doch bis die
Pandemie überall unter Kon­
trolle ist, wird sie nirgendwo
unter Kon trolle sein. Das soll
jetzt nicht besserwisserisch
klingen, aber wir
wussten das vorher
und sollten nun da­
raus lernen – denn
das nächste Virus
kommt bestimmt.
SPIEGEL: Was ist mit
der Covax, der globa­
len Initiative, die allen
Menschen Corona­

Impfstoffe zugänglich machen
soll?
Steiner: Den Vereinten Natio­
nen wurden damals zu wenig fi­
nanzielle Mittel bereitgestellt –
damit musste Covax sich bei
Bestellungen ans Ende der
Schlange stellen. Vorher kamen
diejenigen Länder dran, deren
Unternehmen die Patente für die
Impfstoffe besitzen – und die
das Geld haben, sie einzukaufen.
Die bisherige Bilanz von Covax
ist eine ernüchternde.
SPIEGEL: Welche Folgen hat
das?
Steiner: Wir leben im 21. Jahr­
hundert mit bald acht Milliar­
den Menschen, Klimawandel,
Pandemien – Entwicklungen,
die alle darauf hindeuten, wie
abhängig wir voneinander sind.
Wohlstand allein schützt nicht
vor diesen Risiken. Wir erleben
ja weltweit eine wachsende
Vertrauenskrise in nationale
Institutionen, weil sie nicht in
der Lage sind, globale Risiken
national zu lösen. Sechs von
sieben Menschen fühlen sich
heute unsicher. Wie erklärt man
das in einem Zeitalter, in dem
wir ›reicher‹ sind als jemals zu­
vor in der Geschichte? Wir ha­
ben mehr Wissenschaft, mehr
Infrastruktur, mehr Möglichkei­
ten. Trotzdem empfinden wir
über Staatsgrenzen, über Ein­
kommenskategorien hinweg
eine Unsicherheit über die Zu­
kunft. Da setze ich
als Entwicklungs­
politiker an, denn
wenn wir das nicht
verstehen, dann ver­
lieren wir das Ver­
trauen der Menschen
und die Fähigkeit
zum gemeinsamen
Handeln. CSC, TIL

Wer verdient,
der haftet
UNTERNEHMEN Die Bundesre­
gierung geht davon aus, dass es
im umstrittenen Lieferkettenge­
setz der EU erstmals Haftungs­
regeln für Unternehmen geben
wird. Man sei »zuversichtlich«,
dass die Vorschläge der Euro­
päischen Kommission »am
Ende auch Realität« werden, er­
klärte das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammen­
arbeit. Der europäische Entwurf
sieht vor, dass Firmen ab 500

Mitarbeitern und 150 Millionen
Euro Jahresumsatz entlang
ihrer Lieferketten Sorgfalts­
pflichten auferlegt bekommen
und etwa die Einhaltung von
Menschenrechten und Umwelt­
standards garantieren müssen.
Andernfalls könnten sie auch zi­
vilrechtlich belangt werden. Im
deutschen Lieferkettengesetz,
das noch unter der alten Regie­
rung verabschiedet wurde und
im kommenden Jahr in Kraft
tritt, fehlen bislang solche Mög­
lichkeiten – aufgrund massiven
Drucks aus der Wirtschaft. SBO

Aufgezeichnet von Sophia Ahrens

Jörg Müller / DER SPIEGEL

Sebastian Pani / dpa

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